OGH 2Ob53/05s

OGH2Ob53/05s12.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Joanna G*****, Deutschland, vertreten durch Ferner Hornung & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Andreas R*****, 2. N*****gesellschaft mbH, *****, und 3. I***** AG, *****, alle vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 3.000 und Feststellung (Streitwert EUR 3.000) über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 24. November 2004, GZ 54 R 154/04t‑11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 5. März 2004, GZ 17 C 1557/03p‑5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2006:0020OB00053.05S.0612.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 574,30 (darin enthalten EUR 95,72 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 21. 8. 2000 ereignete sich auf der Westautobahn am Beginn eines damals bestehenden Gegenverkehrsstückes ein Verkehrsunfall, bei welchem ein vom Ehemann der Klägerin gelenkter Reisebus und ein vom Erstbeklagten gelenkter LKW‑Zug der Zweitbeklagten, dessen Versicherer die Drittbeklagte war, beteiligt waren.

Der Anhänger des LKW‑Zuges kippte infolge überhöhter Geschwindigkeit bei einer baustellenbedingten Richtungsänderung um und riss die linke obere Fensterreihe des entgegenkommenden Reisebusses auf. Dadurch erlitten acht jugendliche Businsassen tödliche Verletzungen, während 23 weitere unbestimmten Grades verletzt wurden. Der Busfahrer selbst erlitt keine äußerlichen Verletzungen.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten Zahlung von EUR 3.000 sowie die Feststellung deren Haftung zum Ersatz künftiger Schäden. Ihr Ehemann habe durch den vom Erstbeklagten grob fahrlässig verursachten Unfall eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten, die sich in einer überprotektiven Verhaltensweise ihr und ihren Kindern gegenüber äußere. Diese psychische Erkrankung des Ehemannes sowie die damit einhergehende psychosoziale Belastungssituation hätten bei der Klägerin etwa Mitte 2001 eine tiefgreifende Störung hervorgerufen. Sie befinde sich seit Anfang 2002 in ärztlicher Behandlung, weil ihre seelische Störung Krankheitswert erreiche.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der behauptete Schaden sei nicht mehr adäquat kausal. Die Klägerin sei nur mittelbar geschädigt und habe deshalb keinen Ersatzanspruch.

Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren ab.

Es ging davon aus, dass der Ehemann der Klägerin durch den Unfall ein posttraumatisches Belastungssyndrom erlitten habe und stellte auch fest, die Klägerin habe sich seit Ende April 2002 wegen einer depressiven Störung in ambulante psychiatrische Behandlung begeben und sei auch weiterhin behandlungsbedürftig. Es ließ aber ausdrücklich ungeprüft, ob der Leidenszustand der Klägerin überhaupt kausal mit dem Unfallgeschehen zusammenhänge. Es handle sich um einen völlig atypischen Schaden, für den die Beklagten mangels eines entsprechenden Adäquanzzusammenhanges nicht mehr einzustehen hätten. Bei der Klägerin habe sich offenbar ein Lebensrisiko verwirklicht.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht gab deren Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es gab die jüngere Judikatur zum Ersatz von Schockschäden sowie die einschlägige Literatur wieder. Danach gebühre nahen Angehörigen eines Getöteten für den ihnen verursachten „Schockschaden" mit Krankheitswert ebenfalls Schmerzengeld, weil diese „Dritten" durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen seien. Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung werde nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, die die Erstverletzung verhindern solle, jedoch aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Der Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung werde dadurch begegnet, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedürfe, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen in hohem Maße geeignet erscheine, einen Schockschaden herbeizuführen. Auslöser für die erlittene psychische Erkrankung könne bei nahen Verwandten auch die Todesnachricht sein, weil bei einer besonders engen persönlichen Verbundenheit wie sie zwischen nahen Angehörigen typischer Weise bestehe, die Erstschädigung (Tötung) auch für den dritten Schockgeschädigten so gefährlich sei, dass von einer deliktischen Zufügung des Schockschadens gesprochen werden könne. Der Ersatz des seelischen Schmerzes über den Verlust naher Angehöriger gebühre bei grober Fahrlässigkeit oder auf Vorsatz des Schädigers auch dann, wenn der Schmerz zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung iSd § 1325 ABGB mit Krankheitswert geführt habe; bei bloß leichter Fahrlässigkeit oder im Falle bloßer Gefährdungshaftung fehle es an der erforderlichen Schwere des Zurechnungsgrundes.

Der Anlassfall unterscheide sich von sämtlichen in der Judikatur behandelten Fällen dadurch, dass der Ehemann der Klägerin unstrittig kein naher Verwandter mit besonders enger persönlicher Beziehung zu den Getöteten gewesen sei, dem eine Todesnachricht überbracht worden sei. Er sei vielmehr Lenker eines Busses gewesen, dessen Insassen getötet oder schwer verletzt worden seien und somit direkt Unfallsbeteiligter; er habe durch die traumatischen Erlebnisse am Unfallort als unmittelbar Geschädigter einen Schockschaden erlitten. Die Klägerin leite ihren Schadenersatzanspruch nicht unmittelbar aus dem Unfallereignis selbst ab, sondern indirekt aus dem Krankheitsbild ihres Gatten, wie es sich als Folge des Unfalles im Laufe der Zeit ergeben habe. Der von der Rechtsprechung geforderte besonders starke Zurechnungsgrund, um nicht zu einer unzumutbaren Haftungsausweitung zu gelangen, bestehe hier zwischen der Klägerin und dem Schädiger nicht mehr.

Die ordentliche Revision sei mangels vergleichbarer höchstgerichtlicher Judikatur zuzulassen.

Die Klägerin beantragt in ihrem Rechtsmittel die Klagsstattgebung.

Die Beklagten beantragen die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

 

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Schmerzengeldanspruches eines zufolge psychischen Schockschadens des unfallbeteiligten Ehegatten selbst an krankheitswertiger tiefgreifender seelischer Störung leidenden nichtunfallbeteiligten Angehörigen fehlt.

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Wie vom Berufungsgericht bereits dargelegt wird vom Obersten Gerichtshof seit der Entscheidung 2 Ob 79/00g die Ersatzfähigkeit von Schockschäden mit Krankheitswert bei Tötung naher Angehöriger bejaht (RIS‑Justiz RS0031111; RS0116865; SZ 2002/110). Ob ein derartiger Schockschaden mit Krankheitswert auch im Fall schwerster Verletzung naher Angehöriger, wie dies im Schrifttum (vgl Karner/Koziol, Der Ersatz ideellen Schadens im österreichischen Recht und seine Reform, Gutachten zum 15. ÖJT, 88 ff), gefordert wird, zu ersetzen ist, wurde bisher noch nicht entschieden. Diese Frage wurde in der Entscheidung 2 Ob 18/06w vielmehr ausdrücklich offengelassen.

Nach der Lehre sind seelische Beeinträchtigungen mit Krankheitswert allerdings nur bei „schwersten" Verletzungen naher Angehöriger so etwa bei lebenslänglicher Pflegebedürftigkeit eines Kindes durch eine Mutter oder bei dauernder Pflege eines Schwerversehrten durch eine Ehefrau, ersatzfähig (vgl Karner/Koziol aaO 88 f). Dies entspricht auch dem Meinungsstand in Deutschland (vgl Pflüger, Schmerzengeld für Angehörige 163 ff, 370 ff) sowie den Empfehlungen des Europarates zur Entschließung (75) 7 vom 14. 3. 1975 in ihrem Grundsatz Nr 13 samt P 50 des Motivenberichtes (zitiert in Danzl/Gutiérrez‑Lobos/Müller, Schmerzengeld8 153).

Die Klägerin hat den Unfall nicht selbst miterlebt, sondern erlitt in der Folge eine depressive Störung. Ungeprüft blieb, ob dies eine Folge der unfallbedingten depressiven Störung ihres Ehemannes war. Selbst wenn man dies bejahen würde, liegt aber hier ein ersatzfähiger Schockschaden nicht vor, weil dies selbst nach der oben dargelegten Lehrmeinung zur Voraussetzung hätte, dass ihr Ehemann selbst schwerste (einem Pflegefall gleichkommende) Verletzungen durch den Unfall erlitten hätte. Dies trifft hier nicht zu: Das festgestellte posttraumatische Belastungssyndrom könnte nicht als eine solche „schwerste" Verletzung qualifiziert werden.

Damit liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Schmerzengeld auch bei dieser Betrachtungsweise nicht vor. Auf die Frage einer unzumutbaren Haftungsausweitung im Sinn der Ausführungen des Berufungsgerichtes musste nicht mehr eingegangen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

 

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