OGH 6Ob122/06v

OGH6Ob122/06v29.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pimmer als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Brigitte K*****, vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf, Rechtsanwalt in Peuerbach, wider die beklagte Partei Franz K*****, vertreten durch WKG Wagner-Korp-Grünbart Rechtsanwälte GmbH in Andorf, wegen EUR 13.949,75 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 28. Februar 2006, GZ 6 R 44/06x-33, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Schärding vom 28. November 2005, GZ 1 C 118/04k-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt zu lauten haben wie folgt:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von EUR 7.085,42 samt 4 % Zinsen ab 23. 10. 2003 zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere EUR 4.155,45 samt staffelweisen Zinsen sowie ab 1. 1. 2005 einen monatlichen Unterhaltsbetrag in Höhe von EUR 225,74 zusätzlich zu dem bezahlten Betrag von EUR 181,68 (insgesamt sohin EUR 407,55) zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 148,50 bestimmten Kosten des erstinstanzlichen und des Berufungsverfahrens zu ersetzen."

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 530 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 21. 7. 1981 geborene Klägerin ist die Tochter des Beklagten, der ihr zuletzt Unterhalt von 181,68 EUR monatlich leistete. Sie begehrt einen monatlichen Unterhalt von insgesamt EUR 407,42 ab 1. 1. 2005 sowie die Bezahlung von rückständigem Unterhalt in Höhe von EUR 11.240,87 für die Zeit vom 16. 10. 2000 bis einschließlich Dezember 2004. Sie habe ihre bisherige Schulausbildung zielstrebig verfolgt und absolviere im Studium auch die vorgeschriebenen Prüfungen. Das Erstgericht gab der Klage - abgesehen von der unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Abweisung eines Betrages von EUR 102,63 monatlich - statt. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes legte die Klägerin am 12. 6. 2003 die Reifeprüfung ab. Im Wintersemester 2003 begann sie als ordentliche Hörerin an der Universität Klagenfurt mit den Bakkalaureatsstudium der Studienrichtung Informatik. Derzeit befindet sie sich im 5. Semester. Dieses Studium hat laut Studienplan eine Dauer von 6 Semestern mit einer Gesamtstundenzahl von 133 Semesterstunden. Bisher hat die Klägerin in vier Semestern von den geforderten 133 Wochenstunden 25 absolviert. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz hat die Klägerin weitere 2 Stunden an Wahlfächern absolviert.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass von einem ernsthaften und zielstrebig betriebenen Studium schon dann auszugehen sei, wenn das Kind für ein vorangegangenes Studienjahr die erfolgreiche Ablegung von Prüfungen im Gesamtumfang von 8 Semesterstunden nachweise. Da die durchschnittliche Studiendauer noch nicht überschritten sein könne, sei der Unterhaltsanspruch der Klägerin zu Recht geltend gemacht. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Der Anspruch auf Unterhalt erlösche erst, wenn die durchschnittliche Studiendauer erreicht werde und nicht besondere Gründe vorlägen, die in längeres Studium gerechtfertigt erscheinen ließen. Bei der Beurteilung der Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit des Studiums sei nur der tatsächliche Studienfortgang ex post zu betrachten (3 Ob 116/02h; RIS-Justiz RS0110600, RS0083694 und RS0047687). In Anbetracht des Umstandes, dass die Klägerin die vorgesehene Mindeststudiendauer von 6 Semestern noch nicht erreicht habe, könne auch von einer Überschreitung der durchschnittlichen Studiendauer nicht die Rede sein. Bei dieser schematischen Betrachtung müsse in Kauf genommen werden, dass Unterhalt auch für Studenten zu bezahlen sei, die den Müßiggang pflegten und das Studentenleben mehr genössen, als auf einen zeitlich absehbaren Studienabschluss hinzuarbeiten. Nach anderen Entscheidungen sei allerdings eine Prognosebeurteilung anzustellen (1 Ob 268/02x). Im Hinblick darauf, sowie in Anbetracht des Umstandes, dass sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit eines Bakkalaureatstudenten noch nicht befasst habe, sei die ordentliche Revision zulässig. Die Revision des Beklagten ist zur Präzisierung der Voraussetzungen für die Unterhaltsgewährung während eines Studiums zulässig; sie ist teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 1 Ob 268/02x ausgesprochen hat, kann aus den vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen keineswegs abgeleitet werden, dass im Zusammenhang mit der vom Obersten Gerichtshof für sachgerecht gehaltenen Orientierung an den Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Familienbeihilfe durch studierende Kinder (§ 2 Abs 1 lit b FLAG) für die Frage, ob ein Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird, stets allein auf den Studienerfolg in den einzelnen Studienabschnitten abzustellen sei. Der Oberste Gerichtshof hat vielmehr stets betont, dass aus der Erfüllung der Kriterien für die Gewährung von Familienbeihilfe nur „im Allgemeinen" abgeleitet werden kann, dass das Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird (RIS-Justiz RS0047687; vgl auch die Nachweise bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 376; ebenso Neuhauser in Schwimann, ABGB³ § 140 Rz 102). Die Erfüllung der Voraussetzungen für die Gewährung von Familienbeihilfe kann daher nur ein Indiz bzw eine grobe Orientierung für die Frage, ob das Studium zielstrebig und ernsthaft betrieben wird, darstellen.

Im Übrigen ist aus den vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen keineswegs abzuleiten, dass Selbsterhaltungsfähigkeit generell und ausnahmslos erst dann anzunehmen sei, wenn die durchschnittliche Studiendauer abgelaufen sei. Gerade jene Judikaturlinie, nach der die Studienzeit in den einzelnen Studienabschnitten als „Richtschnur" für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit eines Studiums bedeutsam ist (3 Ob 254/98v = ÖA 1999, 37; 6 Ob 186/00x), setzt implizit die Anstellung einer Prognose voraus, ob der Studienabschluss insgesamt innerhalb einer angemessenen Dauer möglich sein wird. In diesem Sinne wurde schon bisher die ernsthafte und zielstrebige Betreibung des Studiums verneint, wenn im 10. Semester erst eine von vier Teilprüfungen der zweiten juristischen Staatsprüfung absolviert wurde (1 Ob 604/85). Auch nach einer Reihe weiterer Entscheidungen besteht für jene Zeitperioden, in denen das Studium nicht ernsthaft betrieben wird, kein Unterhaltsanspruch (7 Ob 625/95 ua).

Bei in Studienabschnitten gegliederten Studien mag die Regelung des § 2 Abs 1 lit b FLAG weiterhin eine geeignete Orientierungsgrundlage für die Frage, ob das Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird, bilden. Fehlt jedoch eine derartige Gliederung in Studienabschnitte, so muss die erforderliche Kontrolle des periodischen Studienfortgangs durch eigenständige Beurteilung der vom Unterhaltswerber erbrachten Leistungen erfolgen. Die Zurücklegung von vier Semestern und damit zwei Drittel der Regelausbildungsdauer ermöglicht zweifellos eine entsprechende Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Bemühungen des Unterhaltswerbers. Die Absolvierung von bloß einem Fünftel der vorgeschriebenen Stunden in diesem Zeitraum kann auch nicht mit Umstellungs- und Anpassungsschwierigkeiten erklärt werden.

Soll sich die in ständiger Rechtsprechung (4 Ob 377/97p; 1 Ob 268/02x; 3 Ob 16/03d; Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 375 mwN) mit Billigung der Lehre (vgl Gitschthaler aaO) vertretene Auffassung, der Beginn eines Studiums schließe die Selbsterhaltungsfähigkeit nur dann nicht aus, wenn das Studium ernsthaft und zielgerichtet betrieben werde, nicht als bloße Leerformel erweisen, ist vielmehr eine Überprüfung des angemessenen Studienfortganges auch während des Studiums vor Ablauf der Studienhöchstdauer unerlässlich, will man nicht dem Unterhaltsberechtigten einen völligen Freibrief zu Lasten des Unterhaltspflichtigen ausstellen.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin trotz Verstreichen von mehr als drei Viertel der vorgesehen Studiendauer nur ein Fünftel der vorgesehenen Lehrveranstaltungen absolviert. Dabei liegt auf der Hand, dass auch bei größtmöglicher Anstrengung ein Abschluss des Studiums ohne ganz massive zeitliche Verzögerung undenkbar ist. Mangels zielstrebiger Betreibung des Studiums durch die Klägerin ist diese daher als selbsterhaltungsfähig anzusehen (Neuhauser in Schwimann, ABGB3 § 140 Rz 102 aE mwN).

Die verspätete Ablegung der Reifeprüfung als solche führt hingegen noch nicht zur Annahme der Selbsterhaltungsfähigkeit, zumal die zweimalige Wiederholung einer Schulstufe bereits mehrere Jahre zurückliegt. Vielmehr war hier in Anbetracht der Leistungsfähigkeit des Vaters einerseits und des letztlich doch noch unter Beweis gestellten Lernerfolges der Klägerin (vgl Neuhauser in Schwimann, ABGB³ § 140 Rz 100 mwN) ein Unterhaltsanspruch bis zur Ablegung der Reifeprüfung zu bejahen. Hinsichtlich der Höhe des Unterhaltsanspruchs kann auf die zutreffende Begründung der Vorinstanzen (vgl § 510 Abs 3 ZPO) verwiesen werden. Demnach beträgt der Unterhaltsanspruch für das Jahr 2000 monatlich EUR 392, für die zweieinhalb Monate ab Mitte Oktober bis Ende Dezember 2000 sohin EUR

980. Abzüglich der bezahlten EUR 454,20 ergibt dies sohin EUR 525,80. Für das Jahr 2001 beträgt der Unterhaltsanspruch EUR 400 monatlich, insgesamt somit EUR 4.800, was abzüglich der geleisteten EUR 2180,16 insgesamt EUR 2.619,84 ergibt. Für das Jahr 2002 beträgt der Unterhalt EUR 398 monatlich, insgesamt somit EUR 4.776, was abzüglich der geleisteten Zahlungen von EUR 2.180,16 insgesamt EUR 2.595.84 ergibt. Für die sechs Monate des Jahres 2003 beträgt der Unterhaltsanspruch monatlich EUR 405,67, insgesamt somit EUR 2.434,02, was abzüglich der geleisteten Zahlungen von EUR 1.090,08 insgesamt EUR 1.343,94 ergibt. Daraus errechnet sich der zugesprochene Gesamtrückstand von EUR 7.085,42.

Die Urteile der Vorinstanzen waren daher spruchgemäß abzuändern. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Dabei war von gleichteiligem Prozesserfolg der Streitteile auszugehen, sodass ihnen jeweils nur nach § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO Anspruch auf Ersatz der Barauslagen zustand und die Kosten im Übrigen gegenseitig aufzuheben waren. Daher war für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren nur die Differenz der Hälfte der Barauslagen zuzusprechen. § 43 Abs 2 ZPO war nicht anzuwenden, weil der Unterhaltsanspruch ab Juli 2003 schon dem Grunde nach nicht zu Recht besteht.

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