OGH 17Os34/14z

OGH17Os34/14z13.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Oktober 2014 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tagwerker als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz H***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Franz H***** und Werner S***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4. April 2014, GZ 10 Hv 10/14w‑21, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0170OS00034.14Z.1013.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Franz H***** (zu 1) und Werner S***** (zu 2) jeweils des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 (Letzterer auch nach § 12 dritter Fall) StGB schuldig erkannt.

Danach haben am 30. November 2012 in P*****

(1) Franz H***** als Bürgermeister dieser Gemeinde und Meldebehörde (§ 13 Abs 1 MeldeG), mithin als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an seinem Recht auf Richtigkeit der Meldedaten im Melderegister „bzw. auf ordnungsgemäße Führung des Melderegisters“ zu schädigen, seine Befugnis, im Namen „der für das Meldewesen im übertragenen Wirkungsbereich zuständigen Gemeinde“ (richtig: des Bundes vgl Art 10 Abs 1 Z 7 B‑VG) „als deren Organ“ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er der mit der Führung des Melderegisters betrauten Gemeindebediensteten Mag. Maria R***** die Weisung erteilte, eine (nicht den Tatsachen entsprechende) Ummeldung betreffend Werner S***** durchzuführen, wobei er vorgeblich als dessen Unterkunftgeber den Meldezettel unterfertigte und dadurch wahrheitswidrig bestätigte, dass dieser in der genannten Gemeinde den Hauptwohnsitz begründet habe oder begründen werde;

(2) Werner S***** zu der zu Punkt 1 dargestellten strafbaren Handlung dadurch beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB), dass er den Meldezettel als Meldepflichtiger mitunterfertigte und im Gemeindeamt vorlegte und Franz H***** durch Zustimmung zur Erfassung der unrichtigen Meldedaten in Bezug auf seine Person in dessen Vorhaben bestärkte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die jeweils aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a und 10a StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten, denen keine Berechtigung zukommt.

Da die Beschwerdeführer weitgehend inhaltsgleich argumentieren, werden die Einwände der beiden Nichtigkeitsbeschwerden gemeinsam beantwortet.

Die Rechtsrügen (Z 9 lit a) vertreten die Ansicht, das als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes festgestellte Recht des Staates auf (unter anderem) Richtigkeit der Meldedaten im Melderegister (US 4) sei nicht „konkret“ im Sinn des § 302 Abs 1 StGB, weshalb dieser Tatbestand auf Basis des Urteilssachverhalts nicht erfüllt sei. Während Werner S***** dies ‑ ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz (vgl die Bestimmungen des MeldeG, die den Bürgermeister als Meldebehörde zur amtswegigen Berichtigung unrichtiger Meldedaten verpflichten §§ 15 Abs 1 zweiter Satz, 15a Abs 1 MeldeG) ‑ bloß auf nicht zum MeldeG ergangene Rechtsprechung stützt (vgl RIS-Justiz RS0096270 zur Schädigung allgemeiner staatlicher Kontroll- oder Aufsichtsrechte), beruft sich Franz H***** insbesondere auf 17 Os 30/13k, EvBl 2014/84, 569. Zwar darf eine Rechtsrüge anstelle einer eigenständigen methodengerechten Ableitung aus dem Gesetz an einen Rechtssatz (eine Entscheidung) des Obersten Gerichtshofs anknüpfen. Prozessordnungsgemäß ist dies aber nur, wenn es innerhalb der von Logik und Grammatik gezogenen Grenzen erfolgt (RIS‑Justiz RS0116962). Dies ist hier nicht der Fall, denn der von Franz H***** zitierten Entscheidung ist gerade das Gegenteil (dass nämlich das Recht des Staates auf Richtigkeit des Melderegisters sehr wohl im Sinn des § 302 Abs 1 StGB beachtlich ist) des von ihm Behaupteten zu entnehmen.

Das Erstgericht hat festgestellt (US 4), dass Franz H***** der mit der Führung des Melderegisters betrauten Gemeindebediensteten ‑ zunächst ohne Vorlage eines (vollständig) ausgefüllten Meldezettels (vgl § 3 Abs 3 MeldeG) ‑ die Weisung erteilte (vgl 13 Os 12/11f), inhaltlich unrichtige Meldedaten betreffend Werner S***** im (lokalen) Melderegister zu erfassen und an das Zentrale Melderegister weiterzuleiten (vgl § 14 Abs 1a MeldeG). Inwieweit es erforderlich gewesen wäre, darüber hinaus Konstatierungen zu treffen, „welche konkrete Aufgabe oder Verpflichtung des Meldegesetzes der Erstangeklagte verletzt hätte“, sagt die Rechtsrüge des Ersteren nicht konkret (vgl RIS‑Justiz RS0099620). Im Übrigen ist die Frage nach dessen (sich aus dem Gesetz ergebenden) Befugnissen nicht Gegenstand von Tatsachenfeststellungen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 343 und § 288 Rz 19).

Die gesetzmäßige Ausführung einer Diversionsrüge (Z 10a) erfordert eine methodisch korrekte Argumentation auf Basis der Tatsachenfeststellungen unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RIS‑Justiz RS0124801, RS0116823). Zudem ist Gegenstand dieses Nichtigkeitsgrundes nur die rechtsfehlerhafte Beurteilung der tatsächlichen Urteilsannahmen, nicht aber deren einwandfreie Ermittlung oder mängelfreie Begründung (RIS‑Justiz RS0119092; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 660). An diesen Vorgaben geht die Kritik des Franz H*****, das Erstgericht habe für die Ablehnung der Diversion bloß eine „Scheinbegründung unter Verwendung der verba legalia unter Zitierung der geltenden Rechtslage“ geliefert, vorbei.

Den weiteren Ausführungen ist Folgendes voranzustellen: Die Anwendung der Diversion ist bei Missbrauch der Amtsgewalt auf leichte Fälle beschränkt, wie sich schon aus dem Ausnahmecharakter des § 198 Abs 3 (gegenüber Abs 2 Z 1) StPO ergibt (AB 2457 BlgNR 24. GP 3; vgl auch RIS‑Justiz RS0116021 [T8, T12 und T17]).

Überdies stellt die Voraussetzung bloß geringfügiger oder sonst unbedeutender Schädigung an Rechten nach ihrem Wortlaut und den eindeutigen Gesetzesmaterialien nicht bloß auf Vermögensrechte ab, weshalb auch jeder „Schaden an immateriellen Rechten und Persönlichkeitsrechten sowie an öffentlichen Rechten“ bei Beurteilung dieses Ausschlusskriteriums ins Kalkül zu ziehen ist (vgl erneut AB 2457 BlgNR 24. GP 4). Das Tatbild des § 302 Abs 1 StGB verlangt zudem keinen tatsächlichen Schadenseintritt. Auch deshalb ist die von § 198 Abs 3 StPO, der überdies an die „Tat“ und nicht die strafbare Handlung anknüpft, angesprochene (wirkliche) Herbeiführung einer Schädigung an Rechten dem Bezugspunkt des tatbestandsmäßigen Schädigungsvorsatzes nicht gleichzusetzen (zum ähnlich wie § 198 Abs 3 StPO formulierten § 142 Abs 2 StGB RIS-Justiz RS0094501; vgl zur Berücksichtigung von außerhalb des Tatbestands liegenden Folgen bei der Schuldbewertung Ebner in WK2 StGB § 32 Rz 85 mwN; zur deutschen Rechtslage Stree/Kinzig in Schönke/Schröder StGB29 § 46 Rz 26 f; restriktiv zu § 198 Abs 2 Z 2 StPO offenbar Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 16).

Beide Beschwerdeführer orientieren sich nicht am gesamten ‑ nach dem Vorgesagten mit Blick auf die in § 198 Abs 3 StPO normierten Diversionsvoraussetzungen entscheidenden ‑ Urteilssachverhalt. Mit der Behauptung bloß geringfügiger oder sonst unbedeutender Schädigung an Rechten übergehen sie nämlich die Feststellungen, wonach infolge des Befugnismissbrauchs unrichtige Daten beinahe ein Jahr lang im (Zentralen) Melderegister erfasst blieben (US 4 und 6) und Werner S***** dadurch (tatplangemäß) ermöglicht wurde, gesetzwidrig (vgl § 29 Abs 1 lit d Steiermärkische Gemeindeordnung 1967 [GemO] iVm § 41 Abs 1 [Steiermärkische] Gemeindewahlordnung 2009 [GWO]), weiter als Mitglied des Gemeinderats tätig zu sein, also „an Gemeinderatssitzungen teilzunehmen und an Beschlussfassungen mitzuwirken“ (US 5). Demnach wurden durch die inkriminierte Vorgangsweise auch das einzuberufende Ersatzmitglied an seinem ‑ einen Teil dessen passiven Wahlrechts bildenden ‑ Recht auf Nachfolge in ein erledigtes Gemeinderatsmandat (§ 31 Abs 1 GemO; vgl Oberndorfer/Trauner, 4. Teil, Gemeinderatswahlen Rz 68, in Pabel [Hrsg], Gemeinderecht) sowie (wahlberechtigte) Bürger an ihrem Recht, dass nur im Sinn des § 41 GWO wählbare Personen als Mitglieder des Gemeinderats fungieren, also etwa solche Personen, die ‑ manifestiert durch einen Hauptwohnsitz in der Gemeinde ‑ zu dieser eine bestimmte Nahebeziehung aufweisen, beeinträchtigt.

Im Übrigen legen die Beschwerdeführer nicht dar, weshalb es bei der Beurteilung des Gewichts der Tatfolgen (§ 198 Abs 3 StPO) zu ihren Gunsten ausschlagen soll, dass die Verletzung des staatlichen Rechts auf Richtigkeit des Melderegisters zwar „mit geringfügigstem Aufwand rückgängig gemacht werden konnte“, dies aber über einen längeren Zeitraum unterblieb, wodurch die Rechtsschädigung intensiviert wurde.

Da diversionelles Vorgehen nur bei kumulativem Vorliegen sämtlicher gesetzlicher Voraussetzungen zulässig (vgl RIS-Justiz RS0124801) und vorliegend ‑ nach dem von den Beschwerdeführern (teils) übergangenen Urteilssachverhalt ‑ die Schädigung an Rechten nicht „bloß geringfügig oder sonst unbedeutend“ ist, erübrigt sich eine Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO). Dieses wird dabei zu berücksichtigen haben, dass das Erstgericht hinsichtlich Werner S***** seine Strafbefugnis überschritten hat, indem es eine Strafe unter Anwendung des § 43a Abs 2 StGB ausgesprochen hat, obwohl die Zusammenrechnung der verhängten Freiheitsstrafe und der für die Geldstrafe festgesetzten Ersatzfreiheitsstrafe keine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten ergibt. Die Wahrnehmung der daraus resultierenden Nichtigkeit (Z 11 erster Fall [vgl RIS-Justiz RS0091926]) konnte dem Oberlandesgericht überlassen werden (RIS-Justiz RS0116501).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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