OGH 15Os154/14g

OGH15Os154/14g26.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. August 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leisser als Schriftführerin in der Medienrechtssache der Antragstellerin Lucia R***** gegen die Antragsgegnerin A***** GesmbH wegen §§ 6 Abs 1, 7 Abs 1, 9 Abs 1 MedienG, AZ 93 Hv 95/10m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 7. Februar 2012, GZ 93 Hv 95/10m‑52, und des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 18. November 2014, AZ 18 Bs 187/14b (ON 66 der Hv‑Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie über den in Ansehung dieser Beschlüsse gestellten Antrag der A***** GesmbH auf Erneuerung des Verfahrens nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, der Vertreterin der Antragstellerin, Mag. Faustmann und des Vertreters der Antragsgegnerin, Mag. Zechbauer, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00154.14G.0826.000

 

Spruch:

 

1./ Der Erneuerungsantrag wird zurückgewiesen.

2./ Die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 7. Februar 2012, GZ 93 Hv 95/10m‑52, und des Oberlandesgerichts Wien vom 18. November 2014, AZ 18 Bs 187/14b, verletzen durch die Beschränkung der Bestimmung der auf die Gegenäußerung der Antragsgegnerin zur gänzlich erfolglosen Berufung der Antragstellerin entfallenden Kosten auf ein Viertel des verzeichneten Betrags an Stelle des vollen Betrags jeweils § 390a Abs 1 erster Satz StPO iVm § 8a Abs 1 MedienG.

 

Gründe:

In der Medienrechtssache der Antragstellerin Lucia R***** gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH wurde die Antragsgegnerin mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. Jänner 2011, GZ 93 Hv 95/10m‑17, in Ansehung von Veröffentlichungen vom 31. August 2010 und vom 1. September 2010 im periodischen Druckwerk „h*****“ sowie eines seit 29. August 2010 auf der Internetseite http://www.h ***** abrufbaren Artikels nach § 6 Abs 1 MedienG zu Entschädigungszahlungen verpflichtet. Betreffend eine Veröffentlichung vom 10. September 2010 wurde der Entschädigungsantrag abgewiesen.

Den dagegen gerichteten Berufungen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 14. November 2011, AZ 18 Bs 125/11f (ON 34 der Hv‑Akten), jeweils nicht Folge.

Im Kostenpunkt wurde ausgesprochen: „Gemäß § 390a Abs 1 StPO iVm den §§ 8a Abs 1, 41 Abs 1 MedienG haben die Antragstellerin ein Viertel und die Antragsgegnerin drei Viertel der Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen, jedoch mit Ausnahme der jeweils durch ihr eigenes, ganz erfolglos gebliebenes Rechtsmittel verursachten Kosten, welche je zur Gänze selbst zu tragen sind“.

In der Begründung dazu führte das Oberlandesgericht abschließend aus, dass entgegen dem endgültigen Ausgang des Verfahrens, wonach die Antragstellerin ein Viertel und die Antragsgegnerin grundsätzlich drei Viertel der Verfahrenskosten zu tragen haben, die Parteien aufgrund ihrer jeweils gänzlich erfolglos gebliebenen Rechtsmittel je in den Ersatz der gesamten durch dieses Rechtsmittel verursachten Kosten zu verfällen waren (US 27 f).

Mit Schriftsatz vom 14. November 2011, „berichtigt“ am 22. Dezember und am 3. Jänner 2012, begehrte die Antragsgegnerin die Bestimmung der ihr von der Antragstellerin zu ersetzenden Verfahrenskosten (ON 35, 38, 45).

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 7. Februar 2012 (ON 52) wurden die von der Antragstellerin der Antragsgegnerin zu ersetzenden Prozesskosten mit 693,35 Euro bestimmt; unter anderem wurde der Antragsgegnerin für ihre Gegenausführung zur gänzlich erfolglosen Berufung der Antragstellerin lediglich ein Viertel des beantragten Betrags zuerkannt.

Mit Beschluss vom 18. November 2014, AZ 18 Bs 187/14b (ON 66), gab das Oberlandesgericht Wien durch eine Einzelrichterin der gegen den letzten Punkt gerichteten Beschwerde der Antragsgegnerin nicht Folge.

Gegen die oben bezeichneten Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht brachte die Antragsgegnerin einen im Dezember 2014 beim Obersten Gerichtshof eingelangten, auf die Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Schutz des Eigentums nach Art 1 1. ZPMRK gestützten Antrag auf Verfahrenserneuerung gemäß § 363a StPO per analogiam (RIS‑Justiz RS0122228) iVm § 41 Abs 1 MedienG ein.

Die Generalprokuratur macht in ihrer gegen diese Beschlüsse erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes eine Verletzung von § 390a Abs 1 erster Satz StPO iVm § 8a Abs 1 MedienG geltend.

 

Rechtliche Beurteilung

Zum Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens:

Bei einem nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag (§ 363a StPO per analogiam) handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen (Art 34 und 35 MRK) sinngemäß auch für derartige Anträge (RIS‑Justiz RS0122737; RS0128394).

Nach der solcherart sinngemäß anzuwendenden (dem Grundsatz „de minimis non curat praetor“ folgenden) Bestimmung des Art 35 Abs 3 lit b MRK (vgl dazu Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 13 Rz 53 ff; Meyer‑Ladewig, EMRK3 Art 35 Rz 53 ff) erklärt der Gerichtshof eine (nach Art 34 erhobene) Individualbeschwerde für unzulässig, wenn er der Ansicht ist, dass dem Beschwerdeführer kein erheblicher Nachteil entstanden ist, es sei denn, die Achtung der Menschenrechte, wie sie in dieser Konvention und den Protokollen dazu anerkannt sind, erfordert eine Prüfung der Begründetheit der Beschwerde, und vorausgesetzt, es wird aus diesem Grund nicht eine Rechtssache zurückgewiesen, die noch von keinem innerstaatlichen Gericht gebührend geprüft worden ist.

Die Anwendung des Unzulässigkeitsgrundes nach Art 35 Abs 3 lit b MRK hat somit drei Voraussetzungen:

1./ Dem Beschwerdeführer darf kein erheblicher Nachteil erwachsen sein. Diesem Kriterium liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Behauptung einer Rechtsverletzung nur dann die Untersuchung durch einen internationalen Gerichtshof rechtfertigt, wenn sie ein Mindestmaß an Schwere aufweist (EGMR 1. 7. 2010, 25551/05, Korolev/Russland). Berücksichtigung findet jener Nachteil, den der Beschwerdeführer auf nationaler Ebene erlitten hat, wobei auch ‑ jedoch nicht ausschließlich ‑ die finanziellen Auswirkungen auf diesen einbezogen werden (vgl EGMR 19. 1. 2010, 22051/07, Bock/Deutschland). Die wirtschaftliche Lage des Beschwerdeführers ist daher bei der Beurteilung von Bedeutung (vgl RIS‑Justiz RS0128030 [T1 in Betreff der Konstatierung eines nicht erheblichen Nachteils durch Abweisung einer Berufung gegen ein Urteil, mit dem eine Schadenersatzklage des Beschwerdeführers, einer natürlichen Person, über 90 Euro abgewiesen worden war]; EGMR 19. 10. 2010, 18774/09, Rinck/Frankreich [betreffend eine Verkehrsstrafe von 150 Euro zuzüglich 22 Euro Kosten]; Meyer‑Ladewig, EMRK3 Art 35 Rz 55 f).

2./ Die Beschwerde kann auch ohne Vorliegen eines erheblichen Nachteils nur dann für unzulässig erklärt werden, wenn die Achtung der Menschenrechte der Konvention keine Überprüfung der Beschwerde in der Sache erfordert. Damit sollen Beschwerden, die zwar für den Betroffenen nur geringfügige Nachteile verursachen, gleichwohl aber eine schwerwiegende Frage der Anwendung oder Auslegung der Konvention oder wichtige Fragen des innerstaatlichen Rechts aufwerfen, einer Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zugeführt werden (Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 13 Rz 54). Nach dessen Rechtsprechung kann dies etwa dann der Fall sein, wenn Bedarf besteht, eine aus der Konvention erwachsende Verpflichtung eines Staats klar zu stellen, oder einen Vertragsstaat dazu zu bewegen, ein strukturelles Defizit zu lösen, das andere Personen betrifft, die sich in der gleichen Position wie der Beschwerdeführer befinden (RIS‑Justiz RS0128052).

3./ Art 35 Abs 3 lit b MRK verlangt schließlich, dass die Rechtssache bereits von einem innerstaatlichen Gericht gebührend geprüft wurde. Erforderlich ist, dass über die dem Rechtsschutzbegehren vor dem nationalen Gericht zugrunde liegende Rechtsfrage (vgl RIS‑Justiz RS0128237) entschieden worden ist (Meyer‑Ladewig, EMRK3 Art 35 Rz 58). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird diesem Prüfungskriterium entsprochen, wenn der Beschwerdeführer die Möglichkeit hatte, seine Angelegenheit im Rahmen einer kontradiktorischen Debatte vor mindestens einer gerichtlichen Instanz vorzubringen (EGMR 1. 6. 2010, 36659/04, Ionescu/Rumänien).

Alle drei Voraussetzungen für die Unzulässigerklärung der Beschwerde iSd Art 35 Abs 3 lit b MRK liegen für den gegenständlichen Erneuerungsantrag vor:

Das Beschwerdeinteresse betrifft im vorliegenden Fall drei Viertel der für die Gegenausführung begehrten Honorierung von insgesamt 661,10 Euro (inkl USt; vgl ON 45 S 3 und ON 52), somit einen Betrag von 495,83 Euro (inkl USt). Dieser behauptete finanzielle Nachteil ist für die ein Verlagsunternehmen betreibende Erneuerungswerberin nach Lage des Falls als nicht erheblich einzustufen. Zudem betrifft der geltend gemachte Anspruch nicht die dem Verfahren zugrunde liegende Medienrechtssache, sondern bloß die Frage der Kostentragung (als Folge der Entscheidung in der Hauptsache), mit der ein in seinem Aufgabenbereich auch im Strafverfahren auf wichtige Fälle konzentriertes Höchstgericht (vgl die vom Gesetzgeber in § 528 Abs 2 Z 3 ZPO normierte Beschränkung für das Zivilverfahren) ohne essentielle Notwendigkeit nicht zu befassen ist. Des Weiteren berührt die hier streitverfangene Rechtsfrage des Kostenrechts weder die Anwendung oder Auslegung der Menschenrechtskonvention noch einen grundlegenden Bereich des gesetzlichen Eingriffstatbestands (Art 1 des 1. ZPMRK). Diese Rechtsfrage wurde schließlich unter Erörterung des Standpunkts der Erneuerungswerberin vom Oberlandesgericht Wien in zweiter Instanz geprüft.

Der somit unzulässige Erneuerungsantrag war daher gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zurückzuweisen.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes:

Diese zeigt zutreffend auf, dass die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 7. Februar 2012 und des Oberlandesgerichts Wien vom 18. November 2014 mit dem Gesetz nicht im Einklang stehen:

Bei mehreren Rechtsmitteln sind die Voraussetzungen der Kostenersatzpflicht gemäß § 390a Abs 1 erster Satz StPO nach dem jeweiligen Erfolg gesondert zu beurteilen. Ist das Rechtsmittel der Antragstellerin gänzlich erfolglos geblieben, so hat sie sämtliche darauf entfallenden (dadurch „verursachten“) Kosten zu tragen. Dazu gehören auch die auf die diesbezügliche Gegenäußerung entfallenden Kosten der Antragsgegnerin (RIS‑Justiz RS0108345 [T6]), was in der (grundsätzlichen) Kostenentscheidung des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht im Urteil vom 14. November 2011 auch hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt.

Indem sowohl das Erstgericht als auch das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht im Verfahren über die Bestimmung der dem Gegner zu ersetzenden Kosten (§ 395 StPO) die auf die Gegenäußerung zur Berufung der Antragstellerin entfallenden Kosten der Antragsgegnerin lediglich mit einem Viertel der verzeichneten Kosten anerkannten, haben sie dieser ‑ in der Kostengrundsatzentscheidung des Oberlandesgerichts als Berufungsgericht noch beachteten ‑ Vorschrift nicht entsprechend Rechnung getragen.

Im Hinblick auf die bereits dargestellte Unzulässigkeit des Antrags auf Erneuerung des Verfahrens sah sich der Oberste Gerichtshof in der gegenständlichen Medienrechtssache, die in der Hauptsache im Strafverfahren entschiedene zivilrechtliche Ansprüche (Art 1 1. ZPMRK) der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin betrifft, nicht veranlasst, die Feststellung der aufgezeigten Gesetzesverletzung mit die Rechtskraft und die geschützte Rechtsposition (vgl RIS‑Justiz RS0124740) der Antragstellerin durchbrechender konkreter Wirkung im Kostenpunkt zu verbinden.

Im Übrigen beruht jeglicher ‑ formal berechtigter ‑ Kostenanspruch der Antragsgegnerin im gegenständlichen Verfahren auf einer vom Obersten Gerichtshof als materiell unrichtig erkannten Grundlage (s 15 Os 11/13a, 15 Os 12/13y), sodass auch kein Anlass bestand, das insoweit bestehende „Kostenunrecht“ durch Zuerkennung konkreter Wirkung aufgrund der gegenständlichen Gesetzesverletzung zu vergrößern.

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