OGH 2Ob136/11f

OGH2Ob136/11f13.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. N***** Ö*****und 2. E***** Ö*****, vertreten durch Dr. Nina Letocha, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. B***** L*****, 2. R***** Gesellschaft mbH, *****, und 3. W***** AG *****, sämtliche vertreten durch Dr. Raimund Danner und Mag. Albert Reiterer, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 1. (erstklagende Partei) 70.309,34 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 10.000 EUR) und 2. (zweitklagende Partei) 15.300 EUR sA, über die Revision der zweitklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 18. Mai 2011, GZ 6 R 55/11t‑50, womit infolge Berufung der zweitklagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 21. Februar 2011, GZ 7 Cg 203/07z‑44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden in ihren Aussprüchen über das Begehren der zweitklagenden Partei aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die auf dieses Begehren entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die 1963 geborene Erstklägerin wurde am 2. 2. 2007 als Fußgängerin von einem vom Erstbeklagten gelenkten, von der zweitbeklagten Partei gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten Lkw niedergestoßen und überrollt. Das alleinige Verschulden an dem Unfall trifft den Erstbeklagten.

Die Erstklägerin erlitt bei dem Unfall einen Bruch des rechten Oberschenkels durch den Rollhügel, eine Sprengung des Kreuzdarmbeingelenks, einen Bruch des oberen und unteren Schambeinasts rechts, eine Zerquetschung mit massiver Weichteilschädigung im Bereich beider Oberschenkel, eine Weichteilwunde am linken Kniegelenk mit Eröffnung des Gelenks und einem Einriss des inneren Seitenbandes, sowie eine Zerquetschung und Hautweichteilablederung am linken Unterschenkel.

Nach dem Unfall wurde die Erstklägerin in das Unfallkrankenhaus Salzburg gebracht und dort umgehend operiert. Aufgrund der Schwere der Verletzung befand sie sich 10 Tage auf der Intensivstation. In weiterer Folge waren zur Versorgung ihrer Beinverletzungen insgesamt 13 operative Eingriffe erforderlich. Dabei traten im Bereich des linken Oberschenkels infolge einer Wundinfektion Komplikationen auf. Am 30. 3. 2007 wurde die Erstklägerin in häusliche Pflege entlassen, danach folgten Rehabilitationsaufenthalte bis zum 24. 5. 2007. Weitere Komplikationen traten nicht auf. Beim Verlassen des Rehabilitationszentrums waren die Narbenverhältnisse stabil, die Mobilität der Erstklägerin war unter Benützung eines Gehstocks oder von Stützkrücken gegeben.

Derzeit besteht bei der Erstklägerin noch eine beidseitige Bewegungseinschränkung im Bereich des Hüftgelenks, eine Kompressionsempfindlichkeit des Beckens, eine ausgeprägte und kosmetisch auffällige Narbenbildung im Bereich des rechten Hüftgelenks und beider Beine, eine ausgeprägte Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks mit Instabilität des inneren Seitenband-Kapsel-Apparats, eine Schwellneigung des linken körperfernen Unterschenkels und Sprunggelenks mit Umfangsvermehrung und eine Bewegungseinschränkung des linken oberen und unteren Sprunggelenks. Bei der Erstklägerin traten als Folge des Unfalls ferner Symptome einer ausgeprägten posttraumatischen Belastungsstörung auf und mit zunehmendem Abklingen der körperlichen Symptomatik deutliche psychische Störbilder von Krankheitswert, wie depressive Episoden und phobisches Vermeidungsverhalten.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die Erstklägerin den Ersatz ihres zuletzt mit 70.309,34 EUR bezifferten Schadens sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 2. 2. 2007. Dieses Begehren ist rechtskräftig erledigt.

Der Zweitkläger, Ehemann der Erstklägerin, begehrte die Zahlung von 15.300 EUR sA. Er brachte vor, aufgrund des schweren Verkehrsunfalls seiner Ehefrau und deren lebensgefährlichen Verletzungen ca 8 bis 10 Wochen lang unter posttraumatischen Belastungsstörungen mit Krankheitswert sowie unter Anpassungsstörungen im Sinne einer depressiven Reaktion gelitten zu haben. Er habe wochenlang seiner Arbeit nicht nachgehen können. Bis heute sei das Sexualleben der Eheleute gestört. Für die erlittenen seelischen Schmerzen gebühre ihm ein Schmerzengeld von 15.000 EUR. Der lange Aufenthalt der Klägerin in der Intensivstation zeige, dass es sich um eine „schwerste“ Verletzung gehandelt habe, die den Zuspruch von Angehörigenschmerzengeld rechtfertige. Es lägen auch Dauerfolgen vor. Die Kosten der von ihm benötigten psychologischen Betreuung in Höhe von 300 EUR seien ihm ebenfalls zu ersetzen.

Die beklagten Parteien wandten ein, eine für den Zuspruch des begehrten Angehörigenschmerzengelds erforderliche „schwerste“ Verletzung im Sinne einer dauernden Pflegebedürftigkeit der Erstklägerin liege nicht vor.

Das Erstgericht wies das Begehren des Zweitklägers ab. Hiebei ging es noch von folgenden Feststellungen aus:

Zum Zeitpunkt des Unfalls war der Zweitkläger zu Hause. Als Gleisarbeiter war er in der Winterzeit arbeitslos gemeldet, üblicherweise begann seine Arbeitstätigkeit wieder im März. Als er vom Unfall hörte, fuhr er sofort in das Krankenhaus, wo sich seine Frau bereits im Operationssaal befand. Er besuchte seine Frau während ihres Aufenthalts im Krankenhaus jeden Tag. Der Unfall seiner Frau und die Folgen daraus führten auch beim Zweitkläger zu einer Belastungsreaktion und einer Anpassungsstörung, mit welcher psychische Schmerzen verbunden waren. Die Verletzungen der Erstklägerin führten zu einer Einschränkung des Sexuallebens und zur Verminderung der allgemeinen Lebensqualität, zB infolge der Einschränkung gemeinsamer Unternehmungen oder Reisen. So waren beide Kläger längere Zeit nicht in der Lage in ihr Heimatland, die Türkei, zu reisen. Erstmals nach dem Unfall besuchten sie im Oktober 2010 ihre Verwandten in der Türkei. Knapp nach dem Unfall hatte sich der Zweitkläger einer Psychotherapie unterzogen, wofür er 300 EUR bezahlte.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, die von der Erstklägerin erlittenen schweren Verletzungen seien keine „schwersten“, dh einem Pflegefall gleichkommenden Verletzungen. Abgesehen von der ersten Zeit nach dem Unfall sei die Erstklägerin nie ein Pflegefall gewesen. Die verbliebenen Einschränkungen seien nicht so gravierend, dass sie den Zuspruch eines Schmerzengelds an den Zweitkläger rechtfertigen könnten. Als mittelbar Geschädigter habe er auch keinen Anspruch auf Ersatz der Therapiekosten.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach die von der Erstklägerin erlittenen Verletzungen nicht den in der Rechtsprechung für den Zuspruch eines Angehörigenschmerzengelds geforderten Schweregrad erreichen würden. Der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung 2 Ob 53/05s die Haftungsgrenzen eng gezogen. Es bestünde die Gefahr der Ausuferung der Schadenersatzansprüche bei Schockschäden, wenn die am Unfallstag und allenfalls auch in den ersten Tagen danach bestandene Ungewissheit über die tatsächlichen Unfallsfolgen dem Schädiger anzulasten wären. Diese Unsicherheit könne daher für die Berechtigung des Anspruchs nicht maßgeblich sein, selbst wenn sie das Überleben des Angehörigen oder das Verbleiben einer Pflegebedürftigkeit betreffe. Entscheidend seien vielmehr die objektiven Gegebenheiten. Demnach begründe auch das Fehlen der vom Zweitkläger begehrten Feststellungen über die ihm nach dem Unfall von den Ärzten erteilten Informationen keine sekundäre Mangelhaftigkeit.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Entscheidung von der in der höchstgerichtlichen Judikatur noch nicht beantworteten, mit der Rüge sekundärer Feststellungsmängel relevierten Frage abhängig sei, ob einem Angehörigen ein Schmerzengeld wegen eines Schockschadens auch dann gebühre, wenn der Schock durch eine zunächst vorhandene Unklarheit über das Ausmaß der Unfallsfolgen herbeigeführt werde, sich in der Folge aber herausstelle, dass keine schwersten Verletzungen im Sinne der Entscheidung 2 Ob 53/05s vorlägen.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision des Zweitklägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Stattgebung des von ihm gestellten Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Der Zweitkläger macht geltend, seine schwer verletzte Ehefrau sei zwei Jahre lang pflegebedürftig gewesen. Unmittelbar nach dem Unfall habe er um ihr Überleben und noch Tage später um den Erhalt ihres Beins bangen müssen. Die überbrachte Nachricht, seine Ehefrau habe einen schweren Verkehrsunfall gehabt und liege mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus, habe ihn in einen Schockzustand versetzt. Eine solche Nachricht komme einer Todesnachricht gleich, aufgrund derer nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung bei Schockschäden naher Angehöriger ein Schmerzengeld zuzuerkennen sei.

Hierzu wurde erwogen:

1. Seit der Entscheidung 2 Ob 79/00g = SZ 74/24 wird in ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nahen Angehörigen eines Getöteten für den ihnen verursachten „Schockschaden“ mit Krankheitswert Schmerzengeld zuerkannt, weil diese „Dritten“ durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind (vgl 8 Ob 127/02p; 2 Ob 77/09a; 4 Ob 71/10k; 9 Ob 83/09k; RIS-Justiz RS0031111, RS0116865; jüngst etwa Danzl, Der Ersatz ideeller Schäden in Europa und im ABGB am Beispiel des Angehörigenschmerzengeldes, FS ABGB [2012] 1633 [1636]).

Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die Erstverletzung verhindern soll, sondern aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen ‑ im Rahmen einer typisierten Betrachtung ‑ in hohem Maß geeignet erscheint, bei diesem einen Schockschaden herbeizuführen (2 Ob 79/00g; 8 Ob 127/02p; 2 Ob 111/03t; 4 Ob 71/10k; 4 Ob 8/11x; vgl RIS-Justiz RS0116866, RS0117794; Karner, Rechtsprechungswende bei Schock- und Fernwirkungsschäden Dritter?, ZVR 1998, 182 [186]; ders, Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung [1999], 102; ders, Trauerschmerz und Schockschäden in der aktuellen Judikatur, ZVR 2008/18, 44 [45]; vgl auch Reischauer in Rummel, ABGB³ II/2b § 1325 Rz 5).

2. In dem der Entscheidung 2 Ob 79/00g zugrunde gelegenen Fall war Auslöser für die psychische Erkrankung des Angehörigen die Todesnachricht. Der Oberste Gerichtshof betonte unter Berufung auf die herrschende Lehre, dass es bei Schockschäden naher Angehöriger keinen Unterschied mache, ob der Schock durch das Unfallserlebnis oder die Unfallsnachricht bewirkt worden sei (zust etwa Karner, ZVR 2001/52, 206 f [Glosse]; Reischauer aaO § 1325 Rz 5; Danzl in KBB³ § 1325 Rz 29). Die Frage, ob auch der durch die Nachricht von einer Verletzung (ohne Todesfolge) bei einem nahen Angehörigen des Unfallopfers ausgelöste Schockschaden mit Krankheitswert ersatzfähig sein kann, musste bisher allerdings vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden werden (insoweit nur obiter 9 Ob 83/09k [„Nachricht vom Tod oder einer schwersten Verletzung“]). In dem zu 2 Ob 111/03t entschiedenen Fall war nicht die Nachricht vom plötzlichen Unfall und der Verletzung beider Elternteile primärer Auslöser für die psychische Erkrankung der Tochter, sondern die infolge der Krankenhausaufenthalte der Eltern auf sie hereinbrechende Belastung mit Haushalt und Schule.

3. Die Entscheidung 2 Ob 53/05s, auf die sich die Vorinstanzen stützten, betraf einen anders gelagerten Fall. Dort hatte die Ehefrau eines in einem schweren Verkehrsunfall mit zahlreichen Todesopfern verwickelten Buschauffeurs behauptet, aufgrund der unfallskausalen psychischen Erkrankung ihres Ehemanns im Laufe der auf den Unfall folgenden Monate des Zusammenlebens selbst eine depressive Störung entwickelt zu haben. Der erkennende Senat verwies auf Lehrmeinungen in Österreich und Deutschland sowie die Empfehlungen des Europarats zur Entschließung (75) 7 vom 14. 3. 1975 (RZ 1977, 24) und stellte klar, dass für eine infolge der Unfallverletzung eines nahen Angehörigen aufgetretene depressive Störung jedenfalls dann kein Schmerzengeld zustehe, wenn das Unfallopfer keine „schwersten“ (einem Pflegefall gleichkommenden) Verletzungen erlitten habe.

Wie Karner in seiner zustimmenden Entscheidungsbesprechung (ZVR 2006/178, 459) bemerkte, ging es in dieser Sache nicht um einen Schockschaden wegen des unmittelbaren Miterlebens oder der Nachricht von der Tötung oder schweren Verletzung eines nahen Angehörigen, sondern darum, ob auch solche psychische Beeinträchtigungen von Krankheitswert ersatzfähig sind, die durch die dauernde Belastung entstehen, welche mit einer schweren Verletzung der physischen oder psychischen Gesundheit eines nahen Angehörigen verbunden ist (aaO 460). Die Erörterung dieser Problemstellung war auch Gegenstand der in der Entscheidung zitierten inländischen Belegstelle (Karner/Koziol, Der Ersatz ideellen Schadens im österreichischen Recht und seine Reform, Gutachten zum 15. österreichischen Juristentag [2003], 88 f).

Laut Karner (ZVR 2006/178) erscheine es nur folgerichtig, dass man einen Ersatzanspruch auch dann gewähre, wenn nicht die Verletzung des Angehörigen selbst einen Schock auslöse, sondern beispielsweise erst seine Betreuung aufgrund einer Belastungssituation zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des pflegenden Familienmitglieds führe. Ein Größenschluss erscheine insofern geradezu zwingend, da eine dauerhafte Belastung oftmals noch schwerer wiege, als ein zeitlich begrenztes Schockgeschehen (aaO 460).

3.1 Dieser Argumentation Karners folgte der erkennende Senat in der Entscheidung 2 Ob 163/06v, in welcher der Anspruch auf Schmerzengeld für die seelische Beeinträchtigung einer Person mit Krankheitswert wegen der durch die Dauerfolgen „schwerster“ Verletzungen eines nahen Angehörigen bewirkten Lebensumstände (grundsätzlich) bejaht wurde. Dem damaligen Fall lag das noch als klärungsbedürftig erachtete Tatsachenvorbringen der klagenden Eltern zugrunde, dass ihre im Unfallszeitpunkt 16‑jährige Tochter aufgrund der erlittenen Verletzungen nun ständiger Pflege und Aufsicht bedürfe und ihr Leidensbild durch starke psychologische Belastungen, eine gestörte Sprachentwicklung sowie eine bleibend gestörte mentale Entwicklung geprägt und sie überdies auf den Rollstuhl angewiesen sei.

3.2 In der Entscheidung 2 Ob 77/09a ging es erneut um die krankheitswertige Gesundheitsbeeinträchtigung der Ehefrau eines an unfallskausalen psychischen Dauerfolgen leidenden Unfallopfers, bei der sich eine aus der Überlastungssituation resultierende depressive Störung entwickelt hatte. Der Oberste Gerichtshof billigte die den Anspruch auf Schmerzengeld verneinende Entscheidung des Berufungsgerichts mit der Begründung, das Krankheitsbild des Ehemanns der Klägerin erreiche nicht das von der Rechtsprechung geforderte Ausmaß einer „schwersten“ Verletzung, ablehnende zweitinstanzliche Entscheidung als vertretbar und wies die (zu dieser Frage zugelassene) Revision zurück.

Kathrein unterstrich in seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung (ZVR 2010/120, 266) den Ausnahmecharakter des auf einen Schockschaden gestützten Ersatzanspruchs in der zur Beurteilung vorgelegenen Konstellation: Es müsse zum Ersten eine massive Verletzung des Unfallopfers gegeben sein. Diese Verletzung müsse zum Zweiten mit schwerwiegenden Dauerfolgen verbunden sein. Zum Dritten müssten diese Dauerfolgen die Lebensumstände des Angehörigen gravierend beeinträchtigen. Mehr oder wenige „übliche“ Folgen einer auch schweren Verletzung reichten selbst dann nicht aus, wenn sie das Familienleben oder die Ehe des Angehörigen nicht unerheblich beeinträchtigten. Die Belastung der Angehörigen müsse gravierender sein. Dabei werde vor allem ‑ aber nicht nur ‑ an einen Pflege- und Betreuungsbedarf des Unfallopfers mit der damit für die pflegenden Angehörigen zwangsläufig verbundenen Umstellung und Belastung zu denken sein.

3.3 In einigen Entscheidungen wurde die Rechtsprechung zu Fällen des Schockschadens dahin zusammengefasst, dass einem „Drittgeschädigten“ nur dann Schmerzengeld aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert gebühre, wenn dies durch den Tod eines nahen Angehörigen, die „schwerste“ Verletzung eines solchen oder durch das Miterleben des Todes eines Dritten (vgl dazu 2 Ob 120/02i) ausgelöst worden sei. Eine Ausweitung der Haftung des Schädigers auf Fälle, in denen nicht der Tod oder eine „schwerste“ Verletzung des unmittelbar Geschädigten verursacht wurde, würde die Ersatzpflicht des Schädigers unangemessen und unzumutbar erweitern (1 Ob 88/07h; 4 Ob 71/10k).

Diese Aussage lässt in ihrer Allgemeinheit aber unberücksichtigt, dass das Erfordernis einer „schwersten“ Verletzung im Sinne einer Pflegebedürftigkeit des Unfallopfers bisher nur im Falle einer durch die andauernde familiäre Belastungssituation ausgelösten psychischen Erkrankung des nahen Angehörigen geprüft und bejaht worden ist.

4. Es ist somit ‑ wie in Punkt 2. bereits angedeutet ‑ danach zu fragen, ob auch bei einem durch die Nachricht von einer Verletzung herbeigeführten Schockschaden des nahen Angehörigen Schmerzengeld gebühren kann und wenn ja, welcher Schweregrad der Verletzung des Unfallopfers hiefür vorliegen muss (idS auch Beisteiner, Angehörigenschmerzengeld [2009] 172):

4.1 In der Lehre wird, soweit die jeweiligen Autoren auf die erörterte Problematik eingehen, die Ersatzfähigkeit eines durch die Nachricht von der Verletzung des unmittelbar Geschädigten ausgelösten Schockschadens eines nahen Angehörigen grundsätzlich befürwortet. Gefordert wird aber auch hier eine „schwere“ oder „ernsthafte“ Verletzung des Unfallopfers (vgl Karner, ZVR 1998, 188; ders, ZVR 2001/52, 207; ders, ZVR 2006/178, 460, ders, ZVR 2008/18, 45; Karner/Koziol aaO 78; Reischauer aaO § 1325 Rz 5; Beisteiner aaO 176; zur Rechtslage in Deutschland vgl etwa S. Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige [2005] 28; Oetker in MünchKomm BGB5 [2007] § 249 Rn 148; zuletzt Diederichsen, Angehörigenschmerzensgeld „Für und Wider“, DAR 2011, 122 [123: „sehr schwere Verletzung“]).

Der Forderung nach einer „schweren“ Verletzung ist jedenfalls schon deshalb zuzustimmen, weil ansonsten die Verletzungshandlung nicht die für eine Haftungsbegründung erforderliche besondere Gefährlichkeit für die Gesundheit des Dritten erreicht. Die Nachricht von einer leichten Verletzung oder einer bloßen Gefährdung reicht daher nicht aus (Karner, ZVR 1998, 188).

4.2 Was nun die Schwere der Verletzung des unmittelbar Geschädigten anlangt, können die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze als Maßstab dienen. Demnach ist, um eine unangemessene Ersatzpflicht des Schädigers zu vermeiden, auch in diesen Fällen nur auf „schwerste“ Verletzungen abzustellen, also solchen, bei denen die Nachricht auf den nahen Angehörigen typischerweise ähnlich wie eine Todesnachricht wirkt (vgl 9 Ob 83/09k). Das wird in der Regel nur auf Verletzungen von solcher Schwere zutreffen, bei der für das Unfallopfer entweder eine akute Lebensgefahr oder die konkrete Gefahr dauernder Pflegebedürftigkeit besteht (vgl Beisteiner aaO 176). Andere schwere Verletzungen sind hingegen ‑ entgegen Beisteiner (aaO 176) ‑ nicht als haftungsbegründend anzuerkennen. Insoweit ist vielmehr an den in der Rechtsprechung stets betonten engen Grenzen der Ersatzfähigkeit von Schockschäden festzuhalten.

4.3 Entscheidend sind die objektiven Umstände im Zeitpunkt der den Schock auslösenden Nachricht. Diese allein wäre nicht ausschlaggebend; die eine akute Lebensgefahr oder die konkrete Gefahr dauernder Pflegebedürftigkeit bewirkenden „schwersten“ Verletzungen des Unfallopfers müssen tatsächlich vorhanden sein (so auch Beisteiner aaO 177). Dass die Auswirkungen dieser „schwersten“ Verletzungen oft noch nicht endgültig eingeschätzt werden können, hat zu Lasten des Schädigers zu gehen. Auch wenn sich das Unfallopfer wieder erholen und von seinen Verletzungen ganz oder teilweise genesen sollte, würde dies an dem bereits verwirklichten Haftungsgrund nichts mehr ändern (vgl Beisteiner aaO 177; Oetker aaO § 249 Rn 148).

4.4 Zusammenfassend ist daher festzuhalten:

Ein bei einem nahen Angehörigen des Unfallopfers durch die Unfallsnachricht ausgelöster Schockschaden von Krankheitswert rechtfertigt den Zuspruch eines Schmerzengelds auch dann, wenn das Unfallopfer „schwerste“ Verletzungen erlitten hat. Diese Verletzungen müssen im Zeitpunkt der Nachricht von einer solchen Schwere sein, dass entweder akute Lebensgefahr oder die konkrete Gefahr dauernder Pflegebedürftigkeit besteht. Eine nachträgliche Besserung dieses Zustands ist für die Haftung des Schädigers bedeutungslos.

5. Im vorliegenden Fall hat der Zweitkläger seinen Ersatzanspruch schon im erstinstanzlichen Verfahren auf eine infolge der „lebensgefährlichen Verletzungen“ seiner Ehefrau erlittene krankheitswertige Beeinträchtigung seiner psychischen Gesundheit gestützt. Dieses Vorbringen umfasst auch die Möglichkeit, dass die Erkrankung bereits durch die Nachricht von den lebensgefährlichen Verletzungen ausgelöst worden ist.

Den Feststellungen lässt sich allerdings nicht entnehmen, ob bei der Erstklägerin zu diesem Zeitpunkt tatsächlich akute Lebensgefahr bestand. Der zehntägige Aufenthalt in der Intensivstation könnte zwar ein Indiz dafür, andererseits aber auch eine bloße Vorsichtsmaßnahme der behandelnden Ärzte gewesen sein. Es fehlt ferner an präzisen Feststellungen zu der Frage, wodurch die psychische Erkrankung des Zweitklägers ausgelöst wurde, insbesondere ob sie eine Folge der Unfallsnachricht war (wofür die „knapp nach dem Unfall“ in Anspruch genommene psychotherapeutische Behandlung sprechen könnte) oder (erst) später durch die mit den schweren Verletzungen seiner Ehefrau verbundene dauernde familiäre Belastungssituation entstanden ist.

Träfe letzteres zu, hielte sich die Entscheidung der Vorinstanzen im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Andernfalls käme es auf das tatsächliche Vorliegen einer akuten Lebensbedrohung im Zeitpunkt der Mitteilung an den Kläger an.

6. Die Urteile der Vorinstanzen sind daher aufzuheben, um dem Erstgericht die Ergänzung des Sachverhalts im dargelegten Sinn zu ermöglichen. Erst danach wird beurteilt werden können, ob der Anspruch des Zweitklägers dem Grunde nach zu Recht besteht. Sollte dies zu bejahen sein, bedarf es auch noch der Klärung der Anspruchshöhe.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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