OGH 1Ob112/15z

OGH1Ob112/15z27.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, vertreten durch Mag. Marina Breitenecker, Dr. Christine Kolbitsch und Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei C***** T*****, vertreten durch Dr. Christian Burghardt, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 18. Februar 2015, GZ 39 R 389/14s‑53, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 26. September 2014, GZ 25 C 178/12a‑45, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. Oktober 2014, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00112.15Z.0827.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin brachte am 2. 3. 2012 eine der Beklagten am 13. 3. 2012 zugestellte, auf § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG gestützte Aufkündigung ein, in der sie als erheblich nachteiligen Gebrauch geltend machte, die Beklagte verweigere seit drei Monaten den zur Erhebung der Ursache eines Wasserschadens erforderlichen Zutritt zu ihrer Wohnung.

Mit Schriftsatz vom 19. 7. 2012 berief sie sich auf die anlässlich der in einem parallel zur Aufkündigung eingeleiteten Verfahren gemäß § 8 MRG erfolgten Begehung der aufgekündigten Wohnung am 16. 5. 2012 vorgefundene Vermüllung als weiteren Sachverhalt für den herangezogenen Kündigungsgrund.

Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für rechtswirksam und verhielt die Beklagte zur geräumten Übergabe der Wohnung. In rechtlicher Hinsicht ging es davon aus, dass sich die Klägerin ohne Verstoß gegen die Eventualmaxime auf den am 16. 5. 2012 vorgefundenen Zustand der Wohnung berufen könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob die gerichtliche Aufkündigung als rechtsunwirksam auf und wies das auf geräumte Übergabe des Bestandobjekts gerichtete Begehren ab. Die Klägerin habe ihre Aufkündigung darauf gestützt, dass die Beklagte grundlos den Zutritt zur aufgekündigten Wohnung verweigere und damit dringend notwendige Erhaltungsarbeiten verhindere. Bei der ihr erst im Laufe des Verfahrens bekanntgewordenen Vermüllung der Wohnung handle es sich um einen gänzlich neuen Sachverhalt, der wohl auch unter § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG zu subsumieren sei, mit den zur Begründung der Aufkündigung angeführten Tatsachen aber in keinem Zusammenhang stehe. Das nachträglich erstattete Vorbringen begründe daher einen Verstoß gegen die Eventualmaxime und sei daher nicht zu berücksichtigen.

Die geltend gemachte Verhinderung des Zutritts zur aufgekündigten Wohnung verwirkliche den geltend gemachten Kündigungsgrund schon deshalb nicht, weil die Beklagte durch ihr Verhalten notwendige Erhaltungsarbeiten zur Behebung des Wasserschadens gar nicht verhindert habe.

Die Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil zur Frage, ob bei Geltendmachung bestimmter, den ziffernmäßig angeführten Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG individualisierender Tatsachenbehauptungen nachträglich ein gänzlich neuer, mit dem bisherigen Vorbringen in keinerlei Zusammenhang stehender Sachverhalt als Kündigungsgrund geltend gemacht werden könne oder ob dies ein Verstoß gegen die Eventualmaxime sei, oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Es ist nicht strittig, dass der von der Klägerin nachträglich geltend gemachte, anlässlich der Begehung vom 16. 5. 2012 festgestellte Zustand der Wohnung dem Kündigungsgrund des erheblichen nachteiligen Gebrauchs gemäß § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG zuzuordnen ist, auf den sich die Klägerin bereits in ihrem verfahrenseinleitenden Schriftsatz bezogen hat.

2. Zu der vom Berufungsgericht zur Begründung seines Zulassungsausspruchs angeführten Rechtsfrage, ob im Kündigungsverfahren ohne Verstoß gegen § 33 Abs 1 Satz 3 MRG weitere Vorfälle geltend gemacht werden können, wurde bereits in der Entscheidung 3 Ob 69/08f (= immolex 2008/18, 53 [Pfiel]; RIS‑Justiz RS0067602 [T3]) unter Verweis auf die jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ausführlich Stellung genommen. Darin wurde klargestellt, dass es nicht schadet, wenn bei ordentlich bezeichnetem Kündigungsgrund in der Aufkündigung nur einzelne Vorfälle demonstrativ angeführt werden und dann im Rahmen dieses Kündigungsgrundes noch weitere Umstände nachgetragen werden (so auch 2 Ob 165/11w; 1 Ob 58/15h; RIS‑Justiz RS0106599 [T11]). Letztlich schadet es auch nicht, wenn das in der Kündigung erstattete Vorbringen keine weitere Individualisierung enthält, aber im Zuge des Verfahrens die einzelnen Tatbestandsmerkmale behauptet und nachgewiesen werden (vgl RIS‑Justiz RS0106599 [T3 bis T5, T15]). Dadurch darf aber kein Nachschieben eines nicht geltend gemachten Kündigungsgrundes ermöglicht werden (1 Ob 58/15h; Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht³ § 33 MRG Rz 26).

3. Ob eine schlagwortartige Angabe des den Kündigungsgrund individualisierenden Sachverhalts bzw eine demonstrative Aufzählung einzelner Vorfälle vorliegt, sodass eine Konkretisierung durch das Nachtragen weitere Vorfälle ohne Verstoß gegen § 33 Abs 1 Satz 3 MRG möglich ist, betrifft die Auslegung des Parteienvorbringens. Damit im Zusammenhang stehende Fragen begründen, soweit nicht ‑ anders als im vorliegenden Fall ‑ eine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung gegeben ist, regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0042828 [T16, T19, T26, T31, T42]).

4. Das Vorbringen der Klägerin in der Aufkündigung beschränkte sich auf den Vorwurf der Verweigerung des Zutritts zur Wohnung und daraus abgeleitet auf die Verweigerung der Durchführung von Erhaltungsarbeiten, obwohl die Beklagte auf die Dringlichkeit dieser Arbeiten und die Gefährdung der Bausubstanz bei Nichtbehebung des Schadens hingewiesen worden sei. Damit liegt nicht mehr eine bloß schlagwortartige Individualisierung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG bzw eine bloß demonstrative Anführung einzelner nach Ansicht der Klägerin einen erheblich nachteiligen Gebrauch begründender Vorfälle vor. Sie hat sich abschließend auf einen bestimmten Lebenssachverhalt berufen. Der von ihr erst während des Verfahrens wahrgenommene und nachträglich vorgebrachte Zustand der Wohnung (Vermüllung) steht damit in keinem Zusammenhang und konnte daher auch nicht ohne Verstoß gegen § 33 Abs 1 Satz 3 MRG geltend gemacht werden (vgl auch Illedits in Illedits/ReichRohrwig, Wohnrecht2 § 33 MRG Rz 6).

5. Auch sonst zeigt die Revision keine Rechtsfragen von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO auf:

Verweigert der Mieter dem Vermieter den Zugang zum Bestandobjekt, dann verwirklicht ein solches Verhalten nur ausnahmsweise, etwa im Fall einer akuten Gefahrensituation, einen Kündigungsgrund (5 Ob 291/07s; RIS‑Justiz RS0068424 [T1]). Davon kann hier schon deshalb keine Rede sein, weil eine akute, von der Wohnung der Beklagten ausgehende Gefahrensituation gar nie vorlag. Die von der Mieterin des unter der Wohnung der Beklagten gelegenen Objekts wahrgenommene Feuchtigkeit im Versorgungsschacht trat nämlich nicht mehr auf, nachdem Behebungsarbeiten in der darüber liegenden Wohnung durchgeführt worden waren. Darüber hinaus hat bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf verwiesen, dass sich die Beklagte zunächst auch keineswegs einer Zutrittsgewährung widersetzte, sondern wunschgemäß einen Termin vereinbarte, der jedoch wegen eines offenkundigen Missverständnisses nicht eingehalten werden konnte. Zwar blieb unklar, warum die Beklagte zum neuerlichen vereinbarten Termin nicht anwesend war, doch begründet es keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, wenn es dieses Verhalten der Beklagten nicht als derart massiv wertete, dass es eine Aufkündigung des Mietverhältnisses wegen deren Vertrauensunwürdigkeit (dazu RIS‑Justiz RS0020867) rechtfertige.

6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO.

Die Beklagte hat auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision nicht hingewiesen. Ihre Rechtsmittelbeantwortung war damit nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, weshalb ihr ein Kostenersatz nicht zusteht (RIS‑Justiz RS0035962; RS0035979).

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