OGH 10ObS145/14t

OGH10ObS145/14t16.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch Mag. Markus Hager, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Invaliditätspension, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Aufhebungsbeschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. September 2014, GZ 12 Rs 76/14d-56, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. Mai 2014, GZ 19 Cgs 96/11f-52, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00145.14T.1216.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die am ***** 1956 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war von März 1994 bis März 2008 als Reinigungskraft beschäftigt.

Auf Grund eines vor dem Landesgericht Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht am 9. 2. 2011 zu 3 Cgs 192/09b geschlossenen Vergleichs bezog die Klägerin eine vom 1. 3. 2009 bis 30. 6. 2011 befristete Invaliditätspension.

Mit Bescheid vom 1. 6. 2011 lehnte die beklagte Partei den Weitergewährungsantrag mit der Begründung ab, die Klägerin sei wieder imstande, eine auf dem Arbeitsmarkt bewertete Tätigkeit auszuüben.

Das Erstgericht wies das gegen diesen Bescheid erhobene Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin die Invaliditätspension vom 1. 7. 2011 bis 28. 2. 2014 zu gewähren, (unbekämpft) ab. Dem weiteren Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 3. 2014 bis 29. 2. 2016 zu leisten, wurde hingegen dahin Folge gegeben, dass ausgesprochen wurde, dieses Klagebegehren besteht dem Grunde nach zu Recht; unter einem wurde der beklagten Partei für diesen Zeitraum die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von 700 EUR monatlich aufgetragen. Das Mehrbegehren, der Klägerin die Invaliditätspension über den 29. 2. 2016 hinaus unbefristet zu gewähren, wurde (unbekämpft) abgewiesen.

Im Revisionsverfahren ist nur noch die Frage strittig, ob die Klägerin imstande ist, von ihrem Wohnort in zumutbarer Weise einen ausreichenden regionalen Arbeitsmarkt zu erreichen.

Dazu traf das Erstgericht ‑ zusammengefasst ‑ bisher folgende Feststellungen:

„Die zuletzt von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit einer Reinigungskraft überschreitet auf Grund der stark eingeschränkten physischen Belastbarkeit das medizinische Leistungskalkül. Die mögliche Arbeitszeit ist auf 30 Wochenstunden bei einem Sechs-Stunden Arbeitstag und einer Fünf‑Tage‑Arbeitswoche beschränkt. Die Klägerin kann öffentliche Verkehrsmittel benützen. Bei Anfahrtszeiten von über einer Stunde muss das Verkehrsmittel über eine Toilettenmöglichkeit verfügen. Die Klägerin kann eine Wegstrecke von 500 m in einer Zeit von 20 bis 25 Minuten zurücklegen. Bis Februar 2014 war sie aus medizinischer Sicht imstande, ihren Wohnsitz zu verlegen. Aufgrund einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ist ihr seit Februar 2014 eine Übersiedlung nicht mehr möglich. Wochenpendeln ist ihr bereits seit Antragstellung nicht mehr zumutbar. Tagespendeln ist hingegen seit der Antragstellung möglich, wobei die Zeitdauer pro Strecke jeweils für die Hin- und Rückfahrt eine Stunde mit einem Spielraum von plus oder minus 15 Minuten nicht übersteigen darf.

Ausgehend vom medizinischen Leistungskalkül kommen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die Klägerin noch Berufstätigkeiten als Kassiererin in Kulturstätten (Museen, Ausstellungen) sowie Sportstätten in Frage; weiters Tätigkeiten in der Parkraumbewirtschaftung oder als Tagportierin. Österreichweit gibt es mehr als 100 Teilzeitarbeitsplätze, die das Leistungskalkül der Klägerin nicht überschreiten.

Bei einer Teilzeitbeschäftigung von 30 Wochenstunden in den genannten Verweisungstätigkeiten beträgt der Monatslohn einschließlich anteiliger Sonderzahlungen zumindest 1.249,55 EUR brutto bzw 1.055,27 EUR netto.

Die Klägerin wohnt in L***** (Gemeinde T***** an der P*****). Die Wegstrecke von ihrem Wohnhaus bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels beträgt 10 Minuten Fußweg. Vor dort ist zu den üblichen Arbeitsbeginn- und Endzeiten mit dem öffentlichen Verkehrsmittel lediglich S***** erreichbar. In der Region S***** gibt es weniger als 30 freie oder besetzte Teilzeitarbeitsplätze, die nicht kalkülsüberschreitend sind. Die Klägerin besitzt einen Führerschein. Ihr Ehemann, mit dem sie im gemeinsamen Haushalt wohnt, ist bereits in Pension. Er ist Eigentümer eines PKW, den er nicht regelmäßig benötigt. Mit dem PKW kann man vom Wohnort der Klägerin W*****, G*****, E*****, B***** und S***** erreichen. In diesen Regionen gibt es weit mehr als 30 freie oder besetzte Arbeitsstellen in den der Klägerin noch möglichen Verweisungstätigkeiten. Bei T***** an der P***** handelt es sich um eine „Pendler-Gemeinde“. Es fahren relativ viele Einwohner zur Arbeit in andere Orte. Es kann nicht festgestellt werden, ob es dort ortsüblich ist, dass die Erwerbstätigen mit dem eigenen PKW auspendeln.“

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, bei dem in den Verweisungstätigkeiten erzielbaren monatlichen Nettoeinkommen sei eine Wohnsitzverlegung grundsätzlich zumutbar. Bis zur Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin im Februar 2014 sei der gesamte österreichische Teilstellen- Arbeitsmarkt für die Beurteilung heranzuziehen, auf dem es mehr als 100 Teilzeitarbeitsplätze in den der Klägerin möglichen Verweisungstätigkeiten gebe. Ab der Verschlechterung des Gesundheitszustands im Februar 2014, der eine Wohnsitzverlegung unzumutbar machte, sei hingegen nur mehr der regionale Arbeitsmarkt maßgeblich. Es komme ausschließlich darauf an, ob für einen Versicherten von seiner Wohnung aus zumutbarerweise zu Fuß die Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels erreichbar sei, das zu den üblichen Arbeitszeiten andere Orte anfahre. Dies sei bei der Klägerin der Fall, sodass ihr Wohnort an den öffentlichen Verkehr angebunden sei. Da die Klägerin mit öffentlichen Verkehrsmitteln zumutbarerweise nur S***** erreichen könne, wo es aber keine ausreichende Anzahl von Teilzeitarbeitsplätzen gebe, stehe ihr ab 1. 3. 2014 kein ausreichender Arbeitsmarkt zur Verfügung, weshalb sie ab diesem Zeitpunkt als invalid anzusehen sei. Die Verwendung eines privaten PKWs für die Fahrt zum Arbeitsplatz oder zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel könne nicht verlangt werden. Nicht maßgeblich seien statistische Aufzeichnungen über das Pendlerverhalten in der Wohnsitzgemeinde eines Versicherten. Die Entscheidung eines Erwerbstätigen, statt eines öffentlichen Verkehrsmittels den Privat-PKW für die Fahrt zur Arbeit zu benützen, könne nämlich nicht nur in der schlechten Aufschließung durch öffentliche Verkehrsmittel liegen, sondern auch in persönlicher Bequemlichkeit oder anderen Gründen. Trete eine Änderung des Gesundheitszustands während des Verfahrens ein (hier mit Februar 2014), sei die sich daraus ergebende Änderung zu berücksichtigen. Es sei nicht mehr der ursprüngliche Stichtag (hier: der 1. 3. 2009) maßgeblich, sondern werde ein neuer Stichtag ausgelöst. Die Klägerin, für die infolge ihres Alters von über 50 Jahren zum 1. 1. 2014 weiterhin die Rechtslage vor dem SRÄG 2012 zur Anwendung komme, habe somit Anspruch auf die im Ausmaß der gesetzlichen Höchstdauer von 24 Monaten von 1. 3. 2014 bis 29. 2. 2016 befristete Invaliditätspension.

Gegen diese Entscheidung erhob nur die beklagte Partei Berufung.

Das Berufungsgericht gab dieser Berufung Folge und hob das Ersturteil im angefochtenen Umfang (für den Zeitraum 1. 3. 2014 bis 29. 2. 2016) auf. Nach Einsicht in google maps, den digitalen Ortsplan von T***** an der P***** und den Fahrplan der ÖBB legte es seiner Entscheidung zu Grunde, der Wohnort der Klägerin gehöre zwar zur Gemeinde T***** an der P*****, liege aber von diesem Ort gut 3 km weit entfernt. Vom Bahnhof in T***** sei G***** mit der Bahn in rund einer halben Stunde zu erreichen und W***** in 42 bis 50 Minuten. Berücksichtige man den regionalen Teilzeitstellen- Arbeitsmarkt auch in diesen beiden Orten, wären wesentlich mehr als 30 Arbeitsplätze für die Klägerin erreichbar. Vom Wohnhaus der Klägerin sei der Bahnhof T***** rund 3,4 km weit entfernt, wobei sich auf beiden Seiten der Bahngeleise Park- und Ride Parkplätze befänden. Sei der Wohnort des Versicherten abgelegen und daher durch öffentliche Verkehrsmittel kaum oder schlecht erschlossen, sodass die Wege zum und vom Arbeitsplatz bzw zum und vom nächsten öffentlichen Verkehrsmittel üblicherweise mit dem privaten Fahrzeug zurückgelegt werden, sei zu berücksichtigen, ob der Versicherte die Wege zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte, gegebenenfalls zur Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels, in zumutbarer Weise mit einem privaten Fahrzeug zurücklegen kann. Durch öffentliche Verkehrsmittel schlecht aufgeschlossen sei ein Wohnort dann, wenn auch andere Versicherte in vergleichbarer Situation zur Erreichung des Arbeitsplatzes auf die Verwendung eines privaten Fahrzeugs angewiesen seien, also üblicherweise die Wege von und zum Arbeitsplatz bzw von und zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel mit dem privaten Fahrzeug zurückgelegt werden. Festellungen, ob die in L***** wohnhaften Erwerbstätigen sich üblicherweise mit dem PKW zur Arbeit (etwa nach G***** oder in den Großraum W*****) begeben bzw ob sie nicht zumindest mit dem PKW zum nahegelegenen Bahnhof T***** fahren und dann auspendeln, fehlen jedoch. Dies werde im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein. Sollten die anderen Erwerbstätigen von L***** überwiegend mit dem Auto zu ihren Arbeitsplätzen anreisen, werde es auch der Klägerin zumutbar sein, den ihr in der Familie zur Verfügung stehenden PKW (- ihr Gatte ist bereits in Pension -) zu verwenden. Dass das in den genannten Verweisungstätigkeiten zu erzielende Monatseinkommen niedrig sei, falle nicht ins Gewicht, weil die Strecke zum Bahnhof T***** nur 3 km betrage und von dort das kostengünstige öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung stehe. Da das Verfahren ergänzungsbedürftig sei, sei das Ersturteil für den Zeitraum 1. 3. 2014 bis 29. 2. 2016 aufzuheben.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage vorliege, ob ein Ort, der zwar an eine Buslinie angebunden sei (hier Erreichbarkeit von S*****), aus welchem aber die Bewohner üblicherweise mit dem Auto auspendeln, weil sie ihre Arbeitsplätze (etwa in W***** oder G*****) mit dem Bus nicht erreichen können, im Sinne der Rechtsprechung „kaum oder nur schlecht durch öffentliche Verkehrsmittel aufgeschlossen“ sei. Treffe das nicht zu bzw komme es nur auf die Anbindung an ein einziges Verkehrsmittel an, stelle sich die Frage nach der Zumutbarkeit der Benützung eines privaten PKW nicht und erübrigten sich die vom Berufungsgericht ergänzend aufgetragenen Feststellungen.

Der Rekurs ist zur Klarstellung zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Vorweg ist festzuhalten, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Invaliditätspension zum Stichtag 1. 3. 2014 neu zu prüfen sind. Die ständige Rechtsprechung, wonach ein ‑ wie hier ‑ fristgerechter Weitergewährungsantrag im Fall des lückenlosen Weiterbestehens von Invalidität keinen neuen Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit und ebenso keinen neuen Stichtag iSd § 223 Abs 2 ASVG auslöse (vgl RIS-Justiz RS0105152), sodass die Frage des Berufsschutzes nach jenem Stichtag zu beurteilen sei, der der Gewährung der Invaliditätspension zugrunde gelegen sei (vgl RIS-Justiz RS0083653), ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil das Klagebegehren auf Weitergewährung der bis 30. 6. 2011 befristet gewährten Invaliditätspension für den Zeitraum bis 28. 2. 2014 (rechtskräftig) abgewiesen worden ist und damit kein lückenloses Weiterbestehen der Invalidität vorliegt (10 ObS 12/14h; RIS‑Justiz RS0083653 [T1]).

1.2 Dass die Klägerin die „Weitergewährung“ der befristeten Leistung und nicht die „Neugewährung“ begehrt und die beklagte Partei auch über die Gewährung der Leistung zu einem späteren Stichtag nicht mittels Bescheids entschieden hat, ist kein Hindernis für eine Sacherledigung. Im Hinblick darauf, dass bei einer behaupteten Änderung des Gesundheitszustands das Gericht das Beweisverfahren bei sonstiger Mangelhaftigkeit auch in dieser Richtung durchzuführen hat (vgl § 87 ASGG; dazu Neumayr in ZellKomm2 § 87 ASGG Rz 5), bedurfte es keines neuen Leistungsantrags. Das auf Weitergewährung der befristeten Leistung gerichtete Klagebegehren umfasst daher auch das Eventualbegehren auf Neugewährung der Pensionsleistung, sollte die Befristung doch berechtigt gewesen sein, inzwischen aber die Voraussetzungen für eine Neugewährung vorliegen (vgl 10 ObS 116/93, SSV‑NF 7/92 zum Fall der Entziehung einer Leistung).

2. Es ist daher zu prüfen, ob Invalidität der Klägerin zum Stichtag 1. 3. 2014 gegeben war: Dabei ist zu berücksichtigen, dass die teilweise Neuregelung des Invaliditätsrechts durch das Sozialrechts‑Änderungsgesetz 2012, BGBl I 2013/3, mit 1. 1. 2014 für Personen gilt, die am 1. 1. 2014 das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Auf Personen, die ‑ wie die am ***** 1956 geborene Klägerin ‑ am 1. 1. 2014 das 50. Lebensjahr bereits vollendet hatten, sind die bisherigen Regelungen weiter anzuwenden (vgl § 669 Abs 5 ASVG).

2.1 Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG ist auch dann eingetreten, wenn der Versicherte (aus medizinischen Gründen) nicht mehr imstande ist, in zumutbarer Weise einen Arbeitsplatz zu erreichen. Ob diese Voraussetzung besteht, ist eine Rechtsfrage, die ausgehend von den Tatsachenfeststellungen über die körperlichen und geistigen Einschränkungen des Versicherten zu klären ist. Es sind dazu Feststellungen erforderlich, welche Strecke der Versicherte zu Fuß zu bewältigen imstande ist, ob er in der Lage ist, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen und welche Einschränkungen dabei allenfalls bestehen (RIS-Justiz RS0085098). Nach der Rechtsprechung ist ein Versicherter solange nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, als er ohne wesentliche Einschränkungen ein öffentliches Verkehrsmittel benützen und vorher sowie nachher ohne zumutbare Pausen eine Wegstrecke von jeweils 500 m zurücklegen kann (RIS‑Justiz RS0085049).

2.2 Es ist nicht strittig, dass die Klägerin - mit den im Einzelnen festgestellten Einschränkungen- gesundheitlich in der Lage ist, diesen durchschnittlichen Anforderungen hinsichtlich der Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen nachzukommen.

2.3 Strittig ist, ob die Klägerin aufgrund ihres in einer kleinen Ortschaft gelegenen Wohnorts, imstande ist, in zumutbarer Weise einen adäquaten Arbeitsplatz zu erreichen.

Bei Beurteilung dieser Frage kommt es grundsätzlich nicht auf die Verhältnisse am Wohnort des Versicherten, sondern auf die Verhältnisse am allgemeinen Arbeitsmarkt an, weil der Versicherte sonst durch die Wahl seines Wohnorts die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pension beeinflussen könnte. Ein abgelegener Wohnort des Versicherten, hat daher als persönliches Moment ebenso wie andere persönliche Umstände ‑ wie etwa die mangelhafte Beherrschung der Landessprache ‑ bei der Beurteilung der geminderten Arbeitsfähigkeit grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (RIS-Justiz RS0085017, RS0084871). Sofern nicht medizinische Gründe entgegenstehen, hat der Versicherte daher durch entsprechende Wahl seines Wohnorts, allenfalls Wochenpendeln, die Bedingungen für die Erreichung des Arbeitsplatzes herzustellen, die für Arbeitnehmer im Allgemeinen gegeben sind (RIS-Justiz RS0085017 [T7]). Diese Grundsätze gelten in der Regel auch für die Verweisung auf Teilzeitarbeitsplätze (RIS-Justiz RS0085017 [T8]).

2.4 Im vorliegenden Fall ist der Klägerin das Verlegen ihres Wohnsitzes aufgrund der Verschlechterung ihres Gesundheitszustands seit 1. 3. 2014 nicht mehr möglich. Ist ihr ab diesem Zeitpunkt nur Tagespendeln, nicht aber auch Wochenpendeln und Übersiedeln zumutbar, sind im Einzelfall konkrete Feststellungen darüber erforderlich, ob im Umkreis der ihr möglichen Gehstrecke oder in dem durch die Benützbarkeit eines Massenverkehrsmittels erweiterten Umkreis, eine entsprechende Zahl von adäquaten Arbeitsplätzen zur Verfügung steht (RIS-Justiz RS0084994).

2.5 Steht einem Pensionswerber nur der regionale Arbeitsmarkt offen, müssen auf dem von ihm erreichbaren Teilarbeitsmarkt nicht mindestens 100 für ihn geeignete Arbeitsplätze zur Verfügung vorhanden sein, sondern genügt es, wenn es in der betreffenden Region für zumutbare Verweisungstätigkeiten eine solche Zahl von offenen oder besetzten Stellen gibt, die die Annahme rechtfertigen, dass ein Arbeitsfähiger einen solchen Arbeitsplatz auch erlangen kann (RIS-Justiz RS0084415). Die Grenze wird von der Rechtsprechung bei etwa 30 Arbeitsplätzen gezogen (10 ObS 51/08k, SSV-NF 22/55). Diese Grenze wäre im vorliegenden Fall nach den vom Erstgericht getroffenen Festellungen unterschritten, weil in S***** - als jenem Ort, der mit dem zu Fuß erreichbaren Verkehrsmittel angefahren werden kann - weniger als 30 für die Klägerin in Frage kommende Teilzeitarbeitsplätze vorhanden sind.

2.5.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Versicherter, der nicht in der Lage ist, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen, grundsätzlich nicht verpflichtet, den Weg zum Arbeitsplatz mit dem eigenen Kraftfahrzeug zurückzulegen (RIS-Justiz RS0085083). Ist der Wohnort des Versicherten abgelegen und daher durch öffentliche Verkehrsmittel kaum oder schlecht erschlossen, sodass die Wege zum und vom Arbeitsplatz bzw zum und vom nächsten öffentlichen Verkehrsmittel üblicherweise mit dem privaten Fahrzeug zurückgelegt werden, ist aber dennoch zu berücksichtigen, ob der Versicherte die Wege zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte, gegebenenfalls zur Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels, in zumutbarer Weise mit einem privaten Fahrzeug zurücklegen kann (RIS‑Justiz RS0084907; RS0085083 [T1]).

2.5.2 Das Erstgericht vertrat die Ansicht, bereits die Erreichbarkeit eines (einzigen) öffentlichen Verkehrsmittels zu Fuß bewirke, dass der Wohnort eines Versicherten als durch öffentliche Verkehrsmittel erschlossen anzusehen sei, weshalb mangels einer ausreichenden Anzahl in S***** vorhandener Teilzeitarbeitsplätze die Invaliditätspension zuzusprechen und keine weiteren Feststellungen zur Zumutbarkeit der Erreichbarkeit anderer öffentlicher Verkehrsmittel unter Verwendung eines privaten PKWs erforderlich seien. Demgegenüber geht das Berufungsgericht davon aus, durch öffentliche Verkehrsmittel schlecht aufgeschlossen gelte ein Wohnort dann, wenn auch andere Versicherte in vergleichbarer Situation zur Erreichung des Arbeitsplatzes auf die Verwendung eines privaten Fahrzeugs angewiesen seien, also üblicherweise die Wege von und zum Arbeitsplatz bzw von und zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel mit dem privaten Fahrzeug zurückgelegt werden. Dem setzt die Rekurswerberin in ihrem Rechtsmittel nur entgegen, nicht das übliche Pendlerverhalten der Bewohner einer Gemeinde sei für die Frage der Zumutbarkeit der Benutzung eines eigenen PKW maßgeblich, sondern ob ein Versicherter auf den Gebrauch eines privaten Fahrzeugs angewiesen sei, um „auch sonst am gesellschaftlichen Leben in irgendeiner Form Teil zu nehmen“. Dies sei bei ihr jedoch nicht der Fall, weil sie zu Fuß in kurzer Zeit eine Bushaltestelle erreichen könne.

2.5.3 Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Andernfalls stünde einem Versicherten, dem eine Übersiedlung und Wochenpendeln nicht mehr zumutbar ist, die Möglichkeit offen, bei der Beurteilung der geminderten Arbeitsfähigkeit die Leistungsgewährung zu beeinflussen (siehe oben Pkt 2.2), indem er seinen Wohnort an der - zu Fuß erreichbaren - Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels wählt, wenn mit diesem Verkehrsmittel lediglich ein Ort mit einem nicht zureichenden regionalen Arbeitsmarkt angefahren werden kann. Auch das von der Rekurswerberin angesprochene Angewiesensein auf den privaten PKW, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, hat als rein der persönlichen Sphäre zurechenbares Element bei der Beurteilung der geminderten Arbeitsfähigkeit außer Betracht zu bleiben. Im Sinne der bisherigen Rechtsprechung ist zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung eines privaten PKW vielmehr das Kriterium maßgeblich, ob in einer bestimmten Wohngegend üblicherweise die Wege zum und vom Arbeitsplatz bzw zum und vom nächsten öffentlichen Verkehrsmittel mit dem privaten Fahrzeug zurückgelegt werden.

2.6 Dazu hat das Erstgericht bisher die Feststellung getroffen, dass es sich bei T***** an der P***** um eine „Pendlergemeinde“ handle. Nach den der Berufungsentscheidung ergänzend zu Grunde gelegten Prämissen könnte die Klägerin bei Verwendung eines Kraftfahrzeugs für die Fahrt von ihrem Wohnort zur nächstgelegenen Bahnstation T***** an der P***** bzw zurück in der ihr für ein Tagespendeln zumutbaren Weise zur Verfügung stehenden Zeit auch andere Orte als S***** erreichen, nämlich G***** und W*****, wo es ‑ eine bisher noch nicht näher festgestellte ‑ weitere Anzahl von ihrem Leistungskalkül entsprechenden Teilzeitarbeitsplätzen gibt. Nach den Feststellungen des Erstgerichts verfügt die Klägerin über eine Lenkerberechtigung und ist im Familienverband ein PKW vorhanden. Im fortgesetzten Verfahren wird daher über die vom Berufungsgericht als notwendig erachteten Sachverhaltsergänzungen hinaus auch noch festzustellen sein, ob dieses Fahrzeug der Klägerin tatsächlich für ihre regelmäßig an jedem Arbeitstag erforderlichen Fahrten zum und vom Bahnhof T***** an der P***** zur Verfügung stehen würde bzw ob die Klägerin an jenen Tagen, an denen der Ehegatte das Fahrzeug benötigt, von diesem zum Bahnhof gebracht werden könnte.

Da eine Ergänzung des Verfahrens jedenfalls erforderlich ist, war dem Rekurs der Klägerin nicht Folge zu geben und der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts zu bestätigen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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