OGH 4Ob32/13d

OGH4Ob32/13d23.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen E***** W*****,geboren am ***** 2010, derzeit betreut von der Mutter Mag. T***** W*****, vertreten durch Dr. Wulf Kern, Rechtsanwalt in Wien, wegen Obsorge und Kontaktrecht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters N***** W*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Dr. Norbert Marschall, Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 9. Jänner 2013, GZ 23 R 8/13v‑75, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 14. November 2012, GZ 1 Ps 235/10v‑68, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0040OB00032.13D.0523.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben, und die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Begründung

E***** W***** wurde am ***** 2010 als Sohn von Mag. T***** und N***** W***** geboren. Im Februar 2011 wurde die Ehe der Eltern geschieden. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein Antrag der Mutter anhängig, ihr die alleinige Obsorge zuzuweisen. Anlässlich der Scheidung schlossen die Eltern einen Vergleich über die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr, eine Einigung über die Obsorge kam jedoch nicht zustande. Daraufhin beantragte der Vater, den Obsorgeantrag der Mutter abzuweisen und die Obsorge beider Elternteile aufrecht zu erhalten; hilfsweise beantragte er, ihn allein mit der Obsorge zu betrauen.

Der zur Äußerung aufgeforderte Jugendwohlfahrtsträger berichtete, dass sich beide Eltern sehr um das Kind bemühten. Sie gäben an, dass die gemeinsame Obsorge und die Besuchskontakte gut verliefen, dennoch wünsche die Mutter aber keine gemeinsame Obsorge. Eine Begründung dafür habe sie nicht nennen können; von ihr beschriebene Konflikte hätten sich auf Eheprobleme in der Vergangenheit bezogen. Aus fachlicher Sicht spreche daher nichts gegen die Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge.

In weiterer Folge konzentrierte sich das Verfahren aufgrund der damals geltenden Gesetzeslage auf die Frage, ob die alleinige Obsorge des Vaters oder der Mutter dem Kindeswohl besser entspreche. Das Verhältnis zwischen den Eltern wurde schlechter, wobei dies nach den Feststellungen des Erstgerichts keinem der Elternteile allein angelastet werden kann. Bei der Übergabe des Kindes anlässlich der Ausübung des Kontaktrechts kommt es nun häufig zu Konflikten, weil die Eltern derzeit zu einer umfassenden Kooperation nicht in der Lage sind.

Nach Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens wies das Erstgericht im zweiten Rechtsgang ‑ noch nach altem Recht ‑ die Obsorge der Mutter zu; weiters regelte es die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr mit dem Vater ab dem dritten Geburtstag des Kindes (jeden Dienstag 12 bis 19 Uhr, jedes zweite Wochenende mit Übernachtung). Beide Eltern seien grundsätzlich zur Erziehung geeignet; für die Mutter sprächen die Betreuungs- und Beziehungskontinuität; gegen den Vater berufliche Unsicherheit und etwas eingeschränktere Wohnverhältnisse. Da aber auch eine vertraute Beziehung zum Vater bestehe, könnten trotz des geringen Alters des Kindes auch Übernachtungsbesuche festgesetzt werden.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Es entschied noch vor Inkrafttreten des KindNamRÄG 2013, nahm aber schon auf dessen Regelungen Bezug. Eine „Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung“ habe durch die aufrecht gebliebene gemeinsame Obsorge ohnehin faktisch bestanden, daher sei nun jedenfalls endgültig zu entscheiden. Die sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setze ein Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit voraus. Um gemeinsam Entscheidungen im Sinne des Kindeswohls treffen zu können, sei es erforderlich, in sachlicher Form Informationen auszutauschen und zu einem Entschluss zu gelangen. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt, weil die Eltern nur eingeschränkt in der Lage seien, miteinander zu kooperieren. Auf dieser Grundlage entspräche die gerichtliche Anordnung der gemeinsamen Obsorge nicht dem Kindeswohl, vielmehr komme auch nach der neuen Rechtslage im konkreten Fall nur die alleinige Obsorge eines Elternteils in Betracht. Insofern spreche das Kindeswohl für die Betrauung der Mutter, weil das Kind zu ihr eine engere Bindung aufweise als zum Vater. Die Entscheidung über die Besuchskontakte entspreche nach dem Gutachten des Sachverständigen dem Kindeswohl. Eine erhebliche Rechtsfrage liege nicht vor, weil sowohl über die Obsorge als auch über die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich ein bereits nach Inkrafttreten des KindNamRÄG 2013 erhobener außerordentlicher Revisionsrekurs des Vaters. Er beantragt, den angefochtenen Beschluss im Sinn seines Gegenantrags abzuändern (gemeinsame Obsorge, in eventu alleinige Obsorge), hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. In der Sache macht er geltend, dass im weiteren Verfahren bereits das neue Recht anzuwenden sei. Danach könne der Widerspruch eines Elternteils die gemeinsame Obsorge nicht verhindern. In einem solchen Fall habe das Gericht durch Einbeziehung der Familiengerichtshilfe und Anordnungen nach § 107 Abs 2 Z 1 und 2 AußStrG die dem Kindeswohl am besten entsprechende Regelung zu finden.

Die Mutter beantragt in der ihr freigestellten Rechtsmittelbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben. Anzuwenden sei die alte Rechtslage, nach der die Obsorge jedenfalls einem Elternteil ‑ hier der Mutter ‑ zuzuweisen sei. Aber auch nach neuem Recht sei eine gemeinsame Obsorge nicht möglich, weil der Vater ständig die Eigenschaften und das Verhalten der Mutter kritisiere und die Richtigkeit und Zweckmäßigkeit ihrer Entscheidungen in Frage stelle. Unter diesen Umständen schließe das Kindeswohl eine gemeinsame Obsorge aus.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Nach der bis 31. Jänner 2013 geltenden Rechtslage (§ 1503 Abs 1 ABGB) war das Aufrechterhalten der Obsorge beider Eltern nach deren Trennung gegen den Willen eines Elternteils ausgeschlossen. Ein auf die Aufhebung dieser Obsorge gerichteter Antrag bedurfte keiner Begründung. Die Entscheidung, welcher Elternteil mit der alleinigen Obsorge zu betrauen war, hing allein vom Kindeswohl ab (RIS-Justiz RS0120492).

2. Diese Rechtslage wurde durch das Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013 (KindNamRÄG 2013), BGBl I 2013/15, grundlegend geändert. Nunmehr bleibt nach § 179 Abs 1 ABGB bei Auflösung der häuslichen Gemeinschaft der Eltern deren zuvor gemeinsam ausgeübte Obsorge aufrecht, sie haben aber nach § 179 Abs 2 ABGB vor Gericht eine Vereinbarung darüber zu schließen, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird. Kommt es binnen angemessener Frist zu keiner solchen Vereinbarung, so hat das Gericht nach § 180 Abs 1 Satz 1 Z 1 ABGB von Amts wegen über eine allfällige Änderung der Obsorge zu entscheiden oder bei aufrecht bleibender Betrauung beider Elternteile mit der Obsorge jenen Elternteil zu bestimmen, in dessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut werden soll. Dies gilt im Hinblick auf § 180 Abs 1 Satz 1 Z 2 ABGB auch für jene Fälle, in denen ein Elternteil gegen den Willen des anderen die Betrauung mit der Alleinobsorge anstrebt oder beide Elternteile jeweils allein obsorgeberechtigt sein wollen.

3. Über den Revisionsrekurs ist nach der neuen Rechtslage zu entscheiden.

3.1. Nach § 1503 Z 1 ABGB idF KindNamRÄG 2013 ist dieses, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit 1. Februar 2013 in Kraft. Eine besondere Regelung für die neuen Regelungen zur Obsorge und zum Kontaktrecht gibt es nicht. Die Materialien (EB zur RV, 2004 BlgNR 24. GP 34) führen dazu aus, dass „die neuen namens- und kindschaftsrechtlichen Regeln mit 1. 2. 2013 angewendet werden sollen; dies gilt auch für zu diesem Zeitpunkt bereits anhängige Verfahren“.

3.2. Dieser Wille des Gesetzgebers steht im Einklang mit der Rechtsprechung zu Rechtsänderungen bei Dauerrechtsverhältnissen. Sofern das Übergangsrecht nichts anderes bestimmt, sind Änderungen des zwingenden Rechts vom Rechtsmittelgericht auch dann von Amts wegen seiner Entscheidung zugrunde zu legen, wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht wurde (RIS-Justiz RS0106868), und zwar jedenfalls dann, wenn ein Dauerrechtsverhältnis zu beurteilen ist, das in den Geltungsbereich des neuen Rechts hineinreicht (RIS-Justiz RS0008715 [T7]; RS0031419 [T24]). Ein solcher Fall liegt hier vor, weil die Obsorge für die Zukunft zu regeln ist. Damit sind im Revisionsrekursverfahren bereits die seit 1. Februar 2013 geltenden Bestimmungen des KindNamRÄG 2013 anzuwenden, obwohl die Vorinstanzen noch aufgrund der früher geltenden Rechtslage zu entscheiden hatten (5 Ob 237/12g, 6 Ob 41/13t; im Ergebnis auch Barth / Vonkilch , Ausgewählte übergangsrechtliche Probleme des KindNamRÄG 2013, iFamZ 2013, 72 [75]).

4. Auf dieser Grundlage ist noch keine abschließende Entscheidung möglich.

4.1. Das Rekursgericht hat schon zur neuen Rechtslage Stellung genommen und auch auf dieser Grundlage die Alleinobsorge der Mutter als dem Kindeswohl am ehesten entsprechend angesehen. Seine Ausführungen treffen abstrakt gesehen zu: Auch wenn das Gesetz keine näheren Kriterien dafür aufstellt, ob eine Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Eltern anzuordnen ist, kommt es doch darauf an, ob die Alleinobsorge eines Elternteils oder die Obsorge beider Eltern dem Wohl des Kindes besser entspricht. Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Daher ist von entscheidender Bedeutung, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder zumindest in absehbarer Zeit (wieder) hergestellt werden kann (vgl Beck , Obsorgezuweisung neu, in Gitschthaler , KindNamRÄG 2013 [2013] 175 [181]).

4.2. Im konkreten Fall steht zwar fest, das das Verhältnis zwischen den Eltern derzeit belastet ist. Das kann aber auch daran liegen, dass das erstgerichtliche Verfahren zwangsläufig zu einer Polarisierung führte, weil es für die Entscheidung des Gerichts nur die Alternative einer Zuweisung der alleinigen Obsorge an den Vater oder die Mutter gab. Dabei konnte die Mutter auf die gängige Praxis vertrauen, dass die Beziehungs- und Betreuungskontinuität zumal bei einem Kleinkind für sie sprechen würde, während der Vater gravierende Mängel dieser Betreuung aufzeigen musste, um eine alleinige Betrauung mit der Obsorge zu erwirken. Beides konnte zu Verhaltensweisen im und außerhalb des Verfahrens führen, die nicht nur die Beziehung zwischen den Eltern belasteten, sondern vor allem auch dem Kindeswohl abträglich waren. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Eltern ihre diesbezügliche Haltung aufgrund der geänderten Rechtslage überdenken. Die Möglichkeit einer solchen dem Kindeswohl dienenden Entwicklung ist auch im Revisionsrekursverfahren zu berücksichtigen. Weiters fehlen Feststellung zur für die Beurteilung nach neuem Recht maßgebenden Frage, ob und gegebenenfalls durch welche Maßnahmen eine Gesprächsbasis zwischen den Eltern wiederhergestellt werden könnte.

5. Diese Erwägungen führen zur Aufhebung in die erste Instanz. Das Erstgericht wird mit den Eltern die neue Rechtslage zu erörtern und die Möglichkeiten und Voraussetzungen für eine Verbesserung der für eine gemeinsame Obsorge erforderlichen Gesprächsbasis zu prüfen haben. Ob dafür eine weitere Einvernahme der Eltern genügt, eine ergänzende Begutachtung erforderlich ist oder Aufträge nach § 107 Abs 3 Z 2 oder 3 AußStrG zu erteilen sind, obliegt der am konkreten Kindeswohl orientierten Beurteilung der Vorinstanzen. Gleiches gilt für die Frage, ob eine Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung anzuordnen ist.

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