European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00089.15G.0715.000
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.561,22 EUR bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin enthalten 426,87 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
In einem von der Klägerin geführten Vorprozess, in dem sie ursprünglich von der Beklagten vertreten war, kam es während eines laufenden, zum Zweck der Führung von Vergleichsgesprächen vereinbarten Ruhens zum Vollmachtswechsel von der Beklagten auf eine andere Vertreterin (die nunmehrige Klagevertreterin), der insgesamt 28 Gerichtsverfahren, davon zum Teil sehr umfangreiche Bauverfahren, erfasste. Vergleichsgespräche kamen jedoch gar nicht zustande. Dennoch erfolgte die Verfahrensfortsetzung durch die neue Klagevertreterin erst etwa zweieinhalb Monate nach Ablauf der Ruhensfrist, was die Klageabweisung im Vorprozess wegen nicht gehöriger Fortsetzung zur Folge hatte.
Während das Erstgericht die Schadenersatzklage der Klägerin abwies, weil es die behaupteten Anwaltsfehler der Beklagten verneinte, ging das Berufungsgericht davon aus, die Beklagte habe eine kausale, subjektiv vorwerfbare Verletzung ihrer nachvertraglichen Aufklärungspflicht zu vertreten; ein allfälliges Verschulden der neuen Klagevertreterin sei der Klägerin nicht zuzurechnen. Deshalb hob es das Ersturteil zur Verfahrensergänzung auf. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde zugelassen, weil zur Frage, wie weit in die Zukunft die nachvertraglichen Aufklärungspflichten eines Rechtsanwalts reichen, „kaum Judikatur“ des Obersten Gerichtshofs vorhanden sei. Zudem fehle höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob ein Mandant, der seinen früheren Anwalt wegen eines Anwaltsfehlers auf Schadenersatz klagt, sich als Mitverschulden zurechnen lassen müsse, dass sein neuer Anwalt aufgrund von Unzulänglichkeiten den Fehler nicht „ausgemerzt“ habe.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise auf Aufhebung in die zweite Instanz. Zusammengefasst erblickt die Beklagte in der Bejahung ihrer Haftung eine Überspannung ihrer nachvertraglichen Aufklärungspflichten, weil sie darauf vertrauen habe können, dass der Mandant die relevanten Informationen an den neuen Rechtsvertreter weitergebe, und darauf, dass sich dieser umgehend und umfassend einen Überblick über die Aktenlage mache und/oder Erkundigungen einhole. Wegen der der neuen Vertretung offenstehenden restlichen Ruhensfrist von sechs, jedenfalls aber drei Wochen, fehle es an einem unmittelbar anstehenden Erfordernis oder einem alsbaldigen Fristablauf, über das von der Beklagten zu informieren gewesen sei. Der Verlust des Vorprozesses sei nur durch dessen verspätete Fortsetzung durch die neue Klagevertreterin kausal verursacht worden. Diese habe gar keinen Fehler der Beklagten ausmerzen müssen, weil diese ihre Sorgfaltspflichten gegenüber der Klägerin nicht verletzt habe. Die Untätigkeit der neuen Klagevertreterin müsse sich die Klägerin als Mitverschulden zurechnen lassen, weil es sich beim Verhältnis zwischen der Klägerin und ihrem neuen Rechtsanwalt um eine direkte Stellvertretung handle.
Die Klägerin trat dem in ihrer Rekursbeantwortung inhaltlich entgegen und wies auf die Unzulässigkeit des Rekurses hin.
Aufgrund des Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist dessen Aufhebungsbeschluss grundsätzlich anfechtbar, bedarf zu seiner Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof allerdings der Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO. Gemäß § 526 Abs 2 ZPO ist der Oberste Gerichtshof bei Prüfung der Zulässigkeit des Rekurses nicht an die Beurteilung der zweiten Instanz gebunden. Ist eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu lösen, ist der Rekurs als nicht zulässig zurückzuweisen (3 Ob 186/14w), was hier der Fall ist. Die Begründung dieser Zurückweisung kann sich auf die Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO):
Rechtliche Beurteilung
1.1. Die Beklagte tritt der Existenz nachvertraglicher Pflichten eines Rechtsanwalts bei Beendigung des Mandatsverhältnisses ‑ zutreffend (vgl RIS‑Justiz RS0107081 und RS0119485) ‑ nicht entgegen.
Besteht auch nur die Möglichkeit, dass ein Anspruch verjähren könnte, hat der Rechtsanwalt, sofern damit keine Nachteile für seinen Mandanten verbunden sind, zur Vermeidung der Verjährung die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, selbst wenn bei nicht eindeutiger Rechtslage die Ansicht vertretbar wäre, die Verjährung würde ohnedies nicht eintreten (RIS‑Justiz RS0038719). Es gehört also zu den allgemein zu erwartenden Sorgfaltspflichten des Anwalts, seinen Mandanten vor der erkennbaren Gefahr der Verjährung seines Anspruchs zu schützen (RIS‑Justiz RS0038682 [T14] = RS00112203 [T6]). Ob ein Rechtsanwalt im Einzelfall die gebotene Sorgfalt eingehalten hat, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls geprüft werden und stellt deshalb regelmäßig keine Frage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0026584 [T17 und T21]).
1.2. Unter diesen Prämissen ist die Rechtsansicht der zweiten Instanz, die Beklagte hätte es als ungewiss betrachten müssen, ob sich die neue Klagevertreterin bis zum maßgeblichen Zeitpunkt in den Vorprozess einlesen und dabei auf das Ruhen des Verfahrens und die Notwendigkeit zur Stellung eines Fortsetzungsantrags stoßen würde; sie hätte daher die neue Klagevertretung als ihre Nachfolgerin ganz konkret auf das Ruhen und dessen Ende aufmerksam machen, also klar machen müssen, dass hier ein dringlicher Fortsetzungsantrag erforderlich sein könnte, vom Obersten Gerichtshof nicht zu beanstanden.
1.3. Die gegenteilige Argumentation der Rekurswerberin übergeht, dass der neuen Klagevertreterin das Ruhen des Vorprozesses weder aus den übermittelten Unterlagen (Gerichtsstücke [ohne Protokoll vom 27. Oktober 2010] und Aktenübersicht) ersichtlich war noch mündlich mitgeteilt wurde. Ihre Kenntnis von der Notwendigkeit der Stellung eines Fortsetzungsantrags durfte daher ebensowenig unterstellt werden, wie das Bewusstsein einer dafür einzuhaltenden, nur etwa vierwöchigen Frist (gerechnet ab der tatsächlichen Aktenübergabe zum Jahresende). Deshalb musste die Beklagte, die angesichts des ihr bekannten Verhaltens des Geschäftsführers der Klägerin auch nicht auf die Führung ernsthafter Vergleichsgespräche vertrauen durfte, jedenfalls in Betracht ziehen, die neue Klagevertreterin werde davon ausgehen, dass die Fortsetzung des Verfahrens dem Prozessgericht obliege und daher bei Beurteilung der gehörigen Fortsetzung des Verfahrens iSd § 1497 ABGB stets ein großzügiger Maßstab anzulegen sei (vgl RIS‑Justiz RS0109334 [T1], RS0034681). Die Beklagte musste also die Gefahr erkennen, es könnte deshalb durch Versäumung eines rechtzeitigen Fortsetzungsantrags zur (später tatsächlich eingetretenen) Verjährung der Klageforderung im Vorprozess kommen.
In dieser konkreten Situation (zu der auch die große Anzahl an übertragenen Akten gehört) ist angesichts der dargestellten Rechtslage an der ‑ noch dazu leicht erfüllbaren und schon deshalb nicht überspannten ‑ Pflicht der Beklagten (auch im Sinn der gegenüber der Klägerin gemachten Zusage, ihren neuen Anwalt mit einer geordneten und vollständigen Aktenübergabe zu unterstützen), die neue Vertretung der Klägerin über das Ruhen unmissverständlich zu informieren, um eine mögliche Verjährung wegen nicht gehöriger Fortsetzung des Vorprozesses zu vermeiden, nicht ernsthaft zu zweifeln.
1.4. Außerdem hat das Berufungsgericht (unbeanstandet) festgestellt, dass die neue Klagevertreterin im Fall einer entsprechenden Information entweder Vergleichsverhandlungen erreicht oder bei Scheitern der Bemühungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Prozessfortsetzung beantragt hätte. Die Kausalität der diesbezüglichen, der Beklagten zur Last fallenden Unterlassung für die Abweisung der Klage im Vorprozess (wegen nicht gehöriger Fortsetzung) ist somit zu bejahen.
2. Zum wiederholten Vorwurf der Beklagten, die Klägerin/ihr Geschäftsführer hätte die neue Klagevertreterin (selbst) informieren können/müssen, genügt der Hinweis auf die Zusage der Beklagten, den neuen Anwalt mit einer geordneten und vollständigen Aktenübergabe zu unterstützen; schon deshalb lag es an der Beklagten, diesem die notwendigen Informationen zu geben.
3. Das Berufungsgericht hat seine Rechtsansicht, die Klägerin müsse sich einen allfälligen Sorgfaltsverstoß ihrer neuen Vertreterin bei der Fortsetzung des Vorprozesses nicht zurechnen lassen, mehrfach alternativ begründet, darunter mit dem Hinweis auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofs, wonach der frühere Rechtsanwalt, der einen schadenskausalen Fehler beging, und der neue Rechtsanwalt, der einen ebenso schadenskausalen anderen Fehler beging, dem Mandanten kumulativ nach § 1302 ABGB ‑ also solidarisch ‑ haften (RIS‑Justiz RS0107081; vgl auch RS0109618). Gegen diese eigenständige Begründung trägt der Rekurs nichts vor, sodass sich eine Auseinandersetzung mit dem einzigen Argument des Rekurses (direkte Stellvertretung) erübrigt, weil keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO (RIS‑Justiz RS0123222).
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