OGH 2Ob18/06w

OGH2Ob18/06w2.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herta D*****, vertreten durch Dr. Gerold Hirn und Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, gegen die beklagten Parteien 1. Werner D*****, 2. Österreichische P***** AG, *****, und 3. H***** Versicherung AG, *****, alle vertreten durch Dr. Harald Burmann, Dr. Peter Wallnöfer und Dr. Roman Bacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen EUR 21.000, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. November 2005, GZ 2 R 211/05d-33, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 30. Juni 2005, GZ 8 Cg 70/04b-25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 1.006,64 (darin enthalten EUR 167,77 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO). Der Sohn der Klägerin wurde am 21. 2. 2002 als Beifahrer in einem Pkw bei einem Verkehrsunfall, an welchem der Erstbeklagte als Lenker eines bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten Busses beteiligt war, schwerst verletzt und ist seither im hohen Ausmaß behindert und bedarf zeit seines Lebens fremder Pflegehilfe. Mit rechtskräftigem Zwischenurteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 26. 11. 2003, GZ 5 Cg 23/03t-25, wurde die Haftung der beklagten Parteien für alle Schäden des Sohnes der Klägerin aus diesem Verkehrsunfall festgestellt.

Mit rechtskräftigem Zahlungsbefehl vom 11. 2. 2004, AZ 42 Cg 28/04a des Landesgerichtes Feldkirch wurde der Klägerin Schmerzengeld für eine durch den Unfall ihres Sohnes ausgelöste krankheitswertige schwere depressive Reaktion zugesprochen.

Mit vorliegender Klage begehrt die Klägerin letztlich weiteres „Trauerschmerzengeld" von EUR 21.000, weil der Unfall durch ein grob fahrlässiges Verhalten des Erstbeklagten verursacht worden sei. Das Erstgericht hat der Klägerin ein mit EUR 15.000 angemessen erachtetes Trauerschmerzengeld zugesprochen und ein Mehrbegehren von EUR 6.000 abgewiesen. Es warf dem Erstbeklagten vor, trotz angeordneter Kettenpflicht die Montage von Schneeketten grob fahrlässig unterlassen zu haben.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht gab deren Berufung Folge und wies das gesamte Klagebegehren ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, der Verstoß gegen die Kettenanlegungspflicht begründete für sich allein keine grobe Fahrlässigkeit des Erstbeklagten, weil er trotz nicht angelegter Ketten in keiner Weise die Kontrolle über den Omnibus verloren habe und auch bei angelegten Schneeketten die Kollision mit einem auf der Gegenfahrbahn heranfahrenden Fahrzeug nicht verhindert hätte werden können.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob und inwieweit die Verletzung der Kettenanlegungspflicht nach § 52 lit d Z 22 StVO grobe Fahrlässigkeit begründen könne, oberstgerichtliche Rechtsprechung nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision der klagenden Partei ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - unzulässig.

Der erkennende Senat hat in der Entscheidung 2 Ob 84/01v = SZ 74/90 = ZVR 2001/73 (Karner) nach Darstellung von Rechtsprechung und Lehre (vgl auch Danzl in Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld8 139 FN 365 mit Hinweis auf FN 343 und 354) ausgesprochen, dass bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Schädigers auch ein Ersatz des Seelenschmerzes über den Verlust naher Angehöriger, der zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung iSd § 1325 ABGB geführt hat, in Betracht kommt. An dieser Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0115189, RS0115190), die in der Fachliteratur überwiegend Zustimmung gefunden hat (vgl Danzl aaO 140 ff; vgl auch Reischauer in Rummel ABGB³ § 1325 Rz 5a, der allerdings für die Haftung schon bei leichter Fahrlässigkeit eintritt), wurde in der Folge festgehalten (2 Ob 141/04f, 2 Ob 90/05g, 2 Ob 62/05i). Zu den Voraussetzungen der Ersatzfähigkeit reinen Trauerschadens bei Vorliegen von grober Fahrlässigkeit bzw Vorsatz liegt daher gesicherte Rechtsprechung vor. Selbst die Ausweitung dieser Rechtsprechung auf Fälle schwerster Verletzung von nahen Angehörigen würde grobes Verschulden des Schädigers voraussetzen.

Ob eine Fehlhandlung die Annahme grober Fahrlässigkeit rechtfertigt, bildet bei Vertretbarkeit der immer von den Umständen des Einzelfalles abhängigen Beurteilung grundsätzlich keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Die Revision wäre daher nur zulässig, wenn dem Berufungsgericht eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden müsste (7 Ob 214/04b mwN; RIS-Justiz RS0087606 [T 8], RS0026555 [T 5], RS0044262 [T 50]). In der Annahme, das Nichtanlegen von Schneeketten begründe hier bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles noch kein grob fahrlässiges Verhalten des Erstbeklagten, ist eine derartige korrekturbedürftige Fehlbeurteilung nicht zu erkennen. Nach ständiger Rechtsprechung liegt nämlich grobe Fahrlässigkeit nur dann vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in einem erheblichen und ungewöhnlichen Ausmaß außer Acht gelassen wird; grobe Fahrlässigkeit ist dann gegeben, wenn ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falles auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RIS-Justiz RS0031127).

Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob und inwieweit die Verletzung der Kettenanlegungspflicht nach § 52 lit d Z 22 StVO grobe Fahrlässigkeit begründen könne, lässt sich daher nur unter Berücksichtigung aller weiteren Umstände des Einzelfalles beurteilen und kann in dieser Allgemeinheit nicht beantwortet werden. Mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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