OGH 2Ob111/03t

OGH2Ob111/03t12.6.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Michaela Qu*****, vertreten durch den Vater Gottfried Qu*****, ebendort, dieser vertreten durch Dr. Peter Behawy, Rechtsanwalt in Rohrbach, gegen die beklagten Parteien 1. Josef P*****, 2. Christine P***** 3. ***** AG, *****, sämtliche vertreten durch Dr. Heinz Oppitz und Dr. Heinrich Neumayr, Rechtsanwälte in Linz, wegen (restlich) EUR 27.136,-- sA und Feststellung (Streitinteresse insgesamt EUR 30.769,64) über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 19. Februar 2003, GZ 2 R 2/03g-19, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Steyr vom 15. Oktober 2002, GZ 3 Cg 165/01t-13, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen die mit EUR 1.801,32 (hierin enthalten EUR 300,22 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 20. 8. 1998 wurden die Eltern der damals 14jährigen Klägerin bei einem Motorradunfall aus dem Verschulden des (diesbezüglich auch strafgerichtlich rechtskräftig verurteilten) Erstbeklagten als Lenker eines von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflicht versicherten PKWs schwer verletzt. Während die Mutter einen Oberschenkelbruch rechts und einen Speichenschaftbruch links (mit Verrenkung des distalen Ellenanteils), mehrfache Fingerbrüche (mit offener Verrenkung) sowie Rissquetschwunden erlitt, erlitt der Vater einen offenen Oberschenkelbruch rechts, Oberschenkelbruch links, Acetabulumbruch rechts, unteren Schambeinasttrümmerbruch rechts sowie mehrfache Prellungen und Abschürfungen. Beide waren mehrere Wochen in stationären Behandlungen, und zwar die Mutter bis 8. 9., der Vater bis 25. 9. 1998. Der Heilungsverlauf des Vaters war verzögert und nicht komplikationsfrei; sein schlechter gesundheitlicher Zustand führte schließlich sogar zur Frühpensionierung des damals erst 51jährigen Mannes. Die Mutter war nach ihrer Entlassung bis Jahresende 1998 weiterhin (ebenfalls) pflegebedürftig und nicht in der Lage, den Haushalt zu führen, wobei vom 9. 11. bis 23. 11. 1998 ein weiterer Krankenhausaufenthalt und vom 11. 1. 1999 bis 18. 2. 1999 ein solcher in einem Rehabilitationszentrum folgten; erst danach waren ihr wieder Arbeiten im Haushalt möglich.

Die Klägerin ist das jüngste von fünf Kindern ihrer Eltern. Nur der älteste, am 11. 3. 1972 geborene Bruder ist gesund. Ihr am 12. 4. 1973 geborener weiterer Bruder verstarb am 23. 9. 1988 an einem Magenkarzinom; zwei weitere Geschwister (geboren am 29. 6. 1976 und 27. 2. 1982) leiden an Diabetes mellitus. Die Klägerin war als Kind zunächst stark übergewichtig und wurde diesbezüglich gelegentlich verspottet. Nach Empfehlung ihres Schularztes gelang ihr eine Gewichtsabnahme von 80 auf 54 kg, welche zunächst konzentriert, dann aber mit Abführmitteln und Erbrechen erfolgte. In dieser Entwicklungsphase des Kindes kam es zum eingangs geschilderten Verkehrsunfall der Eltern.

Während deren stationären Aufenthalte samt anschließender Genesungsphase lebte die Klägerin allein mit ihrem Bruder zuhause und führte den Haushalt. Es war für sie schwierig, Schule und Haushalt gleichzeitig zu bewältigen. Es kam zu einer Belastungsreaktion dergestalt, dass sie “aus Trotz gleichsam in den Hungerstreik trat". Im April 1999 schöpften ihre Eltern Verdacht, dass bei ihr eine Essstörung vorliegen könnte, und stellten sie am 21. 4. 1999 in der Landeskinderklinik Linz, Abteilung Neuropsychiatrie, vor. Bei einer Größe von 1,62 Meter wurde ein Gewicht von 47,4 kg festgestellt und eine anorektische Symptomatik mit Tendenz zur depressiven Verarbeitung traumatisierender Erlebnisse diagnostiziert. Es gelang jedoch nicht, das Essverhalten der Klägerin zu verändern. Am 23. 6. 1999 hatte sie nur noch ein Gewicht von 43,8 kg, am 28. 6. 1999 ein solches von 41,6 kg. Die Klägerin wurde daher stationär aufgenommen. Es wurde eine helicobacter-assoziierte Gastritis festgestellt und entsprechend behandelt. Die Klägerin erhielt außerdem eine Infusionstherapie. Sie wurde am 30. 7. 1999 aus der stationären Behandlung entlassen, um mit ihren Eltern einen Urlaub verbringen zu können. Am 9. 8. 1999 wurde sie neuerlich stationär aufgenommen. Sie hatte nunmehr ein Gewicht von 45,6 kg. Sie nahm aber wieder 80 dag ab, weshalb in der Zeit vom 16. bis 18. 8. 1999 neuerlich eine Infusionstherapie gestartet wurde. Am 4. 9. 1999 wurde sie mit einem Gewicht von 45,3 kg aus der stationären Behandlung entlassen. Es wurden regelmäßige Kontrollen in der Neuropsychiatrischen Abteilung des Landeskinderkrankenhauses Linz und eine ambulante Psychotherapie vereinbart. Die kontinuierliche Gewichtsabnahme konnte jedoch nicht gestoppt werden, weshalb die Klägerin am 7. 11. 1999 neuerlich im Landeskinderkrankenhaus aufgenommen wurde. Eine orale Nahrungszufuhr war ausreichend kaum möglich, weshalb schließlich eine Versorgung mittels centralvenösem Zugang mit parentaraller Ernährung erfolgte. Die Klägerin versuchte jedoch wiederholt, an dem centralvenösem Zugang zu manipulieren, stach mit einer Nadel in den Infusionssack, zerbrach den Filter und versuchte, den Zugang zu entfernen. Sie wurde schließlich am 22. 12. 1999 in die Landesnervenklinik Wagner-Jauregg transferiert. Eine Besserung trat jedoch nicht ein. Die Klägerin hatte nur mehr ein Gewicht von 33 kg. Sie war völlig geschwächt und wurde am 7. 1. 2000 wieder von der Neuropsychiatrischen Abteilung der Landeskinderklinik aufgenommen. Neben der Infusionstherapie wurde eine antidepressive Therapie mit klassischen Antidepressiva eingeleitet. Ein Monat nach der Aufnahme erreichte die Klägerin ein Gewicht von 37,5 kg. Es wurden Einzelsitzungen sowie Familiensitzungen psychotherapeutischer Art eingeleitet. Auf das Schlafprofil wurde medikamentös Rücksicht genommen. Es wurde die Klägerin auch ergotherapeutisch betreut. Am 12. 4. 2000 wurde sie schließlich mit einem Gewicht von 44 kg aus der stationären Behandlung entlassen.

Bei der Klägerin ist es zur psychosomatischen Erkrankung “Anorexia nervosa" gekommen. Damit startete sie einen Hilferuf aufgrund der Überforderung im Entwicklungsprozess der Adoleszenz. Schließlich setzte sie massive depressive Zeichen inklusive suizidaler Drohungen - ein Umstand, der das Krankheitsbild an die Lebensgefährdung heranführt und im hypokritischen Zustand die Tragweitenabschätzung vermissen lässt; die Beharrlichkeit, dieses Krankheitsbild nicht aufgeben zu können, weist darauf hin, dass eine schwere seelische Erschütterung des “Ichs" durch den Unfall der Eltern in einer vulnerablen Lebensperiode Platz gegriffen hat. Die Klägerin hat mit einer psychosomatischen “Aktionssprache des Körpers" auf dieses erlittene Trauma geantwortet. Der Heilungsprozess ist noch nicht gänzlich abgeschlossen. Die Klägerin ist zwar nunmehr somatisch, intellektuell, emotional und sozial lebensaltertypisch gereift, sie weist keine Nerven-, Geistes- oder Gemütskrankheit auf, auch keinen relevanten Schwachsinnszustand, keine Abhängigkeit von bewusstseinsverändernden Substanzen, jedoch eine Persönlichkeit, die derzeit nicht den Krankheitswert einer zuvor genannten Erkrankung aufweist. Abgelaufen ist eine Erkrankung aus dem psychosomatischen Formenkreis, nämlich eine “Anorexia nervosa", sowie eine posttraumatische Erlebnis- und Belastungsreaktion. Mit einer völligen Ausheilung ist erst im dritten Lebensjahrzehnt zu rechnen. Es sind dann Dauerfolgen und Langzeitschäden aufgrund der Basiserkrankung nicht mehr zu erwarten. Derzeit (Schluss der Verhandlung erster Instanz am 18. 9. 2002) ist die Behandlung noch nicht abgeschlossen.

Die Zeit vom Unfall am 20. 8. 1998 bis zur Erstvorstellung am 21. 4. 1999 im Landeskinderkrankenhaus Linz ist als Initialphase der posttraumatischen Erlebnis- und Belastungsreaktion zu sehen. Es ergaben sich bis dahin gerafft gesehen 21 Tage leichte seelische Unbill, die aber schließlich zum Vollbild der Erkrankung geführt hat. Ab dann bis zum 12. 4. 2000 ergaben sich gerafft 89 Tage mittelschwere seelische Unbill unter Berücksichtigung der Spitalsaufenthalte. Nach der stationären Entlassung am 12. 4. 2000 hatte die Klägerin im Zeitraum der Rehabilitation bis zur Wiedereingliederung in das Alltagsleben 15 Tage leichte seelische Schmerzen gerafft gesehen zu erdulden.

Während der stationären Aufenthalte wurde die Klägerin laufend von ihren Eltern besucht und es wurde ihr auch Therapiematerial von ihnen gebracht. Es handelte sich dabei um Bastelmaterial, um sie ständig beschäftigt zu halten. Eine Bezahlung dieser Leistungen der Eltern durch den Sozialversicherungsträger erfolgte nicht. Von diesem wurde lediglich die gesamte psychotherapeutische Behandlung bezahlt. Hinsichtlich des Therapiematerials betrugen die Kosten pro Anschaffung zwischen S 80,-- und S 100,--. Die Klägerin nahm sodann ab April 2000 Reitstunden zu Therapiezwecken, die Kosten von monatlich S 750,-- verursachten. Das Reiten wurde in der Folge zum Hobby der Klägerin, weshalb sie es nach wie vor betreibt.

Mit der am 16. 8. 2001 eingebrachten (und pflegschaftsgerichtlich genehmigten) Klage begehrte die Klägerin die Verurteilung der drei beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 381.918,40 (EUR 27.755,09) - hievon S 300.000,-- (EUR 21.801,85) Schmerzengeld, S 56.918,40 (EUR 4.136,42) für Fahrtkosten der Eltern während ihrer stationären Aufenthalte und S 25.000,-- (EUR 1.816,82) für Therapiematerial - samt 4 % Zinsen seit 14. 4. 2000; darüber hinaus stellte sie auch ein Feststellungsbegehren für sämtliche zukünftigen Schäden im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall ihrer Eltern vom 20. 8. 1998 (später dahin “berichtigt", dass die Haftung der drittbeklagten Versicherung mit der für den Unfall-PKW zum Unfallszeitpunkt vereinbarten Haftpflichtversicherung begrenzt ist).

Die beklagten Parteien bestritten das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach insbesondere mit der Begründung, dass zwischen einer allfälligen Erkrankung der Klägerin und dem Unfallgeschehen, an welchem die Klägerin nicht beteiligt gewesen sei, kein Kausalzusammenhang bestehe. Für eine Magersucht gäbe es sehr viele (andere) Ursachen.

Das Erstgericht verurteilte die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Zahlung von EUR 27.136,-- sA (hievon EUR 21.500,-- Schmerzengeld, EUR 4.136,-- Fahrtkosten und EUR 1.500,-- Therapiematerial) und wies das Mehrbegehren von EUR 619,09 sA ab. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, dass die Erkrankung der Klägerin erst durch den Unfall der Eltern ausgelöst worden sei, sodass ihr hiefür auch ein entsprechend angemessenes Schmerzengeld zustehe. Gleiches gelte für die als Heilungskosten anzusehenden Fahrtkosten der elterlichen Besuche sowie den (gemäß § 273 ZPO pauschal ausgemessenen) Therapiekostenaufwand samt Reitstunden.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen sämtlicher Parteien in der Hauptsache keine und jener der Klägerin nur im Kostenpunkt teilweise Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Hinsicht (zum in dritter Instanz allein noch strittigen Schmerzengeld) - zusammengefasst - aus:

Nach der neueren Rechtsprechung gebühre nahen Angehörigen eines Getöteten für einen ihnen verursachten “Schockschaden" mit Krankheitswert Schmerzengeld, weil diese Dritten durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar geschädigt anzusehen seien. Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung werde dabei nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die Erstverletzung verhindern solle, sondern aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung werde dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedürfe, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheine, einen Schockschaden herbeizuführen. Der Schock müsse sohin im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein. Auslöser für die erlittene psychische Erkrankung in diesem Sinne könne bei nahen Verwandten auch eine Todesnachricht sein, weil bei einer besonders engen persönlichen Verbundenheit, wie sie zwischen nahen Angehörigen typischer Weise bestehe, die Erstschädigung (Tötung) auch für den dritten Schockgeschädigten so gefährlich sei, dass von einer deliktischen Zufügung des Schockschadens gesprochen werden könne.

Im Hinblick darauf gehe die Berufung der Beklagten insofern ins Leere, als sie mit dem Fehlen eines Rechtswidrigkeitszusammenhanges und dem Vorliegen eines Drittschadens argumentieren. Die Klägerin sei durch die auf die schwere Verletzung ihrer Eltern zurückzuführende psychosomatische Erkrankung in ihrem absolut geschützten Recht auf leibliche und geistige Gesundheit und Unversehrtheit verletzt und damit unmittelbar rechtswidrig geschädigt worden. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass die ärztliche Behandlung der unfallkausalen Anorexie erst Monate nach dem sie auslösenden Unfall einsetzte (bzw die Erkrankung erst zu diesem Zeitpunkt von den Eltern als solche erkannt und zum Anlass für die Beiziehung fachärztlicher Hilfe genommen wurde). Für eine Differenzierung der Ersatzfähigkeit unfallkausaler psychischer Schäden naher Angehöriger von Unfallopfern nach der mehr oder weniger zufälligen Dauer der Zeitspanne zwischen dem Unfall und dem Auftreten der Krankheitssymptome bzw dem Behandlungsbeginn seien keine sachlich-inhaltlichen Gründe zu erkennen. Überdies wäre jedes Einziehen einer wie auch immer gestalteten Zeitgrenze letztlich das Ergebnis einer willkürlichen Festlegung und damit kein anerkennenswertes Kriterium für die Bejahung oder Verneinung eines Schadenersatzanspruches.

Richtig sei, dass in den bisher vom Obersten Gerichtshof entschiedenen Fällen, in denen Angehörigen von Unfallopfern ein Ersatzanspruch für eine durch den Unfall verursachte psychische Erkrankung zugebilligt wurde, der Anspruchsteller entweder ebenfalls in den Unfall verwickelt oder aber das von ihm krankheitswertig betrauerte Unfallopfer ums Leben gekommen war. Daraus könne allerdings nicht abgeleitet werden, dass unbedingt eines von beiden der Fall sein müsste, um einen Ersatzanspruch bejahen zu können. Dass die Eltern der Klägerin “nur" schwer verletzt wurden und den Verkehrsunfall überlebt haben, ändere nichts daran, dass die Verletzungshandlung des Erstbeklagten in hohem Maße geeignet gewesen sei, bei der Klägerin einen psychischen Schaden herbeizuführen. Bekanntermaßen könne der plötzliche verletzungsbedingte “Ausfall" eines oder sogar beider Elternteile bei Kindern und Jugendlichen zu massiven psychischen Störungen und Belastungsreaktionen führen. Es sei daher auch bei einer Fallkonstellation wie der gegenständlichen ein hinreichend starker Zurechnungsgrund gegeben, der eine Ausdehnung der Haftung der für die Verletzung der elternersatzpflichtigen Personen auf eine dadurch ausgelöste psychische Erkrankung eines am Unfall nicht beteiligten Kindes oder Jugendlichen als vertretbar erscheinen lasse. Das Erstgericht habe sohin den Ersatzanspruch der Klägerin zurecht bejaht und sei auch dessen bemessene Höhe angemessen.

Das Berufungsgericht sprach weiters aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil noch keine höchstgerichtliche Judikatur zur Rechtsfrage vorliege, ob ein “Angehörigen-Schmerzengeld" auch dann zustehe, wenn der Anspruchssteller weder selbst am Unfall beteiligt gewesen sei, noch den Tod eines nahen Angehörigen zu beklagen habe, sondern infolge dessen schwerer Verletzung psychisch erkrankt sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, das bekämpfte Urteil im Sinne einer vollständigen Klageabweisung abzuändern, in eventu der Klägerin lediglich einen Betrag von EUR 10.636,-- (hievon Schmerzengeld von maximal EUR 5.000,--) zuzusprechen.

Die klagende Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in welcher sie den Antrag stellt, dem Rechtsmittel der Gegner keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht formulierten Grunde zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Auch die beklagten Parteien stellen nicht in Abrede, dass die von der Klägerin erlittene massive, mit Krankheitswert behaftete und demgemäß auch einer notwendigen, langwierigen medizinischen Behandlung unterzogene Erkrankung als Beeinträchtigung ihrer körperlichen und geistigen Unversehrtheit eine Gesundheitsschädigung und damit Körperverletzung iSd § 1325 ABGB darstellt (Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld7 106; Koziol/Welser II12 320; Karner, Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung, 94 ff; derselbe, Rechtsprechungswende bei Schock- und Fernwirkungsschäden Dritter? ZVR 1998, 182 und 184 f; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 5 zu § 1325; Karner/Koziol, Der Ersatz ideellen Schadens im österr. Recht und seine Reform, 15. ÖJT [2003], Band II/1, 56 ff; RIS-Justiz RS0030792 und RS0030778).

Erhebliche Rechtsfrage (und zwischen den Parteien strittig) ist nun, ob auch der Klägerin als beim Unfall nicht direkt Beteiligter und damit (im Verhältnis zu den eigentlichen Unfallbeteiligten selbst) bloß dritter Person trotzdem selbst ein direkter Anspruch gegen den (die) Schädiger auch wegen dieser eigenen Körperverletzung (Gesundheitsschädigung) zusteht, wie dies (unzweifelhaft) für ihre vom Erstbeklagten unmittelbar am Körper verletzten Eltern zuträfe.

Grundlegend haben sich mit dieser Problematik (und dem Spannungsverhältnis der Vermeidung der Gefahren einer unzumutbaren Haftungsausweitung) Koziol (Haftpflichtrecht I3 Rz 8/47), Karner in seiner bereits erwähnten Monographie zum ideellen Schaden (aaO 101 ff) sowie beide in ihrem gemeinsamen Gutachten zum 15. ÖJT 2003 (aaO 77 ff) beschäftigt. Karner verwendet dabei - in Anlehnung an die deutsche Terminologie - für Fälle, dass ein Schock(-zustand) als Seiten- oder Reflexwirkung einer Erstschädigung bei einer dritten Person eintritt, den Begriff des Fernwirkungsschadens (so auch der Titel seines bereits zitierten Aufsatzes in ZVR 1998, 182) und verweist dabei - ebenso wie Koziol aaO - auch auf die auch vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 2 Ob 45/93 (ZVR 1995/46). Diese unterscheidet sich jedoch vom Sachverhalt her insofern vom hier zur Beurteilung anstehenden Fall, weil das dortige klägerische Kleinkind, dessen Mutter bei einem von den Beklagten verschuldeten Verkehrsunfall schwer verletzt worden war und das aufgrund des dadurch bedingten gravierenden Trennungserlebnisses von der mehrere Wochen stationär aufgenommenen Mutter massive angstneurotische Symptome erlitten hatte, im Fond des von der Mutter gelenkten PKWs mitgefahren und (neben diesen späteren psychischen Beeinträchtigungen) auch eine Reihe - wenngleich geringfügiger - unmittelbarer Körperverletzungen (Schädelprellung, Abschürfungen, Hämatom) erlitten hatte. Für die Abgrenzung des Kreises ersatzberechtigter Personen ist diese Entscheidung daher nicht unmittelbar verwertbar. Gleiches hat auch für den zu 2 Ob 99/95 (ZVR 1997/75) entschiedenen Fall zu gelten (der achtjährige Kläger war als Beifahrer nur leicht verletzt worden, hatte aber durch das Miterleben des Todes des Fahrzeuglenkers, seines siebenjährigen Bruders und eines neunjährigen Cousins sowie der schweren Verletzung seiner aus dem Auto geschleuderten Mutter eine psychische Erkrankung im Sinne einer akuten Belastungsreaktion bzw eine posttraumatische Belastungsstörung mit Angstsymptomen, Schlafstörungen, Agressionsdurchbrüchen und Konzentrationsstörungen bis zwei Jahre nach dem Unfall erlitten). Beiden Fällen ist sohin gemeinsam, dass die Anspruchsberechtigten jeweils am Unfallgeschehen unmittelbar teilgenommen hatten.

Davon unterscheidet sich jedoch die vorliegende Fallkonstellation, bei welcher die Klägerin ja nicht den Unfall ihrer Eltern als direkte Zeugin (oder gar Mitbeteiligte) selbst miterlebt, sondern hievon erst nachträglich erfahren hatte und sodann die heilungsbedingte Abwesenheit ihrer Eltern privat wie schulisch im Wesentlichen allein bewältigen und verarbeiten musste, woraus - so die vom Berufungsgericht gebilligten Feststellungen des Erstgerichtes - ihre “Trotzhaltung" und daraus wiederum “schwere seelische Erschütterung" erwuchs. Koziol tritt für eine Haftungsbejahung auch derartiger Gesundheitsschädigungen dritter Personen dann ein, wenn durch den Schädiger auch in deren absolut geschütztes Recht auf körperliche Unversehrheit eingegriffen wurde und eine solche dritte (schockgeschädigte) Person als gleichermaßen unmittelbar Geschädigter anzusehen sei; ebenso wie jedermann Handlungen, die physisch die Gesundheit anderer gefährden, unterlassen müsse, dürfe er auch keine Gefährdung durch psychische Einwirkungen schaffen (Haftpflichtrecht, aaO Rz 8/47). Karner vertieft diesen Gedanken - abgesehen vom hier nicht zutreffenden Fall der absichtlichen Herbeiführung des Schockes des Dritten oder Schädigung desselben in sittenwidriger Weise - mit dem Argument des Hinzutretens eines besonders schweren Zurechnungsgrundes, welcher dann vorliege, wenn das Verhalten (des Schädigers) gerade auch gegenüber dem Dritten besonders gefährlich ist, also die Verletzungshandlung in hohem Maße geeignet erscheint, einen Schock-(Fernwirkungs-)schaden herbeizuführen; die Rechtswidrigkeit der Verletzung (auch dieser dritten Person) ergebe sich in solchen Fällen aus dem besonderen Unrechtsgehalt der Schädigungshandlung, sodass es auf eine gesteigerte Gefährlichkeit nicht notwendig ankomme (Ideeller Schaden, aaO 102; ebenso ZVR 1998, 183 und 186).

Ausgehend von diesen Überlegungen ist daher auch die Haftung der beklagten Parteien für den Gesundheitsschaden der Klägerin hier zu bejahen. Dass es sich hiebei um ein gesundheitlich und (offenbar auch) erblich vorbelastetes, bereits vor dem Unfall in seiner Entwicklung problembehaftetes Kind handelte, kann die beklagten Parteien dabei schon deshalb nicht entlasten, weil eine solche Veranlagung des Verletzten den Schädiger trotzdem für den eingetretenen Schadenserfolg haftbar macht (RIS-Justiz RS0022684) und die Beklagten den ihnen obliegenden (RIS-Justiz RS0106535) Gegenbeweis, irgendeine krankhafte Anlage hätte auch ohne den Unfall (der Eltern) in absehbarer Zeit den gleichen Schaden herbeigeführt, beschleunigt oder sogar verschlimmert (RIS-Justiz RS0022609, RS0022634 und RS0106534), gar nicht angetreten, sondern nur ganz allgemein jeglichen Kausalzusammenhang mit dem Unfall der Eltern in Abrede gestellt haben. Dass auch - jedenfalls nicht primär (wie in den von den genannten Autoren behandelten Fallgruppen) - die unmittelbare Nachricht vom plötzlichen Unfall samt gleichzeitiger Verletzung beider Elternteile, sondern (erst) die damit einhergehende, jedoch nicht bewältigte zeitgleich hereinbrechende Belastung mit Haushalt und Schule zum Ausbruch des Hungerstreiks samt Anorexie führte, kann der Klägerin ebenfalls nicht zum Nachteil gereichen, steht doch der Kausalitätszusammenhang mit dem Unfall der Eltern (als Primärauslöser) - freilich sodann verstärkt und erst zur Krankheit entwickelt durch die anschließende persönlichkeitsbedingte “Trotzentwicklung" - auf Tatebene fest und handelt es sich hiebei nach Auffassung des erkennenden Senates auch nicht um einen völlig atypischen, ungewöhnlichen Geschehensablauf, sondern vielmehr (in umfassender und allseitiger Interessensabwägung) um eine - wenngleich gerade noch - adäquante Schadensfolge aus dem Unfallgeschehen (vgl 2 Ob 46/93 = ZVR 1995/73 bei einem jugendlichen Mädchen, das nach einem Unfall in die Drogenszene abglitt). Eine - in der Revision behauptet - Ausweitung auf einen “praktisch völlig unbestimmten Personenkreis" mit “praktisch unbegrenztem Ausufern von Schadenersatzverpflichtungen"liegt darin ebenfalls nicht, weil ja zwischen den (unmittelbar) geschädigten Unfallbeteiligten und der vom “Fernwirkungsschaden" betroffenen Klägerin eine aufrechte Eltern-Kind-Beziehung bestand, also - iS der Diktion von Karner (ZVR 1998, 187; ebenso schon Welser, Der OGH und der Rechtswidrigkeitszusammenhang, ÖJZ 1975, 37 [40 f]) - eine von der Rechtsordnung anerkannte “Sonderbeziehung".

Schließlich ist auch die von den Revisionswerbern bekämpfte Höhe des zuerkannten Schmerzengeldes nicht zu beanstanden. Beim festgestellten Krankheitsbild handelte es sich nämlich um eine besonders dramatisch ausgeprägte Gesundheitsschädigung, die nicht nur eine mehrmalige, insgesamt mehrmonatige stationäre Aufnahme erforderte, sondern letztlich sogar lebensbedrohliche Ausmaße annahm (Gewichtsreduktion bis 33 kg; massive depressive Zeichen inklusive Suizidgefahr), sodass die Zuerkennung eines Schmerzengeldes von EUR 21.500,-- (das von den Vorinstanzen gegenüber dem in der Klage begehrten ohnedies, wenngleich nur geringfügig, reduziert worden war) nach den Gesamtumständen des vorliegenden Falles durchaus angemessen iSd § 1325 ABGB ist (vgl ZVR 1997/75 sowie die in Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, aaO 144 f in diesem Zusammenhang zitierten weiteren Entscheidungen).

Die Höhe der weiteren von den Vorinstanzen zugesprochenen Schadenspositionen bilden im Revisionsverfahren keinen Streitpunkt mehr.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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