European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0030OB00038.13D.0313.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung
Die Rechtskraft der Ehescheidung der Eltern trat mit 12. Mai 2011 ein. Bis September 2011 bestand ein gemeinsamer Haushalt, dann zog die Mutter mit den Kindern aus. Beide Eltern beantragten die Übertragung der alleinigen Obsorge für ihre ehelichen Kinder wegen Gefährdung des Kindeswohls durch den jeweils anderen. Mit Beschluss vom 21. Mai 2012, ON 209, entzog das Erstgericht der Mutter die Obsorge vorläufig und gleichzeitig auch endgültig (P 1. und 2.) ‑ primär unter Berufung auf § 176 ABGB aF ‑ und betraute damit den Vater endgültig allein. Mit gesondert ausgefertigtem Beschluss vom selben Tag, ON 210, wies das Erstgericht einen gegen die im Obsorgeverfahren beigezogene familienpsychologische Sachverständige gestellten Ablehnungsantrag der Mutter ab. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter gegen die Obsorgeentscheidung (ON 214) nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu (ON 234); den gesonderten Rekurs der Mutter (ON 215) gegen die Ablehnungsentscheidung wies es zurück (ON 235).
Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs strebt die Mutter die Abänderung der Obsorgeentscheidung zu ihren Gunsten an; hilfsweise die Aufhebung und Zurückverweisung an das Erst- bzw Rekursgericht. Erhebliche Rechtsfragen erblickt die Mutter in Mängeln des erstgerichtlichen (Entscheidung über die Ablehnung erst nach der Sachentscheidung) und des Rekursverfahrens (unzureichende Begründung der Verwerfung von Mängelrügen und der Verneinung von sekundären Feststellungsmängeln) sowie in unrichtiger rechtlicher Beurteilung des Rekursgerichts (Missachtung des Grundsatzes der Kontinuität der Erziehung und des Wunsches der Kinder; fehlende Feststellungen zur Ursache der alarmierenden psychischen Befindlichkeiten der Kinder und zur Erziehungsinsuffizienz des Vaters). Es gelingt ihr damit jedoch nicht, erhebliche Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen, weshalb das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen ist. Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Rechtliche Beurteilung
1. Die relevierten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
1.1. Den von der Mutter schon im Rekurs geltend gemachten Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens, die Sachentscheidung sei vor Rechtskraft der Entscheidung über den Ablehnungsantrag gefasst worden, hat das Rekursgericht ausreichend und zutreffend begründet verneint.
1.2. Der Vorwurf, die Sachentscheidung sei der Ablehnungsentscheidung zeitlich vorangegangen, ist aktenwidrig, weil beide Beschlüsse das Datum 21. Mai 2011 tragen und deshalb als Einheit anzusehen sind; die Reihenfolge ihrer Ordnungsnummern vermag daran ebenso wenig etwas zu ändern wie die wirksame Zustellung (§ 89d Abs 2 GOG) zu unterschiedlichen Zeitpunkten (ON 209: 23. Mai 2012; ON 210: 25. Mai 2012).
Der daraus abgeleitete Verfahrensmangel, deshalb sei der Mutter eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten des Erstgerichts zur Ablehnung nur in verkürzter Frist für die Erhebung des „verbundenen“ Rekurses gegen die Sachentscheidung (§ 35 AußStrG iVm § 366 Abs 1 ZPO) möglich gewesen, wurde im Rekurs ON 214 nicht gerügt. Eine im Rekursverfahren nicht vorgebrachte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens kann aber im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr nachgeholt werden (RIS-Justiz RS0043111 [T22 und T26]; RS0030748 [T3 und T8]). Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Mutter die ihr für den Rekurs ON 214 offenstehende Frist bis 6. Juni 2012 nicht einmal ausgeschöpft hat, da er bereits am 5. Juni 2012 im ERV eingebracht wurde.
1.3. Die Verneinung der Befangenheit der Sachverständigen durch das Erstgericht hat die Mutter im Rekurs ON 214 nur im Rahmen der Mängelrüge wegen Unterlassen der Einholung weiterer Gutachten trotz der ihrer Meinung nach gegebenen Unbrauchbarkeit des Gutachtens der Sachverständigen bekämpft. Sie hatte aber gegen den Beschluss ON 210 einen selbständigen Rekurs (ON 215), den das Rekursgericht wegen Fehlens einer abgesonderten Anfechtungsmöglichkeit (RIS‑Justiz RS0040730 [T4, T7 und T12]) unbekämpft als unzulässig zurückgewiesen hat (ON 235) erhoben. Obwohl eine eingehende Thematisierung im Rekurs ON 214 nicht erfolgte, hat das Rekursgericht in seiner Obsorgeentscheidung (ON 234) die Ablehnung mit ausreichender Begründung für nicht stichhältig erachtet. Aus Gründen des Kindeswohls aufgreifbare Verfahrensmängel (vgl RIS‑Justiz RS0030748 [T5, T6]) liegen nicht vor.
1.4. Gleiches gilt für die Einwände der Mutter gegen die Verwertbarkeit des Gutachtens der Sachverständigen (vor allem wegen behaupteter Widersprüche zum Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen) und das daran geknüpfte Verlangen nach der Bestellung anderer Sachverständiger und auch für die Verneinung eines Verfahrensmangels wegen unterbliebener psychiatrischer Begutachtung des Vaters. Die dazu behaupteten Begründungsmängel liegen nicht vor.
2. Zum KindNamRÄG 2013 bedarf es an dieser Stelle übergangsrechtlicher Überlegungen zur Frage, ob die neuen Bestimmungen schon auf den hier in dritter Instanz zu beurteilenden Sachverhalt anzuwenden sind:
2.1. Nach § 1503 Z 1 ABGB ist das Kindschafts‑ und Namensrechts‑Änderungsgesetz 2013 (BGBl I 2013/15, KindNamRÄG 2013) mit 1. Februar 2013 in Kraft getreten. Die neuen Bestimmungen sind auch in den zu diesem Zeitpunkt breits anhängigen Verfahren anzuwenden (ErläutRV 2004 BlgNR 24. GP 34).
2.2. Entscheidungswesentlich sind hier aber primär die Bestimmungen der §§ 181 und 182 (früher 176 und 176b) ABGB, die inhaltlich keine Änderung erfahren haben. Auch die von der Mutter im Revisionsrekurs genannte Bestimmung des § 138 Z 5 ABGB nF (Aufzählung von Kriterien des Kindeswohls, darunter die Berücksichtigung der Meinung des Kindes) stellt keine Änderung der Rechtslage dar, war doch schon bisher anerkannt, dass der Wille des Kindes (§ 146 Abs 3 ABGB aF = § 160 Abs 3 nF) ein Kriterium des Kindeswohls darstellt (vgl Weitzenböck in Schwimann ABGB-TaKom 2 § 178a ABGB Rz 2; vgl ua RIS‑Justiz RS0048820). Zu diesen Bestimmungen bleibt jedenfalls die bisherige Rechtsprechung relevant.
2.3. Ob iSd § 180 ABGB nF „soweit dies dem Wohl des Kindes entspricht“ eine vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung allenfalls auch in Richtung einer gemeinsamen Obsorge, verfügt werden könnte, muss hier im Rahmen des vorliegenden außerordentlichen Rechtsmittels, das dazu nichts ausführt, nicht näher geprüft werden. Angesichts der bestehenden massiven Gefährdung der beiden Kinder, die ihre Ursache auch in dem schon lange und erbittert geführten Obsorgestreit und der Ungewissheit seines Ausgangs hat, kommt ein weiteres Hinauszögern der endgültigen Entscheidung nicht in Frage.
3. Auch zur materiell‑rechtlichen Beurteilung vermag die Mutter keine unvertretbare Fehlbeurteilung der Vorinstanzen aufzuzeigen.
3.1. Die gerügten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor.
Die verlangte Ergänzung des Sachverhalts zu vom Vater seiner Tochter geschickten Kurzmitteilungen war schon deshalb nicht erforderlich, weil diese vom Vater gar nicht bestritten wurden (ON 202 S 4/5); sie konnten auch bei der mündlichen Gutachtenserörterung verwertet werden.
Im Übrigen lässt sich dem erstgerichtlichen Beschluss zusammengefasst mit ausreichender Deutlichkeit entnehmen, dass die alarmierende psychische Befindlichkeit der Kinder, die bereits hochgradige psychische Probleme und Defizite sowie ein hohes innerpsychisches Angstpotential im Sinn existentieller Angst aufweisen und ua langfristige psychotherapeutische Maßnahmen bedürften, seit längerem besteht. Dies hat seine Ursache vor allem in dem schon lange anhaltenden Obsorgestreit und der fehlenden Kooperation der Eltern, die nicht zuletzt auch an der Uneinsichtigkeit der Mutter scheiterte, die die Kinder als Folge ihrer Erziehungsunfähigkeit instrumentalisierte und ihnen die empfohlene Psychotherapie nicht ermöglichte. Dem gegenüber wurde der Vater als erziehungsfähig und die Bindung der Kinder an ihn als positiv beurteilt. Dies kann durchaus als hohe Ressource für die Wiederherstellung des psychischen Gleichgewichts der Kinder angesehen werden.
Es liegen ausreichende Feststellungen als Grundlage für die vom Erstgericht getroffene Entscheidung vor. Der Vorwurf eines Feststellungsmangels kann aber nicht erfolgreich erhoben werden, wenn zu einem bestimmten Thema ohnehin Feststellungen getroffen wurden, auch wenn diese den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers zuwider laufen (RIS-Justiz RS0043320 [T18]; RS0043480 [T15]); inhaltlich stellt dies nämlich eine in dritter Instanz unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung dar.
3.2. Bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind ist ausschließlich dessen Wohl maßgebend, wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind (RIS‑Justiz RS0048632). Im Spannungsverhältnis zwischen Elternrechten und dem Kindeswohl haben erstere naturgemäß zurückzutreten (RIS-Justiz RS0048632 [T7]). Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohls ist nicht geradezu ein Missbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen. Es genügt, dass die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt worden sind oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden (RIS-Justiz RS0048633 [T3]; RS0048684); ob dies zutrifft hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0048699 [T18]).
Wenn die Vorinstanzen von einer objektiven, aber ganz massiven Gefährdung der Interessen der Kinder durch die Mutter ausgingen, die die Unterbringung der Kinder beim Vater rechtfertigt, weil dafür eine positive Zukunftsprognose gestellt wurde, kann darin keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkannt werden.
3.3. Dem mit dem Hinweis, sie habe die Kinder seit deren Geburt betreut und erzogen, verbundenen Vorwurf, die Übertragung der Obsorge an den Vater verletze den Grundsatz der Kontinuität der Pflege und Erziehung, ist zu entgegnen, dass dieser Grundsatz nicht um seiner selbst Willen aufrecht erhalten werden darf und nicht das einzige, sondern nur ein zusätzliches Argument bei der Obsorgeentscheidung darstellt (RIS-Justiz RS0047928). Nach den Feststellungen erfordert aber gerade die Erziehungsunfähigkeit der Mutter den Wechsel der Kinder zum Vater.
3.4. Natürlich soll (mündigen) Minderjährigen die Obsorge durch einen Elternteil möglichst nicht gegen ihren erklärten Willen aufgezwungen werden; allerdings ist der Wunsch des Kindes nicht allein entscheidend, wenn schwerwiegende Gründe dagegen sprechen oder seiner Berücksichtigung das Wohl des Kindes entgegen steht (RIS‑Justiz RS0048981; RS0048820; RS0048818). Die Vorinstanzen haben den Wunsch der im Zeitpunkt der Entscheidung der ersten Instanz bereits 13- und 11-jährigen Kinder, in Obsorge der Mutter zu bleiben, keineswegs unberücksichtigt gelassen, sondern in deren Verbleib bei der Mutter wegen ihrer Erziehungsunfähigkeit und der deshalb zu befürchtenden starken Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit und Entwicklung der Kinder eine massive Gefährdung deren Wohls erblickt. Wenn sich die Vorinstanzen unter diesen Umständen dazu entschlossen, dem Wunsch der Kinder keine entscheidende Bedeutung beizumessen, liegt darin keinesfalls eine unvertretbare Rechtsansicht.
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