OGH 1Ob206/15y

OGH1Ob206/15y24.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski , Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** H*****, vertreten durch die Hochleitner Rechtsanwälte GmbH, Perg, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde O*****, vertreten durch Mag. Dr. Josef Kattner, Rechtsanwalt in Amstetten, wegen 4.713,61 EUR sA, Feststellung (Streitwerte 1.500 EUR und 500 EUR) und Unterlassung (Streitwert 500 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 11. März 2015, GZ 21 R 295/14m‑39, mit dem das Teilurteil des Bezirksgerichts Amstetten vom 27. September 2014, GZ 40 C 57/14m‑29, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 373,68 EUR (darin 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Unterhalb der Fahrbahn einer Landesstraße, die an eine Liegenschaft des Klägers mit mehreren Gebäuden angrenzt, verläuft ein Straßenkanal, der ursprünglich nur der Ableitung der Straßenwässer diente. In diesen Rohrkanal mündet ein von der beklagten Gemeinde aufgrund einer wasserrechtlichen Bewilligung in den 1990er Jahren errichteter Regenwasserkanal, der von einem bestimmten Siedlungsgebiet herführt. Im Bereich der Einmündung dieses Regenwasserkanals in den Straßenkanal befindet sich auf der dem Anwesen des Klägers gegenüberliegenden Seite ein Einlaufgitter (Gully), über welches im Falle einer hydraulischen Überlastung des Kanalsystems Wasser an die Oberfläche austritt und dem Gefälle der Straße folgend zum Grundstück des Klägers rinnt. Nachdem im Laufe der Jahre eine immer größere Anzahl von Gebäuden mit ihren Regenwasserabfuhrsystemen an den Regenwasserkanal angeschlossen worden waren, kam es in zunehmendem Ausmaß zur hydraulischen Überlastung des Kanalsystems und zu „Überschwemmungen“ im Bereich vor dem Haus des Klägers. Obwohl es seit dem Jahr 2008 im Durchschnitt einmal im Jahr zu einer solchen Überflutung der Liegenschaft vor den Gebäuden kommt, ist bisher noch nie Wasser in das Haus eingedrungen. Es kam einmal bis zur Haustür, konnte jedoch aufgrund der Abdichtung der Türe nicht ins Haus gelangen. Es ist durchaus möglich, dass in Zukunft durch die geschilderten Überflutungen ein Schaden am Gebäude des Klägers eintritt. Ebenso könnte es zu einem Eindringen von Wasser ins Gebäudeinnere kommen.

Das Erstgericht stellte in seinem Teilurteil fest, dass die Beklagte für künftige Schäden haftet, die dem Kläger an seinem Anwesen dadurch entstehen, dass aus der vorbeiführenden Regenwasserkanalisationsanlage der Beklagten bei Starkregen Wasser austritt und auf sein Anwesen rinnt. Hingegen wies es das Klagebegehren festzustellen, dass der Beklagten kein Recht zusteht, Wassermassen aus dem Regenwasserkanal bestimmten Grundstücken des Klägers (direkt) zuzuleiten ebenso ab wie das Begehren auf Unterlassung, Wasser aus dem Regenwasserkanal (direkt) auf die Liegenschaften des Klägers zuzuleiten.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung ‑ soweit für das Revisionsverfahren von Interesse ‑ dahin ab, dass es feststellte, dass die beklagte Partei für künftige Schäden haftet, die dem Kläger an seinem Anwesen dadurch entstehen, dass aus der am Anwesen vorbeiführenden Regenwasserkanalisationsanlage der Beklagten Wasser austritt und auf sein Anwesen fließt. Weiters erkannte es die Beklagte schuldig, die Ableitung von Wasser aus ihrer am Anwesen des Klägers vorbeiführenden Regenwasserkanalisationsanlage auf seine Liegenschaft zu unterlassen. Das weitere Unterlassungsbegehren wies es ab. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Aus der Begründung ist hervorzuheben, dass auch der Kanalbau und ‑betrieb, insbesondere Rückstaufolgen, der Bestimmung des § 364a ABGB unterlägen, die grundsätzlich Unterlassungsansprüche ausschließe. Unmittelbare Zuleitung sei aber auch bei behördlich genehmigten Anlagen unzulässig. Eine unmittelbare Zuleitung erfordere eine dem Liegenschaftseigentümer zuzurechnende Änderung der natürlichen Gegebenheiten, eine „Veranstaltung“, wodurch Immissionen auf das Nachbargrundstück bewirkt werden. Auch wenn Auswirkungen von Naturgewalten im Allgemeinen dem Grundeigentümer nicht zuzurechnen seien, stelle aus einem Kanalsystem durch einen Gully infolge hydraulischer Überlastung austretendes Regenwasser, welches in der Folge über die Landesstraße auf das Grundstück des Klägers fließt, nicht eine bloß mittelbare Immission, sondern eine unmittelbare Zuleitung dar. Diese habe die Beklagte zu unterlassen. Im Übrigen liege auch ‑ mangels Parteistellung des Klägers ‑ keine dem § 79a GewO vergleichbare Situation vor, sodass dieser sehr wohl berechtigt sei, sich durch eine Unterlassungsklage nach § 364 Abs 2 ABGB trotz Vorliegens einer genehmigten Anlage gegen eine weitere Zuleitung von Regenwasser durch die Anlage der Beklagten zur Wehr zu setzen.

Gegenstand eines Feststellungsbegehrens könnten auch nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche nach § 364a ABGB sein. Voraussetzung der Feststellung einer Haftung für künftige Schäden sei, dass derartige Schäden aufgrund der bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz entstehenden Immissionen noch denkbar bzw nicht auszuschließen seien. Ein solcher Ausgleichsanspruch bestehe auch für Schäden, die durch Einwirkungen verursacht werden, die nach § 364 Abs 2 ABGB nicht zu dulden wären, aber faktisch hingenommen werden müssten, weil sie von einer behördlich genehmigten Anlage ausgehen, was auch hier der Fall sei. Die vom Erstgericht vorgenommene Einschränkung der Haftung auf Fälle des Starkregens sei nicht berechtigt. Allein die Zuleitung des aus dem Regenwasserkanal über den Gully austretenden Wassers, rechtfertige schon die Haftung der Beklagten nach § 364a ABGB. Dabei schade es nicht, dass ein Teil des auf das Grundstück des Klägers gelangenden Wassers auch von über die Landesstraße abfließenden Oberflächenwassern stammt. Jedenfalls sei nicht auszuschließen, dass durch die zumindest einmal jährlich auftretenden Immissionen Wasser in das Haus des Klägers eintritt und zu entsprechenden Schäden führt. Nur weil derzeit noch nicht feststehe, ob bereits ein Schaden eingetreten ist, könne das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung nicht verneint werden. Es müsse daher keineswegs gleichzeitig über das Feststellungs‑ und das Leistungsbegehren (wegen der nach Ansicht des Klägers bereits eingetretenen Schäden) abgesprochen werden.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ‑ die entgegen der Auffassung des Revisionsgegners angesichts des Bewertungsausspruchs des Berufungsgerichts nicht gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig ist ‑ ist mangels Erörterung einer im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, liegt keine Verletzung des § 405 ZPO vor, wenn ein Gericht dem Urteilsspruch eine gegenüber dem vom Kläger formulierten Begehren klarere und deutlichere Fassung gibt, wenn sich letztere im Wesentlichen mit dem Begehren deckt (RIS‑Justiz RS0039357; RS0037440) und nach dem gesamten Inhalt des Klagevorbringens dem mit der Prozessführung erkennbar verfolgten Rechtsschutzziel entspricht (vgl dazu auch RIS‑Justiz RS0041254).

Ob mit einer vorgenommenen Umformulierung dem Rechtsschutzziel inhaltlich entsprochen oder aber das Begehren im Sinne des § 405 ZPO überschritten wird, ist von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig, weshalb regelmäßig eine im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht zu lösen ist (RIS‑Justiz RS0041192). Die Auslegung des Feststellungsbegehrens und die Formulierung des Urteilstenors durch das Berufungsgericht bedeuten keine erhebliche Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste.

2. Ähnliches gilt für die Beantwortung der Frage, ob bestimmte Einwirkungen durch Immissionen von einem Nachbargrundstück als „unmittelbare Zuleitung“ im Sinn des § 364 Abs 2 letzter Satz ABGB zu qualifizieren sind, die der Beeinträchtigte auch dann nicht hinzunehmen hat, wenn sie von einer behördlich genehmigten Anlage ausgehen (RIS‑Justiz RS0010528; RS0010683; vgl RS0088951). Nach der Judikatur sind unmittelbare Einwirkungen solche, die durch eine Veranstaltung bewirkt werden, die für eine Einwirkung gerade in der Richtung auf das Nachbargrundstück hin ursächlich ist (RIS‑Justiz RS0010635). Auf die Absicht der Beeinträchtigung eines bestimmten Nachbargrundstücks kommt es nicht an (vgl RIS‑Justiz RS0117337). In der Rechtsprechung wurde etwa eine unzulässige unmittelbare Zuleitung angenommen, wenn ein Nachbar sein Abwasser durch Rohrleitungen in die unmittelbare Nähe seiner Grundstücksgrenze führt, von wo es infolge undichter Leitung auf das hangabwärts liegende Grundstück sickert (5 Ob 332/68; RIS‑Justiz RS0010635 [T3]) oder wenn Wasser durch Überlastung einer Kanalanlage nicht vom beeinträchtigten Haus weggeleitet, sondern vielmehr durch eine Rückströmung aus dem öffentlichen Kanal in den Keller des Hauses gedrückt wird (1 Ob 31/95 = RIS‑Justiz RS0010635 [T9] = RdU 1996/122 [ Kerschner ]). Wenn das Berufungsgericht auch im vorliegenden Fall von einer unmittelbaren Zuleitung ausgegangen ist, ist dies nicht zu beanstanden, führen die bestehenden Geländeverhältnisse doch zwingend dazu, dass das bei Überlastung des Kanalsystems aus dem benachbarten Gully austretende Wasser auf die Liegenschaft des Klägers fließt und dort ein Ausmaß von „Überschwemmung“ herbeiführt, zu dem es ohne das Wasser aus dem Kanal nicht kommen würde. Liegt aber eine unmittelbare Zuleitung vor, die im Anwendungsbereich der vom Revisionswerber erörterten Gesetzesbestimmungen keinesfalls zu dulden ist, ist es entgegen der Auffassung der Revisionswerberin für das Unterlassungsbegehren nicht von Bedeutung, ob dem Kläger im Bewilligungsverfahren rechtliches Gehör gewährt wurde bzw dass sein Antrag auf Fortsetzung des wasserrechtlichen Anpassungsverfahrens zurückgewiesen wurde.

3. Warum es für die Berechtigung des Feststellungsbegehrens darauf ankommen sollte, ob bereits ein Schaden am oder im Haus des Klägers entstanden ist, ist nicht verständlich. Das Berufungsgericht hat das Feststellungsinteresse zutreffend darin gesehen, dass das Wasser bereits bis zum Gebäude des Klägers gelangt ist und nicht auszuschließen ist, dass es in Zukunft in dieses eintritt und dann zu entsprechenden Schäden führt. Liegt ein rechtswidriges Verhalten des Schädigers (hier die unmittelbare Zuleitung) vor und ist der Eintritt künftiger Schäden nicht unwahrscheinlich, besteht kein Grund, das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung zu verneinen (s nur RIS‑Justiz RS0040838 [insb T6, T9, T17], in Abkehr von früher gegenteiliger Judikatur). Dass bisher über das Leistungsbegehren des Klägers, zu dessen Begründung er bereits eingetretene Schäden behauptet hatte, nicht abgesprochen wurde, kann daran nichts ändern.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, womit sein Schriftsatz als zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme zu qualifizieren ist.

Stichworte