OGH 24Os6/15k

OGH24Os6/15k9.9.2015

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 9. September 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Hofstätter und Dr. Bartl sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pottmann als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 20. November 2014, GZ D 50/13, 10/14‑34, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Prof. Dr. Aicher, des Vertreters der Kammeranwaltschaft Dr. Orgler und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden Erkenntnis wurde Dr. ***** des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt schuldig erkannt und hiefür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 2.000 Euro verurteilt.

Danach hat er

A./ (zu AZ D 50/13)

dadurch, dass er in nachstehend angeführten ‑ ohne Auftrag seines Mandanten Ing. Walter Fe***** nach dessen Prozessverlust im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts F***** eingebrachten (ES 15) ‑ Schreiben folgende diskriminierende Vorwürfe gegenüber dem Richter Mag. Andreas B***** (zu ergänzen: und Staatsanwälten der Staatsanwaltschaft Graz [II.(5) und V.]) erhob, nämlich

I./ in der Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Graz vom 16. April 2013:

dass der begründete Verdacht bestehe, dass sich der Richter „offenbar aus Gründen der Arbeitsersparnis derart schwerwiegende Verfahrensverstöße bereits zur Gewohnheit gemacht hat, wobei die Schädigung der Beteiligten zumindest billigend in Kauf genommen wird“,

II./ im als „Einspruch“ gegen den Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Graz bezeichneten Schreiben vom 19. August 2013:

(1) dass der Richter im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts F***** die ihm eingeräumte Befugnis im Rahmen des Bundes in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, „wissentlich mit dem Vorsatz missbraucht hat, die Republik Österreich und den Beklagten Ing. Walter Fe***** an ihren Vermögensrechten zu schädigen“,

(2) dass nicht einzusehen sei, dass der Mandant des Beschuldigten zur „Entlastung des offensichtlich arbeitsunwilligen Mag. B***** und zur Bereicherung der klagenden Partei“ Prozesskosten auf sich nehmen solle,

(3) dass der Richter in jenem Verfahren „wissentlich unrichtig einen Zahlungsrückstand des Beklagten vor Klagseinbringung festgestellt hat“,

(4) dass der Richter über eine prozessfremde Zahlung von 960 Euro „bewusst unrichtig abgesprochen und dem Beklagten vorsätzlich sogar einen über den Rechtsstreit hinaus reichenden Vermögensschaden zugefügt hat“,

(5) dass seitens der Staatsanwaltschaft Graz offenbar kollegialiter eine „kriminelle Amtsführung des Mag. B***** gedeckt werde“,

(6) dass das Motiv (des Richters) für den „Befugnismissbrauch“ augenscheinlich der Umstand war, dass der Beklagte der „penetranten Vergleichspresserei des Mag. B*****, die sich praktisch in jedem Verfahren wiederholt“, nicht nachgegeben hat und der Richter sich „ohne Rücksicht auf seine gesetzlichen Pflichten und das Ansehen des von ihm bekleideten Amtes die Mühen des Urteilsschreibens partout ersparen möchte“,

(7) dass aus Gründen, den seit kurzem im Sprengel tätigen Disziplinarbeschuldigten zukünftig in der Sache zu wünschenswerter Vergleichsbereitschaft „zu nötigen“, der Richter sich zum beispielhaften Vorgehen entschlossen und demonstriert habe, „wie wenig ihn Rechtskultur und die Gesetze kümmern“,

(8) dass den Richter ein „besonders schweres Verschulden treffe, zumal er sich zum eigenen Vorteil schwerwiegende Gesetzesverletzungen unter Missbrauch seiner Amtsstellung offenbar längst zur Gewohnheit gemacht hat“,

III./ im Schreiben an den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz vom 26. September 2013:

dass die „Nötigungsversuche“ des Richters nunmehr ‑ mangels Vergleichsbereitschaft bei Kostenaufhebung ‑ „in einer bewusst falschen Sachentscheidung dieses Richters (sozusagen als Revanche‑Foul) gipfelten“, wobei sich die Frage stelle, ob sich der Beschuldigte wirklich vom Richter im Wege eines „lupenreinen Amtsmissbrauches zum Täter machen lassen muss, der den Mandanten um tausende Euro betrügt, nur damit der Richter keine Arbeit hat“,

IV./ im E-Mail an die Gerichtsvorsteherin des Bezirksgerichts Graz-West vom 27. September 2013:

Mag. B***** als „kriminellen Richter“ bezeichnete,

V./ in seiner Äußerung an die Staatsanwaltschaft Graz vom 4. September 2013:

dieser unterstellte, dass sie Fakten und Beweisanträge ignoriere und „die Beweisaufnahme im Rahmen eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens zu vereiteln trachte“, sowie letztlich

VI./ in der Disziplinaranzeige an das Bundesministerium für Justiz vom 27. Juni 2013:

ausführte, dass es völlig unerklärlich sei, wie Mag. B***** zum Richteramt gelangen konnte, zumal es ihm offensichtlich nicht nur „an jeglicher Integrität“, sondern auch am „rechtlichen Fachwissen“ mangle,

Anschuldigungen gegen Mag. B***** und die Staatsanwaltschaft Graz erhoben, mit denen er betreffend den genannten Richter lediglich seine persönliche Animosität zum Ausdruck brachte und die nicht mit einer energischen und zielbewussten Vertretung der Interessen seines Mandanten in Einklang gebracht werden können, somit gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen,

sowie weiters

B./ (zu AZ D 10/14)

dadurch ebenfalls gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen, dass er mit E‑Mail vom 5. Dezember 2013, gerichtet an die Familiengerichtshilfe Linz zu Handen Mag. F*****, die im Rahmen eines vor dem Bezirksgericht R***** vom Disziplinarbeschuldigten eingeleiteten Besuchsregelungsverfahrens hinsichtlich seiner mj außerehelichen Tochter mit der Besuchsmittlung betraut war, einen kolportierten Geburtenrückgang von Kindern in steirischen Haushalten damit begründete, dass dieser angesichts dessen, was „mit einer menschenverachtenden faschistoiden Politik und Rechtsprechung“ braven Familienvätern angetan wird, kein Wunder sei.

Als erschwerend wertete der Disziplinarrat das Zusammentreffen mehrerer Disziplinarvergehen und ‑ mit Ausnahme von AZ D 10/14 ‑ die mangelnde Schuldeinsicht, als mildernd hingegen das Geständnis und zu AZ D 10/14 die persönliche Betroffenheit.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen RIS-Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe; sie schlägt fehl.

Soweit die Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) einen Rechtsfehler mangels weiterer Feststellungen zum Prozessgeschehen im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts F***** und in anderen Verfahren behauptet, spricht sie keine für die Schuldfrage relevanten und damit entscheidenden Tatsachen an.

Feststellungen darüber, ob im genannten Verfahren ein Zahlungsrückstand des Beklagten Fe***** bestanden habe, hat der Disziplinarrat im Übrigen nicht unterlassen, sondern ‑ wenngleich nicht im Sinn der Beschuldigtenverantwortung ‑ getroffen (ES 11 f). Dass der vom Beschuldigten angezeigte Richter (in einem anderen Verfahren) zuerst nur die Parteienvertreter und erst später die Parteien in den Verhandlungssaal gerufen und mehrfach auf den Abschluss eines Vergleichs hingewirkt hat, was vom Beschuldigten und seinen Mandanten stets abgelehnt worden war, hat der Disziplinarrat ‑ der Berufung zuwider ‑ konstatiert (ES 9). Mit der Behauptung des Fehlens von Feststellungen dahin, dass der Richter in jenem Verfahren auch versucht habe, den Beschuldigten unter Androhung einer Disziplinaranzeige zum Vergleichsabschluss zu „nötigen“, vernachlässigt die Rechtsrüge die gegenteiligen Konstatierungen des angefochtenen Erkenntnisses (ES 9). Der Berufung zuwider fehlen auch Feststellungen dahin nicht, ob der Richter (im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts F*****) eine „bewusst unrichtige Sachentscheidung“ getroffen habe, vielmehr hat der Disziplinarrat dies explizit verneint (ES 19 f).

Soweit die Rechtsrüge weiters behauptet, sämtlichen Äußerungen des Beschuldigten lägen „objektiv nachprüfbare Tatsachen“ zugrunde, sodass sie „nicht unsachlich bzw in beleidigender Absicht vorgenommen“ worden seien, sondern „den Schutz des § 9 RAO bzw der Meinungsfreiheit nach Art 13 StGG, Art 10 MRK genießen“ würden, vernachlässigt sie, dass der Beschuldigte dem Richter und der Staatsanwaltschaft Graz nicht nur objektives Fehlverhalten vorgeworfen, sondern darüber hinaus nach den erstinstanzlichen Annahmen ohne sachliche Grundlage (ES 18 ff) bewusste Gesetzesmissachtung aus unlauteren Motiven unterstellt hat.

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung fordert zwar besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen (RIS‑Justiz RS0056168). Unwahre Tatsachenbehauptungen oder auf solchen basierende Werturteile unterstehen jedoch nicht dem Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK, Art 13 StGG (RIS‑Justiz RS0107915). Von einem Rechtsanwalt wird einerseits wegen seiner hohen Bildung und andererseits wegen seiner Tätigkeit im Rahmen der Rechtspflege verlangt, sich gegenüber einer Behörde eines sachlichen und korrekten Tones zu bedienen, sodass ausfällige und beleidigende Eingaben Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigen (vgl Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 RAO § 9 Rz 16; RIS‑Justiz RS0055208).

Die gegenständlichen Äußerungen, die Justizangehörigen ohne sachliche Grundlage und ohne Not im Rahmen von Rechtsschutzeingaben ‑ über die (zulässige) Behauptung von Gesetzesverletzungen hinaus ‑ doloses Vorgehen aus unlauteren Motiven unterstellen, verletzten daher einzeln und in ihrer Gesamtheit Ehre und Ansehen des Standes.

Zur Behauptung des Fehlens einer Beleidigungsabsicht genügt der Hinweis, dass für die Verwirklichung des in Rede stehenden Disziplinarvergehens die Vorsatzform der Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) nicht vorausgesetzt wird. Bemerkt wird, dass der Disziplinarrat ‑ bei verständiger Lesart des Erkenntnisses (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 19) erkennbar ‑ von zumindest bedingtem Vorsatz des Berufungswerbers ausgegangen ist und im Übrigen Disziplinarvergehen auch fahrlässig begangen werden können (vgl RIS‑Justiz RS0120395, RS0056913; Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 DSt § 1 S 855 f).

Soweit die Rechtsrüge schließlich der Sache nach behauptet, Ehre und Ansehen des Standes seien nicht beeinträchtigt worden, weil die Eingaben des Beschuldigten an zur Amtsverschwiegenheit verpflichtete Organe der Rechtspflege mit aufsichtsbehördlicher Funktion im Wege deren persönlicher E‑Mail‑Adressen gerichtet waren, sodass die Vorwürfe nicht einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangen hätten können (vgl RIS‑Justiz RS0055086, RS0054876), vernachlässigt sie, dass keine der Eingaben an den Empfänger als Privatperson gerichtet war, sondern alle ihren Inhalten nach auf justizförmige Entscheidungen abzielten, sodass sie naturgemäß einer Mehrzahl weiterer Personen zur Kenntnis gelangen sollten und mussten.

Auch die Beweiswürdigungskritik der Schuldberufung im engeren Sinn versagt, hat sich doch der Disziplinarrat im Rahmen seiner empirisch nachvollziehbaren Beweiswürdigung mit allen entscheidungswesentlichen Umständen der Taten auseinandergesetzt und seine Feststellungen überzeugend begründet. Gegen die Richtigkeit der Lösung der Schuldfrage bestehen daher keine Bedenken.

Bei der Strafbemessung hat der vom Disziplinarrat angenommene Erschwerungsgrund der fehlenden Schuldeinsicht zu entfallen (vgl RIS‑Justiz RS0090897). Zusätzlich als mildernd ist der zuvor ordentliche Lebenswandel zu werten. Hingegen liegt der von der Berufung reklamierte Milderungsgrund überlanger Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) nicht vor, wurde doch das seit Oktober 2013 anhängige Disziplinarverfahren, in das in der Folge noch mehrere Nachtragsanzeigen einbezogen wurden und das eine Mehrzahl von Fakten betraf, ohne nennenswerte Verzögerungen geführt, sodass von einer unverhältnismäßig langen Dauer nicht die Rede sein kann.

Die vom Disziplinarrat verhängte Geldbuße von 2.000 Euro entspricht schon im Hinblick auf die Vielzahl der Verfehlungen Tatunrecht und Täterschuld und trägt auch den vom Beschuldigten nachgewiesenen (bescheidenen) Einkommensverhältnissen hinreichend Rechnung, sodass sie einer Reduzierung nicht zugänglich ist.

Der Berufung war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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