OGH 2Ob66/14s

OGH2Ob66/14s12.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** S*****, vertreten durch Dr. Michael Schneditz‑Bolfras und andere Rechtsanwälte in Gmunden, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach ***** H***** S*****, vertreten durch Dr. Klaus Schiller M.A., Rechtsanwalt in Schwanenstadt, wegen 18.795,24 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 1.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 15. Jänner 2014, GZ 23 R 85/13h‑34, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 29. August 2013, GZ 2 C 25/12y‑28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00066.14S.0612.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.189,44 EUR (darin 198,24 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

G***** S***** und sein 1927 geborener (und während des anhängigen Rechtsstreits verstorbener) Vater H***** S***** (in der Folge vereinfachend: der Beklagte) bewohnten gemeinsam ein Haus in Gmunden. G***** S***** wohnte im Erdgeschoß, der Beklagte im ersten Stock. Der Kläger ist Installateur. Er wurde von G***** S***** für den 29. 9. 2010 zu dem besagten Haus bestellt, um darin einen Wasserzähler zu tauschen. Da G***** S***** auf den Termin vergessen hatte, war nur der Beklagte zu Hause. Als der Kläger und sein Helfer vor dem Schiebetor der Liegenschaft standen und läuteten, öffnete der Beklagte ein Fenster im ersten Stock. Nachdem sie ihm erklärt hatten, warum sie hier wären, gestattete ihnen der Beklagte den Zutritt durch das Gartentor. Sie sollten um das Haus herum gehen und bei der Haustür auf ihn warten. Der Kläger und sein Helfer folgten dieser Anweisung und warteten etwa 4 m vom Stiegenaufgang zur Haustür entfernt darauf, dass ihnen die Tür geöffnet werde. Während dieser Vorgänge war aus dem Haus Hundegebell zu hören.

G***** S***** war Eigentümer zweier Hunde und zwar eines damals sechs Jahre alten, etwa 23 kg schweren und „hyperaktiven“ Malinois namens „Easy“ sowie eines etwa 34 kg schweren Schäfermischlings unbekannten Alters mit dem Namen „Xenia“. In den Zeiten seiner Abwesenheit wurden die Tiere in der Regel im Vorhaus verwahrt. Der Beklagte hatte nur noch ein Auge, das über 10 % Sehkraft verfügte. Seine Gehfähigkeit war eingeschränkt, er war „an das Haus gefesselt.“ Er ging weder mit den Hunden spazieren, noch versorgte er sie mit Futter und Wasser, wenn sein Sohn nicht zu Hause war. Die Hunde hielten sich aber gelegentlich auch bei ihm in seiner Wohnung auf. „Easy“ hatte schon einmal einen vorbeifahrenden Skateboardfahrer „gezwickt“, wovon der Beklagte Kenntnis hatte.

Ehe der Beklagte die Tür öffnete, redete er beruhigend auf die nach wie vor bellenden Hunde ein. Dann öffnete er die Tür einen Spalt breit, um den Kläger und seinen Helfer darauf hinzuweisen, dass sich Hunde im Haus befänden. In diesem Moment drängte jedoch „Easy“ die Tür mit der Schnauze weiter auf, gelangte dadurch ins Freie und lief, gefolgt von „Xenia“, bellend auf den Kläger und seinen Helfer zu. „Easy“ biss den Kläger zuerst in den rechten Unterschenkel und danach auch noch in den linken Daumen. Vor dem Biss in den Unterschenkel hatte „Easy“ weder geknurrt noch sonstige Anzeichen für ein feindseliges Verhalten gegeben. Die beiden Hunde waren ihrem „natürlichen Spieltrieb“ gefolgt.

Die Bissverletzung am rechten Unterschenkel erwies sich als schwerwiegend und erforderte einen operativen Eingriff. Der Wadennerv ist nun teilweise gelähmt. Es bestehen Dauerfolgen, Spätfolgen sind nicht auszuschließen. Nach Leistung eines Geldbetrags trat die Staatsanwaltschaft gemäß § 200 Abs 5 StPO von der Verfolgung des Beklagten zurück.

Der Kläger begehrte den Ersatz seines zuletzt mit insgesamt 18.795,24 EUR sA bezifferten Schadens sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Schäden aus dem Hundebiss vom 29. 9. 2010.

Er brachte im Wesentlichen vor, auch derjenige sei „Tierhalter“ iSd § 1320 ABGB, der bloß die tatsächliche Gewahrsame bzw Herrschaft über das Tier ausübe, und hafte, wenn er das Tier zu verwahren vernachlässigt habe, nach allgemeinen Grundsätzen der Verschuldenshaftung. Der Beklagte habe es unterlassen, die Hunde ordnungsgemäß zu beaufsichtigen und zu verwahren. Im Hinblick auf den früheren Vorfall wäre er zu erhöhter Sorgfalt verpflichtet gewesen.

Die beklagte Partei wandte ein, der Beklagte sei nie Halter der Hunde gewesen. Nur sein Sohn habe die Herrschaft über die Hunde gehabt. Dieser habe seinen Vater auch nie mit der Verwahrung der Hunde beauftragt oder ihm sonst die Gewalt über die beiden Tiere übertragen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es erörterte rechtlich, mehrere Personen könnten gleichzeitig Tierhalter sein. G***** S***** sei als Eigentümer der beiden Hunde jedenfalls Halter, zumal er auch die Pflege der Tiere übernehme. Aber auch der Beklagte sei als Mithalter anzusehen, hätten sich doch die Hunde zeitweise bei ihm aufgehalten, was auf ein zumindest ideelles eigenes Interesse an den Tieren hindeute. Im vorliegenden Fall habe sich die besondere Tiergefahr verwirklicht. Der Beklagte habe davon Kenntnis gehabt, dass „Easy“ schon zuvor durch ihren „Spieltrieb“ aufgefallen war. Er hätte auch wissen müssen, dass die Hunde ins Freie drängen würden und er aufgrund ihrer Größe und seines eigenen Gesundheitszustands nicht in der Lage sein würde, die Tiere zurückzuhalten. Es wäre ihm daher zuzumuten gewesen, die Hunde vor dem Öffnen der Tür in ein anderes Zimmer zu sperren. Indem er dies unterlassen habe, habe er nicht für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung der Hunde gesorgt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR nicht übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.

Auch das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, dass der Beklagte Mithalter der Hunde gewesen sei. In den Zeiten der berufsbedingten Abwesenheit des G***** S***** sei der Beklagte die einzige Person gewesen, die auf die Verwahrung und die Beaufsichtigung der Tiere faktischen Einfluss habe nehmen können. Er habe auf diese Weise keine nur vorübergehende, sondern eine „regelmäßig wiederkehrende faktische Gewahrsame“ ausgeübt. Zumindest in den Zeiten der Abwesenheit des G***** S***** sei der Beklagte daher als Mithalter zu qualifizieren. Als solcher habe er es selbst für erforderlich gehalten, den Kontakt zwischen den Besuchern und den Hunden zunächst zu unterbinden. Der Herrschaftsverlust über die Türe entspreche nicht der bei ihrer Verwahrung objektiv gebotenen Sorgfalt, auf ein subjektives Verschulden des Beklagten komme es nicht an.

Zur Begründung seines Zulassungsausspruchs führte das Berufungsgericht aus, eine „auf gewisse Dauer angelegte Weisungsfreiheit des sich wegen gesundheitlich eingeschränkter Bewegungsfreiheit notgedrungen ständig im ersten Stock des Hauses aufhältigen“ Beklagten gehe (aus den Feststellungen) nicht hervor. Es sei eine Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung, ob ein „rein faktischer Aufenthalt“ in einem Haus, in welchem Hunde in allgemeinen, allen Mitbewohnern gleichermaßen zugänglichen Teilen gehalten werden, die Stellung als Mithalter begründen könne.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:

1. Gemäß § 1320 Satz 2 ABGB ist derjenige, der ein Tier hält, für den durch das Tier verursachten Schaden verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hat. Als Tierhalter ist nach ständiger Rechtsprechung derjenige anzusehen, der das Tier dauernd in der Gewahrsame hat, die Herrschaft über das Tier ausübt und somit regelmäßig sein Verhalten erzwingen kann (8 Ob 681/89; 9 Ob 3/07t; RIS‑Justiz RS0030143; Danzl in KBB4 § 1320 Rz 3). Entscheidend ist die tatsächliche, unabhängige, dh nicht von Anordnungen dritter Personen abhängige Sachherrschaft; auf eine bestimmte rechtliche Beziehung zu dem Tier kommt es nicht an. Auch die Eigentumsverhältnisse am Tier sind für die Haltereigenschaft daher nicht entscheidend (1 Ob 694/85; 8 Ob 681/89; RIS‑Justiz RS0030244, RS0030428; vgl auch Reischauer in Rummel, ABGB³ II/2b § 1320 Rz 7). Mehrere Personen können Mithalter sein, wenn auf alle die Haltereigenschaften zutreffen (vgl 8 Ob 236/81; 1 Ob 694/85; 2 Ob 540/91; 9 Ob 3/07t; RIS‑Justiz RS0030147, RS0030431; Reischauer aaO § 1320 Rz 8).

2. In den zuletzt zitierten Entscheidungen wurden Eheleute (8 Ob 236/81), die Mitglieder einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (1 Ob 694/85), mehrere Prostituierte eines Bordells (2 Ob 540/91) oder die Lebensgefährtin des Hundeeigentümers (9 Ob 3/07t) als Mithalter qualifiziert. Dabei lag etwa dem Fall 2 Ob 540/91 zugrunde, dass die Beaufsichtigung und Verwahrung des Hundes nicht einer einzigen Person oblag, sondern von jener Person vorgenommen wurde, die gerade anwesend war und dazu Zeit hatte. Das Tier bekam sein Futter und zu trinken von demjenigen, der sich gerade darum annahm. Die drei Beklagten wechselten sich in der Beaufsichtigung, Verwahrung und Betreuung des Hundes also ab. In 9 Ob 3/07t wurde die Haftung der Beklagten als Mithalterin nur für die Zeiten ihrer Anwesenheit auf der Liegenschaft bejaht.

3. Die Beurteilung des Beklagten als Mithalter der Hunde hält sich noch im Rahmen der erörterten Judikatur. Hingegen ging das Berufungsgericht bei der Begründung seines Zulassungsausspruchs von sachverhaltsfremden Prämissen aus. Das Erstgericht hat zwar festgestellt, dass der in seiner Gehfähigkeit eingeschränkte Beklagte „ans Haus gefesselt“ war, keineswegs aber, dass er „notgedrungen ständig im ersten Stock des Hauses aufhältig“ sein musste. Auch von einem „rein faktischen Aufenthalt“ des in dem Haus (berechtigt) wohnhaften Beklagten, wie er etwa bei einem Besucher oder einer Haushaltshilfe anzunehmen wäre, kann keine Rede sein.

Die vom Berufungsgericht bezweifelte, gerade in einem Familienverband aber typischerweise anzunehmende Weisungsfreiheit der einzelnen Familienmitglieder bei der Ausübung der Herrschaft über das gemeinsame Haustier hat das Erstgericht ‑ wenngleich disloziert ‑ auch für den vorliegenden Fall bestätigt, indem es im Rahmen seiner Beweiswürdigung ausdrücklich auf das „Zugeständnis“ des G***** S*****, die Hunde hätten bei seinem Vater das tun dürfen, was er selbst ihnen nie erlaubt hätte, verwies. Es kann auch nicht zweifelhaft sein, dass es vor dem konkreten Vorfall allein am Beklagten lag zu entscheiden, ob und wie er eine Begegnung der Hunde mit den Besuchern unterbinden soll (so auch das Erstgericht: Pflicht, Hunde in ein anderes Zimmer zu sperren).

4. Aus der Feststellung, dass der Beklagte mit den Hunden seines Sohnes nicht spazieren ging und sie auch dann nicht mit Futter und Wasser versorgte, wenn sein Sohn nicht zu Hause war, ist entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht kein tragfähiges Argument gegen die Mithaltereigenschaft des Beklagten zu gewinnen. Ändern doch die ins Treffen geführten Umstände nichts daran, dass der Beklagte ‑ vor allem während der Abwesenheit seines Sohnes ‑ weisungsungebundener Verwahrer der Tiere war. Im Übrigen ist bereits aus der Vorjudikatur (insbesondere den Entscheidungen 2 Ob 540/91 und 9 Ob 3/07t) ableitbar, dass die Aufteilung von Betreuungsaufgaben einer Beurteilung als Mithalter nicht entgegen steht. Dass die Hunde während der Abwesenheit des Sohnes (nach dessen Angaben immer nur an den Vormittagen; vgl AS 55) überhaupt einer Versorgung durch den Beklagten bedurft hätten, wurde weder behauptet noch festgestellt.

5. Die beklagte Partei macht weiters geltend, dass bei nicht bösartigen Tieren eine Verletzung der Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht jedenfalls auszuschließen sei, wenn das Tier innerhalb der Einfriedungen eines Gebäudes oder ‑ wie hier ‑ in einem umzäunten Garten frei herumlaufe.

Damit geht sie nicht von den getroffenen Feststellungen aus, nach denen die Hunde im Vorhaus des Erdgeschoßes verwahrt wurden, ehe sie dem Beklagten „entwischten“. Davon abgesehen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch gutmütige Hunde, etwa durch ihren Spieltrieb, eine Gefahr für Menschen darstellen können (7 Ob 61/99t mwN; RIS‑Justiz RS0030175).

6. Welche Verwahrung und Beaufsichtigung durch den Tierhalter erforderlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Vorkehrungen müssen dem Tierhalter zumutbar sein (2 Ob 167/12s mwN; 1 Ob 35/13y; RIS‑Justiz RS0030157). Welche Maßnahmen dabei im einzelnen notwendig sind, richtet sich nach den dem Tierhalter bekannten oder erkennbaren Eigenschaften des Tieres und den jeweiligen Umständen (RIS‑Justiz RS0030058). Sind dem Tierhalter Eigenschaften eines Tieres bekannt oder hätten sie ihm bei gehöriger Aufmerksamkeit bekannt sein müssen, die zu einer Gefahrenquelle werden können, wie etwa nervöse Reaktionen, unberechenbares Verhalten, Unfolgsamkeit und dergleichen hat er auch für die Unterlassung der in Anbetracht dieser besonderen Eigenschaften erforderlichen und nach der Verkehrsauffassung vernünftigerweise zu erwartenden Vorkehrungen einzustehen (1 Ob 35/13y; RIS‑Justiz RS0030472). Stets hat der Tierhalter zu beweisen, dass er sich nicht rechtswidrig verhielt. Misslingt ihm dieser Beweis, haftet er für sein rechtswidriges, wenn auch schuldloses Verhalten (2 Ob 167/12s; 1 Ob 35/13y; RIS‑Justiz RS0105089).

7. Den Feststellungen zufolge war „Easy“ ein hyperaktives Tier, das schon zuvor einmal einen vorüberfahrenden Skateboarder „gezwickt“ hatte. Dieser Vorfall war dem Beklagten bekannt. Auch wenn daher die Feststellungen über jenen weiteren Zwischenfall, bei dem eine Frau wegen „Easy“ zu Sturz gekommen war und sich verletzt hatte, als ‑ wie das Berufungsgericht meinte ‑ überschießend außer Betracht zu bleiben hätten, ist die Beurteilung der Vorinstanzen nicht zu beanstanden, dass der Beweis der ordentlichen Verwahrung nicht gelungen sei. Die bekämpfte Rechtsansicht, unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falls sei von einer Vernachlässigung der objektiv gebotenen Sorgfalt bei der Verwahrung des Hundes auszugehen, ist jedenfalls vertretbar und wirft keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

8. Da es der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Stichworte