OGH 26Os1/14p

OGH26Os1/14p11.12.2014

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 11. Dezember 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Angermaier und Dr. Hofmann sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Danzl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tagwerker als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Mag. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 18. Jänner 2013, AZ D 109/12, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Dr. Plöchl, des stellvertretenden Kammeranwalts Dr. Roehlich und des Verteidigers Prof. Dr. Wennig zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0260OS00001.14P.1211.000

 

Spruch:

Der Berufung des Beschuldigten wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis in der Subsumtion der Tat als Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) sowie demzufolge im Strafausspruch aufgehoben.

Über den Beschuldigten wird für das ihm weiterhin zur Last liegende Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt.

Mit ihren Berufungen wegen Strafe werden der Beschuldigte und der Kammeranwalt auf die vorstehende Entscheidung verwiesen.

Im Übrigen wird den Berufungen nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Mag. ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt.

Demnach hat er die am 2. Februar 2012 (in Bezug auf den Inhalt einer Besprechung, ES 3 f) mit der Gegenseite vereinbarte Vertraulichkeit verletzt, indem er in einem E-Mail vom 16. März 2012 Nichtteilnehmer an diesem Gespräch, nämlich drei Richter des Handelsgerichts, auf den Verteiler setzte und sie dadurch von dem Gespräch informierte. Über ihn wurde dafür die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt.

Hingegen wurde er vom Vorwurf, er habe in einer Eingabe vom 20. März 2012 zu 42 Cg 123/09t des Handelsgerichts Wien Korrespondenz mit der Kanzlei J*****, welche in diesem Verfahren nicht vertritt, und dem Vorstand der gegnerischen Partei, Mag. S*****, vorgelegt und damit versucht, negative Stimmung gegen die gegnerische Partei A***** AG aufzubauen, freigesprochen.

Dagegen richten sich die Berufung des Beschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld (vgl RIS‑Justiz RS0128656) sowie die Berufung des Kammeranwalts wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe.

Rechtliche Beurteilung

Zum Schuldspruch:

Der Einwand des Beschuldigten, „das angefochtene Erkenntnis“ sei „unzureichend begründet“, entzieht sich mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung (§ 470 Z 1 StPO, § 77 Abs 3 DSt) eines allein damit behaupteten Beweiswürdigungsdefizits (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO; vgl RIS-Justiz RS0118317, RS0116732, RS0108609) einer inhaltlichen Erwiderung.

Seine Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld iSd § 464 Z 2 erster Fall StPO (die vor der Rechtsrüge zu prüfen ist, 25 Os 10/14d mN) ‑ weckt keine Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen den im angefochtenen Erkenntnis vom Disziplinarrat festgestellten (vgl RIS‑Justiz RS0092588) Bedeutungsgehalt der Verschwiegenheitsvereinbarung und Inhalt des in Rede stehenden E-Mails.

Der Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) kommt insoweit Berechtigung zu, als die Unterstellung der Tat (auch) unter § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt unzutreffend ist. Denn für die vom Disziplinarrat neben der rechtlichen Beurteilung als Berufspflichtenverletzung getroffene rechtliche Annahme einer Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes bieten die Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis keine tragfähige Grundlage, ließ sich doch aus dem E‑Mail der Bruch einer Verschwiegenheitsverpflichtung nicht erkennen. Den auf den Verteiler gesetzten Richtern des Handelsgerichts Wien blieb daher der Verstoß gegen die Vereinbarung verborgen. Ehre und Ansehen des Standes sind demnach durch die festgestellte Tat nicht betroffen (RIS-Justiz RS0054876, RS0055086).

Das Vorbringen gegen die Beurteilung der Tat als Berufspflichtenverletzung (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) ‑ ein Rechtsanwalt muss eine freiwillig geschlossene Vereinbarung einhalten und zu seinem Wort stehen (vgl 10 Bkd 3/91 mwN, AnwBl 1992/4234 [Strigl]) ‑ geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus (vgl aber RIS‑Justiz RS0099658).

Dafür, dass der Beschuldigte über einen Inhalt der Besprechung (vgl ES 4) auch Richter des Handelsgerichts Wien informieren musste, liegt übrigens nach den Konstatierungen des Disziplinarrats kein erkennbarer rechtfertigender Grund vor.

Ein Vorgehen nach § 3 DSt (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) setzt ein mit Blick auf den vom Disziplinarrat festgestellten Sorgfaltsverstoß (ES 5 f) hier nicht vorliegendes im Vergleich zu Durchschnittsfällen der Deliktsverwirklichung deutlich abfallendes Gewicht der Pflichtverletzung voraus (RIS-Justiz RS0056585) und scheidet daher aus.

Zum Freispruch:

Die Berufung des Kammeranwalts wegen des Ausspruchs über die Schuld (RIS-Justiz RS0128656) schlägt fehl.

Der Verfahrensrüge (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) ist zu erwidern, dass Zeugen nur über die Wahrnehmung von Tatsachen auszusagen haben (§ 154 Abs 1 StPO). Welchem Zweck ‑ hier nach dem Vorbringen des Kammeranwalts: dem „Aufbau einer negativen Störung“ ‑ eine Handlung des Beschuldigten gedient haben soll, ist demnach nicht Gegenstand des Zeugenbeweises (RIS‑Justiz RS0097540).

Aus demselben Grund ist die ‑ zulässige (vgl Ratz, WK‑StPO § 464 Rz 2) ‑ neuerliche Antragstellung im Rahmen der Berufung gegen den Ausspruch über die Schuld in der Bedeutung des § 464 Z 2 erster Fall StPO nicht zielführend.

Der bloße Vorwurf unzureichender Begründung (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) der vom Disziplinarrat getroffenen Feststellungen, wonach nur vereinbart war, über den Inhalt der Vergleichsgespräche Stillschweigen gegenüber Dritten zu bewahren, nicht jedoch darüber, dass überhaupt Vergleichsgespräche geführt wurden (ES 3 f), lässt die gebotene (§ 470 Z 1 StPO, § 77 Abs 3 DSt) deutliche und bestimmte Bezeichnung eines Begründungsmankos vermissen. Diesbezüglich wurde übrigens auch keine Unvollständigkeit der Beweiswürdigung (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO) geltend gemacht.

Der Einwand von Undeutlichkeit (§ 281 Abs 1 Z 5 erster Fall StPO) der Feststellung, dass der Beschuldigte am 20. März 2012 beim Handelsgericht Wien die Fortsetzung des bis dahin ruhenden Verfahrens beantragte und in dieser Eingabe „zur Information“ des Gerichts auch ein Schreiben des Anzeigers an den Beschuldigten vom 12. März 2012 sowie eine im Erkenntnis näher beschriebene E‑Mail‑Korrespondenz vorlegte (ES 5), trifft nicht zu: Der behauptete Begründungsmangel liegt dann vor, wenn nicht unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Gründen festgestellt wurde oder auch aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (RIS‑Justiz RS0117995). Davon kann hier keine Rede sein.

Soweit der Kammeranwalt, worauf sein an den Einwand von „Undeutlichkeit“ geknüpftes weiteres Vorbringen hinweist, zusätzliche Feststellungen vermisst, wäre es an ihm gelegen, aus dem Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO einen Feststellungsmangel geltend zu machen (vgl dazu RIS-Justiz RS0118580).

Die einen Rechtsfehler (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 611) behauptende Rechtsrüge (der Sache nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) lässt mit dem Vorbringen, „ausgehend von den vom Disziplinarrat getroffenen Feststellungen hätte dieser, bei zutreffender rechtlicher Beurteilung, jedenfalls mit einer disziplinären Verurteilung vorzugehen gehabt“, offen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen welche rechtliche Konsequenz hätte abgeleitet werden sollen (RIS‑Justiz RS0117247; vgl auch RS0116569, RS0116565).

Zur Straffrage:

Die Berufung des Kammeranwalts wegen des Ausspruchs über die Strafe strebt anstelle des schriftlichen Verweises eine Geldbuße von 3.500 Euro an.

Der Oberste Gerichtshof sieht sich angesichts dessen, dass neben Unbescholtenheit unter den konkreten Umständen bloß ein geringes disziplinäres Vergehen vorliegt, das keinen Schaden nach sich gezogen hat, nicht zu einer Korrektur bestimmt.

Beiden Berufungen war demnach ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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