Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Text
Begründung
Die in Scheidung lebenden Eltern beantragten die Übertragung der alleinigen Obsorge für beide ehelichen Kinder im nunmehrigen Alter von 9 und 6 ½ Jahren, die seit ihrer Geburt in Österreich aufwuchsen. Nach dem Auszug des Vaters aus der Ehewohnung befanden sich die beiden Mädchen vom 5. Februar 2009 bis September 2010 beim Vater am Wohnort seiner Eltern in Kärnten. Im September 2010 wurde die Obsorge der Mutter allein vorläufig zugeteilt, die seither den Aufenthaltsort beider Kinder bestimmen kann und sie in Graz zum Schul‑ bzw Kindergartenbesuch anmelden konnte. Seither besuchten sie in Graz die Volksschule und den Kindergarten und wohnten mit ihrer Mutter in Graz. Am 12. Februar 2012 reiste die Mutter gemeinsam mit den beiden Kindern, ohne den Vater zu informieren, in ihre Heimat nach Pakistan, wo sie seit einiger Zeit beruflich an einer dortigen Universität beschäftigt ist. Die beiden Kinder besuchen dort eine private Schule mit internationalem Standard. Zum Vater hatten die beiden seit ihrer Verbringung nach Pakistan keinerlei Kontakt mehr. Grundsätzlich weisen beide Kindeseltern keinerlei unterschiedliche Kompetenzen in ihren pädagogischen Fähigkeiten und in ihrer Lebensführung auf, welche signifikante oder auch nur tendenzielle Unterschiede in ihrer Obsorgeeignung erkennen lassen, sodass grundsätzlich von einer gleichen Eignung beider Elternteile auszugehen ist. Durch den Umzug nach Pakistan mussten die Kinder einen das Kindeswohl gefährdenden Beziehungs- und auch Bindungsbruch zum Kindesvater erleiden. Nunmehr sind Zweifel an der Bindungstoleranz der Mutter angebracht.
Das Erstgericht entzog der Mutter die Obsorge für beide Kinder und betraute damit den Vater allein.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge, weil die Vorgangsweise der Mutter im Zusammenhang mit der Verbringung der Kinder nach Pakistan erhebliche Zweifel an ihrer charakterlichen Eignung für die Erziehung und Betreuung der Kinder aufkommen lasse. Die Argumentation der Mutter, sie sei zur Verlegung ihres Lebensmittelpunkts nach Pakistan von den Umständen gezwungen gewesen, übersehe, dass ausschließlich das Kindeswohl maßgeblich sei, hinter das die Interessen der Eltern zurückzutreten hätten.
Der Mutter gelingt es in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs nicht, erhebliche Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen, weshalb ihr Rechtsmittel als nicht zulässig zurückzuweisen ist.
Rechtliche Beurteilung
1. Der erkennbar auf den Grundsatz der Kontinuität der Erziehung abzielende Verweis auf eine Betreuung der Kinder durch die Mutter seit 2009 ist aktenwidrig, weil die Kinder von Februar 2009 bis Herbst 2010 bei den väterlichen Großeltern lebten, was die Mutter dem Vater ja zum Vorwurf macht. In der Folge wurde ihr die beschränkte Alleinobsorge auch nur vorläufig übertragen (ON III/87). Dadurch sollte nicht zum Nachteil des Vaters ein Faktum geschaffen werden (RIS‑Justiz RS0007012; RS0007008). In einem solchen Fall kann der Grundsatz der Kontinuität der Erziehung auch nicht (ausschließlicher) Grund der Obsorgezuteilung sein (5 Ob 163/11y mwN; 7 Ob 253/01h).
Die Kontinuität der Erziehung ist überdies nicht nur für die Pflegeperson zu beachten, sondern betrifft auch die räumliche Umgebung und das soziale Umfeld (vgl 1 Ob 40/08a; 4 Ob 220/09w). Das plötzliche Herausreißen der Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung mitten im Schul‑/Kindergartenjahr in Verbindung mit dem unvorbereiteten Abbruch der Betreuungskontinuität durch den Vater widerspricht dem Grundsatz der Kontinuität jedenfalls, der dem Wohl des Kindes unterzuordnen ist (RIS‑Justiz RS0047928), das mit der Übersiedlung der Mutter ‑ nach den Feststellungen auf der Grundlage des familienpsychologischen Gutachtens - jedenfalls nicht gefördert wurde.
Die Behauptung im Revisionsrekurs, die Kinder würden sich in Pakistan wohlfühlen und seien sozial integriert, wurde in erster Instanz gar nicht erhoben; die übrigen ‑ dennoch vom Erstgericht zum Teil übernommenen, jedoch in der Rekursbeantwortung des Vaters bekämpften - ohnehin nur sehr allgemein gehaltenen Behauptungen zur Lebenssituation von Mutter und Kindern blieben ohne jedes Beweisanbot. Die Mutter hat dem Gericht bisher auch keinerlei konkrete Angaben über den Wohn- und Schulort der Kinder gemacht, deren nähere Lebensumstände daher in Wahrheit verheimlicht, sodass sie entsprechende Feststellungen dazu nicht erwarten darf.
2. Die schon in erster Instanz bemühte Rechtfertigung der Mutter für die von ihr gesetzte einschneidende, vollendete und nur sehr schwer rückgängig zu machende Tatsachen für die Kinder und den Vater schaffende Maßnahme, für die sie eine ihrer Ansicht nach unerträgliche Lebenssituation in Österreich ins Treffen führt, muss bei der Obsorgezuteilung unberücksichtigt bleiben. Im Spannungsverhältnis zwischen Elternrechten und dem ‑ richtig beurteilten ‑ Kindeswohl haben erstere naturgemäß zurückzutreten (4 Ob 186/01h; RIS‑Justiz RS0048632 [T7]; RS0048969 [T1]).
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