European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0170OS00028.15V.1214.000
Spruch:
I/ Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
II/ Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch 2, demgemäß auch im Strafausspruch und im Kostenausspruch hinsichtlich Erna T***** aufgehoben.
III/ Im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs 2/a wird in der Sache selbst erkannt:
Erna T***** wird vom Vorwurf, sie habe am 23. März 2006 in P***** als Vertragsbedienstete der gleichnamigen Gemeinde, mithin als Beamtin, mit dem Vorsatz, dadurch den Bund an seinem Recht auf Richtigkeit des Melderegisters „und dessen ordnungsgemäße Führung“ zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen „der für das hoheitliche Meldewesen im übertragenen Wirkungsbereich zuständigen Gemeinde P*****“ als deren Organ Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem sie hinsichtlich Dorottya C***** eine Meldebestätigung über den Nebenwohnsitz bei Herbert M***** in der U*****gasse 23 ausstellte, obwohl sie wusste, dass die angemeldete ungarische Staatsangehörige an der Meldeadresse nie Unterkunft nahm oder zu nehmen beabsichtigte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
IV/ Im Umfang der Aufhebung der Punkte b, c und d des Schuldspruchs 2 wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Eisenstadt verwiesen.
V/ Der Angeklagten Manuela K***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden ‑ soweit hier von Bedeutung ‑ Manuela K***** (zu 1) und Erna T***** (zu 2) jeweils des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach haben sie in P***** als Vertragsbedienstete der gleichnamigen Gemeinde, mithin als (im strafrechtlichen Sinn) Beamte, mit dem Vorsatz, dadurch den Bund an seinem Recht auf Richtigkeit des Melderegisters „und dessen ordnungsgemäße Führung“ zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen „der für das Meldewesen im übertragenen Wirkungsbereich zuständigen Gemeinde“ (richtig: des Bundes vgl Art 10 Abs 1 Z 7 B‑VG als dessen Organ) Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem sie unrichtige Meldedaten in das Zentrale Melderegister (kurz: ZMR) eintrugen, „Vermerke über diese Scheinmeldungen ausstellten und die Meldezettel teilweise mit nachgenannten Datensätzen vor ausfüllten, sodass die Unterkunftgeber und die Eltern der angemeldeten Kinder nur mehr unterschreiben mussten“, obwohl sie wussten, dass die angemeldeten unmündigen ungarischen Staatsangehörigen an den Meldeadressen nie Unterkunft nahmen oder zu nehmen beabsichtigten, und zwar
1/ Manuela K***** am 22. Februar 2011 hinsichtlich Csongor B***** einen Nebenwohnsitz bei Josef Ko*****:
2/ Erna T*****
a/ am 23. März 2006 hinsichtlich Dorottya C***** „durch Ausstellung einer Meldebestätigung über den Nebenwohnsitz bei Herbert M*****“;
b/ am 28. März 2006 hinsichtlich Rebeka Bö***** einen Nebenwohnsitz bei Martina H*****;
c/ um den 28. Februar 2011, indem sie hinsichtlich der Cintia Ba***** „betreffenden Meldung Maria W***** zur Anmeldung der Cintia Ba***** aufforderte, den Meldezettel vorab ausfüllte und ihr diesen zur Unterschrift brachte und ihn dann Johann Kop***** vorlegte“;
d/ am 28. Februar 2011, indem sie hinsichtlich der Marko S***** „betreffenden Meldung den Meldezettel vorab ausfüllte und ihn dann Johann Kop***** vorlegte.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den Schuldspruch 1 aus den Gründen der Z 5 und 10a des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Manuela K***** kommt keine Berechtigung zu.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde:
Die von der Mängelrüge kritisierte Begründungspassage (US 11) gibt den Inhalt der Aussage der (geständigen [vgl ON 107 S 4 und ON 158 S 4]) Beschwerdeführerin nicht wieder, sondern zieht aus dieser beweiswürdigende Schlussfolgerungen in Bezug auf die subjektive Tatseite, weshalb behauptete Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) insoweit nicht in Betracht kommt (RIS-Justiz RS0099431). Soweit das Erstgericht an anderer Stelle der Entscheidungsgründe diese Verantwortung zusammenfassend referiert (vgl US 10 f), geschieht dies übrigens im Einklang mit dem tatsächlich Ausgesagten.
Der weitere Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur subjektiven Tatseite nimmt nicht Maß an der Gesamtheit der tatrichterlichen Erwägungen (US 11 f [RIS-Justiz RS0119370]). Sie stellt vielmehr Teilen derselben ‑ ohne Verstöße gegen Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze aufzuzeigen (RIS-Justiz RS0118317) ‑ bloß eigenständige Schlüsse aus der Verantwortung der Beschwerdeführerin nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung entgegen.
Die Kritik am Unterbleiben diversionellen Vorgehens (Z 10a) ist ebenfalls nicht berechtigt. Zwar ist das ‑ vom Erstgericht zutreffend als mildernd angenommene (US 13) ‑ „Handeln auf Weisung“ bei der Beurteilung der Schwere der Schuld (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO) zu berücksichtigen (vgl 17 Os 25/13z, EvBl 2014/77, 517; 17 Os 29/14i). Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits klargestellt, dass Fehleintragungen in öffentlichen Registern gegenüber reinen Abfragen einerseits von größerem Handlungsunwert gekennzeichnet sind und andererseits zur Veränderung des Datensatzes, der für unterschiedlichste Zwecke allgemein zugänglich ist, führen. Sie erschüttern solcherart das Vertrauen sämtlicher Nutzer in die Richtigkeit des Registers. Deshalb kommt Diversion bei Fehleintragungen nur dann in Betracht, wenn aufgrund außergewöhnlicher Umstände ein Vorliegen sämtlicher Ausschlusskriterien (ausnahmsweise) zu verneinen ist (RIS-Justiz RS0129789). Die vom Erstgericht angenommenen Milderungsgründe (insbesondere das von der Rüge ins Treffen geführte „Handeln auf Weisung“) reduzieren ‑ auch unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters des § 198 Abs 3 (gegenüber Abs 2 Z 1) StPO ‑ den Handlungsunwert nicht in einem eine solche Ausnahmekonstellation nahelegenden Ausmaß. Der weiteren Diversionsrüge zuwider bedeutet die konstatierte, bloß vertretungsweise Wahrnehmung von Angelegenheiten des Meldewesens durch die Beschwerdeführerin (US 6) keineswegs, dass diese an der (hier gegenständlichen) strafbaren Handlung „in nur untergeordneter Weise beteiligt war“ (vgl § 34 Abs 1 Z 6 StGB).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Die Kostenersatzpflicht erstreckt sich nicht auf das amtswegige Vorgehen ( Lendl , WK-StPO § 390a Rz 12).
Zur amtswegigen Maßnahme:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil nicht geltend gemachte Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a und b) zum Nachteil der Angeklagten Erna T***** anhaften, die von Amts wegen wahrzunehmen waren (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
Die Meldepflicht trifft grundsätzlich den Unterkunftnehmer, für einen Minderjährigen denjenigen, dem dessen Pflege und Erziehung zusteht oder (wenn der Minderjährige nicht bei oder mit einem solchen Unterkunft nimmt) den Unterkunftgeber. Mit seiner Unterschrift bestätigt der Meldepflichtige die sachliche Richtigkeit der Meldedaten (§ 7 Abs 1, 2 und 4 MeldeG 1991 [kurz: MeldeG]). Die Vorgangsweise bei der Anmeldung ist in § 3 MeldeG näher geregelt; gemäß § 4a Abs 1 MeldeG ist die Anmeldung erfolgt, sobald der Meldebehörde der entsprechend vollständig ausgefüllte Meldezettel vorliegt. Die (Tatsache der) Anmeldung hat die Meldebehörde gegebenenfalls durch Anbringung des Meldevermerks auf einer Ausfertigung (eines Ausdruckes der Meldedaten) zu bestätigen (§ 3 Abs 4 und § 4a Abs 2 MeldeG). Die Meldebehörden haben die Meldedaten aller bei ihnen angemeldeten Menschen evident zu halten (lokales Melderegister). Sie können ihr lokales Melderegister auch im Rahmen des Zentralen Melderegisters (ZMR) führen und haben Meldedaten, die zur Änderung des lokalen Melderegisters führen, unverzüglich dem Betreiber des ZMR zu überlassen und sicherzustellen, dass Anmeldungen im lokalen Melderegister nachvollzogen werden (§ 14 Abs 1 und 1a MeldeG). § 15 Abs 1 MeldeG verpflichtet die Meldebehörde unter Umständen zur amtswegigen An- oder Abmeldung oder zur Berichtigung unrichtiger oder unvollständiger Meldedaten. Daraus folgt die Pflicht der Meldebehörde, (als solche erkannte) unrichtige Meldedaten (von vornherein) nicht in das Melderegister einzugeben (vgl 17 Os 34/14z). Gemäß § 19 Abs 1 MeldeG hat die Meldebehörde auf Antrag zu bestätigen, dass, seit wann und wo der Antragsteller oder ein Mensch, für den ihn die Meldepflicht trifft, angemeldet ist (Meldebestätigung). Ebenso wie die Anbringung des Meldevermerks (§ 3 Abs 4 MeldeG) bloß bestätigt, dass der Meldepflicht entsprochen wurde, wird mit der Meldebestätigung (§ 19 Abs 1 MeldeG) nur die Tatsache der erfolgten Anmeldung attestiert; die Richtigkeit der Meldedaten wird in keinem der beiden Fälle beurkundet (RIS-Justiz RS0119212; vgl Thanner/Vogl Polizeirecht I Sicherheitsverwaltung § 3 MeldeG Anm 8).
Zu den Punkten c und d des Schuldspruchs 2 liegt Erna T***** zur Last, Meldezettel (für die jeweils Meldepflichtigen) ausgefüllt und dem für Angelegenheiten des Meldewesens der Gemeinde P***** (primär) zuständigen Johann Kop***** übergeben zu haben, welcher die „Eintragung“ (der inhaltlich unrichtigen Meldedaten) „im Zentralen Melderegister ausführte“ (US 9). Der Gebrauch einer Erna T***** als Beamtin zukommenden Befugnis, in Vollziehung des Meldegesetzes Amtsgeschäfte vorzunehmen, wird damit nicht angesprochen. Vielmehr hat sie die ‑ unter ihrer Mitwirkung ausgefüllten ‑ Meldezettel gleichsam als Botin der Meldepflichtigen (vgl zur Anmeldung durch Boten VfSlg 13.781) der Meldebehörde vorgelegt (§ 4a Abs 1 MeldeG).
Nach dem angeklagten Sachverhalt (ON 86 S 11 ff) und den Urteilskonstatierungen liegt aber Strafbarkeit der Erna T***** als Bestimmungs- oder Beitragstäterin zum insoweit von Johann Kop***** als unmittelbarem Täter begangenen Missbrauch der Amtsgewalt (vgl dessen ‑ unter anderem deshalb erfolgte ‑ rechtskräftige Verurteilung ON 108 [S 6]) nahe. Ausreichende Feststellungen dazu, insbesondere zur Wissentlichkeit von Erna T***** (als Extranea) in Bezug auf (zumindest bedingt) vorsätzlichen Fehlgebrauch der Befugnis (RIS-Justiz RS0108964 [T7]) durch Johann Kop***** als unmittelbaren Täter enthält das Urteil nicht.
Die Punkte c und d des Schuldspruchs waren daher aufzuheben. In diesem Umfang war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO).
Zum Schuldspruch 2/a wiederum liegt Erna T***** lediglich zur Last, eine Meldebestätigung betreffend eine zuvor von Johann Kop***** durchgeführte Eintragung unrichtiger Daten ins ZMR ausgestellt zu haben (US 8 f). Zwar handelt es sich bei der von § 19 Abs 1 MeldeG vorgesehenen Ausstellung der Meldebestätigung um ein Amtsgeschäft. Sie stellte aber vorliegend, weil damit nach dem Vorgesagten (vgl erneut RIS‑Justiz RS0119212) bloß die Tatsache erfolgter Anmeldung eines Nebenwohnsitzes richtig beurkundet wurde, keinen Fehlgebrauch der Befugnis dar. Davon abgesehen bleibt in diesem Zusammenhang auch die Feststellung, Erna T***** habe bei Ausstellung der Meldebestätigung mit Schädigungsvorsatz hinsichtlich der Richtigkeit des Melderegisters (welches hievon gar nicht betroffen war) gehandelt (US 9), ohne Sachverhaltsbezug (RIS-Justiz RS0119090). Der Schuldspruch nach § 302 Abs 1 StGB entbehrt daher auch insoweit einer ausreichenden Tatsachengrundlage.
Da nach dem angeklagten Sachverhalt Strafbarkeit der Ausstellung der Meldebestätigung auch nach einem anderen Tatbestand nicht in Betracht kommt, war im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs 2/a gemäß § 288 Abs 3 erster Fall StPO sogleich in der Sache selbst auf Freispruch zu erkennen.
Das Fehlen einer hinreichenden Sachverhaltsbasis für die Punkte c und d des Schuldspruchs 2 macht schließlich die (implizite rechtliche) Annahme einer Hemmung der ‑ nach der konstatierten Tatzeit (28. März 2006) indizierten ‑ Verjährung der zu 2/b inkriminierten Tat unschlüssig, weshalb das Urteil auch insoweit einen Rechtsfehler (Z 9 lit b) mangels Feststellungen aufweist (13 Os 125/11y, EvBl 2012/63, 419; Ratz , WK‑StPO Rz 602) und der Schuldspruch 2/b in Wahrnehmung der dem Obersten Gerichtshof nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO zukommenden Befugnis aufzuheben war.
Ohne Schuldspruch 2 konnten auch der Strafausspruch und der Kostenausspruch hinsichtlich Erna T***** keinen Bestand haben.
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