OGH 10ObS37/02t

OGH10ObS37/02t17.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Andrea Komar (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Thomas F*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. September 2001, GZ 10 Rs 300/01p-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 15. Mai 2001, GZ 19 Cgs 156/00w-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 2. 1. 1962 geborene Kläger leidet an Muskeldystrophie, die bereits das Herz betrifft. Er bezieht eine Berufsunfähigkeitspension und seit 1. 8. 1999 Pflegegeld der Stufe 3. Der Vater des Klägers bezieht als Sektionschef in Ruhe einen Ruhegenuss von ca S 50.000,-- monatlich netto; die Mutter des Klägers bezieht ein monatliches Nettoeinkommen von ca S 20.000,--. Der Kläger und seine Eltern wohnen nicht im gemeinsamen Haushalt. Der Kläger hat eine Lebensgefährtin und einen im Februar 2000 geborenen Sohn.

Mit Bescheid vom 13. 6. 2000 hat die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 28. 12. 1999 auf Zuerkennung der Ausgleichszulage mit der Begründung abgelehnt, dass die Pension zuzüglich des zumutbaren Unterhalts seitens der Eltern den in Betracht kommenden Richtsatz übersteige.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage auf Gewährung einer Ausgleichszulage ab. Da der Kläger offenkundig zu keiner Erwerbstätigkeit mehr imstande sei, habe er angesichts der Einkommensverhältnisse seiner Eltern gegen diese einen Unterhaltsanspruch nach § 140 ABGB. Nach ständiger Rechtsprechung stellten Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten tatsächliches Einkommen dar und seien bei der Feststellung des Anspruchs auf Ausgleichszulage als solches zu berücksichtigen. Bei einem Nettoeinkommen der Eltern von ca S 70.000,-- monatlich sei der nach Berücksichtigung des Eigeneinkommens in Form der Berufsunfähigkeitspension verbleibende zivilrechtliche Unterhaltsanspruch des Klägers jedenfalls zumindest so hoch wie die Differenz zwischen seinem Pensionsanspruch einerseits und dem Ausgleichszulagenrichtsatz andererseits. Ab 1. 1. 2000 habe der Ausgleichszulagenrichtsatz S 8.312,-- zuzüglich S 885,-- für das Kind des Klägers, insgesamt daher S 9.197,-- betragen; selbst dieser Betrag stelle nur ca 13 % des Nettoeinkommens der Eltern des Klägers dar. Der Unterhaltsanspruch des Sohnes des Klägers gegen seine Großeltern sei jedenfalls höher als der in § 293 Abs 1 letzter Absatz ASVG genannte Betrag von S 885,--.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass der gesetzliche Unterhaltsanspruch eines Kindes gegenüber seinen Eltern gemäß § 140 ABGB nicht unter den Ausnahmekatalog des § 292 Abs 4 lit d ASVG (wegen des besonderen körperlichen Zustand gewährte Einkünfte) falle. Kriterium für den Unterhaltsanspruch sei nämlich nicht der Ausgleich von Mehrbedürfnissen infolge einer körperlichen Behinderung, sondern die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit des Unterhaltsberechtigten, ohne dass das Gesetz eine Differenzierung vornehme, aus welchen Gründen sich das Kind nicht mehr selbst ernähren könne. Eine Differenzierung nach der Ursache der mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit sei schon deshalb nicht vorzunehmen, da der gesetzliche Unterhaltsanspruch seine Grundlage in allgemein begründeten familiären Pflichten habe und nicht speziell zur Abgeltung der wegen eines Krankheitszustandes vermehrten Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten gewährt werde. Vielmehr ersetze der Unterhaltsanspruch ein entsprechendes Erwerbseinkommen und sei daher - wie ein solches - als ein aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsendes Nettoeinkommen nach § 292 Abs 1 und 3 ASVG der Pension zuzurechnen. Auch würde die Aufsplitterung des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs je nach der Ursache der mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 292 Abs 1 und 3 ASVG in Widerspruch stehen. Aus diesen Bestimmungen ergebe sich im Zusammenhalt mit § 294 ASVG nämlich unzweifelhaft, dass Unterhaltsansprüche von Kindern gegenüber Eltern, wenn sie mit diesen nicht im gemeinsamen Haushalt leben, mit der vollen tatsächlichen Höhe zu berücksichtigen seien. Auch in jenen Fällen, in denen ein gemeinsamer Haushalt zwischen dem unterhaltsberechtigten Kind und den Eltern bestehe, sei nicht der wohl schwer zu ermittelnde tatsächliche Unterhalt, sondern ein Pauschalsatz gemäß § 294 Abs 1 lit c ASVG dem monatlichen Nettoeinkommen hinzurechnen, und zwar ohne Differenzierung danach, welche Ursache die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes habe. Die unterschiedliche Behandlung danach, ob das Kind im gemeinsamen Haushalt mit den Eltern lebe oder nicht, finde ihre sachlich gerechtfertigte Begründung darin, dass die Höhe des im Falle eines gemeinsamen Haushalts großteils in Naturalien geleisteten Unterhalts nur äußerst schwierig zu bewerten wäre.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn zu "beheben". Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt. Die Revision ist im Sinne des Eventualantrags berechtigt. Der Revisionswerber steht zum einen nach wie vor auf dem Standpunkt, dass sich sein Unterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern auf seinen "desolaten Gesundheitszustand" und den damit verbundenen Mehraufwand gründe, weshalb er unter die Ausnahmebestimmung des § 292 Abs 4 lit d ASVG falle. Zum anderen verweist er darauf, dass sich aus den Gesetzesmaterialien zur 1. Novelle zum ASVG (BGBl 1956/266) eindeutig ergebe, dass der Gesetzgeber einen Unterhaltsanspruch der Kinder gegen die Eltern nur dann bei der Frage der Berechtigung einer Ausgleichszulage berücksichtigt haben wolle, wenn dieses Kind im gemeinsamen Haushalt lebe. Auch aus der Überschrift des § 294 ASVG sei abzuleiten, dass der ASVG-Gesetzgeber die Frage, inwieweit ein Unterhaltsanspruch überhaupt eine Einkunft iSd § 292 ASVG darstelle, abschließend im § 294 ASVG geregelt habe. Die vom VfGH aufgehobenen § 294 Abs 1 lit a und b ASVG hätten im Gegensatz zur lit c das Merkmal des Lebens im gemeinsamen Haushalt nicht enthalten. Somit ergebe sich aus § 294 ASVG lediglich eine Präzisierung bzw Einschränkung der gemäß § 292 ASVG anzurechnenden Einkünfte.

Dazu hat der Senat erwogen:

Anspruch auf Ausgleichszulage zur Pension besteht nach § 292 Abs 1 ASVG, wenn die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und der gemäß § 294 ASVG zu berücksichtigenden Beträge nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes (§ 293) erreicht. Unter Nettoeinkommen ist grundsätzlich die Summe sämtlicher Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge zu verstehen (§ 292 Abs 3 ASVG). Bei der Berechnung des Nettoeinkommens haben unter anderem (lit d) Einkünfte, die wegen des besonderen körperlichen Zustandes gewährt werden (Pflegegeld, Blindenzulagen, Schwerstbeschädigtenzulagen, Zuschüsse zu den Kosten für Diätverpflegung und dergleichen) sowie (lit e) Bezüge aus Unterhaltsansprüchen privater Art, die gemäß § 294 ASVG berücksichtigt werden, außer Betracht zu bleiben (§ 292 Abs 4 ASVG). Nach § 294 Abs 1 ASVG sind bei Anwendung des § 292 ASVG Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten gegen die Eltern, sofern sie mit ihm im gemeinsamen Haushalt leben, gleichviel ob und in welcher Höhe die Unterhaltsleistung tatsächlich erbracht wird, dadurch zu berücksichtigen, dass dem Nettoeinkommen des Pensionsberechtigten 12,5 vH des monatlichen Nettoeinkommens der Eltern zuzurechnen sind. Der so festgestellte Betrag vermindert sich jedoch in dem Ausmaß, in dem das dem Verpflichteten verbleibende Nettoeinkommen den Richtsatz gemäß § 293 Abs 1 lit b ASVG unterschreitet.

Zutreffend hat das Berufungsgericht dargestellt, dass der gesetzliche Unterhaltsanspruch eines erwerbsunfähigen Kindes gegenüber seinen Eltern nicht in den Ausnahmekatalog des § 292 Abs 4 lit d ASVG (wegen des besonderen körperlichen Zustand gewährte Einkünfte) fällt. Wie sich aus der beispielhaften Aufzählung ergibt - diese führt nur an ganz besondere Gebrechen gebundene Bezüge an, die einen daraus resultierenden Mehraufwand abgelten - fallen beispielsweise Pensionen aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder Versehrtenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht in den Ausnahmekatalog (andernfalls würden diese Leistungen gegenüber Alterspensionen ungerechtfertigt begünstigt: Teschner/Widlar, ASVG,

78. ErgLfg 1425). Da Unterhaltsansprüche wegen weggefallener Selbsterhaltungsfähigkeit ebenso wie Pensionsleistungen aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit einen Einkommensausfall ausgleichen sollen, sind sie in Bezug auf den Ausnahmekatalog des § 292 Abs 4 lit d ASVG gleich zu behandeln und für die Bemessung der Ausgleichszulage anzurechnen. Die Unterhaltsanrechnung im Ausgleichszulagenrecht erfolgte nach der Stammfassung des § 292 Abs 2 ASVG (BGBl 1955/189) als Teil des "Gesamteinkommens"; dieses war definiert als "die Summe aller Einkünfte eines Rentenberechtigten, die bei Bemessung einer Fürsorgeunterstützung nach den Vorschriften über die öffentliche Fürsorge zu berücksichtigen sind oder auf die der Rentenberechtigte Anspruch hat".

Mit der 1. Novelle zum ASVG (BGBl 1956/266) wurde die Anrechnung von Unterhalt in § 292a ASVG neu geregelt. § 292a Abs 1 ASVG lautete:

"Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den Rentenberechtigten sind nach Maßgabe der Abs 2 bis 5 nur zu berücksichtigen, wenn es sich handelt um

a) die Unterhaltsverpflichtung zwischen Ehegatten, auch zwischen geschiedenen Ehegatten;

b) die Unterhaltsverpflichtung von Eltern gegenüber Kindern ersten Grades oder umgekehrt, vorausgesetzt daß der Rentenberechtigte mit dem Unterhaltspflichtigen im gemeinsamen Haushalt lebt."

Mit dieser Novellierung wurde zum Einen der Kreis der Unterhaltsverpflichtungen eingeschränkt (RV 150 BlgNR VIII. GP 7). Im Ausschussbericht (AB 162 BlgNR VIII. GP 2) heißt es dazu:

"Unterhaltspflichtig nach dieser Gesetzesbestimmung sind in Hinkunft nur Eltern gegenüber Kindern ersten Grades oder umgekehrt, wenn der Rentenberechtigte mit dem Unterhaltspflichtigen im gemeinsamen Haushalt lebt, und Ehegatten, diese auch dann, wenn sie geschieden sind, ohne Rücksicht auf den gemeinsamen Haushalt." In der Debatte der 22. Sitzung des Nationalrats vom 18. 12. 1956 wurde von Abgeordneten auch darauf Bezug genommen, dass es nicht gut einsichtig und unbefriedigend sei, wenn Kinder, die nicht mehr mit den Eltern im gemeinsamen Haushalt leben, in Bezug auf die Anrechnung von Unterhaltsleistungen besser behandelt werden als Kindern im gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern. Die vorgeschlagene Fassung wurde jedoch desungeachtet in den Gesetzestext übernommen. Ferner wurde mit der 1. ASVG-Novelle die Anrechnung von der tatsächlichen Unterhaltsleistung abgekoppelt.

Unterhaltsverpflichtungen waren nunmehr nach § 292a Abs 2 zu berücksichtigen, "gleichviel ob und in welcher Höhe die Unterhaltsleistung tatsächlich erbracht wird". Die Höhe des anzurechnenden Unterhalts bestimmte sich nach einer in § 292a Abs 2 eingebauten Staffel in Form von festen Beträgen in Abhängigkeit von der Höhe des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen. Von dieser Staffel ging der Gesetzgeber mit dem Pensionsanpassungsgesetz (PAG) BGBl 1965/96 ab. Der aufgrund eines Initiativantrags von Abgeordneten geänderte Absatz 2 des § 292a ASVG idF Art I Z 35 des PAG lautete:

"(2) Als monatliche Unterhaltsverpflichtung im Sinne des Abs 1 gelten, gleichviel ob und in welcher Höhe die Unterhaltsleistung tatsächlich erbracht wird, 28 vH des um den Betrag des Richtsatzes für Pensionsberechtigte aus eigener Pensionsversicherung (§ 292 Abs 3 lit a) verminderten monatlichen Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen."

Mit der 29. Novelle zum ASVG (BGBl 1973/31) wurde das Ausgleichszulagenrecht neu gefasst (s etwa Sedlak, Aus dem Pensionsversicherungsrecht nach der 29. ASVG-Novelle, DRdA 1973, 106 [112 f]), jedoch am System der Unterhaltsanrechnung nichts Wesentliches geändert; diese findet sich nunmehr in § 294 ASVG.

Dessen Abs 1 lautete in der Fassung der 29. ASVG-Novelle:

"Bei Anwendung des § 292 sind Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten gegen

a) den Ehegatten, sofern er mit dem Pensionsberechtigten nicht im gemeinsamen Haushalt lebt,

  1. b) den geschiedenen Ehegatten,
  2. c) die Eltern, sofern sie mit dem Pensionsberechtigten im gemeinsamen Haushalt leben,

    gleichviel ob und in welcher Höhe die Unterhaltsleistung tatsächlich erbracht wird, dadurch zu berücksichtigen, daß dem Nettoeinkommen des Pensionsberechtigten in den Fällen der lit a 30 vH und in den Fällen der lit b und c 15 vH des monatlichen Nettoeinkommens der dort genannten Personen zuzurechnen sind."

    § 292 Abs 2 sah eine Verminderung dieser Prozentsätze um 2 vH bei Vorhandensein weiterer unterhaltsberechtigter Angehöriger vor. Die Hundertsätze, nach denen der dem Nettoeinkommen des Pensionsberechtigten zuzurechnende Pauschalbetrag bemessen wird, sollten - so die Erläuterungen zur Regierungsvorlage wörtlich - "in ihrer Höhe ungefähr den üblichen Unterhaltsverpflichtungen entsprechen. Dabei wurde davon ausgegangen, dass erfahrungsgemäß die Unterhaltsverpflichtung gegenüber einer Ehegattin in aufrechter Ehe höher bemessen wird, als im Falle einer geschiedenen Ehe." (RV 404 BlgNR XIII. GP 115, rechte Spalte 3. Absatz).

    Nach "geschlechtsneutraler" Formulierung des § 294 ASVG mit der 36. ASVG-Novelle (BGBl 1981/282) verminderte die 48. Novelle zum ASVG (BGBl 1989/642) die Pauschalsätze für Ehegatten von 30 vH auf 25 vH und für geschiedene Ehegatten sowie für Kinder von 15 vH auf 12,5 vH. Dies wird in den Gesetzesmaterialien (RV 1098 BlgNR XVII. GP iVm RV 1102 BlgNR XVII. GP) nicht näher begründet.

    Mit Erkenntnis vom 17. 6. 2000, G 26/00-7 (VfSlg 15.819 = ZASB 2000, 46 = ARD 5142/22/2000), hat der Verfassungsgerichtshof über Antrag des Oberlandesgerichts Wien die Wortfolgen "a) den Ehegatten (die Ehegattin), sofern er (sie) mit dem Pensionsberechtigten nicht im gemeinsamen Haushalt lebt" sowie "in Fällen der lit a 25 vH und" in § 294 Abs 1 ASVG als verfassungswidrig aufgehoben. In seiner Begründung hat der VfGH darauf hingewiesen, die Aufhebung bewirke, dass der der Klägerin des damaligen Ausgangsverfahrens tatsächlich nach § 94 ABGB zustehende Unterhalt bei Ermittlung des Nettoeinkommens im Sinne des § 292 Abs 1 ASVG anzurechnen sei. Diese Aufhebung des § 292 Abs 1 lit a ASVG erfolgte nicht deshalb, weil die Anrechnung von Unterhaltsansprüchen an sich verfassungswidrig wäre, sondern weil der seinerzeit vorgesehene Pauschalsatz für die Unterhaltsanrechnung nur in seltenen Fällen zu mit der zivilrechtlichen Unterhaltsbemessung übereinstimmenden Ergebnissen führte.

    Weiters hat der VfGH über Antrag des Oberlandesgerichts Innsbruck mit Erkenntnis vom 27. 2. 2001, G 104/00-9 (ARD 5217/17/2001) die Wortfolgen "b) den geschiedenen Ehegatten (die geschiedene Ehegattin)" sowie "b und" in § 294 Abs 1 erster Satz ASVG als verfassungswidrig aufgehoben. Unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 17.6.2000, G 26/00-7, führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass eine Regelung der sachlichen Rechtfertigung entbehre, die die Anrechnung eines fiktiven Unterhalts anordne, der von jenem abweiche, der sich mittels der von den ordentlichen Gerichten entwickelten, einen Durchschnittsfall ausdrückenden Berechnungsformel (40 vH des Familieneinkommens unter Abzug des Eigeneinkommens) ergibt, sodass diese Regelung im Ergebnis nicht den Regel-, sondern den Ausnahmefall zugrunde lege.

    Somit blieb nach diesen beiden Erkenntnissen in § 294 Abs 1 ASVG nur mehr die lit c bestehen, wonach bei Anwendung des § 292 Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten gegen die Eltern, sofern sie mit dem Pensionsberechtigten im gemeinsamen Haushalt leben, gleichviel ob und in welcher Höhe die Unterhaltsleistung tatsächlich erbracht wird, dadurch zu berücksichtigen sind, dass dem Nettoeinkommen des Pensionsberechtigten 12,5 vH des monatlichen Nettoeinkommens der in lit c genannten Personen zuzurechnen sind. Auch die Revision geht grundsätzlich davon aus, dass ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch des Klägers gegenüber seinen Eltern besteht. Dieser Unterhaltsanspruch beruht darauf, dass der Verlust einer bereits erlangten Selbsterhaltungsfähigkeit in jedem Lebensalter des Kindes eintreten kann, zB durch Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit oder Langzeitarbeitslosigkeit ohne Arbeitslosengeld; dies führt - außer im Falle eines Verschuldens des Kindes - zum Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs gegenüber den Eltern (Stabentheiner in Rummel, ABGB3 § 140 Rz 12 mit zahlreichen Nachweisen aus der Judikatur).

    Bei der Ausgleichszulagenfeststellung sind auch die dem Pensionsberechtigten gebührenden Unterhaltsansprüche in Anschlag zu bringen. Dabei ist zwischen den nach § 294 Abs 1 ASVG zu berücksichtigenden Pauschalbeträgen und den sonstigen Unterhaltsansprüchen zu differenzieren. Dass auch die zweitgenannte Kategorie eine anzurechnende Einkunft darstellt, lässt sich § 292 Abs 4 lit e ASVG entnehmen, worin als vom Nettoeinkommen auszuklammernder Bezug nur die ohnedies nach § 294 ASVG einzubeziehenden Unterhaltspauschalbeträge erwähnt werden. Diese Bestimmung zeigt klar, dass die in § 292 Abs 3 ASVG statuierte Legaldefinition des Einkommens auch den Komplex der Unterhaltsforderungen umfasst (SSV-NF 4/47 und 7/28; Binder, Probleme der pensionsversicherungsrechtlichen Ausgleichszulage, ZAS 1981, 89 [96]; Barnas, ZAS 1988, 205 [207] in der Anmerkung zu ZAS 1988/28 = DRdA 1990/7 [Ivansits] = SSV-NF 2/15; Teschner/Widlar, BSVG [32. ErgLfg] 378). Die pauschalierte Anrechnung von Unterhaltsansprüchen in einzelnen Fällen findet ihren Zweck darin, dass eine Pauschalierung speziell dann eingreifen soll, wenn die objektive und aktuelle Feststellung der Höhe zufließender Leistungen einen unvertretbaren Aufwand hervorruft (vgl Barnas aaO 207). Dies ist gerade bei einem gemeinsamen Haushalt zwischen dem Unterhaltsberechtigten und dem Unterhaltsverpflichteten der Fall. Es wurde bereits erwähnt, dass sich auch der Verfassungsgerichtshof in

    seinem Erkenntnis vom 17. 6. 2000, G 26/00-7 (VfSlg 15.819 = ZASB

    2000, 46 = ARD 5142/22/2000) nicht gegen die Pauschalierung an sich

    gewandt hat (siehe Punkt II.2.4. des Erkenntnisses), sondern gegen das von der bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsberechnung abweichende Ergebnis.

    Die pauschalierte Anrechnung erfolgt unabhängig davon, ob und in welcher Höhe die Leistung tatsächlich erbracht wird (§ 294 Abs 1 ASVG). führt. Greift keine Pauschalierung ein, kann als Einkunft iSd § 292 Abs 3 ASVG nur ein tatsächlich anfallender Bezug gewertet werden ("Bezüge aus Unterhaltsansprüchen"; SSV-NF 10/77 und 12/77; RIS-Justiz RS0106714; Radner ua, Bauernsozialversicherung3 [2. Lfg] 710 f). Der bloße Anspruch auf bestimmte Geld- und Sachleistungen reicht dafür nicht aus. Auf Unterhaltsansprüche, die nicht der Pauschalanrechnung unterliegen, ist daher nur insoweit Bedacht zu nehmen, als sie auch tatsächlich realisiert wurden (Binder aaO 93, 96; Barnas aaO 208). Insoweit differenziert das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. 6. 2000, G 26/00 (VfSlg 15.189) nicht genau, wenn unter Punkt II.1.3. auf den "tatsächlich zustehenden Unterhalt" Bezug genommen wird.

    Der subsidiäre sozialhilfeähnliche Charakter der Ausgleichszulage verbietet es jedoch im Allgemeinen, dass der Berechtigte von sich aus auf realisierbare Einkünfte verzichtet (SSV-NF 9/76; RIS-Justiz RS0040296, RS0038599). Die Judikatur hat aus dem Gedanken des Verbots rechtsmissbräuchlicher Rechtsausübung gefolgert, dass der Verzicht auf bestehende, im Rahmen der Ausgleichszulagenfeststellung zu berücksichtigende Ansprüche (worunter auch das bloße Nichtgeltendmachen und Nichteintreiben offener Forderungen zu verstehen ist) für die Ausgleichszulagenfeststellung unbeachtlich ist, sofern dieser Verzicht offenbar den Zweck hatte, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen (JBl 1994, 191), indem die Leistungslast vom persönlich haftenden Schuldner auf die öffentliche Hand abgewälzt werden soll (Binder aaO 94).

    Nach dem dargestellten Meinungsstand sind daher diejenigen Unterhaltsansprüche, die nicht der Pauschalanrechnung des § 294 Abs 1 lit c ASVG unterliegen, bei der Ausgleichszulagenbemessung als sonstiges Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie tatsächlich zufließen oder rechtsmissbräuchlich nicht realisiert werden. An diesem Ergebnis vermögen die dargestellten Gesetzesmaterialien zur 1. ASVG-Novelle (BGBl 1956/266; RV 150 BlgNR VIII. GP; AB 162 BlgNR VIII. GP; Protokoll der 22. Sitzung des Nationalrats vom 18. 12. 1956, VIII. GP.) nichts zu ändern. Abgesehen davon, dass diese Ausführungen in den Gesetzesmaterialien im Zusammenhang mit der Einführung einer Pauschalierungsregelung gesehen werden können (mit der 1. ASVG-Novelle wurde die dem heutigen § 292 Abs 4 lit e ASVG entsprechende Bestimmung des § 292 Abs 2 lit e ASVG eingeführt, nach der eine Ausnahme von der Anrechnung für Bezüge aus Unterhaltsleistungen nur für Fälle der pauschalen Berücksichtigung vorgesehen wurde), gebietet schon allein eine dem Art 7 B-VG entsprechende Interpretation, Unterhaltsansprüche eines Kindes gegenüber seinen Eltern im Ausgleichszulagenrecht unabhängig davon zu berücksichtigen, ob ein gemeinsamer Haushalt besteht oder nicht. Ganz allgemein ist darauf hinzuweisen, dass die Feststellung des Willens des historischen Gesetzgebers anhand der Gesetzesmaterialien besonderer Vorsicht bedarf, weil das Gesetz mit seinem Wortlaut, mit seiner Systematik und in seinem Zusammenhang mit anderen Gesetzen über der Meinung der Redaktoren steht (RIS-Justiz RS0008776). Auch hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren in Kenntnis der höchstgerichtlichen Judikatur zur Anrechnung von Unterhaltsleistungen im Ausgleichszulagenrecht keinen Grund zu einer klarstellenden Änderung der §§ 292 und 294 Abs 1 ASVG gesehen.

    Die möglicherweise unterschiedliche Höhe der Anrechnung von Unterhaltsleistungen (einerseits nach § 292 Abs 1 - 3, andererseits nach § 294 Abs 1 ASVG) wurde vom Obersten Gerichtshof unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes nicht beanstandet (SSV-NF 7/28); sie kann sachlich damit gerechtfertigt werden, dass die Höhe des im Falle eines gemeinsamen Haushalts großteils in Naturalien geleisteten Unterhalts nur äußerst schwierig zu bewerten ist und bei gemeinsamem Wohnen Synergieeffekte auftreten.

    Ausgehend von der Rechtsansicht, dass bei einem Nettoeinkommen der Eltern von ca S 70.000,-- (EUR 5.087,10) monatlich der bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch des Klägers (und seines Sohnes) gegenüber seinen Eltern jedenfalls zumindest so hoch ist wie die Differenz zwischen seinem Pensionsanspruch einerseits und dem Ausgleichszulagenrichtsatz andererseits, haben es die Vorinstanzen unterlassen, Feststellungen darüber zu treffen, welches Einkommen - in Betracht kommen die Pensionseinkünfte sowie tatsächlich zugeflossene Unterhaltsleistungen - der Kläger im maßgeblichen Zeitraum ab 1. 1. 2000 im Einzelnen erzielt hat. Dies ist im fortgesetzten Verfahren nachzuholen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einem tatsächlich zugeflossenen Einkommen Unterhaltsansprüche gleichzuhalten sind, auf deren Realisierung der Kläger, wie oben dargestellt, in rechtsmissbräuchlicher Weise verzichtet hat. Der beklagten Partei ist Gelegenheit zu geben, insoweit Vorbringen zu erstatten.

    Das sich danach ergebende Einkommen des Klägers ist dem jeweils anzuwendenden Ausgleichszulagenrichtsatz gegenüber zu stellen. Da es zur Abklärung der aufgezeigten Feststellungsmängel einer Verhandlung erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

    Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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