OGH 6Ob141/16b

OGH6Ob141/16b30.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Dr. Nowotny und Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. H***** F*****, 2. Mag. K***** H*****, beide *****, vertreten durch Bollman & Bollmann Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei Dipl.‑Ing. K***** K*****, vertreten durch Dr. Robert Starzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 15.100 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 1. April 2016, GZ 15 R 14/16p‑15, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. November 2015, GZ 1 Cg 9/15y‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00141.16B.0830.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Kläger sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Beklagten die mit 1.205,96 EUR (darin 200,99 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat seinen über Antrag der Kläger abgeänderten Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Haftung eines Sachverständigen infolge Drittwirkung eines von ihm erstatteten Gutachtens nach § 37 Abs 4 WEG bei Hinweis auf eine unvollständige Befundaufnahme.

1. Die Ersatzpflicht des Sachverständigen nach §§ 1299 f ABGB ist grundsätzlich auf den aus dem Schuldverhältnis Berechtigten beschränkt (RIS-Justiz RS0026234), wohingegen eine Haftung gegenüber Dritten nur dann in Betracht kommt, wenn ein Vertrag mit Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter vorliegt oder die objektiv-rechtlichen Schutzwirkungen auf den Dritten zu erstrecken sind. Gegenüber einem Dritten trifft den Sachverständigen eine objektiv-rechtliche Sorgfaltspflicht aber, wenn er damit rechnen muss, dass sein Gutachten die Grundlage für dessen Disposition bilden werde (RIS‑Justiz RS0106433) oder wenn der Vertragspartner des Sachverständigen erkennbar gerade die Interessen dieses Dritten mitverfolgte (RIS‑Justiz RS0017178, RS0114126). Geschützt ist schließlich ein Dritter auch, wenn eine Aussage erkennbar drittgerichtet ist, also ein Vertrauenstatbestand vorliegt, der für den Dritten eine Entscheidungsgrundlage darstellen soll (RIS‑Justiz RS0017178 [T13]). Entscheidend ist somit der Zweck des Gutachtens. Aus dem Gutachtensauftrag ergibt sich, welche Interessen Dritter geschützt sind. Mögliche Käufer genügen (RIS-Justiz RS0017178 [T8]).

2. In Bezug auf die Frage der schadensverursachenden Haftung ist der Gutachtensauftrag jener Maßstab, an dem die Tauglichkeit und Richtigkeit des Gutachtens zu messen ist (RIS-Justiz RS0106433 [T6]; 7 Ob 77/11s ZVB 2012/50 [Zörer]). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde der Beklagte hier mit der Erstellung eines „Gutachtens nach § 37 WEG“ beauftragt. Der Beklagte selbst betitelt sein Gutachten mit „Gutachten zur Feststellung des Bauzustandes der allgemeinen Teile des Hauses gemäß § 37 Abs 4 WEG“.

2.1. § 37 Abs 4 WEG 2002 verpflichtet den Wohnungseigentumsorganisator, dem Wohnungseigentumsbe-werber hinsichtlich eines Hauses, dessen Baubewilligung zum Zeitpunkt der Zusage älter als 20 Jahre ist, ein Sachverständigengutachten über den Bauzustand der allgemeinen Teile des Hauses, insbesondere über in absehbarer Zeit notwendig werdende Erhaltungsarbeiten zu übergeben. Das Gutachten ist in den Kaufvertrag einzubeziehen, wobei mit der Einbeziehung der beschriebene Bauzustand als bedungene Eigenschaft gilt. Erfolgt keine Einbeziehung, gilt ein Erhaltungszustand des Hauses als vereinbart, der in den nächsten zehn Jahren keine größeren Erhaltungsarbeiten erfordert. Zweck der Regelung ist es, die Übervorteilung des (einzelnen) Wohnungseigentumsbe-werbers, der oft rechtlich unerfahren ist und die Problematik des Wohnungseigentums an einem Gebäude, das hohen Instandsetzungsaufwand erfordert, nicht abzuschätzen vermag, zu verhindern (6 Ob 56/16b).

2.2. Das Gutachten hat gemäß § 37 Abs 4 WEG Auskunft über den Erhaltungszustand der allgemeinen Teile des Hauses (§ 2 Abs 4 WEG; vgl RIS-Justiz RS0097520, RS0125757, RS0117164), insbesondere über die in absehbarer Zeit notwendig werdenden Erhaltungsarbeiten, zu geben (Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht I23 [2015] § 37 Rz 16). Es muss den im Gesetz definierten Anforderungen entsprechen und von einer dafür qualifizierten Person erstellt worden sein (Gartner in Illedits/Reich-Rohrwig, Wohnrecht² [2015] § 37 WEG Rz 15). Der Terminus „Erhaltungsarbeit“ ist im Sinn des § 28 Abs 1 Z 1 WEG (5 Ob 136/13f; RIS-Justiz RS0114109) und damit im Einklang mit § 3 Abs 1 und 2 MRG auszulegen. Der Begriff der „absehbaren Zeit“ wird von Stimmen in der Literatur (etwa Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht² [2013] § 37 WEG Rz 40) mit zehn Jahren konkretisiert. Damit ist der notwendige Inhalt eines Gutachtens nach § 37 Abs 4 WEG im Wesentlichen vorgegeben, den jedoch das Gutachten des Beklagten (im Revisionsverfahren unstrittig) nicht aufwies.

2.3. § 37 Abs 4 WEG ist eine Schutznorm (Vonkilch aaO) zugunsten des Wohnungseigentumsbewerbers, wobei der erkennende Senat diesen Schutz auch jenem Erwerber zubilligte, der Liegenschaftsanteile vom Wohnungseigentumsorganisator nach Begründung von Wohnungseigentum erworben hatte (6 Ob 56/16b). Denkbar erscheint auch die Erstreckung dieses Schutzes auf einen Erwerber, der zwar nicht vom Wohnungs-eigentumsorganisator, sondern von jemandem kauft, der in einem familiären oder wirtschaftlichen Naheverhältnis zu diesem steht, weil der Verkäufer in einem solchen Fall als Gründungshelfer angesehen werden kann (Vonkilch aaO Rz 38 unter Hinweis auf AB 1050 BglNR 21. GP 12). Das machten die Kläger in erster Instanz nicht geltend. Im vorliegenden Fall haben die Kläger weder vom Wohnungseigentümer noch einem Gründungshelfer, sondern nach Verbücherung von einem Dritten erworben.

3. Jedenfalls bei dieser Konstellation ist aber die Auffassung des Berufungsgerichts durchaus vertretbar, der Sachverständige hafte nur für ein unrichtiges Gutachten (vgl auch RIS-Justiz RS0026319, RS0026360), weshalb trotz seiner Betitelung zu berücksichtigen sei, dass dem lediglich aus zwei DIN A4-Seiten bestehenden Gutachten klar zu entnehmen ist, dass der Beklagte den Keller der Liegenschaft nicht in Augenschein genommen hatte; weiters habe er klar darauf hingewiesen, dass eine zielgerichtete Untersuchung der Tragfähigkeit der Fundamente, Mauern udgl nicht erfolgt war, und festgehalten, dass „aufgrund der augenscheinlichen Besichtigung“ keine Anzeichen einer Instabilität wie Risse im Mauerwerk, an den Decken und Stiegen im Stiegenhaus und an den Außenfassaden vorhanden sind (vgl 3 Ob 93/05f, wo der Sachverständige mehrfach darauf hingewiesen hatte, keine abschließende Stellungnahme abgegeben und sein Gutachten auf unverlässlichen bzw unvollständigen Grundlagen aufgebaut zu haben). Tatsächlich enthält das Gutachten keine Aussage über den (letztlich Sanierungsaufwand verursachenden) Zustand des Kellers und dort allenfalls zu erwartende Erhaltungsarbeiten, was eben ausdrücklich damit begründet wurde, dass der Keller nicht besichtigt worden war.

4. Auf die Frage, inwieweit die Verkäuferin mit einem solchen Gutachten ihre Verpflichtung nach § 37 Abs 4 WEG erfüllt hätte, muss hier nicht eingegangen werden.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.

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