European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00078.15S.0902.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Der am ***** geborene Kläger, der von seiner Mutter E***** in deren Haushalt betreut wird, bezieht nach seinem verstorbenen Vater eine Waisenpension in Höhe von 162,17 EUR monatlich. Die Mutter E***** bezieht ein monatliches Nettoeinkommen von 934,13 EUR.
Mit Bescheid vom 18. Juli 2014 stellte die Beklagte die Ausgleichszulage des Klägers ab 1. Mai 2014 mit 76,91 EUR monatlich neu fest und forderte den im Zeitraum von 1. Mai bis 30. Juni 2014 entstandenen Überbezug an Ausgleichszulage von 52,80 EUR zurück.
Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger auch über den 30. April 2014 hinaus eine Ausgleichszulage in Höhe von 153,31 EUR monatlich zu gewähren, und wies das Begehren der beklagten Partei ab, den Kläger zur Rückzahlung des Überbezugs an Ausgleichszulage in der Höhe von 52,80 EUR zu verpflichten. Ein über die Betreuung hinausgehender fiktiver Unterhaltsanspruch des Klägers gegenüber seiner Mutter sei nicht zu berücksichtigen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei dahin Folge, dass es dem Kläger ‑ entsprechend dem Bescheid vom 18. Juli 2014 ‑ eine monatliche Ausgleichszulage von 76,91 EUR ab 1. Mai 2014 zusprach und ihn zur Rückzahlung des Überbezugs von 52,80 EUR verpflichtete.
Nach § 294 Abs 1 lit c ASVG seien Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten gegen die im gemeinsamen Haushalt mit dem Pensionsberechtigten lebenden Eltern ‑ unabhängig von der tatsächlichen Unterhaltserbringung ‑ bei der Bemessung der Ausgleichszulage dadurch zu berücksichtigen, dass dem Nettoeinkommen des Pensionsberechtigten 12,5 vH des monatlichen Nettoeinkommens der Eltern (bei Halbwaisen des verbliebenen Elternteils) zuzurechnen seien; der so festgestellte Betrag vermindere sich jedoch in dem Ausmaß, in dem das dem Verpflichteten verbleibende Nettoeinkommen den Richtsatz gemäß § 293 Abs 1 lit b ASVG unterschreite. Gegen diese Pauschalanrechnung bei der Ausgleichszulage bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Im konkreten Fall des im gemeinsamen Haushalt mit der Mutter lebenden Klägers seien seinem monatlichen Nettoeinkommen 12,5 vH des monatlichen Nettoeinkommens der Mutter hinzuzurechnen, in concreto unter Bedachtnahme auf die Richtsatzhöhe nach § 293 Abs 1 lit b ASVG 76,40 EUR. Der auf den Kläger anzuwendende Richtsatz (§ 293 Abs 1 lit c sublit aa ASVG) betrage im Jahr 2014 315,48 EUR. Da sich das Gesamteinkommen des Klägers auf 238,57 EUR (Waisenpension 162,17 EUR, anzurechnender Unterhaltsanspruch 76,40 EUR) belaufe, stehe dem Kläger ab 1. Mai 2014 eine monatliche Ausgleichszulage von 76,91 EUR zu.
Gründe für die Zulässigkeit der Revision seien nicht zu erkennen.
In seiner außerordentlichen Revision macht der Kläger geltend, dass eine Pauschalanrechnung eines Unterhaltsanspruchs ‑ in verfassungskonformer Auslegung ‑ nur dann in Betracht komme, wenn ein bürgerlichrechtlicher (Geld‑)Unterhaltsanspruch bestehe, was aber hier (bei Anwendung der „Prozentmethode“) nicht der Fall sei. Der von der Mutter bereits gewährte Naturalunterhalt werde sowohl im höheren Hundertsatz der Waisenpension als auch im höheren Richtsatz der Waisenpension im Vergleich von Voll‑ und Halbwaise berücksichtigt; eine weitere Pauschalanrechnung eines Unterhaltsanspruchs scheitere am Fehlen eines (bürgerlichrechtlichen) Unterhaltsanspruchs.
Rechtliche Beurteilung
Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.
1. Im vorliegenden Fall ist zwischen dem Anspruch auf Waisenpension und dem Anspruch auf Ausgleichszulage zu unterscheiden. Die beiden Leistungen haben unterschiedlichen Charakter und hängen nur insofern betragsmäßig zusammen, als eine niedrigere Waisenpension zu einer höheren Ausgleichszulage führen kann.
Bei der Ausgleichszulage handelt es sich um eine Annexleistung zur Pension. Sie hat Fürsorgecharakter und soll das Existenzminimum des Pensionsberechtigten garantieren, wenn die eigentliche Pensionsleistung dies nicht ermöglichen kann (10 ObS 67/14x, DRdA 2015/29, 238 [ Pfeil ]). Dementsprechend besteht nach § 292 ASVG Anspruch auf Ausgleichszulage, wenn die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und der gemäß § 294 ASVG zu berücksichtigenden Beträge nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes (§ 293 ASVG) erreicht.
2. Die Richtsätze der Ausgleichszulage für Pensionsberechtigte auf Waisenpension sind in § 293 Abs 1 lit c ASVG in der Form geregelt, dass der Richtsatz für den Fall, dass beide Elternteile verstorben sind, höher ist. Dagegen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken: Die sozialrechtliche Besserstellung der Vollwaisen gegenüber den Halbwaisen ist durch die regelmäßig höhere Hilfsbedürftigkeit von Kindern, die beide Elternteile verloren haben, sachlich gerechtfertigt (10 ObS 303 ‑ 305/91, SSV‑NF 7/28; RIS‑Justiz RS0053969).
Im Jahr 2014 betrug der Richtsatz für Waisenpensionsberechtigte bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres (§ 293 Abs 1 lit c sublit aa ASVG) 315,48 EUR bzw ‑ falls beide Elternteile verstorben sind ‑ 473,70 EUR.
3. Hat die Halbwaise einen Unterhaltsanspruch gegen den noch lebenden Elternteil, hat dies keinen Einfluss auf die Höhe der Waisenpension. Anders ist es bei der Ausgleichszulage: Auf deren Höhe kann sich der Unterhaltsanspruch gegen den noch lebenden Elternteil sehr wohl auswirken (RIS‑Justiz RS0107525). Aus § 292 Abs 1 ASVG geht nämlich hervor, dass auch Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten wie Einkünfte zu behandeln sind, die bei der Bemessung der Ausgleichszulage seinem Nettoeinkommen hinzuzurechnen sind (10 ObS 37/02t, SSV‑NF 16/97; Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV‑Komm § 292 ASVG Rz 23).
Die Hinzurechnung erfolgt entweder nach den tatsächlichen (oder rechtsmissbräuchlich nicht realisierten) Unterhaltsflüssen oder ‑ falls ein dort geregelter Tatbestand erfüllt ist ‑ pauschal gemäß § 294 ASVG (siehe § 292 Abs 4 lit e ASVG; 10 ObS 2446/96w, SSV‑NF 11/4; vgl RIS‑Justiz RS0106714 [T1]). Im vorliegenden Fall geht es um einen Unterhaltsanspruch einer Halbwaise gegen den überlebenden Elternteil, mit dem die Halbwaise in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Genau diesen Fall regelt § 294 Abs 1 lit c ASVG, sodass die tatsächlichen Unterhaltsleistungen der Mutter für ihren Sohn nicht relevant sind.
4. Nach § 294 Abs 1 lit c ASVG sind Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten gegen die Eltern, sofern sie mit dem Pensionsberechtigten im gemeinsamen Haushalt leben, gleichviel ob und in welcher Höhe die Unterhaltsleistung tatsächlich erbracht wird, dadurch zu berücksichtigen, dass dem Nettoeinkommen des Pensionsberechtigten 12,5 vH des monatlichen Nettoeinkommens der Eltern zuzurechnen sind.
4.1. Diese pauschale Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen für die Ausgleichszulage ist an drei ‑ hier erfüllte ‑ Voraussetzungen geknüpft ( Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV‑Komm § 294 ASVG Rz 4):
– Es muss sich um gesetzliche Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten handeln;
– diese müssen sich gegen die Eltern des Pensionsberechtigten richten;
– der Pensionsberechtigte muss mit seinen Eltern (oder zumindest mit dem ihm gegenüber unterhaltspflichtigen Elternteil: 10 ObS 130/05y, SSV‑NF 20/32) im gemeinsamen Haushalt leben.
4.2. Wie (auch) die Bezugnahme auf den gemeinsamen Haushalt augenscheinlich zeigt, sind unter Unterhaltsansprüchen nicht nur Geldunterhaltsansprüche, sondern auch Naturalunterhaltsansprüche zu verstehen. Auch diese sind „gesetzliche Unterhaltsansprüche“. Im Fall aufrechter Haushaltsgemeinschaft des unterhaltsberechtigten Kindes und des unterhaltspflichtigen Elternteils ist primär Naturalunterhalt und nicht Geldunterhalt zu leisten (RIS‑Justiz RS0034807).
4.3. Unter den nach § 294 Abs 1 lit c ASVG zu berücksichtigenden Unterhaltsansprüchen gegen die Eltern sind sowohl Unterhaltsansprüche gegen beide Eltern als auch solche nur gegen einen Elternteil zu verstehen (10 ObS 303 ‑ 305/91, SSV‑NF 7/28; RIS‑Justiz RS0084870). Auch gegen die Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen von Halbwaisen gegen den überlebenden Elternteil hegt die Rechtsprechung keine verfassungsrechtlichen Bedenken (10 ObS 303 ‑ 305/91, SSV‑NF 7/28; RIS‑Justiz RS0053971).
4.4. Aus dem Wortlaut des § 294 Abs 1 ASVG geht klar hervor, dass die Pauschalanrechnung bestimmter Hundertsätze des Nettoeinkommens der Eltern bzw eines Elternteils bei der Prüfung, ob Ausgleichszulage zusteht, ohne Rücksicht darauf vorzunehmen ist, ob Unterhaltsleistungen tatsächlich erbracht werden. Soweit es zu einer Pauschalanrechnung kommt, ist die Berücksichtigung der faktisch zufließenden Unterhaltsleistungen ausgeschlossen; eine Doppelanrechnung wird durch § 292 Abs 4 lit e ASVG verhindert ( Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV‑Komm § 292 ASVG Rz 33 und § 294 ASVG Rz 1).
4.5. Den gegen auch die Pauschalanrechnung nach § 294 Abs 1 lit c ASVG vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken ( Ivansits/Panhölzl , Ausgleichszulage, Unterhalt und eigenständige Alterssicherung der Frau, in FS Cerny [2001] 489 [497 ff]) ist der Oberste Gerichtshof nicht gefolgt (10 ObS 130/05y, SSV‑NF 20/32).
5. Die Ausführungen des Klägers in seiner außerordentlichen Revision bieten keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen.
5.1. Der Kläger meint, dass der vom haushaltsführenden Elternteil geleistete (Betreuungs-)Unterhalt bereits durch die niedrigere Waisenpensionsleistung berücksichtigt wird. Es wurde bereits unter 1. dargestellt, dass die Sozialleistungen Waisenpension und Ausgleichszulage unterschiedlichen Charakter haben und nur insofern betragsmäßig zusammenhängen, als eine niedrigere Waisenpension zu einer höheren Ausgleichszulage führen kann. Auch die vom Kläger angesprochene niedrigere Waisenpensionsleistung würde tendenziell zu einer höheren Ausgleichszulage führen.
5.2. Sollten sich diese Revisionsausführungen dagegen richten, dass der Richtsatz für doppelt verwaiste Kinder höher ist als der von einfach verwaisten Kindern, ist ihnen zu entgegnen (siehe bereits 2.), dass der Grund für die Differenzierung in der typischerweise höheren Hilfsbedürftigkeit von Kindern liegt, die beide Elternteile verloren haben (10 ObS 303 ‑ 305/91, SSV‑NF 7/28; RIS‑Justiz RS0053969). Wie sich auch in den folgenden, allein auf die Berechnung eines fiktiven Geldunterhalts gegen die Mutter abstellenden Revisionsausführungen zeigt, fußt die Rechtsansicht des Klägers auf der ‑ vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten ‑ Prämisse, dass der Unterhaltsbegriff des Ausgleichszulagenrechts Naturalunterhaltsansprüche ausklammern würde. Eine entsprechende Aussage ist der zitierten Entscheidung 10 ObS 303 ‑ 305/91 (SSV‑NF 7/28) nicht zu entnehmen, in der der höhere Ausgleichszulagenrichtsatz für Vollwaisen als ‑ wegen der höheren Hilfsbedürftigkeit ‑ sachlich gerechtfertigt angesehen wird.
5.3. Dass (tatsächliche) Unterhaltsleistungen der Verlassenschaft nach dem verstorbenen Elternteil in die Ausgleichszulagenberechnung einzubeziehen sind (in diesem Sinn bereits 10 ObS 303 ‑ 305/91, SSV‑NF 7/28 und 10 ObS 130/05y, SSV‑NF 20/32) ist selbstverständlich ( Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV‑Komm § 292 ASVG Rz 23). Daraus ist aber nichts für den vorliegenden Fall zu gewinnen, weil § 292 ASVG für die Ausgleichszulagenbemessung alle Unterhaltsleistungen als relevant ansieht. Die Ausnahme in § 294 Abs 1 lit c ASVG betrifft nur die Methode der Anrechnung (Pauschalanrechnung).
6. Mangels erheblicher Rechtsfrage ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen
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