European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0060OB00118.14T.0917.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, dem Antragsteller binnen 14 Tagen die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisonsrekursverfahrens zu ersetzen.
Begründung:
Der Kindesvater war zuletzt zur Zahlung einer monatlichen Unterhaltsleistung von 600 EUR für seine 1992 geborene Tochter verpflichtet. Der seinerzeitigen Unterhaltsbemessung lag ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters im Jahr 2012 von 3.987,95 EUR zugrunde. Im Jahr 2013 verdiente der Kindesvater monatlich netto 4.125 EUR. Der Antragsteller ist neben der Antragsgegnerin auch für die volljährige T***** G*****, geboren 1994, sorgepflichtig.
Die Antragsgegnerin studiert seit dem Wintersemester 2012/2013 das Lehramtsstudium Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung sowie Mathematik an der Universität Graz und befindet sich im vierten Semester. Nach einer Bestätigung des Studienerfolgs vom 16. 10. 2013 hat die Antragsgegnerin insgesamt 31 ECTS‑Punkte bzw 17 Semesterstunden erreicht. Nach einer Bestätigung des Studienerfolgs vom 24. 2. 2014 hat die Antragsgegnerin mittlerweile 50 ECTS‑Punkte abgelegt bzw 28 Semesterstunden absolviert.
Seit 14. 1. 2014 ist die Antragsgegnerin an der Alpen Adria Universität in Klagenfurt am Wörthersee als mitbelegende Studierende im Lehramtsstudium Mathematik sowie Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung inskribiert. Die durchschnittliche Studiendauer dieses Studiums an der Universität Graz beträgt 12,5 Semester. Insgesamt sind 300 ECTS‑Punkte zu absolvieren.
Das Einkommen der Antragsgegnerin aus ihrer Tätigkeit als Eishockeyschiedsrichterin im Jahr 2013 betrug 3.289 EUR, was einem Monatseinkommen von 274 EUR entspricht.
Der Kindesvater beantragte mit Eingabe vom 3. 10. 2013 die Überprüfung des zielstrebigen Studiums seiner Tochter. Die Antragsgegnerin brachte dazu vor, sie studiere seit dem Wintersemester 2012/2013 das Lehramtsstudium Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung sowie Mathematik an der Universität Graz. Mathematik sei ein schwieriges Studium; sie werde im Sommersemester an die Universität Klagenfurt wechseln. Sollte der Fall eintreten, dass sie die erforderlichen Prüfungen in Mathematik nicht bestehe, werde sie einen Wechsel vornehmen und ein Bachelorstudium in Physiotherapie anstreben.
Mit Eingabe vom 20. 1. 2014 beantragte der Kindesvater die Unterhaltsbefreiung ab 1. 10. 2013 wegen nicht zielstrebigen Studierens der Antragsgegnerin.
Die Antragsgegnerin brachte vor, sie betreibe ihr Studium ernsthaft und zielstrebig. Nach Abschluss des dritten Studiensemesters habe sie die 50 ECTS‑Punkte erreicht. Zwei Prüfungsergebnisse seien noch ausständig. Es sei davon auszugehen, dass sie nach Abschluss des dritten Semesters ca 58 ECTS‑Punkte erreichte haben werde.
Das Erstgericht gab dem Antrag des Antragstellers statt und befreite ihn mit Wirkung vom 1. 10. 2013 von seiner Unterhaltspflicht. Die von der Antragsgegnerin nach ihrem eigenen Vorbringen erreichten 58 ECTS‑Punkte entsprächen lediglich 60 % der für den Abschluss eines Studiums innerhalb der durchschnittlichen Studiendauer erforderlichen Leistung. Damit liege die Antragsgegnerin weit unter dem Leistungserfordernis. Ein zielstrebiges Studium sei nicht zu erkennen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Dass die Antragsgegnerin die Familienbeihilfe beziehe, stelle nur ein Indiz dar. Wollte man die Zielstrebigkeit eines Studenten ausschließlich an den Voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe messen (16 ECTS‑Punkte pro Studienjahr), würde dies zu einer aus unterhaltsrechtlicher Sicht geradezu absurden Zulässigkeitsverlängerung der Studiendauer führen, würde die Antragsgegnerin doch für die insgesamt erforderlichen 300 ECTS‑Punkte dann rechnerische 18 ¾ Jahre benötigen dürfen.
Nachträglich ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, aus Gründen der Rechtssicherheit sei eine Klarstellung der Rechtslage durch das Höchstgericht erforderlich.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Durch die Aufnahme eines Studiums wird der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes so lange hinausgeschoben, wie die durchschnittliche Dauer dieses Studiums beträgt. Auch während dieses Zeitraums hat das Kind aber nur Anspruch auf Unterhalt, wenn es das Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt (RIS‑Justiz RS0083694; RS0110600 [T6]). Dies ist in der Regel zu bejahen, wenn die durchschnittliche Studiendauer für das betreffende Fach nicht überschritten wird (RIS‑Justiz RS0117107).
2.1. Nach der Rechtsprechung wird ein Studium im Allgemeinen ernsthaft und zielstrebig betrieben, wenn die in § 2 Abs 1 lit b FamLAG idF BGBl 1992/311 angeführten Voraussetzungen erfüllt sind (RIS‑Justiz RS0047687). Die Erfüllung dieser Voraussetzungen ist jedoch nur ein Indiz bzw bietet eine grobe Orientierung für die Frage, ob ein Studium zielstrebig und ernsthaft betrieben wird (RIS‑Justiz RS0110600 [T9]). Dies gilt insbesondere für Studien, die in Studienabschnitte gegliedert sind (RIS‑Justiz RS0120928). Die Gewährung der Familienbeihilfe muss daher keineswegs zwingend zur Bejahung der Fragen nach ernsthaftem Bemühen zur Erreichung des Studienabschlusses führen (RIS‑Justiz RS0110600 [T7]). Auch kommt dem Bescheid über die Gewährung der Familienbeihilfe keine Bindungswirkung für das Unterhaltsverfahren zur Frage zu, ob das Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird (RIS‑Justiz RS0083699).
2.2. Die Gewährung der Familienbeihilfe muss daher ‑ wie das Rekursgericht zutreffend erkannt hat ‑ nicht bindend zur Bejahung der Frage nach ernsthaftem Bemühen führen (5 Ob 5/09k). Der Anspruch auf Unterhalt erlischt vielmehr trotz (Weiter‑)Gewährung der Familienbeihilfe, wenn die durchschnittliche Studiendauer des betreffenden Studienabschnitts nicht eingehalten wird (2 Ob 134/99s).
2.3. Zutreffend verweist das Rekursgericht in diesem Zusammenhang auch darauf, dass das bloße Abstellen auf die Voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe zumindest im vorliegenden Fall zu geradezu absurden Konsequenzen führen würde, stünde der Antragsgegnerin doch für den Abschluss ihres 300 ECTS‑Punkte erfordernden Studiums dann ein Zeitraum von nahezu 19 Jahren zur Verfügung.
3.1. Das Abstellen auf die durchschnittliche Studiendauer des betreffenden Fachs in den einzelnen Studienabschnitten entspricht gefestigter Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0110596; 6 Ob 186/00x; 3 Ob 116/02h; 1 Ob 268/02x; 6 Ob 122/06v; 1 Ob 276/07f; 2 Ob 101/09f) und herrschender Lehre ( Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht 6 146 f).
3.2. In mehreren neueren Entscheidungen hat der Oberste Gerichtshof auch nach der Novellierung des FamLAG durch das Strukturanpassungsgesetz daran festgehalten, dass für die unterhaltsrechtliche Beurteilung weiterhin die durchschnittliche Studiendauer entscheidend ist, wobei infolge der durch das Strukturanpassungsgesetz herbeigeführten Änderungen des FamLAG auf die einzelnen Studienabschnitte abzustellen ist (RIS‑Justiz RS0110596).
4.1. Der Revisionsrekurswerberin ist zuzugeben, dass die Rechtsprechung teilweise zwischen Studien, die in Studienabschnitte gegliedert sind, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, differenziert. Für Studien mit einzelnen Studienabschnitten wird teilweise die Auffassung vertreten, es komme nicht darauf an, ob es möglich oder wahrscheinlich ist, dass das Kind das Studium oder einen Studienabschnitt in der durchschnittlichen Zeit beende (RIS‑Justiz RS0110600; RS0110596); es sei der tatsächliche Studienfortgang ex post zu betrachten. Für jene Abschnitte, in denen das Kind das Studium nicht ernsthaft und zielstrebig fortgeführt habe, müsse der Unterhaltspflichtige keinen Unterhalt leisten (6 Ob 122/06v; 7 Ob 625/95). Nur sofern eine Gliederung in Studienabschnitte fehle, müsse die erforderliche Kontrolle des periodischen Studienfortgangs durch eigenständige Beurteilung der vom Unterhaltswerber erbrachten Leistungen erfolgen (6 Ob 141/07i).
4.2. Bei in Studienabschnitten gegliederten Studien komme es auf eine Prognose, ob ein Kind bis zu einem bestimmten Termin einen Studienabschnitt vollendet haben werde, nicht an. Vielmehr erlösche der Anspruch auf Unterhalt erst, wenn die durchschnittliche Studiendauer des Studienabschnitts erreicht werde und nicht besondere Gründe vorliegen, die ein längeres Studium gerechtfertigt erscheinen lassen (3 Ob 116/02h).
4.3. Allerdings ist die laufende Überprüfung der Zielstrebigkeit der Betreibung des Studiums auch bei in Studienabschnitte gegliederten Studien keineswegs ausgeschlossen. Gerade jene Judikaturlinie, nach der die Studienzeit in den einzelnen Studienabschnitten als „Richtschnur“ für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit eines Studiums bedeutsam ist (3 Ob 254/98v = ÖA 1999, 37; 6 Ob 186/00x), setzt implizit die Anstellung einer Prognose voraus, ob der Studienabschluss insgesamt innerhalb einer angemessenen Dauer möglich sein wird (6 Ob 122/06v). In diesem Sinne wurde schon bisher die ernsthafte und zielstrebige Betreibung des Studiums verneint, wenn im 10. Semester erst eine von vier Teilprüfungen der zweiten juristischen Staatsprüfung absolviert wurde (1 Ob 604/85). Auch nach einer Reihe weiterer Entscheidungen besteht für jene Zeitperioden, in denen das Studium nicht ernsthaft betrieben wird, kein Unterhaltsanspruch (7 Ob 625/95 ua).
4.4. Eine starre Differenzierung danach, ob das Studium in Studienabschnitte gegliedert ist, würde zu völlig unsachlichen Ergebnissen führen, beruht die Gliederung eines Studiums in Studienabschnitte einerseits oder in ein (nicht weiter untergliedertes) Bachelor‑ und Masterstudium andererseits doch teilweise auf völlig zufälligen Umständen, ohne dass dem der Sache nach ein entsprechender Unterschied zugrunde läge. So können manche Fächer an manchen Universitäten in Form eines Bachelor‑ und anschließenden Masterstudiums absolviert werden, an anderen Universitäten in Form des (traditionellen) Diplomstudiums mit einer Gliederung in üblicherweise (zumindest) zwei Studienabschnitte. Als Beispiel sei etwa auf das Studium der Rechtswissenschaften verwiesen, das nach dem Studienplan der Universität Wien (weiterhin) in Form eines acht‑semestrigen Diplomstudiums mit drei Studienabschnitten, während das ‑ gleichfalls Zugang zu allen juristischen Kernberufen eröffnende (vgl § 3 RAO, § 6a NO, § 2a RStDG) ‑ Studium Wirtschaftsrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien in Form eines Bachelor‑ mit anschließendem Masterstudium angeboten wird. Das uneingeschränkte Abstellen auf das Vorliegen einer Gliederung des Studiums in Studienabschnitte würde dazu führen, dass zwar im Fall eines dreijährigen Bachelorstudium (dazu 6 Ob 122/06v) der konkrete Studienfortgang schon während des Studiums zu überprüfen wär im Fall eines sechs‑semestrigen ersten Studienabschnitts eines Diplomstudiums aber nicht, weil diesfalls ein in Studienabschnitte im Sinne des § 2 Abs 1 lit b, bb FamLAG idF des Strukturanpassungsgesetzes gegliedertes Studium vorläge. Dass eine solche Differenzierung nicht sachgerecht sein kann, liegt auf der Hand.
4.4. Folgerichtig tritt daher die Lehre dafür ein, dass auch bei in Studienabschnitten gegliederten Studien eine eigenständige Beurteilung der vom Unterhaltswerber erbrachten Leistungen erfolgen kann ( Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht 6 147). Die Gegenauffassung würde dazu führen, dass man dem Unterhaltsberechtigten zu Lasten des Unterhaltspflichtigen für die teilweise erhebliche Dauer eines Studienabschnitts einen völligen Freibrief ausstellen würde. Demgemäß hat der Oberste Gerichtshof auch schon bisher in einzelnen Entscheidungen eine inhaltliche Überprüfung der Zielstrebigkeit eines Studenten des ersten Studienabschnitts vorgenommen (2 Ob 197/11a).
4.5. Eine derartige Vorgangsweise liegt ‑ wie das Rekursgericht völlig zutreffend erkannt hat ‑ insbesondere bei längeren Studienabschnitten nahe, geht die Revisionsrekurswerberin doch selbst von einer Mindeststudienzeit im ersten Abschnitt von sechs Semestern aus.
4.6. Dies schließt nicht aus, Anpassungs‑ und Umstellungsschwierigkeiten beim Beginn eines Universitätsstudiums angemessen zu berücksichtigen. Diese Überlegung kann jedoch nur während der ersten ein bis zwei Semester eine Rolle spielen. Im vorliegenden Fall befindet sich die Unterhaltswerberin bereits im vierten Semester. Dafür, dass ihr bisheriger geringer Studienerfolg auf Anfangsschwierigkeiten beruhe und sie durch besonderen zielstrebigen Einsatz ein Aufholen ihres Rückstandes beabsichtige, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Es ist auch keinerlei Tendenz in Richtung einer Leistungssteigerung erkennbar. Bei dieser Sachlage ist aber die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach die Antragsgegnerin das Studium nicht ernsthaft betreibt, wenn sie nicht einmal 60 % der für den Abschluss des Studiums innerhalb der durchschnittlichen (nicht: Mindest‑)Dauer erforderlichen Leistungen erbracht hat, nicht zu beanstanden.
5. Damit erweist sich aber die Rechtsansicht der Vorinstanzen als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.
6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf § 78 AußStrG.
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