OGH 7Ob625/95

OGH7Ob625/958.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Floßmann, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Carina B*****, vertreten durch Dr.Karl Zach, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Anna B*****, vertreten durch Dr.Edeltraud Bernhart-Wagner, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterhalts infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 25. April 1995, GZ 43 R 2029, 2055/95-62, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 1.Dezember 1994, GZ 2 C 17/93-51, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am 2.8.1971 geborene Klägerin ist die Tochter der Beklagten, bei der sie nach Scheidung der Ehe ihrer Eltern aufwuchs. Seit Februar 1992 wohnt die Klägerin nicht mehr bei der Beklagten, sondern in einer Wohnung im Dachgeschoß desselben Hauses, in dem sich auch die Wohnung der Mutter befindet. Die Beklagte überwies an die Klägerin seither nur die zunächst noch an die Beklagte ausbezahlte Familienbeihilfe. Ansonsten erbrachte sie keinerlei Unterhaltsleistungen mehr an die Klägerin.

Mit ihrer am 3.2.1993 eingebrachten und in der Tagsatzung vom 29.6.1994 hinsichtlich des Zeitraumes eingeschränkten Klage begehrte die Klägerin ab 1.2.1992 monatliche Unterhaltsbeiträge von S 3.000,-- monatlich. Sie studiere seit 1989 im Einvernehmen mit der Beklagten Deutsche Philologie als Hauptfach und Anglistik und Amerikanistik als Nebenfach für das Lehramt. Ihr Studienerfolg sei gut.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil die Klägerin das Studium nicht ernsthaft und zielstrebig betreibe. Außerdem sei die Beklagte bereit, die Klägerin wieder in ihre Wohnung aufzunehmen, wodurch Kosten erspart würden. Da die Klägerin eine Waisenpension nach ihrem inzwischen verstorbenen Vater in Höhe von S 1.790,-- monatlich beziehe, über eigene Einkünfte aus Ferialarbeiten, Nachhilfestunden und Babysitten verfüge und die Familienbeihilfe erhalte, stehe ihr gegen die nur bescheidene Einkünfte beziehende Mutter kein Unterhaltsanspruch zu.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin hat 1989 maturiert und im anschließenden Wintersemester 1989/90 nach Absprache mit ihrer Mutter mit dem Studium der Deutschen Philologie als Hauptfach und der Anglistik und Amerikanistik als zweite Studienrichtung begonnen. Im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz (29.6.1994) befand sich die Klägerin im 10. Semester. Im Studienfach Deutsche Philologie schloß sie den ersten Studienabschnitt im April 1994 ab. Vier Veranstaltungen des zweiten Studienabschnittes wurden bereits positiv absolviert, ein Wahlfach wurde allerdings negativ abgeschlossen. Im Nebenfach Anglistik und Amerikanistik hat die Klägerin den ersten Studienabschnitt noch nicht abgeschlossen. Ihr fehlen (bei Schluß der Verhandlung erster Instanz) ein Prüfungsteil von insgesamt vier Prüfungsteilen im Bereich der Sprachwissenschaft sowie drei Prüfungsteile von ebenfalls vier Prüfungsteilen im Teilbereich Literaturwissenschaft, wovon ein Prüfungsteil kommissionell abzulegen ist, weil die Klägerin bereits drei Mal zu dieser Prüfung angetreten ist und jeweils negativ beurteilt wurde.

Die Klägerin hatte Einstiegsschwierigkeiten insbesondere im Studienfach Anglistik und Amerikanistik. Der Studienfortschritt besserte sich in den späteren Semestern. Der Abschluß beider Studienrichtungen einschließlich der Diplomarbeit im Fach Germanistik in 14 Semestern ist nach dem Stand des Sommersemesters 1994 möglich, wahrscheinlich ist jedoch erst ein Studienabschluß nach 15 Semestern. Die Klägerin hat sich einen Studienplan zurechtgelegt, wonach sie ihr Studium in insgesamt 14 Semestern abschließen will.

Die durchschnittliche Dauer eines Studiums der Anglistik und Amerikanistik für das Lehrfach (als Hauptfach) betrug 1988 14,9 Semester, im Studienjahr 1990/91 12,2 Semester, 1991/92 12,7 Semester und 1992/93 12,6 Semester, und zwar bezogen auf alle Universitäten Österreichs. Die durchschnittliche Dauer eines Studiums der Deutschen Philologie für das Lehramt betrug 1990/91 12,8 Semester, 1991/92 13,2 Semester und 1992/93 13,2 Semester.

Die Kläger erhält eine Halbwaisenpension in Höhe von S 1.535,80 14 x jährlich. Im Jahr 1992 bezog sie Einkünfte von S 12.000,-- aus einer Ferialarbeit beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft. Seit 1993 wird ihr die Familienbeihilfe direkt ausbezahlt.

Die Beklagte bezog im Jahr 1992 ein monatliches Durchschnittseinkommen von S 15.400,-- und im Jahr 1993 von S 18.270,--. Sie hat keine weiteren Sorgepflichten.

Das Erstgericht vertrat die Ansicht, daß die mögliche Überschreitung der (durchschnittlichen) Studiendauer nicht ins Gewicht falle, weil die Klägerin ihr Studium nunmehr eifrig betreibe. Es sei sinnwidrig, der Klägerin den Unterhaltsanspruch zum jetzigen Zeitpunkt abzuerkennen, wo sie noch die Möglichkeit eines positiven Studienabschlusses innerhalb angemessener Zeit habe.

Das Gericht zweiter Instanz änderte dieses Urteil im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Wesentlich sei, daß die Klägerin bei einer angenommenen Studiendauer von 14 Semestern für beide Studienrichtungen erst im 10. Semester den ersten Studienabschnitt aus Deutscher Philologie beendet habe, während der erste Studienabschnitt im Durchschnitt im 6. oder 7. Semester beendet werde, und daß der erste Studienabschnitt im Fach Anglistik und Amerikanistik noch immer nicht abgeschlossen sei. Diese Tatsache reiche bereits aus, um die von der Klägerin behauptete Zielstrebigkeit in der Betreibung ihres Studiums zu verneinen. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil keine Rechtsfragen in der Qualifikation des § 502 Abs 1 ZPO vorlägen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist jedoch zulässig, weil die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz den in den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes 3 Ob 323, 324/93 (veröffentlicht in EFSlg 71.567 und ÖAV 1994, 66) und 3 Ob 571, 572/94 ausgesprochenen Grundsätzen widerspricht. Die Revision ist im Sinn einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

Ein Studium schiebt den Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit hinaus, wenn es einerseits den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen entspricht und andererseits das Kind die hiefür erforderlichen Fähigkeiten besitzt und das Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt. Da das Vorliegen der ersten Voraussetzung hier nicht strittig ist - das Studium wurde in Absprache mit der Mutter begonnen -, ist in erster Linie entscheidend, inwieweit die Klägerin die von ihr inskribierten Studien ernsthaft und zielstrebig betrieben hat.

Gemäß § 2 Abs 1 lit b FLAG idF BGBl 1992/311, der durch die nachfolgenden Novellen des Familienlastenausgleichsgesetzes insoweit unberührt blieb, besteht der Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, wenn sie ein ordentliches Studium ernsthaft und zielstrebig betreiben. Das Studium wird ernsthaft und zielstrebig betrieben, wenn im ersten Studienabschnitt nach jedem Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- oder Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von 8 Semesterwochenstunden nachgewiesen wird. Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Die Erbringung des Studiennachweises ist Voraussetzung für den Anspruch nach dem zweiten und den folgenden Studienjahren des 1. Studienabschnittes. Der Nachweis ist erstmals zu Beginn des Studienjahres 1993/94 und unabhängig von einem Wechsel der Einrichtung oder des Studiums durch Bestätigung der im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannten Einrichtungen zu erbringen.

Wie in der Entscheidung 3 Ob 523, 524/93 ausgeführt wurde, sind die in dieser Bestimmung genannten Kriterien auch für den Anspruch des Kindes hinsichtlich der Frage maßgebend, ob ein Studium als ernsthaft und zielstrebig betrieben anzusehen ist. Dies entspricht offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers, der den Anspruch auf Familienbeihilfe und den Unterhaltsanspruch in der Frage der Beurteilung des Studienfortganges gleich behandelt wissen wollte. Für andere Fragen ist die Gleichbehandlung hingegen nicht angebracht. Vor allem erlischt daher der Unterhaltsanspruch nicht schematisch (schon oder erst) mit der Vollendung des 27. Lebensjahres, sondern (schon oder erst) mit dem Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit. Bei der Lösung der Frage, ob der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit durch ein Studium hinausgeschoben wird, kann nicht allein das Lebensalter herangezogen werden, sondern es kommt auf die durchschnittliche Studiendauer an.

Durch ein Studium wird daher der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit grundsätzlich hinausgeschoben, wenn es das Kind ernsthaft und zielstrebig betreibt. Das Studium wird im allgemeinen ernsthaft und zielstrebig betrieben, wenn die im § 2 Abs 1 lit b FLAG idF BGBl 1992/311 angeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Der Anspruch auf Unterhalt erlischt jedoch trotzdem, wenn die durchschnittliche Studiendauer erreicht wird und nicht besondere Gründe vorliegen, die ein längeres Studium gerechtfertigt erscheinen lassen.

Die Vorschrift des § 2 Abs 1 lit b FLAG idF BGBl 1992/311 ist zwar erstmals auf das Studienjahr 1993/94 anzuwenden. Es bestehen aber keine Bedenken dagegen, die in dieser Bestimmung festgelegten Voraussetzungen für den Bereich des Unterhaltsrechts auch für frühere Zeiträume heranzuziehen, weil mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon ausgegangen werden kann, daß der Gesetzgeber den Studienerfolg auch für frühere Zeiträume nach denselben Kriterien beurteilt hätte, und daß es daher dem Willen des Gesetzgebers entspricht, daß sie im Bereich des Unterhaltsrechts auch für frühere Zeiträume herangezogen werden.

In der Entscheidung 3 Ob 571, 572/94, die in derselben Sache im zweiten Rechtsgang erging, führte der Oberste Gerichtshof (nochmals) aus, daß durch die Aufnahme eines Studiums der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes solange hinausgeschoben wird, wie die durchschnittliche Dauer dieses Studiums beträgt. Auch während dieses Zeitraumes hat das Kind aber nur Anspruch auf Unterhalt, wenn es das Studium ernsthaft und zielstrebig im Sinn des § 2 Abs 1 lit b FLAG idF BGBl 1992/311 betreibt.

Es kommt also nicht darauf an, ob es möglich oder wahrscheinlich ist, daß die Klägerin ihr Studium innerhalb der durchschnittlichen Studiendauer beenden wird. Der Unterhaltsschuldner ist auch dann bis zum Ende der durchschnittlichen Studiendauer zu Unterhaltszahlungen verpflichtet, wenn wahrscheinlich ist, daß das Kind das Studium nicht innerhalb dieses Zeitraumes beendet wird. Es ist nämlich nicht einzusehen, warum der Unterhaltspflichtige schon deshalb von seiner Unterhaltspflicht zur Gänze befreit werden müßte, weil das Kind in einzelnen Abschnitten der als angemessen zu betrachtenden Studiendauer das Studium nicht ernsthaft und zielstrebig betrieben hat, zumal er für diese Abschnitte ohnedies keinen Unterhalt zu leisten hat (ebenfalls 3 Ob 571, 572/94).

Entgegen der Ansicht des Gerichtes zweiter Instanz ist daher der Unterhaltsanspruch nicht schon deshalb für den gesamten begehrten Zeitraum zu versagen, weil die ersten Diplomprüfungen nicht innerhalb des von anderen Studenten im Durchschnitt eingehaltenen Zeitraumes absolviert wurden. Es kommt vielmehr darauf an, ob und innerhalb welcher Zeiträume die Klägerin seit 1.2.1992 bis zum Ende der durchschnittlichen Studiendauer die von ihr gewählten Studien, gerechnet ab deren Beginn (da kein Studienwechsel stattfand), ernsthaft und zielstrebig im Sinn der in § 2 FLAG aufgezeigten Kriterien betrieben hat.

Wie sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen ergibt, war die durchschnittliche Studiendauer im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz noch nicht abgelaufen und ist es auch derzeit noch nicht. Zur Ermittlung der durchschnittlichen Studiendauer haben die Vorinstanzen die vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung mitgeteilten, vom Österreichischen statistischen Zentralamt ermittelten Werte zugrundegelegt, die von der Gesamtzahl der Absolventen der jeweiligen Studienrichtung im betreffenden Studienjahr ausgehen. Dieses Vorgehen war entgegen der Ansicht der Revision, die offen läßt, wie die Durchschnittsdauer sonst erhoben werden sollte, durchaus zweckmäßig. Die Zugrundelegung der statistischen durchschnittlichen Studiendauer aller Absolventen kann sich selbst bei Bedachtnahme auf den Umstand, daß solcherart in die Berechnung der Durchschnittsdauer auch Extremwerte einbezogen werden, nicht zum Nachteil, sondern eher zum Vorteil der Klägerin auswirken. Denn die kürzeste Studiendauer ist durch die vorgeschriebene Mindestsemesterzahl begrenzt, sodaß Extremwerte ohnedies nur bei der längsten Studiendauer denkbar sind, weshalb die Durchschnittsdauer eher nach oben als nach untenhin verzerrt wird.

Aus den bisherigen Feststellungen der Vorinstanzen läßt sich aber nicht entnehmen, wann die Klägerin welche Teilprüfungen der ersten Diplomprüfung und wann und in welchem Umfang sie sonstige Prüfungen aus Pflicht- oder Wahlfächern abgelegt hat. Die Tatsache, daß der Klägerin noch Familienbeihilfe gewährt wurde, kann die Prüfung der Voraussetzung, daß das Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird, in diesem Verfahren nicht ersetzen, weil der Bescheid über die Gewährung der Familienbehilfe keine Bindungswirkung dahin hat, daß im gerichtlichen Unterhaltsverfahren jedenfalls vom Vorliegen der Voraussetzungen ausgegangen werden müßte.

Triftige Gründe für den allenfalls mangelhaften Studienerfolg der Klägerin lassen sich dem Akteninhalt entgegen den Revisionsausführungen nicht entnehmen und wurden im Verfahren auch nicht konkret behauptet. Die Ehe der Eltern der Klägerin wurde nach den insoweit unbestrittenen Behauptungen der Beklagten noch im Kleinkindalter der Klägerin geschieden, sodaß eine Irritation der Klägerin durch allfällige Scheidungswirren auszuschließen ist. Daß die Klägerin an einer länger andauernden Erkrankung gelitten hätte, wie in ihren Behauptungen im Verfahren erster Instanz anklingt, hat sie nicht unter Beweis gestellt. Es ist auch nicht erkennbar, inwieweit die Tatsache, daß die Klägerin nunmehr mit der Beklagten zerstritten ist, zu einer derart psychischen Belastung der Klägerin geführt hätte, daß allein dadurch Verzögerungen im Studium begründbar sein könnten.

Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, daß die Klägerin - sei es ab 1.2.1992 durchgehend bis heute oder sei es auch bloß abschnittsweise - ihr Studium ernsthaft und zielstrebig im Sinn der aufgezeigten Kriterien betrieb, wird der Unterhaltsanspruch der Klägerin auch der Höhe nach zu prüfen und ein allfälliger Zuspruch entsprechend zu begründen sein. In diesem Zusammenhang wird auch klarzustellen sein, ob die Klägerin den Betrag von S 3.000,-- monatlich von der Mutter zusätzlich zu den bereits geleisteten Zahlungen in Höhe der Familienbeihilfe oder abzüglich dieser Zahlungen begehrt.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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