OGH 3Ob115/14d

OGH3Ob115/14d23.7.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1. K*****, 2. M*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter C*****, vertreten durch Dr. Gerhard Kornek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Obsorge, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 20. Mai 2014, GZ 16 R 157/14y‑102, womit über Rekurs der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom 10. März 2014, GZ 2 PS 208/12w‑87, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25. März 2014, GZ 2 PS 208/12w‑91, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00115.14D.0723.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Im Juni 2012 verließ die Mutter mit ihren nun fast sieben bzw knapp über fünf Jahre alten Töchtern Österreich und reiste nach Kalifornien. Im Zuge eines vom Vater wegen der Verbringung der Kinder eingeleiteten Verfahrens nach dem HKÜ vereinbarten die Eltern vor dem zuständigen Gericht in Kalifornien am 1. Juli 2013, dass die Mutter mit den Kindern nach Österreich zurückkehren und die Kinder beim Vater wohnen sollten. Seit 13. Juli 2013 befinden sich die Kinder in ausschließlicher Pflege und Erziehung des Vaters in Baden. Die Mutter verließ am 20. Juli 2013 überraschend Österreich und kehrte nach Kalifornien zurück. Sie reiste lediglich zu den Gerichtsterminen in diesem Verfahren an.

Die Vorinstanzen übertrugen dem Vater die Alleinobsorge für die Minderjährigen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen den Ausführungen im Revisionsrekurs widerspricht die Obsorgeentscheidung der Vorinstanzen weder den Grundsätzen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch erweist sie sich zur Wahrung des Kindeswohls als korrekturbedürftig:

1. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, welchem Elternteil bei Gegenüberstellung der Persönlichkeiten, Eigenschaften und Lebensumstände die Obsorge für das Kind übertragen werden soll, ist immer eine solche des Einzelfalls, der keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zukommt, wenn die Entscheidung das Kindeswohl als oberstes Prinzip des Pflegschaftsverfahrens wahrt (stRsp; RIS‑Justiz RS0007101 [T1]; RS0115719).

2. Im Anlassfall strebt die Mutter eine Obsorge beider Eltern wegen der großen räumlichen Distanz der Wohnorte der Eltern nicht an. Sie beantragt vielmehr ‑ wie auch der Vater ‑ die Alleinobsorge.

3. Die Vorinstanzen bejahten die Erziehungsfähigkeit beider Eltern und begründeten die Obsorgeübertragung an den Vater im Wesentlichen damit, dass die Verbringung der Kinder nach Kalifornien ohne Zustimmung des mitobsorgeberechtigten Vaters dafür spreche, dass die Mutter ihre eigenen Bedürfnisse vor jene der Kinder stelle. Dieser Eindruck werde dadurch bestätigt, dass die Mutter sich an die am 1. Juli 2013 geschlossene Vereinbarung nicht gehalten habe. Sie sei knapp zwei Wochen nach der Rückkehr der Kinder nach Kalifornien übersiedelt. Eine neuerliche Umorientierung der Kinder, die sich an die derzeitige Betreuungssituation gewöhnt hätten und die bei Übersiedlung nach Kalifornien zur Mutter aus der gewohnten Umgebung gerissen würden, liege nicht in deren Wohl.

4. Dagegen wendet die Mutter in ihrem Revisionsrekurs im Wesentlichen ein, dass das Rekursgericht die Erziehungskontinuität vernachlässige, weil es die Mutter gewesen sei, die die Kinder vorwiegend von Geburt an betreut hätte. Erst seit Juli 2013 bestehe die derzeitige Betreuungssituation. Überdies sei bei Kleinkindern im Zweifel der Mutter der Vorzug zu geben. Ferner rügt der Revisionsrekurs Mängel des Rekursverfahrens und behauptet überdies Feststellungsmängel.

5. Bereits in zweiter Instanz verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz können auch im Außerstreitverfahren in dritter Instanz grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden, es sei denn, eine Durchbrechung dieses Grundsatzes ist aus Gründen des Kindeswohls erforderlich (RIS‑Justiz RS0030748 [T4]).

Die Revisionsrekurswerberin legt keinen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der geeignet wäre, eine unrichtige Sachentscheidung herbeizuführen oder das Kindeswohl zu gefährden: Das Erstgericht hat die von der Mutter im Verfahren vorgelegten „Privatgutachten“ ohnedies als Beweismittel (RIS‑Justiz RS0040363) berücksichtigt und diesen unter Hinweis darauf keine entscheidende Bedeutung beigemessen, dass die Gutachter keinen persönlichen Kontakt mit den Kindern hatten. Dabei handelt es sich um die Beweiswürdigung des Erstgerichts, die vom Obersten Gerichtshof, der auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfbar ist (RIS‑Justiz RS0007236 [T1]).

6. Abgesehen davon, dass der Vater nach den erstgerichtlichen Feststellungen auch bis zur Verbringung der Kinder nach Kalifornien wesentliche Betreuungsleistungen erbrachte, befinden sich die Kinder nun seit Juli 2013 in Pflege und Erziehung des Vaters und haben ‑ nicht zuletzt wegen der überraschenden Rückkehr der Mutter nach Kalifornien bereits zwei Wochen nach Rückübersiedlung der Kinder nach Österreich ‑ mit der Mutter deutlich weniger Kontakt. Darüber hinaus lässt der Revisionsrekurs unberücksichtigt, dass nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung die Kontinuität der Erziehung nicht nur für die Pflegeperson zu beachten ist, sondern auch die räumliche Umgebung und das soziale Umfeld betrifft (3 Ob 155/12h EF‑Z 2013/10 [Beck] mwN). Die Kinder haben sich nach den Feststellungen in ihr räumliches und soziales Umfeld gut eingelebt. Unter diesen Umständen ist die Auffassung des Rekursgerichts, ein erneuter Umgebungswechsel sei dem Kindeswohl abträglich, jedenfalls vertretbar.

7. Das vom Revisionsrekurs behauptete Postulat des absoluten Vorrangs der Mutter bezüglich der Pflege und Erziehung von Kleinkindern besteht jedenfalls nach neuerer höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht (5 Ob 207/08i = RIS‑Justiz RS0047830 [T8] mwN). Im Übrigen kann bei Kindern im Alter von fast sieben und fünf Jahren nicht mehr von „Kleinkindern“ gesprochen werden.

8. Schließlich liegen auch die gerügten Feststellungsmängel nicht vor: Zu den von der Mutter in den Raum gestellten Selbstmorddrohungen des Vaters nahm das Erstgericht ebenso ausdrücklich Stellung wie zu der von der Mutter angesprochenen Schusswaffe. Dazu traf es die Feststellung, dass eine Selbstmordäußerung des Vaters nur ein Mal im Frühjahr 2011 anlässlich der ersten Konfrontation des Vaters mit dem Scheitern der Ehe, also situationsbedingt, erfolgte. Der Vater hat als Offizier des Österreichischen Bundesheers eine an einem anderen Ort vorschriftsmäßig versperrt verwahrte Pistole.

9. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist daher der Revisionsrekurs der Mutter zurückzuweisen.

Stichworte