OGH 9Ob30/14y

OGH9Ob30/14y25.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. P***** W*****, 2. C***** W*****, und 3. K***** S*****, alle vertreten durch Grassner Lenz Thewanger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. R***** M*****, und 2. H***** Gesellschaft mbH, *****, beide vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 37.800 EUR sA (Erstkläger), 12.455,87 EUR sA (Zweitkläger) und 345,28 EUR sA (Drittklägerin) und Feststellung (je 3.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien (Revisionsstreitwert hinsichtlich Erstkläger 18.286,67 EUR sA; hinsichtlich Zweitkläger 4.523,02 EUR sA; hinsichtlich Drittklägerin 1.155,33 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. Februar 2014, GZ 6 R 29/14y‑48, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0090OB00030.14Y.0625.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Parteien wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Die Vorinstanzen legten ihrer Entscheidung über die Schadenersatzansprüche der Kläger aufgrund des Unfalls des Erstklägers mit dem vom Erstbeklagten gelenkten und von der Zweitbeklagten gehaltenen Pistengerät ein Alleinverschulden des Erstbeklagten zu Grunde.

Dem Erstbeklagten legten die Vorinstanzen zur Last, während des Pistenbetriebs mit einem Pistengerät eine Schneekanone transportiert zu haben, obwohl er davon wegen der erheblichen Sichteinschränkung durch die Montage der Schneekanone im Frontbereich des Pistengeräts Abstand nehmen hätte müssen. Durch diese Vorgangsweise habe er den Snowboard fahrenden Erstkläger, dessen Sturz und Rutschphase sich im sichttoten Bereich zugetragen hätten, nicht wahrnehmen können. Das Erstgericht verneinte ein Verschulden des Erstklägers. Dieser sei mit seinem Snowboard mit eher geringer und seinem Fahrkönnen entsprechender Geschwindigkeit über eine Kuppe gefahren, als er bei dem Versuch, dem entgegenkommenden Pistengerät auszuweichen, auf der steilen und harten Piste aufgrund eines Kantenfehlers zu Sturz gekommen sei. Da ein Verkanten auch für geübte und sehr gute Snowboarder, insbesondere bei den gegebenen kompakten Kunstschneeverhältnissen nicht gänzlich vermeidbar sei, seien dem Erstkläger das Verkanten und der nachfolgende Sturz nicht vorwerfbar. Das Berufungsgericht kam bei dieser Sachlage zum Ergebnis, dass ein allfälliger dem Erstkläger zur Last liegender geringer Sorgfaltsverstoß gegenüber dem schwerwiegenden Verschulden des Erstbeklagten jedenfalls zu vernachlässigen sei.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beklagten erkennen in ihrer außerordentlichen Revision zutreffend, dass Fragen des Mitverschuldens und der Verschuldensaufteilung wegen ihrer Einzelfallbezogenheit in der Regel keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 ZPO bilden (2 Ob 228/10h; 3 Ob 232/12g; RIS-Justiz RS0087606). Sie meinen, den Erstkläger treffe am Zustandekommen des Unfalls ein Mitverschulden von einem Drittel, weil er die aus der Ursache des Verkantens indizierte Fahrlässigkeit nicht zu widerlegen vermochte. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung wird damit nicht aufgezeigt.

Der Oberste Gerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass selbst auf fahrtechnische Fehler zurückzuführende Stürze von Schiläufern (und Snowboardern) noch nicht rechtlich vorwerfbar sind, dem Schifahrer (Snowboarder) jedoch ein dem Sturz vorausgegangenes vermeidbares Fehlverhalten zur Last fallen kann, das den Sturz herbeigeführt hat und deshalb als einleitende Fahrlässigkeit zu beurteilen ist. Als solches vermeidbares Fahrverhalten kommen vor allem überhöhte Geschwindigkeit bzw unkontrolliertes Fahren in Betracht. (1 Ob 63/11p; RIS‑Justiz RS0023465). Das Verkanten ist ebenfalls ein fahrtechnischer Fehler (Kanten- und Belastungsfehler), der bei fortgeschrittenen Schiläufern und Snowboardern, wie dies auch der Erstkläger war, zumeist auf ein vorangehendes vermeidbares Fehlverhalten (etwa relativ überhöhte Geschwindigkeit oder unkontrolliertes Fahren) zurückzuführen ist. Beweist der Schädiger einen Verstoß des Geschädigten aufgrund eines fahrtechnischen Fehlers - also einen typischen, Sorglosigkeit gegenüber eigenen Rechtsgütern indizierenden Geschehnisablauf ‑, ist damit prima facie auch der für die Annahme eines Mitverschuldens erforderliche Sorgfaltsverstoß bewiesen (7 Ob 289/00a; 1 Ob 217/04z; 3 Ob 6/07i ua). Es liegt dann am Geschädigten, Umstände darzutun, die ihn entlasten könnten (RIS-Justiz RS0023480).

Die Beurteilung, letzteres sei dem Kläger im vorliegenden Fall gelungen, ist vertretbar. Ein dem Verkanten vorangehendes vermeidbares Fehlverhalten des Erstklägers lässt sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. Der Erstkläger, ein zum Unfallszeitpunkt bereits erfahrener Snowboarder, hielt weder eine überhöhte Geschwindigkeit ein, noch fuhr er unkontrolliert ‑ ein anderer Sorgfaltsverstoß wurde ihm von den Beklagten auch nicht angelastet ‑, als ihm beim Versuch, dem entgegenkommenden Pistengerät auszuweichen, ein Kantenfehler unterlief. Da aber auch für geübte und sehr gute Snowboarder bei den zum Unfallszeitpunkt vorherrschenden glatten Kunstschneeverhältnissen ein Verkanten nicht (gänzlich) vermeidbar gewesen wäre, ist die Ansicht, den Kläger treffe kein Verschulden am Sturz, vertretbar. Schuldhaft handelt nämlich nur, wer ein Verhalten setzt, das er hätte vermeiden sollen und auch vermeiden hätte können (6 Ob 2393/96x ua; Karner in KBB³ § 1294 ABGB Rz 7). Die Ansicht, dass davon beim Erstkläger nicht ausgegangen werden kann, ist nicht korrekturbedürftig.

Die Frage, ob ein den Erstkläger allenfalls anzulastender geringer Sorgfaltsverstoß gegenüber dem weitaus überwiegenden Verschulden des Erstbeklagten nicht ohnehin zu vernachlässigen wäre, kann daher dahingestellt bleiben.

2. Die Vorinstanzen haben in vertretbarer Weise auch eine Schadensteilung nach den Regeln der alternativen Kausalität abgelehnt. In Teilen der Lehre und in der Judikatur ist anerkannt, dass bei einer Konkurrenz von haftungsbegründendem Verhalten und Zufall der Schädiger durch sein rechtswidriges und schuldhaftes Tun, der Geschädigte hingegen durch den Zufall belastet wird. In Analogie zu § 1304 ABGB wird dazu vertreten, dass in solchen Fällen eine Schadensteilung vorzunehmen ist (1 Ob 63/11p mwN; RIS-Justiz RS0027286; RS0107245). Feststeht, dass das festgestellte Fehlverhalten des Erstbeklagten kausal für den Schaden der Kläger war. Sonstige Ursachen für den Schadenseintritt sind nicht festgestellt. Daher liegt kein Fall alternativer Kausalität zwischen dem Verhalten des Erstbeklagten und einem in die Sphäre des Erstklägers fallenden Zufalls vor. Dies wäre nur dann anzunehmen, wenn nicht festgestellt werden könnte, ob der konkrete Schaden durch ein konkret gefährliches und bei Kausalität haftungsbegründendes Verhalten eines Dritten oder aber durch einen dem Geschädigten zuzurechnenden Umstand verursacht wurde (3 Ob 228/12v; 4 Ob 204/13y). Dies ist hier nicht der Fall. Soweit die Beklagten ihren Rechtsmittelausführungen zugrunde legen, dass der Erstkläger bereits durch den Sturz und den Anprall am Pistengerät verletzt worden sei, gehen sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Danach konnte gerade nicht festgestellt werden, welche Verletzungen der Erstkläger bereits beim Anstoß gegen das Pistengerät erlitt; die Verletzungen des Erstklägers müssen aus medizinischer Sicht als Ganzes angesehen werden.

3. Die aus § 1302 ABGB abgeleiteten Grundsätze der solidarischen Haftung aller Verantwortlicher gelten auch bei „summierten Einwirkungen“, die dadurch gekennzeichnet sind, dass mehrere Ursachen für sich genommen den Schaden nicht allein, sondern nur durch ihr Zusammenwirken herbeiführen konnten (RIS-Justiz RS0123611). Auch diese immer nur aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu lösende Rechtsfrage haben die Vorinstanzen in vertretbarer Weise gelöst und eine Schadensteilung abgelehnt. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung vermögen die Beklagten mit ihrer Behauptung, bereits die Möglichkeit, dass die Verletzungen des Erstklägers durch den Sturz und den Anprall am Pistengerät entstanden sein könnten, führe zu einer Haftungsteilung, nicht aufzuzeigen.

4. Die Beklagten bestreiten nicht, dass der Zweitkläger und die Drittklägerin als Eltern des Erstklägers ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung der Beklagten für die ihnen aufgrund ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber ihrem Sohn (Erstkläger) entstehenden Kosten haben. Das Feststellungsbegehren des Zweitklägers und der Drittklägerin hätte jedoch laut Revision - entsprechend den Klagsbehauptungen - auf die Haftung der Beklagten für künftige Therapiekosten, die den Eltern aufgrund ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht entstehen könnten, eingeschränkt werden müssen.

Soweit die Beklagten in der uneingeschränkten Stattgabe des Feststellungsbegehrens durch die Vorinstanzen einen Verstoß gegen § 405 ZPO sehen, kann dies in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden, wenn ‑ wie hier ‑ dieser Verfahrensmangel (RIS‑Justiz RS0041089) vom Berufungsgericht verneint wurde (RIS‑Justiz RS0041117).

Auch die von den Beklagten in der außerordentlichen Revision begehrte Teilabweisung des Feststellungsbegehrens ist nicht gerechtfertigt. Wird die Feststellung der Haftung für künftige Schäden begehrt, ist in der Klage aufzuzeigen, welcher Art die möglichen Schäden sein könnten; konkrete Angaben über die Art der zu erwartenden Schäden sind nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0038949; RS0039018 [T29]). Diese Rechtsgrundsätze beachtend haben die Vorinstanzen im vorliegenden Einzelfall vertretbar dem Feststellungsbegehren des Zweitklägers und der Drittklägerin zur Gänze stattgegeben.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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