Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung
Im Juni 2006 zogen der (damals) fast 8-jährige Lukas und der 6-jährige Mathias gemeinsam mit ihrer Mutter aus der Ehewohnung (einem Haus mit Garten) in die in einer anderen Ortschaft gelegene Wohnung des nunmehrigen Lebensgefährten der Mutter. Nach der am 18. 1. 2007 erfolgten Scheidung der Ehe ihrer Eltern verblieben die Kinder in der Obsorge der Mutter. Aufgrund der Weigerung der Mutter konnten die Besuchskontakte zum Vater ab Oktober 2006 nur mehr im Rahmen des „Besuchscafes" abgewickelt werden. Nach einer von den Eltern getroffenen Vereinbarung konnte der Vater die Kinder dann tageweise mit sich nehmen. Gegen eine Übernachtung beim Vater sprach sich die Mutter weiterhin aus. Die Kinder sind an beide Elternteile im Sinne einer vertieften Beziehung gebunden und leiden an der Trennung und den sich daraus ergebenden Konflikten. Beide Elternteile sind im Rahmen der Norm zur Ausübung der Obsorge befähigt. Bei der Mutter liegen jedoch schwere Defizite im Bereich der Wahrnehmung und der angemessenen Reaktion auf kindliche Signale vor. Dies äußert sich beispielsweise beim Unterbinden der Besuchskontakte zum Vater bzw in der Vorgabe, den Besuchskontakt ausschließlich im Rahmen eines „Besuchscafes" vorzunehmen, was den kindlichen Bedürfnissen in keiner Weise entsprach. Dem gegenüber weist der Vater eine deutlich höhere „Bindungstoleranz" als die Mutter auf. Er wirkt insgesamt engagierter und einfühlsamer im Umgang mit den Ängsten und Empfindungen der Kinder. Er zeigt sich geschickter, was das schulische Fortkommen sowie die sportliche und soziale Förderung der Kinder anlangt. Beide Kinder fühlen sich weiterhin an ihrem früheren Wohnort (dem letzten gemeinsamen Wohnsitz der Eltern) zu Hause. Der Wegzug aus der gewohnten Umgebung und aus dem familiären Umfeld, insbesondere von den väterlichen Großeltern, erweist sich als problematisch; ebenso der mit dem Umzug verbundene Verlust von Kinderfreundschaften und das Eingehen der - von den Kindern nicht gewünschten - neuen Lebensgemeinschaft der Mutter. Ein Verständnis der Mutter für derartige Belastungsfolgen bei den Kindern ist nicht ersichtlich. Anhaltspunkte für einen gewalttätigen Umgang des Vaters mit den Kindern sind nicht erkennbar. Nicht feststellbar war, ob der Auszug der Mutter aus dem ehelichen Haus durch eine gefährliche Drohung des Vaters veranlasst war oder der Grund darin lag, dass die Mutter zu ihrem nunmehrigen Lebensgefährten übersiedeln wollte. Die Übertragung der Obsorge an den Vater steht dem Wunsch der Kinder nicht entgegen.
Beide Elternteile beantragten, jeweils ihnen die alleinige Obsorge zu übertragen.
Das Erstgericht sprach aus, dass die Obsorge künftig dem Vater allein zustehe.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.
Maßstab für den Inhalt einer Entscheidung nach § 177a ABGB ist allein, welcher Elternteil zur Übernahme der alleinigen Obsorge besser geeignet ist und welche Entscheidung dem Wohl der Kinder besser dient. Das Wohl des Kindes hat stets im Vordergrund zu stehen (RIS-Justiz RS0048969), wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind (RIS-Justiz RS0048632). Unabhängig vom Wohl des Kindes hat kein Elternteil ein Vorrecht auf dessen Pflege und Erziehung (RIS-Justiz RS0047911). Bei der Entscheidung sind neben den materiellen Interessen an möglichst guter Verpflegung und guter Unterbringung der Kinder auch das Interesse an möglichst guter Erziehung, möglichst sorgfältiger Beaufsichtigung und an möglichst günstigen Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen seelischen und geistigen Entwicklung zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0047832). Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, welchem Elternteil bei Gegenüberstellung der Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände die Obsorge für das Kind übertragen werden soll, ist immer eine solche des Einzelfalls, der keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden kann (RIS-Justiz RS0007101), sofern auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde (RIS-Justiz RS0115719). Das ist hier der Fall.
1. Es kam nicht nur zu „Unzukömmlichkeiten" im Zusammenhang mit der Ausübung des Besuchsrechts. Vielmehr steht fest, dass die Revisionsrekurswerberin die für die Kinder gerade nach dem Auszug aus dem Elternhaus wichtigen Besuchskontakte zum Vater gezielt und massiv eingeschränkt bzw unterbunden hat. Dass Anlass für diese Vorgangsweise ein aggressiver bzw gewalttätiger Umgang des Vaters mit den Kindern gewesen wäre, konnte nicht festgestellt werden. Liegen keine gewichtigen Gründe vor, die eine Einschränkung bzw das Unterbinden von Besuchskontakten rechtfertigen oder zumindest plausibel machen, können aus dem Verhalten der so handelnden Person sehr wohl Rückschlüsse auf deren Befähigung zur Obsorge gezogen werden. Dass auch das Verhalten des betreuenden Elternteils im Zusammenhang mit der Ausübung des Besuchsrechts dem Kindeswohl abträglich sein kann, wenn dieses Verhalten das Recht des Kindes auf persönlichen Verkehr mit dem nicht betreuenden Elternteil gefährdet, entspricht ständiger Rechtsprechung (6 Ob 2398/96g; 1 Ob 46/06f). Scheidungsursachen haben hingegen grundsätzlich keinen Einfluss auf die Obsorgeentscheidung (SZ 53/142).
2. Dem Revisionsrekursvorbringen, die Pflege und Erziehung der Kinder werde infolge der vollen Berufstätigkeit des Vaters offensichtlich vornehmlich durch den (benachbart lebenden) väterlichen Großvater vorgenommen werden, ist entgegenzuhalten, dass der Umstand, ob ein Elternteil einer Beschäftigung nachgeht oder nicht, keine Rückschlüsse auf seine Fähigkeiten zur Betreuung eines Kindes zulässt. Wenngleich auch die Betreuungsmöglichkeiten bei Obsorgeentscheidungen zu berücksichtigen sind und grundsätzlich die Pflege durch einen Elternteil der Fremdpflege (auch durch die Großeltern) vorzuziehen ist, ist es zulässig, dass der pflegende Elternteil seine Aufgaben teilweise an Dritte (wie etwa im Rahmen einer Nachmittagsbetreuung in der Schule) überträgt, wenn ihm nur die Oberaufsicht über die Betreuung und die verantwortliche Leitung der Erziehung erhalten bleibt (Stabentheiner in Rummel, ABGB3 § 177 Rz 2b mwN; SZ 69/20). Von diesen Grundsätzen weicht die Entscheidung des Rekursgerichts nicht ab. Im Übrigen ergibt sich aus dem Akteninhalt, dass der Vater seine Arbeitszeit im Rahmen eines „Gleitzeitmodells mit Pauschalkernzeit" gestalten kann und dass auch die Mutter - wenngleich „nur" 25 Stunden wöchentlich - berufstätig ist. Der „Vorsprung", den die Mutter aus der von ihr relevierten Eigenpflege durch sie ableitet, tritt sohin gegenüber den für eine Obsorgeübertragung an den Vater sprechenden Gegebenheiten in den Hintergrund.
3. Grundsätzlich herrscht im Revisionsrekursverfahren Neuerungsverbot, sodass neue Tatsachen nur zur Unterstützung der Revisionsrekursgründe vorgebracht werden können (§ 66 Abs 2 AußStrG). Nach dem Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz (hier also nach August 2007) eingetretene, aktenkundige neue Entwicklungen sind aber zu berücksichtigen, sofern dies im Interesse der Kinder notwendig ist (SZ 69/20; RIS-Justiz RS0048056). Solche Umstände, die eine Betrauung der Mutter mit der alleinigen Obsorge rechtfertigen könnten, lassen sich aber weder daraus ableiten, dass der Vater allenfalls „mittlerweile innerhalb kurzer Zeit verschiedene Freundinnen habe und seine Freizeit immer weniger den Kindern widme", noch daraus, dass der Vater die Ausübung des Besuchsrechts durch die Revisionsrekurswerberin „nunmehr erschwere".
4. Ob die Feststellung bestimmter (negativer) Tatsachen gerechtfertigt ist, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die im Rahmen eines außerordentlichen Revisionrekurses nicht angefochten werden kann (RIS-Justiz RS0007533). Das Vorliegen behaupteter Mängel des Verfahrens erster Instanz wurde bereits vom Rekursgericht mit ausführlicher und nachvollziehbarer Begründung verneint, sodass diese Mängel nicht mehr erfolgreich mit Revisionsrekurs geltend gemacht werden können. Von diesem Grundsatz könnte nur im Falle einer vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmenden Missachtung des Kindeswohls abgewichen werden (4 Ob 99/06x mwN). Dafür mangelt es aber an Anhaltspunkten.
5. Im Hinblick darauf, dass die Kinder zum Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts bereits etwa ein Jahr allein von ihrer Mutter an deren neuem Wohnort betreut worden waren, ist im Interesse des Kindeswohls zu prüfen, ob der mit der Übertragung der Obsorge an den Vater verbundene neuerliche Wohnortwechsel nicht dem Grundsatz der Kontinuität der Lebens- und Erziehungsverhältnisse entgegensteht (RIS-Justiz RS0047928). Nun steht aber fest, dass sich beide Kinder an ihrem früheren Wohnort (weiterhin) „zu Hause fühlen" und - ungeachtet der zeitweiligen Einschränkung des Besuchskontakts - an den Vater im Sinne einer vertieften Beziehung gebunden sind; gerade der mit dem Wegzug zur Mutter und deren Lebensgefährten verbundene Verlust des „familiären Umfelds" und von Kinderfreundschaften hat sich „insgesamt als problematisch" erwiesen. So gesehen werden durch die Übertragung der Obsorge an den Vater in Wahrheit die „kontinuierlichen Verhältnisse" wiederhergestellt.
Da die Revisionsrekurswerberin nicht aufzuzeigen vermag, inwiefern den Vorinstanzen unter Missachtung des Wohls der Kinder eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, ist der außerordentliche Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.
Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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