OGH 5Ob215/12x

OGH5Ob215/12x20.6.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** S*****, vertreten durch Salpius Rechtsanwalts GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 8.180,67 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Juli 2012, GZ 5 R 106/12p‑40, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 16. März 2012, GZ 51 Cg 61/11v‑34, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0050OB00215.12X.0620.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 744,43 EUR (darin 124,07 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zu den in ihrer Bedeutung über den vorliegenden Fall hinausgehenden Rechtsfragen der Subsidiarität des Entschädigungsanspruchs in Hinblick auf Ansprüche des Anlegers im Konkursverfahren des Wertpapierdienstleistungsunternehmens (WPDLU) bzw der Frage der Rechtsfolgen eines unzureichenden Deckungsvermögens noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen ( Zechner in Fasching/Konecny ² VI/1 § 502 ZPO Rz 32 mwN; E. Kodek in Rechberger ³ § 502 ZPO Rz 18, RIS‑Justiz RS0112921, RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn die bedeutsame Rechtsfrage durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zwischenzeitig bereits geklärt wurde (7 Ob 196/12t; RIS‑Justiz RS0112921 [T5]). Das ist hier der Fall. Die von der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist daher entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, was gemäß § 510 Abs 3 ZPO ‑ kurz ‑ zu begründen ist:

2.1. Minderung des Entschädigungsanspruchs infolge Subsidiarität gegenüber Zugriff auf S*****-Fonds:

Zur Frage, ob jene Beträge, die in den luxemburgischen Fonds noch zugunsten der geschädigten Anleger vorhanden sind, den Schaden der Klägerin und damit auch den Entschädigungsanspruch gegenüber der Beklagten mindern, hat der Oberste Gerichtshof inzwischen bereits mehrfach, insbesondere in 2 Ob 171/12d ausführlich, Stellung genommen (vgl auch 1 Ob 21/13i; 1 Ob 31/13k; 4 Ob 182/12m und 4 Ob 243/12g). Dabei ist er unter Berücksichtigung der Zielrichtung der einschlägigen EU-Richtlinie sowie der anzuwendenden Bestimmungen des WAG 1996 zur Auffassung gelangt, dass auch in Fällen wie dem vorliegenden die Beklagte den Anleger nach Anmeldung und Prüfung seiner Entschädigungsforderung ohne Berücksichtigung allfälliger zukünftiger Quotenzahlungen im Rahmen der Liquidation der l***** Fonds rasch zu entschädigen hat. Die von der Beklagten behaupteten zukünftigen weiteren Auszahlungen aus der Liquidation dieser Fonds sind daher ohne Bedeutung. Die bereits erhaltene Zahlung hat die Klägerin durch Einschränkung ihres Begehrens berücksichtigt. Der vor dieser Einschränkung geltend gemachte Entschädigungsbetrag lag unter dem Höchstbetrag von 20.000 EUR nach § 23d Abs 2 dritter Satz WAG 1996. Die Fragen, ob die dem Anleger aus der Liquidation gezahlte Quote auf diesen gesetzlichen Höchstbetrag anzurechnen ist und nicht auf seinen Gesamtschaden, weil ihm sonst mehr als der gesetzlich garantierte Betrag ungekürzt zukäme, stellten sich nur, wenn die Forderung des geschädigten Anlegers die gesetzliche Höchstgrenze überstiege.

2.2. Präzisierung des Treuhandvermögens („gemäß § 23c WAG 1996 iVm § 76 Abs 6 WAG idF BGBl I 107/2007“):

Die Beklagte meint, dass die Klägerin nur auf das nach § 23c WAG 1996 iVm § 76 Abs 6 WAG idF BGBl I 2007/107 gebildete Treuhandvermögen greifen dürfe, nicht aber auf den nach der Novelle 2009, BGBl I 2009/39, neu gebildeten Haftungsfonds; jedoch ergeben sich weder aus dem (novellierten) Gesetz (vgl 1 Ob 21/13i) noch aus den Materialien Anhaltspunkte für die Annahme zweier unterschiedlicher Treuhandvermögen für unterschiedliche Zeiträume. Hätte der Gesetzgeber Derartiges im Auge gehabt, wäre dies zweifellos im Gesetzestext ausreichend klargestellt worden, insbesondere auch durch eindeutige Anordnungen zur Abgrenzung. Darüber hinaus kann dem Gesetzgeber durchaus der Wille unterstellt werden, den offenbar ursprünglich nicht ausreichend umgesetzten unionsrechtlichen Anlegerschutz nachträglich zu verbessern (vgl dazu die ‑ auf die A*****‑Geschädigten verweisende ‑ Entschließung des Nationalrats 683 BlgNR 23. GP 1), was ebenfalls dafür spricht, auch den früher geschädigten Anlegern einen Zugriff auf das gesamte Treuhandvermögen zu ermöglichen. Das von der Beklagten aufgeworfene Problem einer „Rückwirkung“ der durch die Novelle, BGBl I 2009/107, geschaffenen neuen Rechtslage hinsichtlich der Aufbringung der Beiträge zum Treuhandvermögen stellt sich nicht, geht es doch hier nicht um die Beitragspflicht der Mitgliedsinstitute, sondern um die Frage, ob es gerechtfertigt ist, den früher Geschädigten Zugriff nur auf einen Teil des Treuhandvermögens zu gestatten. Die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung der Beitragspflicht ist für dieses Verfahren nicht präjudiziell. Grundsätzlich kann der Gesetzgeber auch eine nachträgliche Aufstockung des Haftungsfonds anordnen, ohne mit § 5 ABGB in Konflikt zu geraten. Damit gebietet sich die von der Beklagten gewünschte „Präzisierung“ des als Haftungsfonds zur Verfügung stehenden Treuhandvermögens nicht (1 Ob 21/13i; 1 Ob 31/13k).

2.3. Unzulässigkeit des Leistungsbegehrens wegen Unzulänglichkeit des Treuhandvermögens:

Soweit die Beklagte unter diesem Punkt ihrer Revisionsausführungen unterstellt, dass die Klägerin nur auf das nach § 23c WAG 1996 iVm § 76 Abs 6 WAG idF BGBl I 2007/107 gebildete Treuhandvermögen greifen dürfe, ist sie auf die Ausführungen zu 2.2. zu verweisen. Im Übrigen hat sich der Oberste Gerichtshof in der bereits zitierten Entscheidung 2 Ob 171/12d auch schon mit der von Beklagten in diesem Kontext relevierten Frage befasst, ob die Befriedigung geschädigter Anleger nach Priorität oder kridamäßig zu erfolgen habe. Er lehnte eine kridamäßige Verteilung wegen Unzulänglichkeit des Haftungsfonds analog § 16 Abs 2 EKHG, § 156 Abs 3 VersVG sowie § 336 ASVG ab. Die genannten Normen beträfen durchwegs (punktuelle) Unfallereignisse (Haftpflichtfälle), typischerweise mit einem rasch überschaubaren Kreis von wenigen Geschädigten, deren Ansprüche zumindest im Groben abschätzbar seien. Bei der Anlegerentschädigung gebe es regelmäßig eine zunächst kaum überschaubare Vielzahl von Geschädigten, die aus keinem Unfallereignis, sondern einer Insolvenz resultierten. Der Gesetzgeber des WAG 2007 sei sich des Risikos nicht ausreichender Mittel der Entschädigungseinrichtung zur Entschädigung von Anlegern durchaus bewusst gewesen, habe aber dennoch gerade nicht die quotenmäßige Befriedigung eingeführt. Mangels gesetzlicher Sonderregelung gelte auch für die Zahlungspflicht der beklagten Partei das Prioritätsprinzip.

Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen an. Überdies lässt sich aus dem WAG weder ein zeitlicher noch ein betragsmäßiger Fixpunkt ableiten, der für eine Bestimmung der Verteilungsmasse einerseits und der zu berücksichtigenden Anlegerforderungen andererseits in Betracht käme. Angesichts der gesetzlichen Neuregelung über die Aufbringung des Treuhandvermögens kommen laufend Beiträge der Mitglieder hinzu. Jede weitere Insolvenz eines Mitgliedsunternehmens könnte zur Vermehrung der Anlegeransprüche führen (4 Ob 182/12m; 1 Ob 31/13k).

2.4. Stattgabe nur gegen Zug-um-Zug-Abtretung:

Ein gesetzlicher Forderungsübergang ist dem Zessionsgrundstatut unterstellt, also jener Rechtsordnung, die die Leistungspflicht des Drittzahlers verfügt und damit den Zessionsgrund geliefert hat (RIS‑Justiz RS0077439 [T1]; RS0083638). § 1358 ABGB geht ‑ entgegen seinem Wortlaut ‑ über die Regelung des Bürgenregresses hinaus und findet ganz allgemein auf jeden Anwendung, der eine fremde Schuld begleicht, für die er dem Gläubiger ‑ aufgrund eines Rechtsgeschäfts oder kraft Gesetzes ‑ haftet ( Gamerith in Rummel ³ § 1358 ABGB Rz 1; P. Bydlinski in KBB³ § 1358 Rz 1; vgl RIS‑Justiz RS0112742). Zahlt etwa ein beklagter Anlageberater ‑ auch im Wege des Schadenersatzes ‑ eine fremde Schuld, tritt er nach der Legalzessionsnorm des § 1358 ABGB in die Rechte des Gläubigers ein, die (ua) in einem Teilnahmeanspruch im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Emittentin samt Anspruch auf Auszahlung einer allfälligen Quote bestehen können (4 Ob 140/12k = RIS‑Justiz RS0112742 [T9]). Die Zahlung führt ipso iure zum Übergang der Forderung auf den Zahler, ohne dass es eines besonderen Übertragungsaktes bedarf (Nachweise zur Rechtsprechung bei Gamerith in Rummel ³ § 1358 ABGB Rz 5; 2 Ob 171/12d). Die Beklagte haftet geschädigten Anlegern kraft eines österreichischen Gesetzes für eine fremde Schuld, nämlich für Verpflichtungen ihrer Mitgliedsinstitute. Im Fall einer Zahlung tritt sie daher nach der Legalzessionsnorm des § 1358 ABGB ipso iure und ohne weiteren Übertragungsakt in die Rechte des Gläubigers ein (vgl auch dazu schon 2 Ob 171/12d). Für eine Einschränkung ihrer Zahlungspflicht nur Zug um Zug gegen Abtretung allfälliger Ansprüche des Klägers gegenüber der S*****‑Liquidationsmasse besteht daher kein Bedarf (vgl auch 4 Ob 140/12k).

2.5. Fälligkeit der Klageforderung ‑ Beginn des Zinslaufs:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0126982) beruht die Feststellung der Forderung gemäß § 23b Abs 2 und § 23c Abs 4 WAG 1996 auf einer selbständigen Prüfung von Höhe und Berechtigung der angemeldeten Anlegerforderung durch die Entschädigungseinrichtung. Fristgerechte Anmeldungen sind jedenfalls unverzüglich zu prüfen und gegebenenfalls Entschädigungen binnen der für jede Forderung jeweils neu laufenden Dreimonatsfrist auszuzahlen. Je nach Komplexität des Sachverhalts zur Feststellung der Forderung wird der Entschädigungseinrichtung daher eine angemessene Prüfungszeit zuzubilligen sein. Die Überschreitung eines Prüfungszeitraums von sechs Monaten wird nur in besonderen Fällen gerechtfertigt sein, weil die Anlegerentschädigungseinrichtung ohne ungebührliche Verzögerung zu entschädigen hat. Der Entschädigungsanspruch des Anlegers ist daher grundsätzlich mit Ablauf der Auszahlungsfrist fällig. Die hier vom Berufungsgericht als angemessen erachtete Prüffrist von drei Monaten ist ‑ gemessen an bereits vorliegender Rechtsprechung ‑ keine korrekturbedürftige Einzelfallbeurteilung (vgl 5 Ob 63/12v; 2 Ob 171/12d; 4 Ob 182/12m; 1 Ob 31/13k). Diese Prüffrist hat das Berufungsgericht auch beim Zuspruch der Zinseszinsen berücksichtigt.

2.6. Zum Zuspruch von Zinseszinsen:

Nach § 1000 Abs 2 erster Satz ABGB kann der Gläubiger einer Geldforderung Zinseszinsen verlangen, wenn die Parteien dies ausdrücklich vereinbart haben. Das Vorliegen einer derartigen Vereinbarung wurde nicht behauptet. Nach dem zweiten Satz der zitierten Bestimmung ist der Gläubiger berechtigt, Zinseszinsen vom Tag der Streitanhängigkeit (der Zustellung der Klage: RIS‑Justiz RS0083307; Binder in Schwimann ³ § 1000 ABGB Rz 25 mwN; Griss in KBB³ § 1000 ABGB Rz 4) anzufordern, wenn er fällige Zinsen eingeklagt hat. Ab dem nach Streitanhängigkeit gelegenen Zeitpunkt der Fälligkeit konnte die Klägerin somit berechtigt Zahlung der gesetzlichen Verzugszinsen begehren (1 Ob 31/13k); dem entspricht die Entscheidung des Berufungsgerichts.

3.1. Da sich nach nunmehr bereits vorliegender Rechtsprechung insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage (mehr) stellt, ist die Revision unzulässig und zurückzuweisen.

3.2. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Revisionsbeantwortung diente der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung. Der Klägerin kann es kostenmäßig nicht zum Nachteil gereichen, dass sie ihre Revisionsbeantwortung zu einem Zeitpunkt erstattet hat, als die im Rechtsmittel der Beklagten aufgeworfenen erheblichen Rechtsfragen noch nicht durch andere Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs geklärt waren.

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