European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00139.14A.1023.000
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 744,43 EUR (darin 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Die Klägerin ist Alleineigentümerin der Liegenschaft EZ ***** KG *****, bestehend unter anderem aus den Grundstücken 398/2, 519 und 525. Die Gemeinde S***** ist Eigentümerin des öffentlichen Guts der Liegenschaft EZ ***** KG *****, bestehend unter anderem aus dem öffentlichen Weg mit der Grundstücksnummer 1154/1, der an die Liegenschaft der Klägerin angrenzt.
In einem außerstreitigen Grenzberichtigungsverfahren zwischen der Klägerin und der genannten Gemeinde setzte das nunmehrige Erstgericht mit Beschluss vom 5. 7. 2007 zu 1 Nc 25/03i die Grenze zwischen den Grundstücken 519 und 1154/1 unter Zugrundelegung eines von einem Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen erstellten Lageplans nach § 851 Abs 1 ABGB fest. Die Grenze wurde dabei nach dem letzten ruhigen Besitzstand und billigem Ermessen festgesetzt. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.
Der Beklagte fuhr am 10. 9. und 11. 9. 2012 sowie vor‑ und nachher mit seinem Traktor über den öffentlichen Weg 1154/1, wobei er die im Grenzberichtigungsverfahren festgesetzte Grenze nicht überfuhr.
Die Klägerin begehrte, den Beklagten zur Unterlassung zu verpflichten, die Grundstücke 398/2, 519 und 525 mit Fahrzeugen im Grenzbereich zum Grundstück 1154/1 zu befahren. Der Grenzverlauf sei durch entsprechende Metallmarken in der Natur festgelegt. Der Beklagte habe die Grenze mutwillig verlassen, was eine gravierende Verletzung des Eigentums der Klägerin an dieser Grundfläche darstelle. Es bestehe Wiederholungsgefahr, zumal der Beklagte auch in der Vergangenheit wiederholt die im Eigentum der Klägerin stehende Grundfläche befahren habe. Der Beklagte sei von der Klägerin mehrmals aufgefordert worden, dieses Verhalten zu unterlassen. Die Klägerin habe die vom Beklagten befahrene Fläche käuflich erworben, beziehungsweise sei diese Fläche von ihr und ihren Rechtsvorgängern ersessen worden. Im Zeitpunkt des Kaufs wären viele Grenzpflöcke in der Natur vorhanden gewesen, die der Beklagte ausgerissen hätte. Die Verfahren zwischen der Klägerin und der Gemeinde seien für den gegenständlichen Prozess nicht präjudiziell.
Der Beklagte wandte im Wesentlichen ein, dass er den öffentlichen Weg 1154/1 und keinesfalls Grundflächen der Klägerin genutzt habe, wobei er sich zum Grenzverlauf unter anderem auch auf das Ergebnis des außerstreitigen Grenzberichtigungsverfahrens zwischen der Klägerin und der Gemeinde berief. Die Klägerin sei 1995 aufgrund eines Kaufvertrags Eigentümerin der Liegenschaft in dem Ausmaß geworden, wie sie sich aufgrund des 1995 bereits längst vorhandenen öffentlichen Wegs 1154/1 ergeben habe. Sie habe nicht akzeptiert, dass die gültigen Naturgrenzen von der Papiergrenze der Grundsteuerkatastermappe abweichen würden.
Das Erstgericht wies die Klage ab und knüpfte an die eingangs referierten unstrittigen Tatsachen an. Gehe man von der gerichtlich festgesetzten Grenze aus, sei dem Beklagten ein im Sinne des § 523 ABGB unberechtigter Eingriff in das Eigentumsrecht der Klägerin nicht nachzuweisen. Unabhängig von anderen von der Klägerin behaupteten Grenzverläufen sei von der gerichtlich festgesetzten Grenze schon deshalb auszugehen, weil diese Grenze nach wie vor noch gelte. Es gebe keine anderslautende gerichtliche Entscheidung; die Grenze sei zum „Tatzeitpunkt“ bereits derart gerichtlich festgelegt gewesen.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung durch das Erstgericht auf und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei das außerstreitige Grenzberichtigungsverfahren zur Bestimmung der richtigen Grenze ungeeignet, weil dort die Grenze nur nach dem letzten ruhigen Besitzstand bzw nach billigem Ermessen festgesetzt werde. Bilde die richtige Grenze in einem streitigen Verfahren eine Vorfrage, so sei darüber im Prozess zu entscheiden. Das Ergebnis des Grenzberichtigungsverfahrens zwischen der Klägerin und der Gemeinde S***** verwehre der Klägerin nicht die Eigentumsfreiheitsklage mit der Behauptung, dass der Grenzverlauf in Wirklichkeit ein anderer sei als im Grenzberichtigungsverfahren festgesetzt, zumal die wirkliche Grenze im außerstreitigen Verfahren nicht ermittelt worden sei. Schließlich sei die Klägerin an das Ergebnis im Grenzberichtigungsverfahren gegenüber dem Beklagten auch deshalb nicht gebunden, weil sie nicht dem Verfahrensgegner des Vorverfahrens gegenüberstehe.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof mit der Begründung zu, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob gegenüber Dritten die im außerstreitigen Grenzberichtigungsverfahren festgelegte Grenze gelte, solange nicht im Rahmen eines streitigen Grenzverfahrens zwischen den Grundstücksnachbarn die wirkliche Grenze festgesetzt und auch vermarkt worden sei.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Beklagten erhobene Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch in den daran anknüpfenden Ausführungen im Rechtsmittel wird eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dargetan:
1.1 Wurde im Außerstreitverfahren eine zwischen den Nachbarn strittig gewordene Grenze zwischen Grundstücken vorläufig (1 Ob 81/49 = SZ 22/28) nach dem letzten ruhigen Besitzstand festgelegt, bleibt es jeder Partei gemäß § 851 Abs 2 ABGB vorbehalten, ihr besseres Recht im Prozessweg geltend zu machen. Dieses bessere Recht kann Eigentum oder publizianischer Besitz an der strittigen Fläche sein (1 Ob 624/81 = SZ 54/144; 7 Ob 579/83 = SZ 57/47; 7 Ob 701/89; 6 Ob 7/13t; Gamerith in Rummel, ABGB³ § 851 Rz 4). An eine frühere Entscheidung über den Grenzverlauf im Außerstreitverfahren ist der Richter im streitigen Verfahren nicht gebunden (7 Ob 579/83; 6 Ob 7/13t; Parapatits in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 851 Rz 9). Vielmehr ist die Vorfrage nach der „richtigen Grenze“ dann im streitigen Verfahren zu klären (1 Ob 81/49; 1 Ob 624/81; 1 Ob 512/96; 6 Ob 12/98b; 4 Ob 94/08i; RIS‑Justiz RS0013882 [T1]; Egglmeier-Schmolke in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 851 Rz 8; Parapatits aaO § 851 Rz 8; Sailer in KBB4 § 851 Rz 5). Das gilt auch, wenn die Klage ‑ wie hier ‑ auf § 523 ABGB gestützt ist (1 Ob 512/96; RIS‑Justiz RS0106314).
1.2 Der fehlenden Bindungswirkung der im Grenzberichtigungsverfahren ergangenen Entscheidung liegt der Umstand zugrunde, dass die Ermittlung der „richtigen“ Grenze nicht Gegenstand des Außerstreitverfahrens ist (1 Ob 624/81; RIS‑Justiz RS0013882; Sailer aaO Rz 2) und hier das Außerstreitverfahren und der Zivilprozess unterschiedliche Zwecke verfolgen (1 Ob 985/29 = JBl 1930, 124; 1 Ob 624/81; Parapatits aaO § 851 Rz 3). Es kommt deshalb auch eine Unterbrechung eines Prozesses nach § 190 ZPO bei einem anhängigen Grenzberichtigungsverfahren nicht in Betracht (1 Ob 512/96; Egglmeier-Schmolke aaO Rz 4; Gamerith aaO Rz 8).
2. Der Oberste Gerichtshof hat im Sinne der erörterten Rechtsprechung in der Entscheidung 6 Ob 7/13t ‑ betreffend den auch hier gegenständlichen Weg ‑ festgehalten, dass der Beschluss des Bezirksgerichts Eferding im Verfahren 1 Nc 25/03i für einen nachfolgenden, auf § 851 Abs 2 ABGB gestützten Zivilprozess zwischen den Parteien des Grenzberichtigungsverfahrens keine Bindungswirkung entfaltet.
3. Die Verneinung einer Bindung an das Ergebnis dieses Grenzberichtigungsverfahrens in einem Rechtsstreit über eine auf § 523 ABGB gestützte Unterlassungsklage, die gegen jeden Störer gerichtet werden kann (RIS‑Justiz RS0012131), steht mit der erwähnten Rechtsprechung im Einklang und begründet keine erhebliche Rechtsfrage. Dies muss hier umso eher gelten, als sich die Klage gegen einen Dritten richtet, der am außerstreitigen Grenzberichtigungsverfahren gar nicht beteiligt war. Die aus der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung sich ergebende Bindungswirkung tritt grundsätzlich nur inter partes ein, also zwischen den Parteien des betreffenden Verfahrens (vgl Rechberger in Rechberger, ZPO4 Vor § 390 Rz 27; RIS‑Justiz RS0041567, RS0041572), was auch für im Außerstreitverfahren ergangene Entscheidungen gilt (vgl 6 Ob 504/84 = SZ 57/24; 7 Ob 540/87 = SZ 60/43; RIS‑Justiz RS0041572 [T3]; Deixler-Hübner in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 43 Rz 25 mwN).
4. Die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht, dass sich die Klägerin in einem Eigentumsfreiheitsprozess gegenüber dem Beklagten auf einen vom Ergebnis des Grenzberichtigungsverfahrens abweichenden Grenzverlauf berufen könne, hält sich somit im Rahmen der Rechtsprechung und wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf. Der Rekurs ist deshalb als unzulässig zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO (vgl RIS‑Justiz RS0123222). Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.
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