OGH 6Ob75/12s

OGH6Ob75/12s22.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*****, vertreten durch Mag. Michael Rudnigger Rechtsanwalt-GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei O*****, vertreten durch Dr. Markus Singer und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 22. Februar 2012, GZ 39 R 130/11y‑20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

1. Zur funktionellen Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs:

Nach den Behauptungen der klagenden Partei schloss diese in der Vergangenheit mit der Beklagten zunächst mehrere Benützungsverträge gemäß § 5 StudentenheimG und sodann zwei Gastverträge gemäß § 5a StudentenheimG ab; der letzte habe dabei mit Ende des Studienjahres 2008/2009 geendet. Seit dem Studienjahr 2009/2010 bestehe kein Vertragsverhältnis mehr, die Beklagte nutze eine bestimmte Wohneinheit in dem der klagenden Partei gehörigen Studentenheim titellos.

Die Vorinstanzen gaben dem Räumungsbegehren übereinstimmend statt. Das Berufungsgericht sprach darüber hinaus aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und dass die Revision nicht zulässig sei; das Räumungsbegehren stehe nicht im Zusammenhang mit einem Bestandvertrag, weshalb keine „privilegierte Rechtssache“ im Sinn des § 502 Abs 5 Z 2 ZPO vorliege.

Nunmehr legte das Erstgericht die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene außerordentliche Revision unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vor.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision ‑ außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO ‑ jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann eine Partei nach § 508 Abs 1 ZPO einen nach § 508 Abs 2 ZPO befristeten Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde. Ein solcher Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, muss hinreichend erkennen lassen, warum die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird. Demgegenüber kommt es nach § 502 Abs 5 Z 2 ZPO auf den Wert des Entscheidungsgegenstands nicht an, wenn es sich um eine unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallende Streitigkeit handelt und dabei (unter anderem) über eine Räumung entschieden wird. § 49 Abs 2 Z 5 JN erfasst dabei alle Streitigkeiten (unter anderem) aus Bestandverträgen über die in § 560 ZPO bezeichneten Sachen.

Zwischen den Parteien kam es nach den Behauptungen der klagenden Partei zum Abschluss von Benützungsverträgen gemäß § 5 StudentenheimG und dann zum Abschluss von Gastverträgen gemäß § 5a StudentenheimG. Auch wenn nach herrschender Auffassung (Simotta in Fasching, ZPO² [2000] § 49 JN Rz 81; Zechner in Fasching/Konecny, ZPO² [2005] § 502 Rz 192 [jeweils mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung]) weder § 502 Abs 5 Z 2 ZPO noch § 49 Abs 2 Z 5 JN ausdehnend auszulegen sind, kann es nicht zweifelhaft sein, dass Benützungs- und Gastverträge betreffend Heimplätze im Sinn des Studentenheimgesetzes als Bestandverträge gemäß § 502 Abs 5 Z 2 ZPO, § 49 Abs 2 Z 5 JN anzusehen sind. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus § 12 Abs 4 StudentenheimG, der die §§ 561 ff ZPO für auf Verfahren über eine Kündigung derartiger Verträge anwendbar erklärt.

Eine Streitigkeit im Sinn des § 502 Abs 5 Z 2 ZPO liegt auch dann vor, wenn beim Streit über eine „Räumung“ (wenn auch nur als Vorfrage) über das Dauerschuldverhältnis selbst und seine wirksame Beendigung zu entscheiden, also zu beurteilen ist, ob das Dauerschuldverhältnis noch aufrecht oder entsprechend dem Vorbringen des Klägers bereits wirksam beendet wurde (10 Ob 11/00s), etwa durch eine außergerichtliche Kündigung (5 Ob 274/02h). Im vorliegenden Verfahren ist zwischen den Parteien die Qualifikation des zwischen ihnen bestehenden Bestandverhältnisses strittig; von dieser Qualifikation hängt auch die Frage ab, ob die klagende Partei eine außergerichtliche Kündigung wirksam ausgesprochen beziehungsweise das Vertragsverhältnis berechtigt nicht mehr weiter verlängert hat. Eine auf titellose Benutzung gestützte Räumungsklage im Sinne der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl 2 Ob 200/99x; 1 Ob 115/01w; 2 Ob 213/10b), die nicht von der Privilegierung des § 502 Abs 5 Z 2 ZPO erfasst wäre, liegt somit hier nicht vor.

Damit ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung seines Entscheidungsgegenstands unbeachtlich; das Erstgericht hat die außerordentliche Revision der Beklagten zutreffend dem Obersten Gerichtshof vorgelegt.

2. In der Sache selbst:

Nach § 1 Abs 2 Z 1 MRG fallen nicht in den Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes Mietgegenstände, die unter anderem im Rahmen des Betriebs eines hiefür besonders eingerichteten Heimes für Studenten vermietet werden. Rechtsverhältnisse, die sich aus der Vergabe von Heimplätzen durch Studentenheimträger an Studierende (Heimbewohner) ergeben, werden vielmehr durch das Studentenheimgesetz geregelt (vgl dessen § 1 Abs 1).

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs lässt sich die Frage, ob ein Objekt im Rahmen eines Betriebs nach § 1 Abs 2 Z 1 MRG in Bestand gegeben wurde, immer nur unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls beantworten. In diese Beurteilung fließt immer auch die Verkehrsauffassung ein, weshalb sich der Gesetzgeber einer Begriffsdefinition enthalten hat; das eröffnet den Gerichten einen Beurteilungsspielraum (5 Ob 77/01m; 7 Ob 3/11h).

Die Vorinstanzen haben das Vorliegen des Ausnahmetatbestands einerseits aufgrund der objektiven Umstände (äußeres Erscheinungsbild des Objekts als Studentenheim; ausschließliche Vergabe von Benützungs- und Gastverträgen nach §§ 5, 5a StudentenheimG; Vorhandensein einer Heimleitung, die auch über Schlüssel zu den einzelnen Wohneinheiten verfügt; umfangreiche Gemeinschaftseinrichtungen; eine Heizung, Strom, Warmwasser, Abwasser, Heimbetriebskosten, Telefonfestnetzgrundgebühr, Internetanschluss, Möblierung, Zimmerreinigung, Satelliten-TV und die Nutzung der allgemeinen Studier- und Freizeiträume, der Waschküche, des Musikzimmers, des Veranstaltungsraums, der Sauna, des Fitnessraums sowie des Raucherraums beinhaltendes Benützungsentgelt) und andererseits aufgrund der Tatsache bejaht, dass die Beklagte bei Abschluss der ursprünglichen Vereinbarung selbst Studentin war; darüber hinaus habe die Beklagte damals gewusst, dass sie in einem Studentenheim und nicht in einem typischen Zinshaus wohnt. Diese Beurteilung der Vorinstanzen stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

Die Beklagte zeigt in ihrer außerordentlichen Revision auch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf. Sie verweist zum einen lediglich auf eine Zeugenaussage, die jedoch insoweit keinen Eingang in die Feststellungen der Vorinstanzen gefunden hat, zum anderen weicht sie von den getroffenen Feststellungen ab (Nutzung der Einheiten im 7. Stockwerk). Dass die Beklagte (allenfalls) die ihr zur Verfügung stehenden Gemeinschaftseinrichtungen tatsächlich nicht genutzt hat, vermag an der Qualifikation des Bestandverhältnisses nichts zu ändern, hätte es doch sonst der Bestandnehmer in der Hand, diese Qualifikation durch einseitiges Verhalten zu ändern; dass ein Verzicht der Beklagten auf diese Einrichtungen Vertragsinhalt gewesen wäre, lässt sich den Feststellungen hingegen nicht entnehmen.

Auch der Hinweis der Beklagten auf die lange Dauer ihres Wohnens im Objekt der klagenden Partei vermag die Annahme des Ausnahmetatbestands nicht zu hindern: Wie der Oberste Gerichtshof bereits erkannt hat, kann für die Annahme eines normalen Mietverhältnisses (auch) nicht entscheidend sein, ob der Bestandnehmer in der Unterkunft den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen begründet hat, und zwar selbst dann nicht, wenn der Bestandnehmer jahrelang unter den typischen, im Wesentlichen unverändert gebliebenen Bedingungen eines Vertrags im Sinne des § 1 Abs 2 Z 1 MRG ohne sonstige eigene Wohnung gewohnt hat (4 Ob 606/89; 5 Ob 312/98p).

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