OGH 4Ob186/01h

OGH4Ob186/01h12.9.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Cornelia H*****, geboren am 18. April 1986, wegen Zuteilung der Obsorge, infolge Revisionsrekurses der Mutter Gabriela H*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar und Mag. Norbert Marschall, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 13. Juni 2001, GZ 37 R 174/01s-114, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Purkersdorf vom 4. Mai 2001, GZ 1 P 1270/95s-110, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs der Mutter wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 16 Abs 3 AußStrG) - Ausspruch des Rekursgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 14 Abs 1 AußStrG ab:

Bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind ist ausschließlich dessen Wohl maßgebend (EFSlg 87.014; EFSlg 89.783); im Spannungsverhältnis zwischen Elternrechten und dem - richtig beurteilten - Kindeswohl haben erstere naturgemäß zurückzutreten (JBl 1996, 714 = EFSlg 81.134; EFSlg 89.783).

Die Entziehung der Obsorge darf grundsätzlich nur als äußerste Notmaßnahme unter Anlegung eines strengen Maßstabs angeordnet werden (EFSlg 87.005; 10 Ob 25/00). Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindewohls iSd § 176 ABGB ist nach den Gesetzesmaterialien nicht geradezu ein Missbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen. Es genügt, dass die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt worden sind oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden. Eine Pflichtverletzung in diesem Sinne kann auch vorliegen, wenn die Eltern ihre Pflicht zu einvernehmlichem Vorgehen verletzen. Die Gefährdung des Kindeswohls kann daher auch schon darin liegen, dass wichtige Veränderungen eingetreten sind, die Eltern aber diesen Veränderungen nicht durch einvernehmliches Vorgehen Rechnung tragen (SZ 53/142 = EvBl 1981/82 = ÖA 1982, 36; EFSlg 54.020).

Ein Wechsel der Pflege- und Erziehungsverhältnisse kann vorgenommen werden, wenn besonders wichtige Gründe im Interesse des Minderjährigen eine Änderung geboten erscheinen lassen (EFSlg 59.821). Als wichtiger Grund kommt auch der ernstliche Wille eines mündigen Kindes in Betracht, dem anderen Elternteil zugewiesen zu werden, soll doch einem solchen Minderjährigen die Obsorge durch einen Elternteil möglichst nicht gegen seinen Willen aufgezwungen werden, wenn nicht schwerwiegende Gründe dagegen sprechen und der Wunsch nicht gegen die offenbar erkennbaren Interessen des Kindes gerichtet ist (EFSlg 59.815; EFSlg 75.187; 1 Ob 2296/96w; EFSlg 87.021; 9 Ob 43/99k).

Die Entscheidung, welchem Elternteil die Kindesobsorge übertragen werden soll, ist immer eine solche des Einzelfalles, der keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG zukommt, wenn dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde (EFSlg 82.840; EFSlg 88.590; EFSlg 91.583 uva).

Die angefochtene Entscheidung hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Das Rekursgericht hat dem Wunsch der im 16. Lebensjahr stehenden Tochter, die aus eigenem Antrieb (und mit Zustimmung der Mutter) seit November 1999, also seit nahezu zwei Jahren, im Haushalt des Vaters lebt, Rechnung getragen und dem Vater die Obsorge übertragen. Eine die Übertragung der Obsorge auf den Vater rechtfertigende Gefährdung des Kindeswohls liegt dabei schon darin, dass nach eingetretener wichtiger Änderung der Verhältnisse - nämlich des dringenden Wunsches der Minderjährigen, zukünftig auf Dauer im Haushalt des Vaters wohnen zu wollen - die bisher obsorgeberechtigte Mutter einem einvernehmlichen Vorgehen der Eltern in diese Richtung nicht zugestimmt hat.

Dass bei dieser Entscheidung nicht ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen worden wäre, ist nicht zu erkennen. Schwerwiegende Gründe, die dem Wunsch des Kindes entgegenstünden, wurden nicht festgestellt und liegen auch nicht in - von der Rechtsmittelwerberin im Zusammenhang mit einem einjährigen Auslandsaufenthalt der Minderjährigen befürchteten - administrativen Problemen, wird es doch dem Vater leicht möglich sein, die nunmehr auf ihn übertragene Obsorge gegenüber Dritten nachzuweisen. Sollte im übrigen die (dann weniger als zwei Jahre vor der Volljährigkeit stehende) Minderjährige nach ihrer Rückkehr aus dem Ausland den Wunsch haben, in den Haushalt der Mutter zurückzukehren, wird diesem Verlangen - im Sinne der zuvor dargestellten Rechtsprechung - nicht entgegengetreten werden können.

Der Revisionsrekurs war wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG als unzulässig zurückzuweisen.

Stichworte