OGH 8Ob531/94

OGH8Ob531/9431.8.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Langer, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Albert S*****, Kaufmann,

2. Maria Luise S*****, Haushalt, beide *****vertreten durch Dr.Karl Zingher und Dr.Madeleine Zingher, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Rudolf M*****, Angestellter, *****vertreten durch Dr.Helene Klaar, Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 16.November 1993, GZ 41 R 874/93-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 6.Juni 1993, GZ 18 C 283/92h-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben; die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

Text

Begründung

Der Beklagte war Hauptmieter der Wohnung Nr 10 in dem den klagenden Parteien gehörigen Haus *****. Mit Schreiben vom 5.November 1991 teilte er den klagenden Parteien mit, daß er diese Wohnung verlassen habe und sie seiner Tochter Karin M*****, die seit ihrer Geburt im gemeinsamen Haushalt gelebt habe, abtrete. Gleichzeitig teilte Karin M***** die Übernahme der Wohnung mit 11.November 1991 mit. Die klagenden Parteien erwiderten dem Beklagten mit Schreiben vom 31. Jänner 1992, daß ein Eintrittsrecht seiner Tochter bestritten werde.

Die klagenden Parteien kündigten das Mietverhältnis mit dem Beklagten bezüglich dieser Wohnung zum 31.März 1992 auf und brachten vor, daß der Beklagte die Wohnung bereits verlassen und ohne Vorliegen der Voraussetzungen seiner Tochter überlassen habe, sodaß eine gänzliche Weitervermietung vorliege. Soweit den klagenden Parteien bekannt sei, habe der Beklagte ein eigenes Haus gebaut und mit seiner Familie bezogen. Für die klagenden Parteien bestehe dringender Eigenbedarf, weil sie aus beruflichen Gründen von Linz nach Wien übersiedeln müßten und in Wien über keine andere Wohnung verfügten.

Der Beklagte erhob gegen die Aufkündigung Einwendungen, erstattete aber weder ein Vorbringen noch ein Beweisanbot. Als er zur darauffolgenden ersten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung nicht erschien, beantragten die klagenden Parteien die Fällung eines Versäumungsurteils nach § 399 ZPO.

In der folgenden Tagsatzung, zu der beide Parteien erschienen, brachten die klagenden Parteien zum Kündigungsgrund des Eigenbedarfes ergänzend vor, daß die meisten der von der Zweitklägerin verwalteten Häuser in Wien lägen. Im gegenständlichen Haus befänden sich Magazinräumlichkeiten, die vom Erstkläger für seine Berufsausübung - er habe ein Elektrounternehmen und ein technisches Büro - übernommen und zur Berufsausübung verwendet werden sollten. Beide klagenden Parteien benötigten daher die Wohnung zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses.

Der Beklagte bestritt dieses Vorbringen, beantragte, die Kündigung als rechtsunwirksam aufzuheben und brachte vor, daß seine Tochter die Wohnung benütze und eintrittsberechtigt sei. Bisher sei eine Ersatzwohnung nicht angeboten worden. Die klagenden Parteien seien überdies anderweitig wohnversorgt, hätten das Haus vor ca. 25 Jahren gekauft, die Magazine aber bisher zur Berufsausübung nicht gebraucht und verwendet; der Erstkläger befinde sich im pensionsfähigen Alter und es sei fraglich, ob er in Wien überhaupt eine Berufstätigkeit begründen werde.

Das Erstgericht sprach aus, daß die Kündigung rechtswirksam sei und verpflichtete den Beklagten zur Räumung der Wohnung. Es stellte - allerdings nur auf Grund der Aussagen der von den klagenden Parteien beantragten Zeugen und der Parteienaussagen der beiden klagenden Parteien - folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Der Erstkläger ist selbständiger Unternehmer und pflegt Kontakte zu Firmen in Wien, zum Magistrat der Stadt Wien und zu Unternehmen in Osteuropa. Er hat sein Büro in Linz; ein Büro in Wien wäre für ihn von Vorteil. Die Zweitklägerin führt die Verwaltung der beiden in Wien gelegenen Häuser der klagenden Parteien. Auch für die Zweitklägerin wäre es von Vorteil, diese Verwaltung von Wien aus zu führen. Die klagenden Parteien haben in Wien keine andere Wohnmöglichkeit. Die im anderen Haus der klagenden Parteien in der O*****gasse freigewordenen Wohnungen sind sehr klein und ohne sanitäre Einrichtungen. Sie eigenen sich weder als Wohnung noch als Büro. Die klagenden Parteien haben im Keller des gegenständlichen Hauses einen Magazinraum. In den letzten Jahren haben die klagenden Parteien vergeblich versucht, in Wien einen Büroraum zu finden.

Nicht festgestellt werden könne, ob die Tochter des Beklagten nach dem Auszug ihrer Eltern in der Wohnung geblieben sei und ob sie ein dringendes Wohnbedürfnis an dieser Wohnung habe.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß die Kündigung wegen Weitergabe der Wohnung gemäß § 30 Abs 2 Z 4 MRG berechtigt sei, weil nicht festgestellt werden könne, ob die Tochter des Beklagten nach dem Auszug ihrer Eltern in der Wohnung verblieben sei. Darüberhinaus sei die Kündigung wegen dringenden Eigenbedarfes der klagenden Parteien berechtigt, weil diese die Wohnung zur Durchführung ihrer geschäftlichen Tätigkeiten in Wien dringend benötigten.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes im Sinne einer Aufhebung der Kündigung und Abweisung des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. In seiner Entscheidungsbegründung vertrat es folgende Rechtsansichten:

Gehe man davon aus, daß nicht festgestellt werden könne, ob die Tochter des Beklagten nach dem Auszug der Eltern aus der aufgekündigten Wohnung in dieser verblieben sei, sei die Aufkündigung wegen gänzlicher Weitergabe an die Tochter schon mangels Erweislichkeit der Weitergabe unberechtigt, ohne daß die vom Beklagten zu beweisende Frage der Eintrittsberechtigung der Tochter geprüft werden müsse. Der weiters geltend gemachte Grund des Eigenbedarfes sei nicht ausreichend konkretisiert, weil weder eine Ersatzwohnung angeboten, noch ein Vorbringen zur Interessenabwägung erstattet noch auch der Ausnahmetatbestand des § 30 Abs 2 Z 8 lit a oder b MRG behauptet worden sei.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Parteien aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Frage, ob der geltend gemachte Kündigungsgrund des dringenden Eigenbedarfes ausreichend konkretisiert erscheint eine im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Verfahrensfrage darstellt.

Die Revision ist auch berechtigt.

Mit den Ausführungen über das geringe Interesse des Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses, nämlich "soweit den kündigenden Parteien bekannt ist, hat der Mieter ein eigenes Haus erbaut und mit seiner Familie bezogen", und über das erhebliche Interesse der Eigenbedarf geltend machenden Vermieter, nämlich "für die kündigenden Parteien besteht dringender Eigenbedarf, weil sie aus beruflichen Gründen von Linz nach Wien übersiedeln müssen und in Wien über keine andere Wohnung verfügen", enthält die Aufkündigung ausreichendes Tatsachenvorbringen über die vom Gericht gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG abzuwägenden Interessen. Da nur bei einer Kündigung nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG (Generaltatbestand) eine Interessenabwägung vorzunehmen ist und weder die eine Interessenabwägung nicht vorsehenden Ausnahmetatbestände nach lit a oder b dieser Gesetzesbestimmung behauptet noch eine Ersatzwohnung gemäß § 30 Abs 2 Z 9 MRG angeboten wurde, haben die klagenden Parteien entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG ausreichend individualisiert (siehe ImmZ 1976, 59; MietSlg 41.362 = WoBl 1991/32 [zust. Würth]; zuletzt 5 Ob 1506/91).

Weiters haben die klagenden Parteien mit dem Ausdruck "Untervermietung" im Zusammenhang mit der Überlassung der Wohnung an die Tochter des Beklagten sowohl die entgeltliche als auch die unentgeltliche Weitergabe der Wohnung und damit den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG geltend gemacht (siehe MietSlg 41.362 = WoBl 1991/32), sodaß der Einwand des Revisionsgegners, die Weitergabe an die Tochter sei nicht ausreichend behauptet worden, unberechtigt ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes ergibt sich aus der negativen Feststellung über den Verbleib der Tochter des Beklagten in der aufgekündigten Wohnung nicht, daß die Wohnung vom Beklagten nicht an seine Tochter weitergegeben worden ist. Die gänzliche Weitergabe der Wohnung im Sinne des § 30 Abs 2 Z 4 MRG ist die Überlassung der Wohnung an den Übernehmer zum regelmäßigen Gebrauch unter Aufgabe der Benützung durch den Weitergebenden (vgl MietSlg 41/37; MietSlg 42.317 = WoBl 1991/88). Mit der festgestellten Anzeige der Abtretung und Übernahme der Hauptmietrechte laut Schreiben des Beklagten vom 5.November 1991 wurde die Weitergabe der Wohnung an seine Tochter den Vermietern als Partnern des Mietvertrages ausdrücklich mitgeteilt, sodaß im Rechtsstreit zwischen den Vermietern und dem Beklagten jedenfalls von einer Weitergabe der Wohnung auch im Sinne des § 30 Abs 2 Z 4 MRG auszugehen ist (zur Erklärung der Weitergabe vgl. MietSlg 21.485). Die Frage, ob die Tochter des Beklagten in der an sie weitergegebenen Wohnung auch tatsächlich geblieben ist und ob sie ein dringendes Wohnbedürfnis an dieser Wohnung hat, ist hingegen für das Tatbestandselement "Weitergabe" ohne Bedeutung. Waren die von den klagenden Parteien bestrittenen, vom Beklagten zu beweisenden Voraussetzungen für die Abtretung der Mietrechte an die Tochter des Beklagten gemäß § 12 Abs 1 MRG - Wohnen im gemeinsamen Haushalt mit dem Beklagten durch mindestens zwei Jahre bis zum Zeitpunkt der Überlassung der Wohnung (siehe WoBl 1992/94 = MietSlg 42.322; zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der Abtretung siehe SZ 63/63 = MietSlg 42/17) - gegeben, dann ist zufolge wirksamer Abtretung der Mietrechte das gegen den Beklagten gerichtete Kündigungsbegehren unberechtigt, ohne daß zu prüfen wäre, ob ein dringendes Wohnbedürfnis der Tochter des Beklagten im Zeitpunkt der Abtretung oder der Kündigung bestand (siehe SZ 62/200; Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht, § 12 MRG Rz 7). Sollte hingegen eine wirksame Abtretung der Hauptmietrechte an die Tochter des Beklagten nicht erfolgt sein, wäre im Rahmen der Prüfung des geltend gemachten Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG zur Beurteilung des vom Mieter zu beweisenden negativen Tatbestandselementes des dringenden Wohnbedürfnisses der eintrittsberechtigten Person (siehe SZ 62/200; MietSlg 37.421; MietSlg 36.407) und des Vorhandenseins eines gemeinsamen Haushaltes zum Zeitpunkt der Weitergabe als weitere Voraussetzungen auch für die Eintrittsberechtigung von Bedeutung, ob die Tochter des Beklagten in der an sie weitergegebenen Wohnung verblieben ist bzw. sie für sich in naher Zeit dringend benötigte (vgl WoBl 1992/94 = MietSlg 42.322).

Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, daß bei Weitergabe der Wohnung nur der speziellere Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG, nicht aber der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG vorliegen kann (siehe SZ 62/200; MietSlg 37.416; SZ 41/130 zur vergleichbaren früheren Rechtslage).

Da das Berufungsgericht - ausgehend von einer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung - auf die Verfahrens- und Beweisrüge des Beklagten nicht eingegangen ist, war die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Zu bemerken ist, daß die Ansicht des Berufungsgerichtes, im Hinblick auf die Ergänzung des Klagsvorbringens sei auch der Beklagte trotz seiner Säumnis von der Bestreitung des weiteren Vorbringens nicht ausgeschlossen gewesen, zutrifft (vgl. MietSlg 33.651).

Der Revision war daher im Sinne des Aufhebungsantrages Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Stichworte