Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung
Die Eltern der am 24. 4. 2006 geborenen Marie W***** waren nie miteinander verheiratet. Aufgrund einer pflegschaftsgerichtlich genehmigten Vereinbarung vom 19. 5. 2009 kam beiden Eltern die Obsorge zu. Als hauptsächlicher Aufenthalt Maries wurde der Haushalt des Vaters bestimmt, der bei seinen Eltern lebt. Die Eltern hatten zunächst mit Marie in einer Lebensgemeinschaft gelebt, sich dann aber getrennt. Es besteht eine Regelung betreffend Kontakte zwischen Marie und ihrer Mutter.
Seit 25. 8. 2009 besteht ein Obsorgestreit zwischen den Eltern, im Zuge dessen zunächst beide Elternteile die Alleinobsorge für Marie anstrebten. Nachdem sie am 9. 3. 2011 (vorläufig) das Weiterbestehen der Obsorge beider, den Verbleib von Marie bei ihrem Vater und Kontakte zwischen Marie und ihrer Mutter (pflegschaftsgerichtlich genehmigt) vereinbart hatten, beantragte der Vater am 28. 4. 2011 die Aussetzung der Kontakte zwischen Marie und ihrer Mutter, stellten seine Eltern am 21. 3. 2012 den Antrag, sie mit der Obsorge für Marie zu betrauen, und hielt die Mutter ausdrücklich ihren Antrag auf Übertragung der alleinigen Obsorge an sie aufrecht.
Die Vorinstanzen entzogen der Mutter die Obsorge und übertrugen diese dem Vater allein; die Anträge der Mutter und der väterlichen Großeltern wiesen sie (insoweit rechtskräftig) ab. Sie vertraten die Auffassung, die Mutter sei körperlich, psychisch und geistig in der Lage, die Obsorge für ein Kind zu übernehmen, während der Vater nur dann in der Lage sei, die Obsorge für Marie zu übernehmen, wenn er entsprechende Unterstützung erhält und weiterhin mit Marie im Haushalt der väterlichen Großeltern lebt; ansonsten wäre er für die Ausübung der Alleinobsorge nicht geeignet. Dennoch sei der Vater mit der Alleinobsorge für Marie zu betrauen, weil die Mutter derzeit ungeeignet sei, die Obsorge und damit die Alltagsbetreuung Maries auszuüben. Marie schildere nämlich einen Missbrauchsfall im Haushalt der Mutter durch deren Ehegatten und lehne es deshalb wiederholt und explizit ab, in das Haus ihrer Mutter zu gehen und dort ihren „Stiefvater“ zu treffen. Marie wolle vielmehr bei den väterlichen Großeltern bleiben, wo sie auch verwurzelt sei; ihre erste Bezugsperson sei die väterliche Großmutter, die auch geeignet sei, Marie zu pflegen und zu erziehen.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig; er ist auch berechtigt.
1.1. Den Entscheidungen der Vorinstanzen vom 30. 11. 2012 und vom 31. 1. 2013 lag die bis 31. 1. 2013 (§ 1503 Abs 1 ABGB) geltende Rechtslage zugrunde, wonach eine Aufrechterhaltung der Obsorge beider Eltern (auch nur in einem Teilbereich) gegen den Willen eines Elternteils ausgeschlossen war. Ein auf die Aufhebung dieser Obsorge gerichteter Antrag eines Elternteils bedurfte dabei keiner Begründung; es genügte der durch die Antragstellung zum Ausdruck gebrachte Wegfall des Willens eines Elternteils zur Aufrechterhaltung der „gemeinsamen Obsorge“. Die Entscheidung, welcher Elternteil mit der alleinigen Obsorge zu betrauen war, hing allein vom Kindeswohl ab (RIS‑Justiz RS0120492).
1.2. Diese Rechtslage wurde durch das Kindschafts‑ und Namensrechts‑Änderungsgesetz 2013 (KindNamRÄG 2013), BGBl I 2013/15, völlig geändert. Nunmehr bleibt gemäß § 179 Abs 1 ABGB unter anderem im Fall der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft der Eltern eines minderjährigen Kindes die Obsorge beider Eltern aufrecht, die Eltern haben aber nach § 179 Abs 2 ABGB vor Gericht eine Vereinbarung darüber zu schließen, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird. Kommt es binnen angemessener Frist zu keiner derartigen Vereinbarung, so hat das Gericht nach § 180 Abs 1 Satz 1 Z 1 ABGB von Amts wegen (Beck, Obsorgezuweisung neu, in Gitschthaler, KindNamRÄG 2013 [2013] 175 [181]; Beclin, Die wichtigsten materiell‑rechtlichen Änderungen des KindNamRÄG 2013, Zak 2013, 4 [5]; dies, Neuerungen im Obsorge‑ und Kontaktrecht, iFamZ 2013, 6 [7] ‑ beide mit kritischen Anmerkungen zur neuen Rechtslage [„überschießender Eingriff in die Privatautonomie“]) und auch ohne Kindeswohlgefährdung (Beclin aaO) über eine allfällige Änderung der Obsorge zu entscheiden oder bei aufrecht bleibender Betrauung beider Elternteile mit der Obsorge jenen Elternteil zu bestimmen, in dessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut werden soll (Beclin aaO). Dies gilt im Hinblick auf § 180 Abs 1 Satz 1 Z 2 ABGB auch für jene Fälle, in denen ein Elternteil gegen den Willen des anderen die Betrauung mit der Alleinobsorge anstrebt oder beide Elternteile jeweils allein obsorgeberechtigt sein wollen.
Im Hinblick auf § 180 Abs 3 ABGB kann die Obsorge bei maßgeblicher Änderung der Verhältnisse neu geregelt werden. Ein solcher Fall liegt hier vor, haben doch Maries Eltern nach ihrer Trennung die Obsorge beider und die hauptsächliche Betreuung durch den Vater vereinbart; nunmehr streben sie jeweils die Alleinobsorge an. Die maßgebliche Änderung seit der getroffenen Vereinbarung ist dabei ‑ jedenfalls ‑ im Inkrafttreten des KindNamRÄG 2013 zu sehen (vgl RIS‑Justiz RS0047398 zur Umstandsänderung im Unterhaltsrecht, die unter anderem angenommen wird, wenn es zu einer Änderung der dem Unterhaltsanspruch zugrundeliegenden gesetzlichen Regelungen gekommen ist).
Die Betrauung beider Elternteile mit der Obsorge, aber auch die Belassung einer solchen Obsorgeregelung kann in all diesen Fällen auch gegen den Willen beider oder gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden (LG St. Pölten EF‑Z 2013/43; Beck aaO).
1.3. Nach § 1503 Z 1 ABGB idF KindNamRÄG 2013 ist dieses, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit 1. 2. 2013 in Kraft getreten. Die ErläutRV (2004 BlgNR 24. GP 34) führen dazu aus, dass „die neuen namens‑ und kindschaftsrechtlichen Regeln mit 1. 2. 2013 angewendet werden sollen; dies gilt auch für zu diesem Zeitpunkt bereits anhängige Verfahren“.
Nach § 5 ABGB wirken zwar Gesetze nicht zurück, sie haben also auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte keinen Einfluss, und es gilt grundsätzlich noch die alte Rechtslage, sofern nicht der Gesetzgeber ausdrücklich eine rückwirkende Geltung anordnet (vgl Posch in Schwimann/Kodek, ABGB4 [2011] § 5 Rz 4). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind allerdings Änderungen des zwingenden Rechts, sofern nicht das Übergangsrecht etwas anderes bestimmt, vom Rechtsmittelgericht ohne weiteres von Amts wegen seiner Entscheidung zugrunde zu legen, auch wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht wurde (RIS‑Justiz RS0106868).
Damit sind aber im vorliegenden Fall bei Behandlung des außerordentlichen Revisionsrekurses vom Obersten Gerichtshof die einschlägigen, seit 1. 2. 2013 geltenden Bestimmungen des KindNamRÄG 2013 zu beachten, obwohl die Vorinstanzen noch aufgrund der früher geltenden Rechtslage entschieden haben (in diesem Sinn auch 5 Ob 237/12g EF‑Z 2013/97 [Gitschthaler]; 1 Ob 55/13i ebenso Gitschthaler, EF-Z 2013, 140 [Entscheidungsanmerkung]; Barth/Vonkilch, Ausgewählte übergangsrechtliche Probleme des KindNamRÄG 2013, iFamZ 2013, 72).
2. Die Vorinstanzen haben sich im vorliegenden Fall aufgrund der zum Zeitpunkt ihrer Entscheidungen maßgeblichen Rechtslage nur mit der Frage befasst, welcher der beiden Elternteile mit der Alleinobsorge für Marie zu betrauen ist; unerörtert blieb damit notwendigerweise aber die Frage, ob es dem Wohl von Marie nicht besser entsprechen würde, die Obsorge beiden Elternteilen zu belassen und lediglich jenen Elternteil zu bestimmen, in dessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut werden soll. Da nunmehr allerdings ‑ im Gegensatz zur Rechtslage vor dem KindNamRÄG 2013 ‑ die Obsorge beider Elternteile (eher) der Regelfall sein soll (Hinteregger, Familienrecht6 [2013] 220; Gitschthaler, EF‑Z 2013, 140 [Entscheidungs-anmerkung]; vgl auch ErläutRV 2004 BlgNR 24. GP 4, 9, 12) ‑ dies zeigt allein schon der Umstand, dass das Gericht die Obsorge beider Elternteile auch gegen deren Willen anordnen kann (1.2.) ‑, die Ausführungen der Vorinstanzen sich inhaltlich aber lediglich auf die Frage der besseren Betreuung im Haushalt des einen oder des anderen Elternteils beziehen, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass im vorliegenden Fall möglicherweise eine Belassung der Obsorge beider Eltern in Betracht kommen könnte und letztlich die Frage entscheidungsrelevant wäre, in wessen Haushalt Marie hauptsächlich betreut werden soll. Auch Beclin (Zak 2013, 4 [6] und iFamZ 2013, 6 [7]) weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass eine Verschiebung allein der Entscheidungszuständigkeit „dem Kind ja noch nichts bringt und außerdem zu einer Ungleichbehandlung der Eltern führt“; maßgeblich sei die „Beteiligung an der Betreuung“ und nicht die „Frage, wer die Obsorge rechtlich innehat“.
2.1. Die Betrauung beider Elternteile mit der Obsorge kann ‑ wie bereits mehrfach dargelegt (1.2., 2.) ‑ auch gegen deren Willen oder gegen den Willen eines von beiden angeordnet werden. Maßgeblich ist dabei das dem Willen der Eltern übergeordnete Kindesinteresse (Beck aaO; Hinteregger aaO 222; Barth/Jelinek, Das neue Obsorgerecht, in Barth/Deixler‑Hübner/Jelinek, Handbuch des neuen Kindschafts‑ und Namensrechts [2013] 109; vgl auch die ErläutRV 2004 BlgNR 24. GP 27, die insoweit auf die „bisherigen Grundsätze“ verweisen). Auch wenn das Gesetz keine näheren Kriterien dafür aufstellt, ob eine Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Eltern anzuordnen ist, so kommt es doch darauf an, ob die Alleinobsorge eines Elternteils oder die Obsorge beider Eltern dem Wohl des Kindes besser entspricht (LG St. Pölten EF‑Z 2013/43). Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setzt dabei allerdings ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen (LG St. Pölten EF‑Z 2013/43). Es ist also eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob bereits jetzt eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder ob zumindest in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet werden kann (Beck aaO).
Die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen lassen insoweit eine gesicherte Beurteilung nicht zu, spricht doch das Erstgericht von der Notwendigkeit einer (möglicherweise derzeit fehlenden) „entsprechenden Gesprächsbasis“ und nicht verarbeiteten Trennungskonflikten beim Vater. Dies bedeutet aber nicht, dass eine Anordnung beziehungsweise Belassung der Obsorge beider Eltern bereits deshalb ausscheidet, weil (zumindest) ein Elternteil (derzeit) eine gemeinsame Gesprächsbasis nicht aufkommen lässt; ansonsten hätte es ja dieser Elternteil in der Hand, die Anordnung beziehungsweise Belassung der Obsorge beider Elternteile einseitig zu verhindern. Vielmehr ist in einem solchen Fall etwa auf die nunmehr vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Mittel des § 107 Abs 3 Z 1 und 2 AußStrG zurückzugreifen, bevor die Obsorge allein einem Elternteil zugewiesen wird.
Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren die Frage einer Belassung der Obsorge beider Elternteile mit diesen zu erörtern und Feststellungen im aufgezeigten Sinn zu treffen haben.
2.2. Sollte tatsächlich weiterhin die Obsorge beider Elternteile in Betracht kommen, wird sich das Erstgericht (neuerlich) mit der Frage auseinander zu setzen haben, im Haushalt welchen Elternteils Marie hauptsächlich betreut werden soll. Auch die Bestimmung dieses Elternteils hat sich grundsätzlich am Kindeswohl zu orientieren (§ 180 Abs 2 ABGB). Lediglich der Vollständigkeit halber sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Mutter in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs nicht ganz zu Unrecht kritisiert, die Vorinstanzen hätten aufgrund einer Gutachtenserstellung aus dem Jahr 2011 entschieden. Tatsächlich haben Entscheidungen betreffend Obsorge und Bestimmung des Elternteils, in dessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut werden soll, aber eine zukunftsbezogene Rechtsgestaltung zum Inhalt; sie können also nur dann sachgerecht sein, wenn sie auf einer aktuellen bis in die jüngste Gegenwart reichenden Tatsachengrundlage beruhen (RIS‑Justiz RS0106312).
3. Für den weiteren Verfahrensgang ist noch festzuhalten: Das Gericht hat nach § 180 Abs 1 ABGB eine vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung zu treffen, sofern dies dem Wohl des Kindes entspricht. Den ErläutRV (2004 BlgNR 24. GP 26) ist dazu zu entnehmen, dass das Gericht von Amts wegen zu beurteilen hat, ob es eine solche Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung einleitet oder ob es ohne eine solche endgültig über Obsorge und Elternteil, in dessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut werden soll, entscheidet (Barth/Jelinek, Die Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung nach § 180 ABGB, iFamZ 2013, 12 und im Handbuch des neuen Kindschafts‑ und Namensrechts [2013] 109; M. Huber in Deixler‑Hübner/Fucik/Huber, Das neue Kindschaftsrecht [2013] § 180 ABGB Seite 81).
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