OGH 1Ob58/15h

OGH1Ob58/15h23.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr.

 Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien (Wiener Wohnen), Wien 8, Doblhoffgasse 6, vertreten durch die Mag. DI Markus Petrowsky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** D*****, vertreten durch Dr. Christian Haas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssaachen Wien als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2015, GZ 40 R 43/14s‑42, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 18. Juni 2013, GZ 42 C 589/11x‑32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00058.15H.0423.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Frage, ob ein erheblich nachteiliger Gebrauch einer Bestandsache im Sinne des § 30 Abs 2 Z 3 MRG vorliegt, ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0068103; s auch RS0021018; bezüglich unleidlichen Verhaltens: RS0042984). Ihr kommt daher ‑ von Fällen einer krassen Fehlbeurteilung abgesehen ‑ keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu. Eine solche zeigt die Revision nicht auf:

2. Den Ausführungen in der Revision ist zwar insoweit zuzustimmen, als es nach neuerer Rechtsprechung genügt, den Kündigungsgrund in der Aufkündigung zu individualisieren, eine schlagwortartige Angabe des Sachverhalts bzw die demonstrative Aufzählung einzelner Vorfälle ausreichend ist, im Zuge des Verfahrens noch weitere Vorfälle nachgetragen werden können (3 Ob 69/08f = RIS‑Justiz RS0067602 [T3] unter Verweis auf 8 Ob 521/95). Letztlich schadet es auch nicht, wenn das in der Kündigung erstattete Vorbringen keine weitere Individualisierung enthält, aber im Zuge des Verfahrens die einzelnen Tatbestandsmerkmale behauptet und nachgewiesen werden (vgl RIS‑Justiz RS0106599 [T3 bis T5, T11, T15]).

Dadurch darf aber kein Nachschieben eines nicht geltend gemachten Kündigungsgrundes ermöglicht werden ( Hausmann/Vonkilch , Österreichisches Wohnrecht 3 § 33 MRG Rz 26).

3. Dass die Vorinstanzen den Standpunkt der klagenden Partei, sie habe in ihrem Beweisantrag vom 4. 12. 2012 die geltend gemachten Kündigungsgründe des erheblich nachteiligen Gebrauchs und der Verleidung des Zusammenlebens zusätzlich dahingehend präzisiert und unter Beweis gestellt, dass der Beklagte schuldhaft einen sanitären Übelstand in seiner Wohnung verursache, welcher nicht nur zu einer Substanzschädigung, sondern auch zu einer beträchtlichen Geruchsbelästigung der übrigen Mitbewohner führe, nicht teilten, ist nicht zu beanstanden. Mit dem Beweisantrag legte die klagende Partei zwar einen Aktenvermerk über „einen sanitären Übelstand in der aufgekündigten Wohnung zum weiteren Nachweis ihres gesamten Vorbringens“. Ihr Vorbringen zu einem sanitären Übelbestand in der Wohnung bezog sich aber nur auf Füttern von Tauben in der Wohnung. Eine beträchtliche Geruchsbelästigung der übrigen Mitbewohner legte sie nicht dar.

Auch ihre Behauptung, das Erstgericht habe weitere Feststellungen über den geltend gemachten sanitären Übelstand und die damit verbundene Geruchsbelästigung für entbehrlich gehalten, weil dieser (bloß noch) nicht in der Aufkündigung geltend gemacht worden sei, trifft in dieser Form nicht zu. Das Erstgericht erläuterte, die klagende Partei habe sich in der (im Oktober 2011 zugestellten [vgl RIS‑Justiz RS0070378]) Aufkündigung darauf bezogen, dass der Beklagte in der Wohnhausanlage Tauben füttere und Fressnäpfe aufstelle. Sie habe andere Umstände die einen erheblich nachteiligen Gebrauch darstellen könnten, zB einen sanitären Übelstand durch die Ansammlung von Müll in der aufgekündigten Wohnung, wodurch es zu einer Geruchsbelästigung im Stiegenhaus komme, nicht geltend gemacht. Deswegen seien dazu keine Feststellungen zu treffen gewesen.

Das Füttern von Tauben durch den Beklagten konnte das Erstgericht für eine Zeit seit dem Jahr 2011 nicht feststellen. Er stellte vielmehr (bloß) Futter für Katzen unter einem Baum bzw Gebüsch in der Grünanlage der Wohnhausanlage (und damit außerhalb der Wohnung) auf.

Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen eines Feststellungsmangels, weil eine Geruchsbelästigung aus der Wohnung nicht konkret vorgebracht worden sei.

Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptung eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls (vgl RIS‑Justiz RS0042828) und stellt, soweit es sich ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ um keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung handelt, regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0042828 [T23]). Ein relevanter sekundärer Feststellungsmangel ist aber nur denkbar, wenn die begehrte Feststellung von einem konkreten Tatsachenvorbringen der Partei erfasst ist (vgl RIS‑Justiz RS0053317).

4. Nach den Feststellungen legte der Beklagte im Jahr 2011 und während des Kündigungsverfahrens kein für Tauben bestimmtes Futter mehr aus und fütterte nur noch frei lebende Katzen in der Wohnhausanlage. Zu einer von der Revisionswerberin als nach wie vor bestehend behaupteten „Taubenplage“, hielt das Erstgericht aber tatsächlich fest, dass sich nicht mehr so viele Tauben wie früher im Bereich des Grundstücks vor der Stiege 8 aufhielten, die Verschmutzung des Gehwegs zu dieser Stiege bzw einzelner Hausbewohner durch herabfallenden Taubendreck nicht in einem Zusammenhang mit einem Verhalten des Beklagten stand und auch andere Hausbewohner zumindest gelegentlich die Katzen fütterten. Dass durch Katzen im Jahr 2011 der Spielplatz verunreinigt worden sei, sodass er von Kindern nicht mehr hätte genützt werden können, konnte das Erstgericht nicht feststellen. Anders als im Jahr 2008 wurde von den Hausbewohnern im Jahr 2011 ein Auftreten von Ratten im Bereich der Wohnhausanlage nicht festgestellt.

5. In der Ansicht des Berufungsgerichts, dass aus den Feststellungen nicht mit ausreichender Sicherheit abgeleitet werden könne, dass das unter Bäumen und im Gebüsch für Katzen aufgestellte Futter, das der Beklagte offenbar vornehmlich auch in der Nacht anbringe, auch zur besonderen Anlockung von Tauben führe bzw für diese bestimmt sei, und daher der Kündigungsgrund nicht verwirklicht sei, liegt jedenfalls keine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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