OGH 7Ob579/83

OGH7Ob579/838.3.1984

SZ 57/47

Normen

ABGB §372
ABGB §851 Abs2
ABGB §372
ABGB §851 Abs2

 

Spruch:

Zum Beweis des besseren Rechtes nach durchgeführtem Grenzberichtigungsverfahren genügt nicht der Nachweis, daß vor sehr langer Zeit die Grenze einen bestimmten Verlauf hatte

OGH 8. 3. 1984, 7 Ob 579/83 (OLG Graz 4 R 177/82; KG Leoben 9 Cg 316/81)

Text

Die Streitteile sind Eigentümer benachbarter Almgrundstücke. Das zur EZ 78 KG P, dem Anwesen vulgo R gehörende Grundstück 3/1 Alpe der Klägerinnen liegt westlich der zur EZ 18 KG P, dem Anwesen vulgo S des Beklagten gehörenden Grundstücke 7/1 und 7/2. Während die Katastergrenze über die Bergabhänge westlich des zur Hochfläche P-Wiese mit dem R-See führenden Berggrates liegt, behaupten die Klägerinnen einen Grenzverlauf, der im wesentlichen durch die Mitte des R-Sees und dessen Abfluß gebildet wird. In einem Grenzberichtigungsverfahren vor dem Bezirksgericht Murau wurde die strittige Grenze im wesentlichen nach dem zwischen den beiden vorher genannten Linien gelegenen Verlauf des Kammes am westlichen Rande der Hochfläche festgelegt.

Mit der vorliegenden Klage begehren die Klägerinnen mit der Behauptung ihres besseren Rechtes die Feststellung des Grenzverlaufes entsprechend ihrem schon dargelegten Standpunkt, indem sie sich auf einen Vertrag aus dem Jahre 1736 und auf ein Protokoll aus dem Jahre 1933 berufen, und die Feststellung ihres Eigentums an dem strittigen Grundstreifen sowie die Einwilligung des Beklagten in die Vermarkung des behaupteten Grenzverlaufes und die Entfernung eines westlich des R-Seeabflusses im strittigen Grundstücksteil errichteten Weidezaunes.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen haben die Rechtsvorgänger der Streitteile am 4. 8. 1736 als Untertanen und mit Genehmigung der Herrschaft A wegen ihrer Gerechtigkeiten und (ihres) Viehtriebes besonders auf den Alpen zu F im Beisein von Vergleichsmännern eine Aufteilung der Alpe in zwei Teile vereinbart, die über den R-See hinwegführt. Im Zuge eines im Jahre 1926 vor der Agrarbezirksbehörde Murau eingeleiteten Regulierungsverfahrens wurde in einer Verhandlung am 23. 11. 1933 eine bestimmte, auf alter Gepflogenheit beruhende Verpflichtung zur Erhaltung von Grenzzäunen und Grenzmauern im Bereich des R-Sees festgestellt, zugleich gab aber der an dem Agrarverfahren an sich unbeteiligte Rechtsvorgänger des Beklagten an, daß der Grenzverlauf zwischen dem R-See und der P-Wiese mit den vorhandenen Anlagen nicht übereinstimmen dürfte, und behielt sich vor, die Grenze nach dem Kataster aufnehmen bzw. vermessen zu lassen. Eine Anerkennung des Grenzverlaufes konnte bei dieser Verhandlung nicht erzielt werden; es wurde vielmehr festgestellt, daß die Parteien die Sache im Streitfall vor dem ordentlichen Gericht auszutragen hätten. In der Folge hatten sowohl das Anwesen vulgo R (jetzt der Klägerinnen) bis zum Jahre 1965 als auch das Anwesen vulgo S (jetzt des Beklagten) bis zum Jahre 1972/73 wenigstens zeitweise während der Weidezeit jedes Jahres einen Viehhüter auf der Alpe. Die Tiere mußten beim Weiden westlich des R-Seeabflusses beaufsichtigt werden, um nicht über die steilen Berghänge westlich des Kammes abzustürzen. Bis zur Errichtung eines ersten Zaunes im talseitigen Bereich der P-Wiese im Jahre 1965 durch die Klägerinnen wurde der nun strittige Bereich der Alm von beiden Streitteilen beweidet, nach der Errichtung des Zaunes und seiner Versetzung weiter nach Osten durch die Klägerinnen im Jahre 1976 das talwärts gelegene Gelände nur mehr von ihnen, das bergwärts befindliche Gelände ausschließlich vom Beklagten. Hingegen wurde das Gelände ab dem Kamm bis zum R-See von beiden Streitteilen bejagt. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte der Erstrichter noch aus, daß die Klägerinnen nie über eine Zeitspanne von 30 Jahren die von ihnen nun beanspruchte Grundfläche ausschließlich benutzt oder genützt hätten.

Nach der Rechtsansicht des Erstrichters bilde der Vertrag der Rechtsvorgänger der Streitteile vom 4. 8. 1736 schon deshalb keinen Titel für einen Eigentumserwerb, weil damals nur die Weiderechte der Untertanen der Grundherrschaft festgestellt wurden. Ein Eigentumserwerb durch Ersitzung hätte einen 30jährigen Gebrauch des Rechtes vorausgesetzt, an dem es fehle. Seit dem 23. 11. 1933 sei die Grenze erklärtermaßen strittig gewesen. Damit sei den Klägerinnen der Nachweis eines besseren Rechtes iS des § 851 Abs. 2 ABGB nicht gelungen.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Rechtsgrund der vorliegenden Klage sei nicht der Erwerb des Eigentums an einem bestimmten Grundstück, sondern die Zugehörigkeit des strittigen Grundstreifens zu dem im unstreitigen Eigentum der Klägerinnen stehenden Grundstück 3/1. Diese Zugehörigkeit könne aus der Grundbuchsmappe nicht ersehen werden, sondern müsse durch den Nachweis des Eigentums oder wenigstens des publizianischen Besitzes bewiesen werden. Für letzteren genüge ein gültiger Titel und die echte Art der Besitzerlangung. Rechtmäßiger und echter Besitz der Klägerinnen liege vor, wenn sie nachzuweisen in der Lage seien, daß beim Erwerb ihres Besitzes am Grundstück 3/1 etwa anläßlich eines Kauf- oder Übergabsvertrages die vom Beklagten oder dessen damaligen Rechtsvorgängern respektierte Besitzgrenze in der Natur dort verlief, wo sie von den Klägerinnen heute behauptet werde. Falls allerdings der Beklagte oder seine Rechtsvorgänger an der strittigen Fläche ebenfalls Besitzausübungshandlungen vorgenommen hätten, wäre den Klägerinnen der Beweis des alleinigen publizianischen Besitzes mißlungen. Ausgehend von dieser Rechtsansicht sei das erstgerichtliche Verfahren mangelhaft, weil die Zeitpunkte des Besitzerwerbes durch die Klägerinnen nicht erörtert oder festgestellt wurden, sodaß eine Besitzstandsprüfung für diese Zeitpunkte nicht angestellt werden könne. Das erstgerichtliche Verfahren sei auch mangelhaft, weil die Zeugen Jakob T und Michael M nicht vernommen wurden. Im neuen Urteil müsse auch die Beweiswürdigung näher begrundet werden. Zur Frage allfälliger Eigentumsrechte der Klägerinnen aus dem Vertrag vom 4. 8. 1736 müsse ergänzend geklärt werden, ob die Streitteile Rechtsnachfolger der damaligen Vertragspartner waren und ob (was nötigenfalls ein Sachverständiger für Rechtsgeschichte beantworten müsse) der Vertrag die damals den Herrschaftsuntertanen zukommenden Rechte an dem im Obereigentum der Herrschaft stehenden Grundbesitz rechtswirksam regeln konnte. Zwar habe dieser Vertrag nicht mit Wirksamkeit für heute Volleigentum der Vertragspartner begrunden können, weil damals ein solches Recht an herrschaftlichem Grund und Boden für die Untertanen nicht bestehen konnte. Die Nutzungseigentumsgrenzen seien aber mit der Gründentlastung durch das Kaiserliche Patent vom 7. 9. 1848, JGS Nr. 1180, von Gesetzes wegen zu Volleigentumsgrenzen geworden. Da die darauf folgenden Grundbuchsanlegungen, in der Stmk. auf Grund des Landesgesetzes vom 25. 3. 1874, LGBl. 1874/28, an diesen Naturgrenzen nichts mehr änderten und die Aufnahme einer der Naturgrenze nicht entsprechenden Buchgrenze das Eigentum nicht verschieben könne, habe eine Grenzverschiebung in der Folge nur noch durch Vertrag oder Ersitzung erfolgen können. Nachträgliche vertragliche Änderungen seien aber von keiner Seite behauptet worden. Auch eine Ersitzung, also die 30jährige Ausübung eines auf echte Art erworbenen redlichen Alleinbesitzes an der strittigen Grundfläche oder an Teilen dieser Fläche durch einen der Streitteile oder deren Rechtsvorgänger, sei bisher unbewiesen geblieben. Falls der Vertrag aus dem Jahre 1736 auf die Streitteile als Rechtsnachfolger der damaligen Vertragspartner Wirkung habe, bedürfe es der weiteren Feststellung, ob der damals bezeichnete Grenzverlauf mit dem heute von den Klägerinnen behaupteten Grenzverlauf übereinstimme und ob sie das beweisen könnten.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Umstand, daß im vorliegenden Fall nicht die Eigentumsverhältnisse an einem bestimmten ganzen Grundstück strittig sind, sondern der Grenzverlauf zum angrenzenden Grundstück, kann nichts daran ändern, daß die Klägerinnen gemäß § 851 Abs. 2 ABGB berechtigt sind, ihr behauptetes besseres Recht an den strittigen Grundstücksteilen trotz der erfolgten außerstreitigen Grenzfestsetzung nach billigem Ermessen nun im Prozeßweg geltend zu machen. Strittige Grundflächen sind in dieser Beziehung wie Grundstücke anzusehen (Klang in Klang[2] III 1151). Den Ergebnissen des außerstreitigen Grenzfestsetzungsverfahrens kommt dabei keine Bindungswirkung zu. Unrichtig ist auch der Hinweis des Rekurswerbers, daß den Klägerinnen nach den Ergebnissen des erstinstanzlichen Verfahrens der Beweis des besseren Rechtes nicht gelungen sei. Das Berufungsgericht hat die Tatsachenfeststellungen des Erstrichters nicht übernommen, sondern primäre Verfahrensmängel infolge Nichtvernehmung weiterer beantragter Zeugen sowie Feststellungsmängel infolge unrichtiger Rechtsansicht des Erstrichters als gegeben angesehen. Soweit dabei das Berufungsgericht von einer richtigen rechtlichen Beurteilung ausgegangen ist, kann dem der OGH, weil er nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten. Ins Leere geht auch der Hinweis des Rekurswerbers, daß ein Original des Titels aus dem Jahre 1736 nicht vorgelegt wurde. Beide Vorinstanzen sind, bisher unbekämpft, von der Echtheit der vorliegenden Urkunde ausgegangen. Auch von einem präkludierten Beweis oder der unberechtigten Berücksichtigung von Neuerungen im Berufungsverfahren kann keine Rede sein. Unter der Voraussetzung der Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes wurden rechtserhebliche Tatsachen in erster Instanz nicht erörtert, obwohl die Klägerinnen sich auf den Vertrag von 1736 berufen und damit zum Ausdruck gebracht haben, daß der von ihnen heute behauptete Grenzverlauf durch das von ihren Rechtsvorgängern damals erworbene Recht gedeckt sei.

Der Rekurswerber läßt die Beurteilung des Berufungsgerichtes unbekämpft, daß die vertragliche Regelung der Nutzungsgrenzen zwischen den damaligen Untertanen der Gutsherrschaft im Jahre 1736 infolge der Gründentlastung des Jahres 1848 zur Festlegung von Eigentumsgrenzen führen konnte. Eine Überprüfung dieser Rechtsansicht kann unterbleiben, weil sie im Ergebnis für den Standpunkt der Klägerinnen nicht ausreicht. Ihnen obliegt nach der vom Außerstreitgericht vorgenommenen Festsetzung der Grenze gemäß § 851 Abs. 2 ABGB der Beweis ihres besseren Rechtes im Prozeßweg. Dieser Beweis kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht schon durch den Nachweis erbracht werden, daß vor langer Zeit (hier mehr als 200 Jahre zurück) eine bestimmte Grenze anders als nun vom Außerstreitrichter festgelegt verlief. Ihr besseres Recht können die mit der Entscheidung des Außerstreitrichters nicht zufriedenen Klägerinnen nur dann beweisen, wenn sie nachweisen können, daß die Grenze ihres Eigentums zuletzt unstrittig, also im Zeitpunkt des ersten nachgewiesenen und seither nicht mehr beseitigten Streites (hier im Jahre 1933) noch immer so wie im Jahre 1736 entsprechend dem heutigen Klagebegehren verlief (oder der strittige Grundstreifen später noch in ihr rechtmäßiges Eigentum überging). In der langen Zeit zwischen der seinerzeitigen Festsetzung der Nutzungsgrenzen und dem ersten Streit über den Grenzverlauf im Jahre 1933 waren Veränderungen der Grenzen des Besitzstandes leicht möglich. Der nicht ganz deutlich ausgesprochene Standpunkt des Berufungsgerichtes, daß für das Fehlen solcher Veränderungen der Gegner des Grenzklägers beweispflichtig sei, steht mit dem Gesetz, wonach der Kläger sein besseres Recht beweisen muß, im Widerspruch, zumal auch schon im außerstreitigen Grenzfestsetzungsverfahren der letzte ruhige Besitzstand maßgeblich ist, sofern er sich feststellen läßt (§ 851 Abs. 1 ABGB). Der Kläger muß also den Nachweis der von ihm behaupteten Grenze oder wenigstens eines zwischen dieser und der im außerstreitigen Verfahren festgesetzten Grenze gelegenen Grenzverlaufes erbringen (Klang in Klang[2] III 1151). Wenngleich das im Prozeß geltend gemachte bessere Recht Eigentum oder publizianischer Besitz sein kann (Klang aaO 1150), bleibt immer der Kläger dieser Eigentumsklage besonderer Art für die zuletzt in der dafür vorgesehenen Rechtsform festgelegte Grenze voll beweispflichtig (vgl. Spielbüchler, Grundbuch und Grenze, JBl. 1980, 170). Der Beweis, daß irgendwann einmal ein bestimmter Grenzverlauf bestanden habe, kann also grundsätzlich nicht ausreichen. Nach so langer Zeit wie hier ist auch jeder Beweis des ersten Anscheines ausgeschlossen, weil ein seit mehreren hundert Jahren unveränderter Stand der Eigentumsgrenzen keineswegs typisch ist (vgl. Koziol, Österr. Haftpflichtrecht[2] I 324 mwN). Hier steht überdies fest, daß in der Zwischenzeit die Grenze in Plänen bereits anders verlief.

Auf dieser rechtlichen Grundlage ist auch der Beurteilung des Berufungsgerichtes nicht zu folgen, daß es an Feststellungen über ungestörte Besitzverhältnisse der Klägerinnen fehle und die Beweiswürdigung des Erstrichters ungenügend sei. Dessen Feststellung, daß die Parteien und ihre Rechtsvorgänger seit 1933 bis zur Errichtung des ersten Zaunes durch die Klägerinnen im Jahre 1965 den strittigen Teil der Alm nie allein beweidet haben, schließt mit Rücksicht auf den Eigentumserwerb der Klägerinnen erst nach 1933 (im damaligen Protokoll vor der Bezirksagrarbehörde sind andere Parteien genannt) einen Erwerb von Eigentum oder publizianischem Besitz durch sie selbst aus, weil der Beklagte die von ihnen behauptete Besitzgrenze in der Natur seit damals nicht respektiert hat. Auch nach der Versetzung des zweiten Zaunes im Jahre 1976 kann von einer solchen wenigstens stillschweigenden Anerkennung keine Rede sein, zumal das außerstreitige Grenzfestsetzungsverfahren schon im Jahr 1977 eingeleitet wurde. Für die Zeit vor ihrem eigenen Besitzerwerb haben aber die Klägerinnen einen bestimmten, von der Gegenseite dem räumlichen Umfang nach anerkannten Rechtserwerb durch einen ihrer Rechtsvorgänger nicht einmal behauptet. Andererseits hat das Erstgericht, wenn auch nicht mit aller wünschenswerten Deutlichkeit, hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, daß es zu seinen Feststellungen über den mißlungenen Beweis einer unbestrittenen alleinigen Rechtsausübung durch die Klägerinnen und deren Rechtsvorgänger infolge der divergierenden Angaben der vielen, von beiden Seiten aufgebotenen Zeugen gekommen ist. Im Falle von Bedenken gegen diese Beweiswürdigung müßte das Berufungsgericht selbst die Beweise wiederholen.

Nach dem eingangs Gesagten kann aber der OGH der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht entgegentreten, daß zur Frage der in der Klage ebenfalls behaupteten ständigen Alleinbenützung des strittigen Grundstreifens zwei weitere beantragte Zeugen hätten vernommen werden müssen.

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