European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00077.16W.0628.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Rechtliche Beurteilung
1. „Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil“ iSd § 255 Abs 3a Z 4 ASVG sind nach der gesetzlichen Definition in § 255 Abs 3b ASVG (idF des 2. SVÄG 2013 BGBl I 2013/139) leichte körperliche Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden. Tätigkeiten gelten auch dann als vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt, wenn sie durch zwischenzeitliche Haltungswechsel unterbrochen werden.
2. Die Definition des § 255 Abs 3b ASVG beschreibt nicht das medizinische (Rest‑)Leistungskalkül von Versicherten, sondern jene Tätigkeiten unter allen in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten, die das leichteste Anforderungsprofil erfüllen. Um den Anspruchs-voraussetzungen der Härtefallregelung zu genügen, darf der Pensionswerber nur mehr in der Lage sein, die in § 255 Abs 3b ASVG umschriebenen Tätigkeiten und sonst keine weiteren Verweisungstätigkeiten auszuüben. § 255 Abs 3b ASVG definiert somit ein bestimmtes Profil von Tätigkeiten, die der Versicherte zwar noch ausüben könnte, auf die er aber nach dem Willen des Gesetzgebers nicht verwiesen werden kann (RIS‑Justiz RS0127382).
3. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bedeutet die in § 255 Abs 3b ASVG verwendete Formulierung „vorwiegend in sitzender Haltung“ sitzende Arbeit in mehr als zwei Drittel der Gesamtarbeitszeit (10 ObS 141/13b, SSV‑NF 27/74; jüngst 10 ObS 36/16s mwH; RIS‑Justiz RS0127383 [T7]). Kann ein Versicherter noch eine Berufstätigkeit ausüben, die nicht vorwiegend in sitzender Haltung, sondern auch gehend und stehend ausgeübt werden kann, fällt er nicht in den Anwendungsbereich der Härtefallregelung (10 ObS 69/13i; 10 ObS 150/11y, SSV‑NF 26/5).
4. Das Berufungsgericht hat diese Rechtsprechung bei seiner Entscheidung beachtet. Die Klägerin war nach den Feststellungen zuletzt 6 ½ Jahre als Straßenaufsichtsorgan (Mitarbeiterin in der Parkraumüberwachung) tätig und ist trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin in der Lage, diesen Beruf auszuüben. Dabei handelt es sich um eine mit einer leichten körperlichen Belastung verbundene Tätigkeit, die aber mehr als zur Hälfte im Gehen, laufend im Wechsel mit Stehen, ausgeübt wird. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass es sich bei dieser Tätigkeit nicht um eine solche mit geringstem Anforderungsprofil iSd § 255 Abs 3b ASVG handle, weil sie nicht mehr als zweidrittelzeitig im Sitzen durchgeführt wird, keinesfalls korrekturbedürftig. Da die Klägerin noch in der Lage ist, auch andere Tätigkeiten als nur jene mit geringstem Anforderungsprofil iSd § 255 Abs 3a Z 4 iVm Abs 3b ASVG auszuüben, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der von der Revisionswerberin aufgeworfenen Frage der konkreten Verweisbarkeit als weitere Tatbestandsvoraussetzung gemäß § 255 Abs 3a Z 4 ASVG. Kann ein Versicherter die zuletzt ausgeübten Tätigkeiten noch verrichten, stellt sich auch die Frage der Verweisung auf andere Tätigkeiten nicht (RIS‑Justiz RS0110071 [T1]).
5. Die Revisionswerberin argumentiert, dass der Begriff der „Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil“ um leichte gehende/stehende Tätigkeiten erweitert werden müsste, weil das ohnehin zu schmal gefasste Anwendungsfeld der Härtefallregelung einer weitest möglichen Auslegung durch die Rechtsprechung bedürfe, um einen wirklichen Verweisungsschutz zu erreichen. Einer solchen Auslegung steht jedoch schon der – insofern auch durch das 2. SVÄG 2013, BGBl I 2013/139 nicht veränderte – Wortlaut des § 255 Abs 3b ASVG entgegen, wonach Tätigkeiten iSd § 255 Abs 3a Z 4 ASVG nur solche sind, die vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden. Es ist darüber hinaus nicht Aufgabe der Gerichte, durch weitherzige Interpretation rechtspolitische oder wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen, die den Gesetzgeber (bewusst oder unbewusst) nicht veranlasst haben, Gesetzesänderungen vorzunehmen; es ist nicht Sache der Rechtsprechung, allenfalls als unbefriedigend erachtete Gesetzesbestimmungen zu ändern oder zu beseitigen (10 ObS 63/14h mwH; RIS‑Justiz RS0009099).
Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.
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