OGH 25Os3/15a

OGH25Os3/15a1.12.2015

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 1. Dezember 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Niederleiter und Mag. Dorn sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weißnar als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Mag. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 5. Juni 2014, GZ D 32/13‑30, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Prof. Dr. Aicher sowie der Verteidigerin Mag. Ramer zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0250OS00003.15A.1201.000

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Mag. ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

Danach hat er als Rechtsvertreter der Dr. Lily J***** eine für diese am 18. April 2012 auf seinem Konto eingegangene Unterhaltsforderung in Höhe von 37.387 Euro mit seiner Honorarforderung von 4.857,75 Euro verrechnet und trotz Bestreitung der Richtigkeit und Höhe seiner Forderung den letztgenannten Betrag weder der Genannten ausgehändigt noch gerichtlich erlegt.

Über den Beschuldigten wurde gemäß § 16 Abs 1 Z 1 DSt die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe; sie ist nicht im Recht.

Die Rechtsrüge nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO behauptet das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 DSt.

Nach den wesentlichen Feststellungen (ES 2 f) hat der Beschuldigte Dr. Lily J***** bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen gegen ihren geschiedenen Ehegatten vertreten. Nachdem das Vollmachtsverhältnis am 11. April 2012 durch die Genannte aufgelöst worden war, langte am 18. April 2012 die einbringlich gemachte Unterhaltsforderung in Höhe von 37.387 Euro auf dem Konto des Beschuldigten ein. Am 23. April 2012 machte der Beschuldigte seine Honoraransprüche gegenüber Dr. J***** geltend und übermittelte seine Honorarnoten einen Tag danach an ihren neuen Rechtsvertreter und an ihre Rechtsschutzversicherung. Nach teilweiser Deckung seiner Ansprüche durch diese behielt der Beschuldigte ‑ trotz Aufforderung zur Ausfolgung des gesamten Betrags und Bestreitung seiner Honoraransprüche ‑ einen Betrag von 4.857,75 Euro ein. Dr. J***** begehrte in der Folge mit gerichtlicher Klage die Zahlung dieses Betrags und erwirkte (rechtskräftig) den Zuspruch von 334,94 Euro.

Noch hinreichend deutlich brachte der Disziplinarrat zum Ausdruck (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19), dass der Beschuldigte dadurch (nicht vorsätzlich, sondern) fahrlässig gegen § 19 Abs 3 RAO und §§ 16, 17 RL‑BA verstoßen hat (ES 4).

§ 19 RAO stellt nur auf das aufrechte Vollmachtsverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seiner Partei ab (RIS‑Justiz RS0110833 [T2, T8, T9], RS0120397; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 19 RAO Rz 1). Da dieses am 18. April 2012 bereits aufgelöst war, können Aufrechnungs‑, Zurückbehaltungs‑ oder Hinterlegungsbefugnisse nicht auf § 19 RAO gestützt werden. Nach den allgemeinen Kompensationsregeln der §§ 1438 ff ABGB wiederum steht der Aufrechnung einer Honorarforderung eines Rechtsanwalts mit einem Treuhanderlag § 1440 zweiter Satz ABGB entgegen (RIS‑Justiz RS0116395).

Die Anmaßung eines Retentions‑ oder Kompensationsrechts ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 19 RAO und ohne entsprechende (vom Disziplinarrat nicht festgestellte und vom Beschuldigten auch nicht behauptete) Vereinbarung begründet eine disziplinär zu ahndende Pflichtwidrigkeit (RIS‑Justiz RS0072038, RS0113841; 1 Ob 231/13x; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 19 RAO Rz 12) wegen der Verletzung der in §§ 16 und 17 RL‑BA normierten Berufspflichten (vgl im Übrigen auch § 43 Abs 2 RL‑BA), die überdies auch als Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes zu qualifizieren ist (Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 17 RL‑BA Rz 1; RIS‑Justiz RS0055151).

Voraussetzung für die Anwendung des von der Berufung reklamierten besonderen Strafausschließungs-grundes nach § 3 DSt ist, dass das Verschulden des Rechtsanwalts geringfügig ist und sein Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat. Nur wenn die Umstände des Einzelfalls erkennen lassen, dass das Verschulden im konkreten Fall erheblich hinter den typischen Fällen solcher Verstöße zurückbleibt, ist es als geringfügig einzustufen (RIS‑Justiz RS0054998). Auch bei einer Berufung auf einen Rechtsirrtum durch einen Rechtsanwalt kann eine Geringfügigkeit des Verschuldens nur in besonderen Ausnahmefällen zum Tragen kommen (RIS‑Justiz RS0123018 [T2]).

Soweit die Rechtsrüge Geringfügigkeit des Verschuldens unter Berufung auf die Übergabe sämtlicher Unterlagen an den neuen Rechtsvertreter der Mandantin, die unverzügliche Abrechnung der Honoraransprüche des Beschuldigten und sein weitgehendes Obsiegen im gerichtlichen Verfahren sowie einen Rechtsirrtum betreffend die Ausfolgungs- und Hinterlegungspflicht behauptet, orientiert sie sich zum letztgenannten Aspekt nicht an den ‑ dazu gerade nicht getroffenen ‑ Tatsachenfeststellungen des angefochtenen Erkenntnisses und bezieht sich ‑ unter dem Aspekt der Geltendmachung eines Feststellungsmangels - auch auf keine konkreten Verfahrensergebnisse, die solche Konstatierungen indiziert hätten (RIS‑Justiz RS0116735). Zum anderen bewirken die behaupteten Umstände (auch in ihrer Gesamtheit) nicht, dass das Verschulden im vorliegenden Fall als derart erheblich hinter den typischen Fällen solcher Verstöße zurückbleibend anzusehen wäre, dass es als geringfügig im Sinn des § 3 DSt beurteilt werden könnte.

Der Behauptung unbedeutender Folgen wiederum stehen die Feststellungen zur Notwendigkeit einer Klagsführung gegen den Beschuldigten und zum teilweisen Obsiegen Dr. J*****s (mit einem Teilbetrag von 334,94 Euro) entgegen, sodass von nicht bloß unbedeutenden Folgen auszugehen ist.

Der Berufung wegen Schuld war daher ein Erfolg zu versagen.

Auch die ‑ gemäß § 49 letzter Satz DSt implizite ‑ Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe schlägt fehl, wurde doch über den Beschuldigten die gesetzliche Mindeststrafe verhängt und kommt ein Absehen von dieser (§ 39 DSt) nach den Umständen des Falls aus den zu § 3 DSt dargelegten Erwägungen nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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