OGH 7Ob201/14f

OGH7Ob201/14f26.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** K*****, vertreten durch Dr. Heinz Meller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** I*****, vertreten durch Dr. Ernst Blasl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. September 2014, GZ 38 R 211/14g‑26, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00201.14F.1126.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Der beklagte Mieter hat unstrittig die Hauptmietrechte an der Wohnung nicht gemäß § 12 Abs 1 MRG an seinen volljährigen Sohn abgetreten. Die Ausführungen des Klägers zur fehlenden Möglichkeit einer Anhebung des Mietzinses gemäß § 46 MRG haben keinen Bezug zur begehrten Aufkündigung.

2. Im Fall der erwiesenen Weitergabe einer Wohnung ist nur der Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG als die hiefür getroffene speziellere Regelung anzuwenden und nicht § 30 Abs 2 Z 6 MRG (RIS‑Justiz RS0070500; zuletzt 4 Ob 231/10i mwN).

3. Der Kündigungsgrund der Weitergabe des Mietgegenstands nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG setzt die gänzliche (oder dieser gleichzustellende) Weitergabe und das Fehlen eines dringenden Bedarfs des Mieters oder eintrittsberechtigter Personen (§ 14 Abs 3 MRG) voraus. Unter Weitergabe wird jede entgeltliche oder unentgeltliche Gebrauchsüberlassung verstanden (RIS‑Justiz RS0070718; RS0070650). Für die Überlassung des Mietgegenstands an Eintrittsberechtigte, die diesen Kündigungsgrund ausschließt, ist das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Abtretung der Mietrechte nach § 12 Abs 1 MRG nicht erforderlich (RIS‑Justiz RS0069472). Anders als im Fall der Mietrechtsabtretung nach § 12 MRG, die zu einem Vertragsübergang führt und deshalb eine darauf gerichtete Willenseinigung zwischen Alt‑ und Neumieter erfordert, geht es hier um die Überlassung des Mietgegenstands an Dritte, also um den tatsächlichen Vorgang des Verlassens der Wohnung durch den Mieter und deren Übernahme durch einen Dritten, die zu keiner Änderung der Parteien des bestehenden Mietvertrags führt. Dies erfordert nur eine ‑ hier erfolgte ‑ Willenseinigung über den tatsächlichen Vorgang des Verlassens der Wohnung durch den Mieter und deren Übernahme durch den Dritten (3 Ob 129/13m = immolex 2014/13, 48 [ Reiber ] = VbR 2014/16, 25 [ Oswald ], insofern zustimmend Pesek , Wohnungsweitergabe an einen Minderjährigen als Kündigungsgrund?, EF‑Z 2014/70, 114 f). Die Ansicht des Klägers, der unter Weitergabe im Sinn des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG „eine Abtretung im Sinn des § 12 MRG“ verstehen will, verkennt (worauf bereits das Berufungsgericht hinwies), dass bei einer wirksamen Abtretung der Mietrechte der Beklagte nicht mehr Mieter wäre und das gegen ihn gerichtete Kündigungsbegehren aus diesem Grund unberechtigt wäre (8 Ob 531/94 mwN).

Die Überlassung an Eintrittsberechtigte ‑ wie hier an den Sohn des Beklagten ‑ stellt keinen Kündigungsgrund dar (RIS‑Justiz RS0069472). Bei Weitergabe der gemieteten Wohnung an eine eintrittsberechtigte Person muss diese ‑ neben den weiteren Voraussetzungen des § 14 Abs 3 MRG ‑ auch ein dringendes Wohnbedürfnis haben, um dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 MRG wirksam entgegentreten zu können (RIS‑Justiz RS0070493). Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung des Eintrittsrechts bei einer solchen Weitergabe ist ‑ entgegen der Ansicht des Klägers ‑ jener der Weitergabe (RIS‑Justiz RS0069472 [T3]). Nach den Feststellungen bestand im Zeitpunkt des Auszugs des Beklagten mit seinem nun weiterhin die Wohnung nutzenden, nicht anderweitig wohnversorgten Sohn ein gemeinsamer Haushalt. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG liegt ‑ wovon die Vorinstanzen zutreffend ausgingen ‑ nicht vor.

4. Der Oberste Gerichtshof teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers zu § 30 Abs 2 Z 4 MRG nicht. Auch insoweit liegt dazu keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO vor (RIS‑Justiz RS0116943). Der Verfassungsgerichtshof hat bereits aus Anlass der Anfechtung des MG von Landesseite ausgesprochen, dass (unter anderem) durch die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen weder der Gleichheitsgrundsatz noch der Grundsatz der Unverletzlichkeit des Eigentums verletzt werden, weil nur eine Eigentumsbeschränkung vorliegt, welche aber durch ein Gesetz angeordnet werden dürfe (VfSlg 1.123/1928; siehe auch 5 Ob 542/77 = EvBl 1977/255 = RZ 1977/124, 243). Das muss auch für das MRG gelten, hat doch der Verfassungsgerichtshof die genannte Rechtsprechung offenbar nie aufgegeben (4 Ob 517/92 mwN = RIS‑Justiz RS0070167; siehe 2 Ob 562/88 = MietSlg 40.424). Der EGMR ( Mellacher ua gegen Österreich, Nr 13/1988/157/211 ‑ 213 = ÖJZ 1990/3 [MRK] = JBl 1990, 507: Bemessung und Herabsetzung des Mietzinses; Spadea und Scalabrino gegen Italien, Nr 23/1994/470/551 = ÖJZ 1996/7 [MRK]: gesetzlicher Räumungsaufschub) hat bereits festgehalten, dass den Staaten im Bereich der Wohnungspolitik ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt ist. Der österreichische Gesetzgeber befasste sich anlässlich der Erlassung des MRG eingehend mit den verfassungs‑ und konventionsrechtlichen Bestimmungen (ErläutRV 425 BlgNR XV. GP, 32 ff). Zum Kündigungsschutz (den Kündigungsbeschränkungen) führte er aus, dass dieser ein Instrument der Mietengesetzgebung sei, das sich bewährt habe, weil dieses System mit dem Wesen des in der Regel als langfristiges Dauerschuldverhältnis gedachten und gewollten Mietverhältnisses vereinbar sei und im Besonderen auch der Forderung Rechnung trage, jenen Personen soziale Sicherheit zu geben, die ihrer bedürftig seien (ErläutRV aaO 35). Dem einfachen Gesetzgeber steht ein Gestaltungsspielraum verfassungsrechtlich insofern zu, als er in seinen rechtspolitischen und wirtschaftlichen Zielsetzungen frei ist (RIS‑Justiz RS0053889; RS0117654), sofern keine unsachliche Ungleichbehandlung vorliegt (vgl RIS‑Justiz RS0072903; RS0053889 [T28]). Eine solche vermag der Kläger hinsichtlich des hier allein präjudiziellen Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG nicht aufzuzeigen.

Der Oberste Gerichtshof findet daher auch keinen Anlass, der Anregung auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 Abs 1 B‑VG näherzutreten.

5. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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