European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00082.15Y.0827.000
Spruch:
Das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 27. Jänner 2015, AZ 8 Bs 413/14t (GZ 6 Hv 102/14w‑15), mit welchem der Berufung der Angeklagten wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe Folge gegeben, das angefochtene Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 27. Oktober 2014, GZ 6 Hv 102/14w‑10, aufgehoben und dem Erstgericht „die Prüfung eines Vorgehens nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG aufgetragen“ wurde, verletzt das Gesetz in § 489 Abs 1 StPO iVm § 475 Abs 4 StPO.
Diese Anordnung wird aufgehoben und dem Landesgerichts für Strafsachen Graz aufgetragen, nach dem 11. Hptst der StPO oder nach § 37 SMG vorzugehen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Gründe:
Beim Landesgericht für Strafsachen Graz ist zu AZ 7 Hv 73/15i (vormals: AZ 6 Hv 102/14w) ein Strafverfahren gegen die am 28. Mai 1995 geborene Sabrina G***** anhängig.
Im ersten Rechtsgang wurde die Genannte mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 27. Oktober 2014, GZ 6 Hv 102/14w‑10, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall und Abs 3 SMG (1./) sowie nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG (2./) schuldig erkannt.
Danach hat sie in G*****, K*****, G*****, N***** und an anderen Orten des österreichischen Bundesgebiets vorschriftswidrig Suchtgift
1./ anderen überlassen, indem sie im Zeitraum von zumindest Juni 2013 bis August 2013 insgesamt 80 Gramm Cannabiskraut im Zuge zahlreicher Verkäufe an den abgesondert verfolgten Frank K***** gewinnbringend veräußerte, wobei sie in der Absicht handelte, sich durch die wiederkehrende Begehung solcher Suchtgiftgeschäfte eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen;
2./ im Zeitraum von zumindest Juni 2013 bis März 2014 besessen, indem sie unbekannte Mengen an Cannabiskraut teilweise von unbekannten Dealern ankaufte, teilweise vom abgesondert verfolgten Paul S***** unentgeltlich zur Verfügung gestellt erhielt und das Suchtgift zum Teil alleine, zum Teil aber auch gemeinsam mit Paul S***** oder anderen namentlich nicht bekannten Personen konsumierte.
Der erstgerichtlichen Urteilsbegründung zufolge ist die bislang unbescholtene (US 2) Angeklagte nicht an Suchtmittel gewöhnt (US 3) und in Bezug auf den Besitz von Cannabiskraut (2./) geständig (US 3); sie stellte jedoch bis zuletzt in Abrede, Cannabiskraut in zahlreichen Verkäufen gewinnbringend an den ‑ sie insofern überzeugend belastenden ‑ Frank K***** veräußert (1./) zu haben, um sich dadurch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (US 4). Ein Vorgehen nach §§ 35, 36 iVm 37 SMG lehnte das Landesgericht für Strafsachen Graz mit der Begründung ab, dass die Angeklagte aus ihren gewerbsmäßigen Suchtgiftverkäufen Vorteile zog (US 5).
Gegen dieses Urteil richtete sich eine auf § 281 Abs 1 Z 10a StPO gestützte Berufung wegen Nichtigkeit sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld und Strafe der Angeklagten (ON 13).
Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht gab mit Urteil vom 27. Jänner 2015, AZ 8 Bs 413/14t (GZ 6 Hv 102/14w‑15), der Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe „dahin Folge“, dass es das angefochtene Urteil aufhob und dem Erstgericht „die Prüfung eines Vorgehens nach den §§ 35 Abs 1, 37 SMG“ auftrug. Den Entscheidungsgründen (US 3 f) zufolge vermag der Umstand der gewerbsmäßigen Vorteilsnahme die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen (Z 10a). Es wäre vielmehr ein diversionelles Vorgehen mit der bisher unbescholtenen Angeklagten, die sich „zum überwiegenden Sachverhalt geständig verantwortete“ und „grundsätzlich Einsicht zur Strafbarkeit ihrer Handlungen“ zeigte, zu erörtern gewesen, „um ihr die Möglichkeit einer Verantwortungsübernahme für den gesamten Urteilssachverhalt einzuräumen“ (US 4).
In ihrer dagegen zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde erachtet die Generalprokuratur die Bestimmungen des § 489 Abs 1 StPO iVm § 281 Abs 1 Z 10a StPO und des § 489 Abs 1 StPO iVm § 470 Z 3, § 475 Abs 4 StPO aufgrund folgender Argumentation für verletzt:
Ein Urteil ist aus § 281 Abs 1 Z 10a StPO nur dann nichtig, wenn die darin enthaltenen Feststellungen bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen, oder aber, wenn Ergebnisse der Hauptverhandlung auf einen Umstand hindeuten, der für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäbe, das Erstgericht aber insofern keine Feststellungen getroffen hat. Nicht anders als im Fall von Rechts- und Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 und 10 StPO) ist Gegenstand der Diversionsrüge der Vergleich der (gesamten) im Urteil getroffenen Konstatierungen mit den Diversionskriterien (RIS‑Justiz RS0119091, RS0124801, RS0116823; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 659), solcherart nur die rechtliche Beurteilung der tatsächlichen Urteilsannahmen, nicht aber deren einwandfreie Ermittlung (RIS‑Justiz RS0119092; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 660).
Der Sache nach gebietet § 37 SMG iVm § 35 Abs 2 SMG, dass das Gericht unter den in Abs 3 bis 7 des § 35 SMG genannten Voraussetzungen und Bedingungen das Strafverfahren wegen einer nicht in § 35 Abs 1 SMG genannten Straftat nach §§ 27 oder 30 bis 31a SMG, einer Straftat nach §§ 28 oder 28a SMG, sofern der Angeklagte an Suchtmittel gewöhnt ist, oder einer im Zusammenhang mit der Beschaffung von Suchtmitteln begangenen Straftat unter Bestimmung einer Probezeit von einem bis zu zwei Jahren mit Beschluss einstellt. Dies ist jedoch davon abhängig, dass die Straftat nicht in die Zuständigkeit des Schöffen‑ oder Geschworenengerichtes fällt, die Schuld des Angeklagten nicht als schwer anzusehen wäre und der Rücktritt von der Verfolgung nicht weniger als eine Verurteilung geeignet erscheint, den Angeklagten von einer solchen Straftat abzuhalten. Letzteres ist nur bei gegebener Bereitschaft des Angeklagten anzunehmen, Verantwortung für das ihm zur Last gelegte Tatgeschehen zu übernehmen (RIS‑Justiz
RS0116299, RS0126734; Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 36 ff).
Vorliegend lehnte das Landesgericht für Strafsachen Graz ein diversionelles Vorgehen mit der Begründung ab, dass die Angeklagte aus ihren gewerbsmäßigen Suchtgiftverkäufen Vorteile zog (US 5) und sie sich diesbezüglich „bis zuletzt leugnend“ verantwortete (US 4).
Dass fallbezogen eine ‑ für eine positive Prognose essentielle ‑ Verantwortungsübernahme und solcherart eine das Unrecht ihres Gesamtverhaltens akzeptierende Einsicht der Angeklagten entbehrlich sein sollte, um spezialpräventive Diversionshindernisse auszuräumen (RIS‑Justiz RS0116299, RS0126734; Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 36 ff), ist der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht zu entnehmen und daher die Wahrnehmung einer dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 27. Oktober 2014 (vermeintlich) anhaftenden Nichtigkeit gemäß § 489 Abs 1 StPO iVm § 281 Abs 1 Z 10a StPO verfehlt.
Im Übrigen widerspricht auch die hier gewählte Vorgangsweise der in nichtöffentlicher Sitzung erfolgten Rückverweisung ohne einen gleichzeitigen Auftrag an das Erstgericht, sogleich nach § 37 SMG vorzugehen, § 489 Abs 1 StPO iVm §§ 470 Z 3, 475 Abs 4 StPO:
Zufolge § 470 Z 3 StPO ist eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache in nichtöffentlicher Sitzung nur vorgesehen, wenn schon vor der öffentlichen Verhandlung über die Berufung feststeht, dass das Urteil aufzuheben und die Verhandlung in erster Instanz zu wiederholen oder nach dem 11. Hauptstück oder § 37 SMG vorzugehen ist. In diesem Fall ist dem Gericht erster Instanz gemäß § 475 Abs 4 StPO aber zugleich der Auftrag zu erteilen, nach den Bestimmungen des 11. Hauptstücks (§ 199 ff StPO) oder § 37 SMG vorzugehen (RIS‑Justiz RS0125350 [zur analogen Bestimmung des § 288 Abs 2 Z 2a StPO]; RIS‑Justiz RS0125350; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 661).
Die dem Landesgericht für Strafsachen Graz vorliegend aufgetragene „Prüfung eines Vorgehens nach §§ 35 Abs 1 [richtig: Abs 2], 37 SMG“ (US 1) bzw „neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung“ (US 4) mit dem Ziel, die Angeklagte zu einer „weitergehenden Verantwortungsübernahme“ anzuleiten, um ihr den Prozesserfolg einer Diversion zu ermöglichen (vgl dazu: Wiederin, WK‑StPO § 6 Rz 217), die überdies im Spannungsverhältnis zum Grundsatz der freien Aussage (§§ 7 Abs 2, 245 Abs 2 StPO iVm § 164 Abs 4 StPO) steht, entbehrt solcherart einer gesetzlichen Grundlage (vgl Ratz, WK‑StPO § 288 Rz 18).
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
Rechtliche Beurteilung
Ein Geständnis des Angeklagten ist für ein diversionelles Vorgehen nicht vorausgesetzt; vgl Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 4 und Rz 36; ders, Miklau‑FS 504; Medigovic/Reindl‑Krauskopf, AT II 184 und 186. Insofern ist eine planwidrige Lücke weder in § 198 Abs 2 noch in § 7 Abs 2 JGG oder in § 35 Abs 2 SMG auszumachen; vgl 13 Os 16/04, SSt 2004/35 = EvBl 2005/10, 35.
Demgegenüber fordert sowohl § 201 Abs 2 StPO als auch § 204 Abs 1 StPO, dass der Angeklagte durch Erbringung einer gemeinnützigen Leistung bzw durch einen ins Auge gefassten Tatausgleich seine Bereitschaft zum Ausdruck bringen muss, für die Tat einzustehen. Dazu kommt, dass die bei allen Diversionsformen vorgegebene Verknüpfung mit einer (weitgehenden; vgl Schroll, WK‑StPO § 200 Rz 7, § 201 Rz 6; § 203 Rz 8 und § 204 Rz 4 f) Schadensgutmachung bzw mit einem Tatfolgenausgleich die innere Bereitschaft zu einer solchen Restitution erfordert, welche nur bei entsprechendem Unrechtsbewusstsein möglich ist (vgl RIS‑Justiz RS0116299).
Daraus entwickelte die Judikatur das Erfordernis, dass ein diversionelles Vorgehen nach § 198 StPO oder § 7 JGG eine gewisse (nicht unbedingt einem Geständnis zum Anklagevorwurf entsprechende) Unrechtseinsicht oder eine partielle (etwa auf die Mitveranlassung der Tat durch einen Kontrahenten verweisende) Übernahme der Verantwortung für das Bewirken der eine strafrechtliche Haftung begründenden Tatsachen voraussetzt. Fehlt eine solche Bereitschaft des Angeklagten, Verantwortung für das ihm zur Last gelegte Tatgeschehen zu übernehmen, so scheidet eine Diversion aus spezialpräventiven Gründen aus (RIS‑Justiz RS0116299; vgl Moos, JBl 1997, 351; Höpfel, Jesionek ‑ FS 330; Fabrizy, StPO12 § 198 Rz 6; EBRV StPNov 1999, 19; Löschnig‑Gspandl in Miklau/Schroll, Diversion 91; Loderbauer in Pilgermair, Staatsanwaltschaft 182 f; E. Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 1 §§ 198‑199 Rz 30; idS auch Medigovic/Reindl-Krauskopf, AT II 186 f; 15 Os 1/02, SSt 64/10 = EvBl 2002/153, 565; kritisch dazu Kienapfel/Höpfel/Kert, AT14 E 10 Rz 14; Bertel/Venier, Komm StPO § 198 Rz 9; einschränkend Hochmayr, RZ 2003, 279 f).
Schon die Bereitschaft zur diversionellen Vorgangsweise indiziert in der Regel eine solche Verantwortungsübernahme (vgl Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 36/2; Miklau in Miklau/Schroll, Diversion 34; E. Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 1 §§ 198‑199 Rz 30; idS Jesionek/Edwards, JGG4 § 8 Rz 21 und Rz 29; weitergehend hingegen Schütz, Diversionsentscheidungen, 55 und 108, für den eine Verantwortungsübernahme kein prinzipielles Erfordernis für eine diversionelle Entscheidung darstellt, deren Fehlen aber ein Indikator für die Diversion hindernde spezialpräventive Bedenken sein kann; in diesem Sinn auch Michel‑Kwapinski/Schütz, RZ 2008, 218; vgl auch Hochmayr, RZ 2003, 278 ff sowie 13 Os 16/04, SSt 2004/35 = EvBl 2005/10, 35: Verantwortungsübernahme ist lediglich für den Tatausgleich Voraussetzung). Diese das Unrecht seines Verhaltens akzeptierende Einsicht ist nicht nur eine Bedingung, um eine Diversion hindernde Präventionsbedenken auszuräumen. Auch die bei allen diversionellen Erledigungsformen geforderte (innere) Bereitschaft zur Schadensgutmachung bzw zum Tatfolgenausgleich (die nur bei entsprechendem Unrechtsbewusstsein möglich ist; vgl § 204 Abs 1 StPO; RIS‑Justiz RS0126734) erfordert eine solche nach außen sich manifestierende Einsicht (vgl 12 Os 29/11y, SSt 2011/22; 12 Os 189/09z; 15 Os 121/09x; RIS‑Justiz RS0116299). Anders als im Rahmen der Präventionsprüfung für eine bedingte Strafnachsicht, bei der eine leugnende Verantwortung die Anwendung des § 43 StGB nicht hindert (vgl Jerabek in WK2 StGB § 43 Rz 21), setzt der Verzicht auf die Durchführung eines ordentlichen Verfahrens und einen Schuldspruch samt Strafe voraus, dass die diversionelle Vorgangsweise als Bestätigung der Normgeltung akzeptiert wird. Dass der Angeklagte in der Anzeige vorerst noch keine Bereitschaft für eine Verantwortungsübernahme signalisiert, schließt nicht aus, nach dem 11. Hptst der StPO vorzugehen (Loderbauer in Pilgermair, Staatsanwaltschaft 182 f). Vielfach kann sich eine diesem Erfordernis entsprechende Haltung erst im Zuge eines in Aussicht genommenen Tatausgleichs oder sonstiger Diversionsmaßnahmen manifestieren. Hängt eine klare Schuldzuweisung bei Fahrlässigkeitstatbeständen von Gutachtensergebnissen ab, so wird eine solche Einsicht erst nach Vorliegen der Expertise verlangt werden können. Die Übernahme der Verantwortung muss aber spätestens bei der diversionellen Erledigung vorliegen (vgl 15 Os 1/02, SSt 64/10 = EvBl 2002/153, 565; Kienapfel/Höpfel/Kert, AT14 E 10 Rz 14; Miklau in Miklau/Schroll, Diversion 34; einschränkend nur für den Tatausgleich Hochmayr, RZ 2003, 279 f).
Fehlt eine solche Einsicht und beruft sich der Verteidiger eines bis zuletzt leugnenden (im Sinn eines die Tatbegehung von sich weisenden) Angeklagten erst im Plädoyer auf eine allenfalls vorzunehmende diversionelle Erledigung, so gebietet dieses Verhalten in der Regel aus spezialpräventiven Gründen einen Schuldspruch und eine Straffestsetzung (vgl 15 Os 1/02, SSt 64/10 = EvBl 2002/153, 565; 13 Os 16/04, SSt 2004/35 = EvBl 2005/10, 33; 11 Os 126/03; RIS‑Justiz RS0116299; einschränkend Hochmayr, RZ 2003, 278 ff). Damit soll vor allem das Taktieren des Angeklagten verhindert werden, indem dieser einer Diversion erst dann zustimmt, wenn in der Hauptverhandlung das gesamte Beweisverfahren abgeführt wurde und ein Schuldspruch nunmehr trotz bislang strikt leugnender Verantwortung unvermeidbar erscheint (vgl Schroll, ÖJZ 2013, 864; ders, WK‑StPO § 198 Rz 36/3; E. Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 1 §§ 198‑199 Rz 30).
Eine solche Bereitschaft zur Unrechtseinsicht ist auch in der spezialpräventiven (eine Präferenz für eine diversionelle Erledigung vor einer gerichtlichen Verurteilung vorgebenden vgl Litzka/Matzka/Zeder, SMG2 § 35 Rz 31; Schroll, WK‑StPO § 203 Rz 54) Komponente des § 35 Abs 2 SMG auszumachen, weil auch in diesem ‑ im Wesentlichen wie bei § 198 Abs 1 StPO oder § 7 JGG auszulegenden (vgl Schwaighofer in WK2 SMG § 35 Rz 39; Rosbaud in Hinterhofer/Rosbaud, SMG § 35 Rz 31) ‑ Fall der Verzicht auf die Durchführung eines ordentlichen Verfahrens und einen Schuldspruch samt Strafe voraussetzt, dass der Angeklagte bereit ist, Verantwortung für das ihm zur Last gelegte Tatgeschehen zu übernehmen und die diversionelle Vorgangsweise als Bestätigung der Normgeltung zu akzeptieren.
Im vorliegenden Fall hielt das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung unter Bezugnahme auf entsprechende Konstatierungen des Erstgerichts (US 3 f in ON 10) fest, dass sich die Angeklagte zum überwiegenden Sachverhalt geständig verantwortet hatte, den Suchtgiftkonsum gemeinsam mit Frank K***** zugab und lediglich den gewinnbringenden Verkauf an diesen Zeugen (bloße Suchtgiftübergaben an diesen somit nicht; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19) in Abrede stellte (US 4 in ON 15). Diese Vorgangsweise bewertete das Oberlandesgericht zutreffend als grundsätzliche Einsicht zur Strafbarkeit ihrer Handlung (US 4 in ON 15).
Solcherart lag eine (Voraussetzung auch für eine Diversion nach dem SMG bildende) Verantwortungsübernahme zu allen Sabrina G***** vorgeworfenen Anklagepunkten vor. Der demgegenüber in der Nichtigkeitsbeschwerde eingenommene Standpunkt, wonach Voraussetzung für ein Vorgehen nach dem 11. Hptst der StPO ein „das Unrecht ihres Gesamtverhaltens“, also auch alle Begleiterscheinungen der Tat (die mitunter eine Qualifikation ‑ wie hier nach § 27 Abs 3 SMG ‑ bewirken können) mitumfassenden Schuldeinbekenntnisses sei, wäre als Forderung nach einem (uneingeschränkten) Geständnis zu werten, das aber ‑ wie bereits dargelegt ‑ gerade keine Voraussetzung einer diversionellen Erledigung darstellt.
Damit liegt aber die behauptete Gesetzesverletzung im Hinblick auf eine unrichtige Annahme des Nichtigkeitsgrundes nach § 489 Abs 1 StPO iVm § 281 Abs 1 Z 10a StPO (richtig: eine fehlerhafte Anwendung des § 35 Abs 2 SMG iVm § 37 SMG bzw des § 198 Abs 1 StPO) nicht vor.
Des Weiteren ging das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung davon aus, dass unter besonderer Berücksichtigung der bisherigen Unbescholtenheit „keine Beweisergebnisse vorliegen, die eine schwere Schuld im Sinn des § 35 Abs 2 (Z 2) SMG oder § 198 Abs 2 Z 2 StPO erkennen ließen“ (US 3 in ON 15). Das Oberlandesgericht nahm daher ‑ verfehlt ‑ einen Feststellungsmangel an, obwohl auf der Basis der auch vom Rechtsmittelgericht übernommenen Urteilsannahmen des Erstgerichts (vgl dazu auch noch das dort festgestellte Alter unter 21 Jahren im Tatzeitpunkt, dem aber die mehrfache Tatbegehung gegenüberstand sowie ein Verkaufserlös von lediglich 800 Euro, hinsichtlich dem von einem Verfall gemäß § 20 Abs 3 StGB abgesehen wurde ‑ US 5 in ON 10) die Diversionsvoraussetzungen nach § 35 Abs 2 iVm § 37 SMG (US 4 in ON 15) erfüllt waren.
Bei dieser Ausgangslage hätte aber ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes im Ergebnis zutreffend aufzeigt ‑ das Berufungsgericht nach § 489 StPO iVm § 470 Z 3, § 475 Abs 4 StPO das Urteil aufheben und dem Landesgericht für Strafsachen Graz ein Vorgehen nach dem 11. Hptst der StPO oder nach § 37 SMG auftragen müssen.
Bleibt der Vollständigkeithalber anzumerken, dass im Auftrag an das Erstgericht zur weiteren Vorgangsweise auf beide Varianten einer diversionellen Erledigung abzustellen ist, zumal die (hier nur in Frage kommende) speziellere Suchtmitteldiversion nach § 35 Abs 2 SMG iVm § 37 SMG allfällige Alternativen nach § 198 StPO nicht verdrängt (Schroll, WK‑StPO Vor §§ 198‑209b Rz 16 mwN; Einführungserlass zur SMG‑Novelle 2007, 14; Einführungserlass zur StPNov 1999, 29; Rosbaud in Hinterhofer/Rosbaud, SMG § 35 Rz 9; Kirchbacher/Schroll, RZ 2005 171; Schwaighofer in WK2 SMG § 35 Rz 8; Maleczky, AT II16 30; aA Venier, JBl 2000 227 und Fabrizy,StPO12 § 198 Rz 11: weitgehende Derogation der §§ 198 ff StPO durch die Diversionsbestimmungen des SMG); beide Erledigungsmöglichkeiten stehen daher grundsätzlich gleichermaßen offen.
Die dem Landesgericht für Strafsachen Graz auf der Basis der unrichtigen Annahme eines Feststellungsmangels (vgl US 2 in ON 15) aufgetragene „Prüfung eines Vorgehens nach §§ 35 Abs 1 (richtig: nach Abs 2; vgl US 4 in ON 15), 37 SMG“ (US 1 in ON 15) bzw eine „neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung“ (US 4 in ON 15) mit dem Ziel, die Angeklagte zu einer „weitergehenden Verantwortungsübernahme“ anzuleiten, um ihr den Prozesserfolg einer Diversion zu ermöglichen, war angesichts der bereits vom Landesgericht für Strafsachen Graz konstatierten (vom Erstgericht indes lediglich unter dem Blickwinkel des § 35 Abs 1 SMG iVm § 37 SMG negativ beurteilten) Diversionsgrundlagen nach § 35 Abs 2 SMG iVm § 37 SMG verfehlt.
Angesichts dieses Ergebnisses hängt ‑ auch mit Blick auf die zur Frage des Vorgehens bei Feststellungsmängeln aus § 281 Abs 1 Z 10a StPO ergangene Entscheidung 12 Os 123/09v, SSt 2010/16 = EvBl 2010/101, 677, und insoweit widersprechender Lehrmeinungen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 661; Bertel/Venier, StPO‑Komm § 281 Rz 4; E. Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 1 § 209 Rz 36; kritisch dazu Schroll/Schillhammer, Rechtsmittel in Strafsachen2 Rz 298; Schütz, Fuchs ‑ FS, 524) und Judikatur (13 Os 93/09i, SSt 2009/73; RIS‑Justiz RS0125350) ‑ die vorliegende Entscheidung nicht von der Lösung einer in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht einheitlich beantworteten Rechtsfrage ab (§ 8 Abs 1 Z 2 OGHG).
Dennoch bleibt dazu festzuhalten, dass sowohl § 288 Abs 2 Z 2a StPO wie auch § 470 Z 3 StPO iVm § 475 Abs 4 StPO den der I. Instanz zu erteilenden Auftrag zu einem Vorgehen nach dem 11. Hptst der StPO oder § 37 SMG unmissverständlich daran knüpfen, dass das Vorliegen der Diversionsvoraussetzungen vom Erstgericht rechtlich verfehlt nicht angenommen wurde (vgl EBRV StPO‑Novelle 1999, 1581 BlgNR 20. GP , 30). Dazu ist es begrifflich notwendig, dass im angefochtenen Urteil zwar das für eine Subsumtion nach § 198 StPO oder § 35 SMG iVm § 37 SMG notwendige Tatsachensubstrat festgestellt, aber entweder unrichtig als nicht ausreichend für eine diversionelle Verfahrenseinstellung beurteilt wurde oder aber ‑ ebenso verfehlt ‑ keine Aussagen zu einer diversionellen Erledigung getroffen wurden. § 288 Abs 2 Z 2a StPO erweist sich demgemäß als eine Sonderregelung für das sonst bei rechtlich gebotener richtiger Beurteilung der im Urteil angenommenen Tatsachengrundlage vorgesehene Procedere nach § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO; insoweit erübrigt sich daher eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob § 288 StPO planwidrig lückenhaft ist (in diesem Sinn Schütz, Fuchs ‑ FS, 524; aA Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 661).
Anders allerdings im Fall eines Feststellungmangels, bei dem das Beweisverfahren Ergebnisse hervorbrachte, die bei entsprechender Konstatierung zu einer diversionellen Erledigung führen müssten. Hier steht einem sofortigen Auftrag zu einem Vorgehen nach dem 11. Hptst der StPO oder nach § 37 SMG das Fehlen eines zur dieser Vorgangsweise notwendigen Tatsachensubstrats entgegen. Vor allem in jenen Fällen, in denen zu den Diversionsvoraussetzungen entgegengesetzte Beweisergebnisse vorliegen, wird daher erst über eine Beweiswürdigung durch die Tatrichter unter Beachtung von Unmittelbarkeit (§ 13 Abs 3 StPO) und Mündlichkeit (§ 12 Abs 2 StPO) eine klarstellende Urteilsannahme zu schaffen sein, auf deren Basis über ein Vorgehen nach dem 11. Hptst der StPO oder nach § 37 SMG befunden werden kann.
Verantwortet sich der Angeklagte etwa bei einem Vorwurf des Erwerbs, Besitzes und Überlassens von Suchtgift nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und fünfter Fall SMG damit, Haschisch zum Selbstkostenpreis (also ohne aus dem Überlassen des Suchtmittels einen Vorteil zu ziehen) weitergegeben zu haben und erklärt demgegenüber der Empfänger des Suchtgifts, einen überzogenen Preis dafür bezahlt zu haben, wird ein Vorgehen nach § 35 Abs 1 SMG iVm § 37 SMG erst dann möglich sein, wenn nach entsprechender Beweisabwägung die Version des Angeklagten für richtig befunden und dem Urteil zugrunde gelegt wird. Die gleiche Ausgangslage ergibt sich im Fall, dass divergierende Beweisergebnisse zur vom Angeklagten vorgebrachten vollständigen Schadensgutmachung, zum Handlungsunrecht (fahrlässiges, bedingt vorsätzliches oder absichtliches Handeln) bzw zu einem Schuldeinschränkungsmerkmal (Gemütsbewegung, Geisteszustand etc) vorliegen, die ‑ falls man die dem Angeklagten günstigere Version annimmt ‑ eine diversionelle Entscheidung gebieten würden.
Demgegenüber vertritt ein Teil der Judikatur (13 Os 93/09i, SSt 2009/73; RIS‑Justiz RS0125350) und ein Teil der Lehre (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 661; Bertel/Venier, StPO‑Komm § 281 Rz 4; E. Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 1 § 209 Rz 36) die Auffassung, dass § 288 Abs 2 Z 2a StPO eine Rückverweisung ohne gleichzeitigen Auftrag, nach dem 11. Hauptstück der StPO oder § 37 SMG vorzugehen, nicht kenne. Demgemäß scheide eine bloß kassatorische Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus, sodass dieser selbst dazu berufen ist, und zwar zugunsten des Angeklagten auch in nichtöffentlicher Sitzung (§ 285e zweiter Satz; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 661) die fehlenden Feststellungen nachzuholen.
Begründet wird dies mit einer Vergleichbarkeit der aus § 281 Abs 1 Z 10a StPO entscheidenden Tatsachen mit prozessualen Tatsachen, welche eine Entscheidung über fehlende Feststellung durch die Rechtsmittelrichter, also ohne Einschaltung der Tatrichter möglich machen würde (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 661 iVm Rz 660).
Dagegen sprich jedoch, dass § 288 Abs 2a StPO (Verweisung an das Erstgericht mit dem Auftrag, nach dem 11. Hptst der StPO oder § 37 SMG vorzugehen) ‑ wie bereits dargelegt ‑ als lex specialis zur Vorgangsweise nach § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO (Entscheidung in der Sache selbst auf der Basis der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen) zu sehen ist, sodass die Variante des § 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO (Verweisung der Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung bei fehlender Tatsachengrundlage) völlig unberührt bleibt und daher auch im Fall von mangelnden Feststellungen zu den Diversionsvoraussetzungen Anwendung findet.
Dazu kommt, dass prozessuale Tatsachen regelmäßig Umstände betreffen, welche in der Regel problemlos aus den Akten nachvollzogen werden können (zB die Einhaltung der Verfolgungsbefristung nach § 263 Abs 4 StPO oder die Bewilligung der Auslieferung (oder eben deren Fehlen) für das konkret unter Anklage gestellte Verhalten nach § 31 EU‑JZG oder § 23 ARHG), währenddessen die Diversionsvoraussetzungen ua eine Prüfung von Unrecht und Schuld im engeren Sinn (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO; vgl Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 13 ff mwN) sowie präventiver Hindernisse (§ 198 Abs 1 StPO; vgl Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 33 ff mwN) bedingen, wobei ‑ wie die dargestellten Beispiele zeigen ‑ unter Umständen beweiswürdigende Erwägungen zu völlig divergierenden Beweismitteln (und damit iSd § 13 Abs 3 StPO deren unmittelbare Anhörung) notwendig sind, um entsprechende Feststellungen treffen zu können.
Wenn der Oberste Gerichtshof nach der oben dargestellten abweichenden Auffassung die im Rechtsmittel (unter Hinweis auf die von der ersten Instanz ungewürdigt gebliebenen Verfahrensergebnisse) begehrte Diversion zum Nachteil des Angeklagten erledigen will, so müsste der Feststellungsmangel zu den Diversionsvoraussetzungen dadurch saniert werden, dass die Rechtsmittelrichter unter Vorführung (gemeint offenbar durch Verlesung der Aussagen und Urkunden; idS wohl Ratz, WK‑StPO § 288 Rz 42; 13 Os 7/03, SSt 2003/4 = ZVR 2003/100, 357) der dafür heranzuziehenden Beweismittel (auch solcher, die in der Hauptverhandlung noch nicht vorgekommen sind; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 661 iVm Rz 660 mit Blick auf die Vergleichbarkeit der aus § 281 Abs 1 Z 10a StPO entscheidenden Tatsachen mit prozessualen Tatsachen) am Gerichtstag die einander widerstreitenden Beweisergebnisse bewerten und festhalten, dass aus der Sicht des Obersten Gerichtshofs keine ausreichenden Tatsachengrundlagen für ein diversionelles Vorgehen vorliegen.
In beiden dargestellten Fällen würde der Oberste Gerichtshof bei einer geltend gemachten Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 10a StPO infolge eines Feststellungsmangels beweiswürdigend als Tatsacheninstanz einschreiten. Dies birgt eine Konsequenz, welche ‑ insbesondere bei einer negativen, daher am Gerichtstag zu beschließenden Verwerfung des Rechtsmittels ‑ mit den Grundsätzen des Nichtigkeitsverfahrens kaum in Einklang zu bringen ist (vgl Ratz, WK‑StPO Vor §§ 280‑296a Rz 12).
Vorliegend hat das Oberlandesgericht Graz unzutreffend Feststellungsmängel zu einer diversionellen Erledigung angenommen und solcherart ‑ an sich zulässig, im vorliegenden Fall aber verfehlt ‑ eine Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung an das Erstgericht zur „Prüfung eines Vorgehens nach §§ 35 Abs 1 (richtig: nach Abs 2; vgl US 4 in ON 15), 37 SMG“ angeordnet, obgleich inhaltlich die Diversionsvoraussetzungen nach § 35 Abs 2 SMG iVm § 37 SMG auf der Grundlage der übernommenen erstgerichtlichen Feststellungen vorlagen und daher ein Auftrag iSd § 489 Abs 1 StPO iVm § 475 Abs 4 StPO zu erteilen gewesen wäre.
Diese Gesetzesverletzung wirkte sich zum Nachteil der Angeklagten aus, weil bei richtiger Vorgangsweise das Erstgericht nur mehr die diversionelle Erledigung durchzuführen hat. In diesem Umfang war somit der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes Folge zu geben und diese sich zum Nachteil der Angeklagten auswirkenden Gesetzesverletzung auch mit der aus dem Spruch ersichtlichen konkreter Wirkung (§ 292 letzter Satz StPO) zu verknüpfen.
Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch zu verwerfen.
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