OGH 5Ob237/12g

OGH5Ob237/12g14.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache des Antragstellers A***** W*****, vertreten durch Robathin & Partner, Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die Antragsgegner 1. M***** W*****, und 2. I***** W*****, vertreten durch Mag. Andrea Nobis, Rechtsanwältin in Wien, wegen Bestreitung der ehelichen Abstammung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Zweitantragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 17. Oktober 2012, GZ 43 R 396/12x‑19, womit infolge Rekurses der Zweitantragsgegnerin der Beschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom 5. Juni 2012, GZ 10 Fam 44/11t‑13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Rekursgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Der Erstantragsgegner ist der Sohn der Zweitantragsgegnerin und wurde während deren aufrechter Ehe mit dem Antragsteller geboren. Die Ehe zwischen dem Antragsteller und der Zweitantragsgegnerin wurde am 22. 2. 1996 geschieden.

Mit dem am 22. 11. 2011 beim Erstgericht eingebrachten Antrag begehrte der Antragsteller (sinngemäß) die Feststellung, dass der am 27. 5. 1988 geborene Erstantragsgegner nicht von ihm abstamme. Dazu brachte er vor, der Erstantragsgegner habe sich in den letzten Jahren physisch derart entwickelt, dass ihm im Sommer 2010 der Verdacht gekommen sei, er könne möglicherweise nicht von ihm abstammen. Zur Abklärung habe er daher ein Abstammungsgutachten auf DNA‑Basis in Auftrag gegeben, nach dem seine Vaterschaft zu 100 % auszuschließen sei.

Die Zweitantragsgegnerin berief sich auf die Verfristung des Antrags. Bereits anlässlich der Ehescheidung im Jahr 1996 sei zwischen dem Antragsteller und dessen Eltern darüber gesprochen worden, dass der Erstantragsgegner aufgrund seiner Blutgruppe nicht der leibliche Sohn des Antragstellers sein könne. Bereits kurz nach der Geburt sei der Antragsteller davon informiert gewesen, dass beide Elternteile die Blutgruppe 0 hätten, währenddessen der Erstantragsteller die Blutgruppe A positiv aufweise.

Das Erstgericht stellte fest, dass „der Erstantragsgegner nicht der Ehe zwischen dem Antragsteller und der Zweitantragsgegnerin entstammt und sohin nicht ehelich ist“. In rechtlicher Hinsicht ging es davon aus, dass der Antrag nicht verfristet sei, weil der Antragsteller erst aufgrund eines Gesprächs im Frühjahr 2010 Kenntnis davon erlangt habe, dass der Erstantragsgegner aufgrund seiner Blutgruppe nicht sein Sohn sein könne.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Zweitantragsgegnerin nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das von der Zweitantragsgegnerin in ihrem Rekurs erstattete Vorbringen, der Antragsteller habe bei einem Telefonat im Dezember 2010 ihrem Bruder mitgeteilt, wegen der Blutgruppe des Erstantragsgegners schon im Jahr 1996 Zweifel an seiner Vaterschaft gehabt zu haben, stelle eine unzulässige Neuerung dar.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Zweitantragsgegnerin mit einem Abänderungs‑, in eventu Aufhebungsantrag.

Der Antragsteller hat in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung Gebrauch gemacht und beantragt, den Revisionsrekurs der Zweitantragstellerin zurückzuweisen; in eventu diesem nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Zweitantragstellerin ist zulässig, weil dem Rekursgericht eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist; er ist im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.

1. Änderungen des zwingenden Rechts sind von Amts wegen zu beachten, und, sofern nicht das

Übergangsrecht etwas anderes bestimmt, vom Rechtsmittelgericht seiner Entscheidung zugrundezulegen, auch wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht wurde (RIS‑Justiz RS0106868; vgl auch Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 503 ZPO Rz 204). Mit 1. 2. 2013 ist das Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013, BGBl I 2013/15, in Kraft getreten (§ 1503 Z 1 ABGB idF Art 1 Z 40 leg cit). Danach ist die Feststellung der Nichtabstammung vom Ehemann der Mutter in den §§ 151 ff ABGB geregelt. Mangels anderslautender Anordnung in der Übergangsbestimmung des § 1503 ABGB ist von der neuen Gesetzeslage auszugehen. Eine inhaltliche Änderung gegenüber der alten Rechtslage ist damit für den hier zu entscheidenden Fall jedoch nicht verbunden.

2. Stammt ein Kind, das während der Ehe der Mutter oder vor Ablauf von 300 Tagen nach dem Tod des Ehemanns der Mutter geboren worden ist, nicht von diesem ab, so hat das Gericht dies gemäß § 151 Abs 1 ABGB (entspricht § 156 Abs 1 alt ABGB) auf Antrag festzustellen. Ein solcher Antrag kann binnen zwei Jahren ab Kenntnis der hiefür sprechenden Umstände, frühestens mit der Geburt des Kindes gestellt werden (§ 153 Abs 1 ABGB [entspricht dem bisherigen § 158 Abs 1 ABGB]). Der einem Antrag nach § 151 Abs 1 ABGB stattgebende Beschluss entfaltet seine konstitutive Wirkung erst dann, wenn er allen Verfahrensparteien (dazu § 82 Abs 2 AußStrG) gegenüber in Rechtskraft erwachsen ist ( Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang ³, § 156 ABGB Rz 21). Daher schadet es auch nicht, wenn nur die Zweitantragsgegnerin als Revisionsrekurswerberin auftritt.

3. Die Frist des § 153 Abs 1 ABGB ist eine materiell‑rechtliche Ausschlussfrist, für deren Beginn entscheidend ist, wann dem Ehemann Umstände von so großer Beweiskraft bekannt wurden, dass er objektiv die Nichtabstammung des Kindes von ihm als höchstwahrscheinlich ansehen musste und erwarten konnte, seiner Beweispflicht im Verfahren nachkommen zu können ( Hopf in KBB 3 §§ 156‑158 Rz 5 mwN). Dabei ist auf den Maßstab eines objektiv‑verständig denkenden Mannes abzustellen (7 Ob 85/08p; 8 Ob 65/10g; 1 Ob 7/12d). Der Beginn des Fristenlaufs ist einziger Streitpunkt des Verfahrens.

4. Erstmals im Rekurs hat die Zweitantragsgegnerin die Einvernahme ihres Bruders beantragt, mit der sie offensichtlich den Nachweis anstrebt, dass dem Antragsteller bereits bei der Scheidung im Jahr 1996 Umstände von solchem Gewicht bekannt gewesen seien, dass die Durchführung einer klärenden DNA‑Analyse aus Sicht eines objektiv‑verständig denkenden Mannes geboten gewesen wäre. Dazu hat sie sich auf ein Telefonat zwischen dem Antragsteller und ihrem Bruder im Dezember 2010 berufen, nach dessen Inhalt der Antragsteller bestätigt haben soll, bereits im Zuge der Scheidung Hinweise dazu gehabt zu haben, die seine Vaterschaft wegen der Blutgruppe des Antragstellers hätten zweifelhaft erscheinen lassen. Zwar habe sie von der Tatsache des Telefonats bereits wenige Tage danach Kenntnis erlangt, über den ‑ für das Verfahren einzig relevanten ‑ Inhalt des Gesprächs, wann der Antragsteller erstmals begründete Zweifel an der ehelichen Abstammung gehabt habe, sei sie jedoch erst nach Zustellung des Beschlusses erster Instanz informiert worden.

5.1 § 49 AußStrG unterscheidet zur Zulässigkeit von Neuerungen im Rekursverfahren danach, ob es sich um Tatsachen und Beweismittel handelt, die zur Zeit der Entscheidung erster Instanz bereits eingetreten oder vorhanden waren (nova reperta), und solchen, die erst nach Beschlussfassung entstanden sind (nova producta; Erl RV zum AußStrG 2005, abgedruckt in Fucik/Kloiber , AußStrG [2005] bei § 49 und Rz 3).

5.2 Tatsachen und Beweismittel, die zur Zeit der Entscheidung erster Instanz bereits eingetreten oder vorhanden waren, sind im Rekursverfahren nicht zu berücksichtigen, wenn sie schon vor Fassung des Beschlusses erster Instanz vorgebracht werden hätten können, es sei denn, die Partei kann dartun, dass es sich bei der Verspätung (Unterlassung) des Vorbringens um eine entschuldbare Fehlleistung handelt (§ 49 Abs 2 AußStrG). Sofern die betreffenden Umstände nicht ohnehin schon eindeutig und zweifelsfrei dem Akteninhalt zu entnehmen sind, hat der Rechtsmittelwerber die Zulässigkeit der Neuerungen im Rechtsmittel zu behaupten und schlüssig darzulegen. Gegebenenfalls hat er zu bescheinigen, dass die Verspätung (Unterlassung) des Vorbringens auf einer entschuldbaren Fehlleistung beruht (RIS‑Justiz RS0120290; RS0110773 [T6, T9]). Ob das der Fall ist, oder ein darüber hinausgehendes Verschulden vorliegt, ist im Einzelfall an Hand subjektiver Kriterien zu prüfen (vgl Fucik/Kloiber aaO § 49 Rz 3).

5.3 Das Vorbringen und das Beweisanbot der Zweitantragsgegnerin im Rekurs betrifft Umstände, die bereits vor Entscheidung erster Instanz vorhanden waren. Ein solches Vorbringen ist nur zulässig, wenn ihr am rechtzeitigen Vorbringen kein schweres Verschulden als eine entschuldbare Fehlleistung angelastet werden kann.

6. Das Rekursgericht leitet ein schweres Verschulden der Zweitantragsgegnerin daraus ab, dass sie ‑ wie sie selbst einräumte ‑ bereits vor Einleitung des Verfahrens über die Tatsache des Telefongesprächs informiert gewesen sei. Unterstellt man aber, dass die Zweitantragstellerin ‑ wie sie behauptet ‑ von den für die Frage der Verfristung relevanten Details dieses Gesprächs tatsächlich erst nach Zustellung des Beschlusses erster Instanz Kenntnis erlangte, kann ihr entgegen der Auffassung des Rekursgerichts kein Verschulden am verspäteten Vorbringen angelastet werden. Zu Recht verweist die Revisionsrekurswerberin in diesem Zusammenhang nämlich darauf, dass die Ansicht des Rekursgerichts im Ergebnis eine Pflicht zur Ausforschung des Kenntnisstands potentieller Zeugen begründet, für die aber ohne besondere Anhaltspunkte auch die Betreibungspflicht nach § 13 Abs 1 letzter Satz AußStrG keine Grundlage bietet. Ausgehend von den erst zu prüfenden Behauptungen der Zweitantragstellerin kann ihr auch nicht vorgeworfen werden, sie habe den Gesprächspartner des Antragstellers nicht rechtzeitig als Zeugen genannt. Soll eine Beweisaufnahme von vornherein nicht zu dem Zweck erfolgen, (konkrete) Tatsachenbehauptungen zu verifizieren, sondern dazu dienen, erst zu erfahren, welche Tatsachen vorgebracht werden können, liegt ein Ausforschungs‑ oder Erkundungsbeweis vor (vgl dazu Rechberger in Fasching/Konecny ² III Vor § 266 ZPO Rz 81). Dass ein solches Beweisanbot nicht im Verfahren erster Instanz erhoben wurde, begründet jedenfalls keine schuldhafte Säumnis iSd § 49 Abs 2 AußStrG.

7. Zur Klärung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 49 Abs 2 AußStrG vorliegen, und daher auf das neue Vorbringen der Zweitantragsgegnerin Bedacht zu nehmen ist, bedarf es daher einer Auseinandersetzung mit den von ihr angebotenen Bescheinigungsmitteln, weswegen die Entscheidung des Rekursgerichts aufzuheben und diesem die Ergänzung des Verfahrens über die Zulässigkeit der von der Revisionsrekurswerberin geltend gemachten Neuerung aufzutragen ist. Sollte als Ergebnis eines solchen Bescheinigungsverfahrens die Zweitantragsgegnerin von den für das Verfahren relevanten Details des Telefonats vom Dezember 2010 tatsächlich erst nach der Entscheidung erster Instanz Kenntnis erhalten haben, läge eine zulässige Neuerung vor, auf die im weiteren Verfahren Bedacht zu nehmen wäre.

8. Spruchinhalt eines stattgebenden Beschlusses nach § 151 Abs 1 ABGB ist die Feststellung, dass das Kind nicht vom Ehemann der Mutter abstammt. Der gerichtliche Ausspruch erfasst daher die negative Feststellung der Nichtabstammung (vgl dazu Stefula aaO Rz 20). Die vom Erstgericht gewählte und vom Rekursgericht gebilligte Spruchformulierung beschränkt sich demgegenüber auf die Feststellung der Nichtehelichkeit und entspricht insoweit nicht dem Gesetz, was das Rekursgericht im fortgesetzten Verfahren ebenfalls zu beachten haben wird.

9. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 AußStrG.

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