European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0150OS00011.13A.1113.000
Spruch:
In der Medienrechtssache der Antragstellerin Lucia R***** gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH wegen §§ 6 ff MedienG verletzen die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. Jänner 2011, GZ 93 Hv 95/10m-17, und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. November 2011, AZ 18 Bs 125/11f (ON 34), § 7 Abs 1 MedienG.
Gründe:
In der Medienrechtssache der Antragstellerin Lucia R***** gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH wurde die Antragsgegnerin mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. Jänner 2011, GZ 93 Hv 95/10m‑17, zur Zahlung von Entschädigungen nach § 6 Abs 1 MedienG verpflichtet. Nach dem Ausspruch des Erstgerichts wurde in den Ausgaben des periodischen Druckwerks „H*****“ vom 31. August 2010 auf Seite 14 und vom 1. September 2010 auf Seite 11 sowie in einem am 29. August 2010 auf der Internetseite http://www.h *****.at abrufbaren Artikel durch die Behauptung, die Antragstellerin sei ein „Callgirl“ bzw eine Prostituierte, in Medien in Bezug auf die Antragstellerin der objektive Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB hergestellt.
Dazu traf das Erstgericht folgende wesentliche Feststellungen:
Am 31. August 2010 wurde in der Zeitung „H*****“ auf Seite 14 unter der Überschrift „Erster Verdächtiger (41) im Callgirl-Mord festgenommen“ und den Subtiteln „Zugriff in der Wohnung von Sasa N. (41) in Hernals: Verdächtiger und Opfer Lucia R. (+22) kannten sich, Zeugen und Telefonliste bestätigen häufigen Kontakt: Tatmotiv könnte Streit über Privatkredit gewesen sein“ ein Artikel veröffentlicht, dem ein Foto der Antragstellerin mit dem Untertitel „Lucia R. (+22): Tod nach Messerangriff“ angeschlossen war.
Am 1. September 2010 wurde in der Zeitung „H*****“ auf Seite 11 ein Folgeartikel veröffentlicht, in dem neuerlich über den Mord an Lucia R. berichtet wurde und dem wiederum das Foto der Antragstellerin beigefügt war.
Seit 29. August 2010 war auf der Internetseite http://www.h *****.at ein Bericht über den Mord an Lucia R., die als „legale Prostituierte“ bezeichnet wurde, abrufbar. Auch dieser Artikel zeigte ein Foto der Antragstellerin.
Jedem dieser Berichte entnahm der Leser, dass es sich bei der (abgebildeten) Antragstellerin um eine bestialisch ermordete Prostituierte handelt. Tatsächlich lebt die Antragstellerin als Studentin in der Slowakei und ist nicht ident mit dem Mordopfer Lucia R. (US 8 und 10).
In rechtlicher Hinsicht sah das Erstgericht nur den Tatbestand des § 6 Abs 1 MedienG, nicht jedoch jenen des § 7 Abs 1 MedienG als verwirklicht an, weil im Rahmen berufsmäßiger Prostitution die Sexualität nach außen getragen werde und solcherart der Privatsphäre entzogen sei.
Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Antragstellerin wegen Nichtigkeit, Schuld und „Strafe“ gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 14. November 2011, AZ 18 Bs 125/11f (ON 34), nicht Folge.
Zur Begründung führte es (ua) aus, die bloße Behauptung, jemand gehe der Prostitution nach, wäre nicht dem Tatbestand des § 7 Abs 1 MedienG zu unterstellen, weil Angelegenheiten des Geschäfts- oder Berufslebens nicht zum höchstpersönlichen Lebensbereich zählen. Prostitution sei „durch landesgesetzliches Regelwerk mit Registrierung, Kontrolluntersuchungen, steuerrechtlicher Erfassung und Pflichtversicherung gesellschaftlich anerkannt als Beruf institutionalisiert worden.“ Die bloße Weitergabe der „Sachinformation“, jemand übe den Beruf der Prostitution aus, ohne dass gleichzeitig Details aus der Sexualpraxis ausgebreitet werden, sei nicht dem durch § 7 MedienG geschützten Bereich zuzuordnen (ON 34 S 13).
Rechtliche Beurteilung
Die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien stehen, wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Wird in einem Medium der höchstpersönliche Lebensbereich eines Menschen in einer Weise erörtert oder dargestellt, die geeignet ist, ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen, so hat der Betroffene nach § 7 Abs 1 MedienG gegen den Medieninhaber Anspruch auf eine Entschädigung.
Zum höchstpersönlichen Lebensbereich zählen jedenfalls das Leben in und mit der Familie, die Gesundheitssphäre und das Sexualleben (RIS‑Justiz RS0122148; Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley MedienG² § 7 Rz 6 f und 9). Das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Bloßstellung beschreibt die Gefahr einer mit dem medialen Eindringen in eine schutzwürdige Privatsphäre verbundenen Beschädigung der persönlichen Integrität (vgl Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley MedienG² § 7 Rz 17). Bezogen auf das Schutzgut der Privatsphäre wirken insbesondere jene Erörterungen und Darstellungen bloßstellend, die dem Einzelnen die Chance auf Selbstbestimmung über das der Umwelt eröffnete Persönlichkeitsbild nehmen.
Bei Angelegenheiten der intimsten Sphäre verletzt jede Informationsteilhabe durch Außenstehende per se die persönliche Integrität, weil sensible Informationen vor einer weder eingrenzbaren noch beherrschbaren Öffentlichkeit ausgebreitet werden. In solchen Fällen wirkt also bereits die mediale Indiskretion als solche bloßstellend und braucht eine weitere nachteilige Auswirkung nicht besonders nachgewiesen werden (RIS-Justiz RS0124514 [T1]).
Unter Prostitution wird generell die Vornahme oder Duldung des Beischlafs und/oder anderer geschlechtlicher Handlungen gegen Entgelt verstanden. Unbeschadet eines bestehenden gesetzlichen Rahmens zur Prostitutionsausübung betrifft die Behauptung, eine Person gehe der (legalen oder illegalen, regelmäßigen oder gelegentlichen) Prostitution nach, somit nicht ausschließlich deren Berufs- sondern auch ihr Sexualleben. Häufig wird Prostitution unter einem gewissen Zwang oder Druck, aber auch heimlich oder - etwa zum Schutz der persönlichen Sicherheit und des Rufes - unter Verschleierung der wahren Identität (durch Verwendung eines Pseudonyms und/oder Veränderung der Erkennbarkeit) ausgeübt; vielfach lassen Betroffene sogar ihr engeres familiäres und soziales Umfeld im Dunkeln über ihre Tätigkeit (vgl etwa 15 Os 40/07g). Aufgrund all dieser Umstände unterscheidet sich Prostitutionsausübung von anderem Geschäfts- oder Berufsleben, das im Allgemeinen (vgl RIS-Justiz RS0087667; Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley MedienG² § 7 Rz 13; Rami in WK2 MedienG § 7 Rz 4) nicht dem von § 7 Abs 1 MedienG geschützten Bereich zugeordnet wird.
Durch die bloße Bezeichnung einer Person als Prostituierte in einer Publikation kann auch ihr nicht bloß eine „abgeschlossene Lebensphase“ betreffender höchstpersönlicher Lebensbereich (ihr Sexualleben) in einer Weise erörtert und dargestellt werden, die geeignet ist, sie in der Öffentlichkeit bloßzustellen, und zwar unabhängig davon, ob darüber hinaus weitere Details aus ihrer Sexualpraxis erörtert werden (aM OLG Wien 18 Bs 28/95, MR 1997, 17; Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley MedienG² § 7 Rz 14). Ein derartiger Bericht ist tatbestandsmäßig im Sinn des § 7 Abs 1 MedienG, wenn er der betroffenen Person die Chance auf Selbstbestimmung über das der Umwelt (aus freien Stücken) eröffnete Persönlichkeitsbild über ihr Sexualleben nimmt.
Demnach wurde fallbezogen durch den wahrheitswidrigen Bericht, die Antragstellerin wäre der Prostitution nachgegangen, der Tatbestand des § 7 Abs 1 MedienG verwirklicht. Ausschlussgründe im Sinn des § 7 Abs 2 (insbesondere Z 2 und 3) MedienG wurden nicht behauptet.
Die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien, die die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 MedienG verneinten, gereichen der Antragsgegnerin, der in diesem Verfahren nach dem Mediengesetz gemäß § 41 Abs 6 zweiter Satz MedienG die Rechte der Angeklagten zukommen, allerdings nicht zum Nachteil, sodass es mit der Feststellung der aufgezeigten Gesetzesverletzung sein Bewenden hat.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)