OGH 6Ob187/15s

OGH6Ob187/15s23.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen S***** L*****, geboren am ***** 2001, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie ‑ Rechtsvertretung, Bezirke 3 und 11, 1030 Wien, Karl Borromäus Platz 3, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. Juni 2015, GZ 45 R 145/15d‑168, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0060OB00187.15S.1023.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Kindesvater war zuletzt aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 30. 6. 2011 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 367 EUR verpflichtet. Am 30. 12. 2013 beantragte er, seine Unterhaltsverpflichtung beginnend mit 16. 10. 2013 auf monatlich 150 EUR herabzusetzen, weil er mittlerweile arbeitslos sei und keine Abfertigung erhalten habe. In der Folge gab er bekannt, seit April 2014 in Marokko beschäftigt zu sein und ein Einkommen von 8.000 Dirham zu verdienen.

Das Erstgericht setzte den Unterhalt beginnend mit 1. 12. 2013 auf 150 EUR herab; das Mehrbegehren, den Unterhaltsbetrag auch für den Zeitraum 16. 10. 2013 bis 30. 11. 2013 herabzusetzen, wies es ebenso wie einen Unterhaltserhöhungsantrag der Minderjährigen ab.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts war der Kindesvater bis 30. 11. 2013 bei der Stadt Wien beschäftigt. Das Dienstverhältnis wurde per 16. 10. 2013 beendet, weil der Kindesvater seinen vorzeitigen Austritt erklärte. Hätte der Kindesvater das Dienstverhältnis nicht von sich aus beendet, wäre er entlassen worden, weil er im Dienst in der Öffentlichkeit eine Tätlichkeit gegen eine Kollegin gesetzt hatte.

Am 6. 2. 2014 kehrte der Kindesvater in seine Heimat Marokko zurück, ist dort seit 1. 3. 2014 beschäftigt und erzielt ein Einkommen von monatlich 8.000 Dirham, was einem Betrag von rund 720 EUR entspricht.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass für die Anwendung der Anspannungstheorie kein Raum bestehe. Der Kindesvater hätte das Arbeitsverhältnis nicht deshalb beendet, um sich seiner Unterhaltspflicht zu entziehen. Es könne einem ausländischen Unterhaltspflichtigen die Rückkehr in sein Heimatland nicht verwehrt werden. Daher sei der Unterhaltsbemessung das tatsächlich erzielte Einkommen des Kindesvaters zugrunde zu legen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Minderjährigen nicht Folge; einen vom Kindesvater erhobenen Rekurs wies es als verspätet zurück.

Die Voraussetzungen für die Anspannungstheorie lägen nicht vor; ein „unterhaltsflüchtiges“ Verhalten sei in erster Instanz nicht behauptet worden. Bei den weiteren im Rekurs erhobenen Behauptungen, der Kindesvater habe nach dem Tod seines Vaters, der ein bekannter „Baulöwe“ in Marokko gewesen sei, auch Häuser und Wohnungen geerbt, aus denen er Mieterträgnisse lukriere, und sei überdies als Fußballtrainer tätig, handle es sich nicht um ausreichend dichte Substrate, die Feststellungen mit Einfluss auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage nach sich ziehen könnten. Es sei am Unterhaltsberechtigten gelegen, Umstände zu behaupten, zu bescheinigen und zu beweisen, wo ein Unterhaltsschuldner konkret ein Einkommen in welcher Höhe beziehe bzw beziehen könnte.

Nachträglich ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, die Argumentation, das Rekursgericht habe die Beweislastregel des § 231 ABGB, wonach der Unterhaltspflichtige für die Höhe seines Einkommens beweispflichtig sei, verletzt, sei nicht von der Hand zu weisen.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

1. Die Begründung der nachträglichen Zulassung des Revisionsrekurses durch das Rekursgericht vermag keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Das Argument, die Beweislast und die Frage der Neuerungserlaubnis seien „nicht irrevisibel“, besagt lediglich, dass diese Fragen als Fragen der rechtlichen Beurteilung prinzipiell der Kognition des Obersten Gerichtshofs unterliegen können; eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG wird damit nicht aufgezeigt. Im Rahmen der Begründung der nachträglichen Zulassung des Revisionsrekurses muss das Rekursgericht jedoch konkret aufzeigen, worin die nunmehr ‑ entgegen dem vorherigen Unzulässigkeitsausspruch ‑ angenommene erhebliche Rechtsfrage liegen soll (RIS‑Justiz RS0111729 [T1, T2a]).

2.1. Wenn das Gericht nach Ausschöpfung aller vorhandenen Beweismittel nicht in der Lage ist, eine ausreichende Tatsachengrundlage zu gewinnen, gelten die allgemeinen Beweislastregeln ( Neuhauser in Schwimann/Kodek , ABGB 4 Ia § 231 Rz 526). Demnach hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen, somit der Unterhaltsberechtigte seinen besonderen oder erhöhten Bedarf oder die Umstände, die zum Wiederaufleben der Unterhaltspflicht führen, oder das gestiegene Einkommen bzw die erhöhte Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, dieser wiederum seine geminderte oder fehlende Leistungsfähigkeit oder die Bedürfnisminderung des Unterhaltsberechtigten oder das Bestehen weiterer gesetzlicher Sorgepflichten zu behaupten und zu beweisen ( Neuhauser aaO; 1 Ob 597/91; 5 Ob 117/04y; 7 Ob 164/06b; RIS‑Justiz RS0006261 [T2, T6, T8, T14], RS0111084, RS0047536).

2.2. Im vorliegenden Fall stellt sich jedoch keine Beweislastfrage, weil das Erstgericht eine ausdrückliche positive Feststellung zum derzeitigen Einkommen des Vaters getroffen hat. Eine derartige Feststellung schließt auch im Unterhaltsverfahren die Anwendung der Beweislastregeln aus (RIS‑Justiz RS0039904 [T2], RS0039903 [T1]).

3.1. Die Missachtung zulässiger Neuerungen in zweiter Instanz ist zwar ein Verfahrensmangel (RIS‑Justiz RS0006858, RS0006820). § 49 Abs 2 AußStrG ist aber nicht anzuwenden, wenn eine Partei eine Äußerung nach § 17 AußStrG versäumt hat (RIS‑Justiz RS0120657, RS0006783). Stimmt der Kinder‑ und Jugendhilfeträger dem Herabsetzungsantrag zu, sind ihm Neuerungen im Rekurs jedenfalls verwehrt (10 Ob 40/06i; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 17 Rz 98). Die Wirkung des § 17 AußStrG tritt auch ein, wenn eine Partei sich nur zu einzelnen relevanten Punkten ‑ wie im vorliegenden Fall zum Einkommen des Vaters ab seinem Umzug nach Marokko ‑ (RIS‑Justiz RS0114222; Höllwerth aaO Rz 84) nicht äußert.

3.2. Dazu kommt, wenngleich der Sorgfaltsmaßstab des § 49 Abs 2 AußStrG bei unvertretenen Parteien weniger streng zu deuten ist als bei vertretenen Parteien (RIS‑Justiz RS0120290 [T4], RS0110773 [T6]), dass die Kindesmutter die nunmehr vorgebrachten Informationen bereits nach kurzer Internetrecherche (Google‑Suche) erhoben hat. Warum dieser einfache Vorgang nicht schon während des Verfahrens möglich gewesen wäre, wird im Revisionsrekurs nicht dargelegt. Für eine Durchbrechung des Neuerungsverbots im Interesse des Kindeswohls müssten ganz besondere Umstände vorliegen (RIS‑Justiz RS0119918 [T1], 4 Ob 135/05i).

4. Damit hängt die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht von der Beantwortung einer Rechtsfrage der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität ab, sodass der Revisionsrekurs spruchgemäß zurückzuweisen war.

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