OGH 4Ob181/15v

OGH4Ob181/15v17.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen A*****, wegen Obsorge und Kontaktrecht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters K*****, vertreten durch Mag. Britta Schönhart‑Loinig, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 11. August 2015, GZ 20 R 69/15k‑134, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Bruck an der Leitha vom 4. Februar 2015, GZ 3 Ps 37/14p‑99, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00181.15V.1117.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der im November 2006 in den USA geborene Minderjährige übersiedelte 2008 mit seinen Eltern nach Österreich und wohnte bis zur Trennung der Eltern im Frühjahr 2013 (Scheidung der Ehe Juli 2014) gemeinsam mit seinen Eltern im Haus des Stiefvaters der Mutter in einer kleinen ländlichen Gemeinde. Dort wohnt die Mutter mit dem Minderjährigen nach wie vor, der Vater lebt seit Februar 2014 in einer wenige Kilometer entfernten Kleinstadt.

Das Erstgericht sprach mit Beschluss vom 4. Februar 2015 nach Einvernahme beider Elternteile und Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens (ON 66), das mit den Eltern erörtert und in der Tagsatzung vom 27. November 2014 ergänzt wurde (ON 92), aus, dass die Obsorge der Mutter und dem Vater gemeinsam zukommt. Der hauptsächliche Aufenthalt des Minderjährigen wurde bei der Mutter festgesetzt. Darüber hinaus räumte das Erstgericht dem Vater ein Kontaktrecht von Donnerstag Nachmittag bis Sonntag Abend in den ungeraden Wochen und von Mittwoch Nachmittag bis Freitag Früh in den geraden Wochen ein.

Das Rekursgericht, das von beiden Elternteilen mit dem jeweiligen Ziel, weitergehende Rechte eingeräumt zu erhalten bzw die Rechte des jeweils anderen Elternteils einzuschränken, angerufen worden war, bestätigte die Obsorgeregelung, reduzierte das dem Vater eingeräumte Kontaktrecht aber dahin, dass es den Kontaktzeitraum in den ungeraden Wochen auf Freitag Nachmittag bis Sonntag Abend und für die geraden Wochen von Mittwoch Nachmittag bis Donnerstag Früh, also jeweils um eine Nacht kürzte. Unter Berücksichtigung des Kindeswohls bestehe kein Grund dafür, im Sinn der örtlichen und persönlichen Stabilität von der Festlegung eines hauptsächlich betreuenden Elternteils abzusehen. Der Minderjährige lebe seit seiner frühesten Kindheit im Haus seines Stiefgroßvaters, wo er auch nach der Trennung seiner Eltern verblieben und sowohl emotional als auch sozial verwurzelt sei. Dieser Lebensmittelpunkt solle beibehalten werden. Für die Mutter spreche auch, dass bei ihr besser gewährleistet sei, im Fall ihrer Verhinderung in kontinuierlicher und verlässlicher Weise alle erforderlichen Betreuungs‑ und Erziehungsfunktionen zu übernehmen. Beim Ausmaß des väterlichen Kontaktrechts orientierte sich das Rekursgericht an der von der Sachverständigen ausgesprochenen Empfehlung.

Der Vater vermag in seinem außerordentlichen Revisionsrekurs, mit dem er die Festsetzung einer gleichteiligen Betreuung, bevorzugt durch Festlegung eines wochenweisen Wechsels, allenfalls eines jahreweisen Wechsels ohne Festsetzung des hauptsächlichen Aufenthalts bei einem Elternteil, sowie ein weitergehendes Kontaktrecht, zumindest im Ausmaß des erstgerichtlichen Beschlusses anstrebt, keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen.

Rechtliche Beurteilung

1. Zwar ist richtig, dass im Kontaktrechtsverfahren auch noch in dritter Instanz alle während des Verfahrens eingetretenen Neuerungen zu berücksichtigen sind, um das Kindeswohl zu wahren (RIS‑Justiz RS0048056). Die vom Vater ins Treffen geführten Umstände, deren Erhebung das Rekursgericht seiner Ansicht nach unzulässigerweise unterlassen habe, widersprechen aber dem Akteninhalt. Die Behauptung, das vom Erstgericht im weiteren Umfang bewilligte und einstweilen in Vollzug gesetzte Kontaktrecht des Vaters habe friktionsfrei funktioniert, trifft nach dem Akteninhalt nicht zu (mehrfache Anträge an das Gericht zur Regelung von Kleinigkeiten in der Abwicklung, wechselseitige Vorwürfe etc). Das Vorbringen des Vaters, ein umfangreicheres Kontaktrecht könne die Situation beruhigen und das Verhältnis zwischen den Eltern verbessern, ist aufgrund der jeweils eingenommenen gegensätzlichen Standpunkte und des Auslebens der jeweiligen Durchsetzungsbedürfnisse ohne Rücksicht auf den sich ohnehin in einem schweren Loyalitätskonflikt befindlichen Sohn unrealistisch. Eine Verbesserung der Lage des Minderjährigen ist nicht durch eine Änderung der Obsorge‑ oder Kontaktrechtsregelung zu erreichen, sondern nur durch eine Verhaltensänderung der Eltern.

Sowohl das Erstgericht als auch das Rekursgericht konnte sich auf ein Ende November 2014 ergänztes Sachverständigengutachten stützen, ohne dass eine nachträgliche wesentliche Sachverhaltsänderung erkennbar wäre. Der in diesem Zusammenhang vom Vater behauptete Umstand (acht Monate friktionsfrei gelebtes Kontaktrecht im Sinn der erstgerichtlichen Anordnung) ist schlicht unzutreffend.

2. Entscheidungen in Obsorgeangelegenheiten sind ebenso wie die Ausmessung des dem anderen Elternteil einzuräumenden Kontaktrechts typischerweise Entscheidungen nach den Umständen des Einzelfalls, denen keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zukommt, sofern dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde (RIS‑Justiz RS0115719, RS0097114, RS0007101).

Das Rekursgericht hat sich mit den Wünschen des Minderjährigen auseinandergesetzt und ausführlich dargelegt, dass es sich beim Wunsch des Minderjährigen um ein im Obsorge‑ und Kontaktrechtsverfahren beachtliches Kriterium handelt, von dem aber im Sinn des Kindeswohls abgewichen werden kann (RIS‑Justiz RS0047937, RS0007336; zur Obsorge: RS0048981, RS0048818, RS0048981). Das Rekursgericht verweist darauf, dass der geäußerte Wunsch des Kindes nicht seinem tatsächlichen Bedürfnis nach Kontakt, sondern offensichtlich dem Wunsch nach einem Ende des Elternkonflikts entspringt. Inwiefern damit von den Leitlinien der Rechtsprechung abgewichen werden soll, lässt sich den Revisionsrekursausführungen nicht entnehmen. Ebensowenig ist erkennbar, welche Grundsätze der Rechtsprechung bei Ausmessung des Kontaktrechts konkret verletzt worden wären. Das Rekursgericht referiert die höchstgerichtliche Rechtsprechung, auf die sich auch der Revisionsrekurswerber stützt. Eine Überschreitung des den Vorinstanzen eingeräumten Ermessens bei der an den konkreten Umständen des Einzelfalls orientierten Festlegung des Ausmaßes der Besuchszeiten ist nicht zu erkennen. Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass das Rekursgericht das wöchentliche Kontaktrecht lediglich um einen Tag/eine Übernachtung gekürzt hat und nicht wie vom Vater wiederholt behauptet um jeweils zwei Tage/zwei Übernachtungen.

3. Da es auf die abstrakte Zulässigkeit eines bestimmten Betreuungsmodells nicht ankommt, wenn dieses ohnehin nicht dem Wohl des Kindes entspricht, ist auf die vom Vater aufgeworfenen Fragen der Verfassungsmäßigkeit der (Un‑)Möglichkeit des Doppelresidenzmodells (siehe hiezu nunmehr VfGH 9. 10. 2015, G 152/2015‑20) oder des Wechsels der hauptsächlichen Betreuung zwischen den Eltern nicht einzugehen (vgl 8 Ob 20/15x). Ein Doppelresidenz‑ oder Wechselmodell würde eine besondere Kooperationsbasis zwischen den Eltern erfordern (vgl 8 Ob 20/15x); die bisherigen Verfahrensergebnisse lassen erkennen, dass die Eltern wiederholt selbst Kleinigkeiten über das Pflegschaftsgericht regeln müssen und einander mit emotional vorgetragenen Vorwürfen begegnen, weshalb von einer derartigen Kooperationsbasis nicht ausgegangen werden kann.

Mangels im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifender Fehlbeurteilung ist der Revisionsrekurs des Vaters daher zurückzuweisen.

4. Die Anregung des Vaters auf Abänderung der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Beschlüsse der Vorinstanzen ist im Hinblick auf die mit Zustellung dieses Beschlusses eintretende Rechtskraft und Vollstreckbarkeit der Obsorge‑ und Kontaktrechtsregelung gegenstandslos.

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