OGH 2Ob79/00g

OGH2Ob79/00g22.2.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ernst H*****, vertreten durch Dr. Christian Riesemann, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei ***** Versicherung Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Stenitzer & Stenitzer, Rechtsanwälte OEG in Leibnitz, wegen S 244.000,‑- sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 9. Dezember 1999, GZ 4 R 215/99s‑34, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 21. Juni 1999, GZ 39 Cg 195/97v‑23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2001:0020OB00079.00G.0222.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 23. 7. 1994 ereignete sich auf der Bundesstraße 69 ein Verkehrsunfall, den Erich M***** als Lenker und Halter eines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKW verschuldet hat. Bei diesem Unfall wurde der Sohn des Klägers getötet. Die beklagte Partei haftet für alle Schäden, die der Kläger in Hinkunft auf Grund des Unfalles erleidet.

Anlässlich des Begräbnisses des Sohnes nahm der Kläger ein Beruhigungsmittel ein und erlitt in der Folge am 27. 7. 1994 in der Praxis seines Hausarztes, den er bisher wegen depressiver Zustände noch nie konsultiert hatte, einen Kollaps, der eine sofortige notärztliche Intervention notwendig machte. Der Kläger wurde in das Landeskrankenhaus Wagna stationär aufgenommen und von dort an die psychiatrische Klinik des Landeskrankenhauses Graz überwiesen, wo er bis zum 23. 8. 1994 stationär behandelt wurde. Dabei wurde eine reaktive Depression als Folge des Unfalltodes seines Sohnes festgestellt. In den Monaten bis Dezember 1994 besserte sich der Zustand des Klägers nicht, weshalb er durch den Hausarzt und ambulant im Landeskrankenhaus Wagna behandelt werden musste. Er war auf das Thema Todesereignis fast eingeengt. Die reaktive Depression, wie sie bis heute besteht, hat sich beim Kläger infolge des Unfalltodes des Sohnes ausgebildet; sie hat Krankheitswert. Auch wenn beim Kläger persönlichkeitsspezifische neurotische Elemente vorlagen, wurde die Depression erst durch die Todesnachricht in Gang gesetzt. Der Kläger lebt seine psychischen Beschwerden in körperlichen Beschwerden aus. Auch ohne die Vorschädigung der Persönlichkeitsstruktur, wie sie der Kläger aufweist, kann der Tod eines nahen Angehörigen eine depressive Reaktion auslösen. Der Kläger befindet sich seit dem 1. 11. 1994 wegen dauernder Invalidität infolge einer reaktiven Depression mit Krankheitswert in vorzeitiger Alterspension wegen verminderter Arbeitsfähigkeit nach § 153d ASVG. Bei normalem Lauf der Dinge hätte er bis Ende des Jahres 1996 weitergearbeitet.

Der Kläger begehrt die Zahlung von S 244.000,‑- (Verdienstentgang S 84.000,‑ ‑ und Schmerzengeld S 160.000,‑ ‑). Er habe als Folge des vom Versicherungsnehmer der beklagten Partei verschuldeten Unfalles, bei dem sein Sohn getötet worden sei, eine reaktive Depression auf Grund der Todesnachricht erlitten, die behandelt habe werden müssen, wofür das begehrte Schmerzengeld angemessen sei. Durch die vorzeitige Pensionierung habe er einen Verdienstentgang in der begehrten Höhe erlitten.

Die beklagte Partei wendete dagegen ein, dass der Kläger nicht unmittelbarer Unfallsbeteiligter gewesen sei, sondern erst beim Begräbnis seines Sohnes einen Nervenzusammenbruch erlitten habe, weshalb er jedenfalls nur mittelbar geschädigt sei. Es bestehe kein kausaler Zusammenhang zwischen der Erkrankung des Klägers sowie seiner Pensionierung und dem Unfallsereignis. Der Kläger leide schon jahrelang an einer chronischen Eifersuchtsparanoia und berufsbedingt seit Jahren an erheblichen Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule und Venenbeschwerden in beiden Beinen. Diese in keinem Zusammenhang mit dem Unfall stehenden Leidenszustände hätten zu seiner vorzeitigen Pensionierung geführt. Die Pensionierung sei unbegründet; der Kläger hätte durch medikamentöse Behandlung soweit eingestellt werden können, um seinen Beruf bis zur Erreichung der Alterspension voll auszuüben. Der Verdienstanspruch bestehe auch deshalb nicht zu Recht.

Das Erstgericht stellte mit Zwischenurteil fest, "dass die beklagte Partei der klagenden Partei für die Schäden, nämlich den Verdienstentgang auf Grund der Frühpensionierung und Schmerzengeld, die diese auf Grund des Unfalles seines Sohnes mit dem Versicherungsnehmer der beklagten Partei erlitten hat, dem Grunde nach haftet".

Ausgehend vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt erörterte es in rechtlicher Hinsicht, dass nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (2 Ob 45/93) unter einer Körperverletzung im Sinn des § 1325 ABGB jede Beeinträchtigung der leiblichen oder geistigen Gesundheit zu verstehen sei. Auch Nervenschäden fielen unter den Begriff der Körperverletzung. Eine psychische Beeinträchtigung, die bloß in Unbehagen und Unlustgefühlen bestehe, reiche für sich allein nicht aus, um als Verletzung am Körper angesehen oder einer Verletzung gleichgestellt zu werden. Körperliche Verletzungen seien jedenfalls dann gegeben, wenn sie mit körperlichen Symptomen einhergingen, die als Krankheit anzusehen seien. Dies sei dann der Fall, wenn aus ärztlicher Sicht die Behandlung der psychischen Störung geboten sei. Beim Kläger bestehe eine reaktive Depression, die ohne fachkundige Hilfe nicht bewältigbar sei. Das Erfordernis der medizinischen Betreuung des Klägers mache deutlich, dass bei ihm nicht nur geringfügige psychische Einwirkungen gegeben seien, sondern eine mit einem Krankheitswert behaftete Gesundheitsschädigung vorliege. Dem Einwand der beklagten Partei, es handle es sich um einen nicht ersatzfähigen mittelbaren Schaden, hielt das Erstgericht die in 2 Ob 45/93 verwendeten Argumente entgegen, dass es sich bei der beim Kläger bestehenden reaktive Depression um eine Krankheit handle, die über längere Zeit ambulant und besonders schwerwiegend stationär behandelt habe werden müssen. Die Pensionierung sei eine direkte Folge des seelischen Zustandes und somit seiner Depression gewesen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass die eingeklagte Forderung dem Grunde nach zu Recht bestehe, und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es entspreche der stRsp, dass ein bloß mittelbar Geschädigter, sofern nicht das Gesetz selbst Ausnahmen enthalte, keinen Schadenersatz begehren könne (RIS‑Justiz RS0022638 und RS0021473). Nur ein unmittelbar durch die rechtswidrige Handlung Verletzter - ausgenommen § 1327 ABGB - könne Schadenersatz verlangen (RIS‑Justiz RS0022638). Für einen Drittschaden hafte der Schädiger hingegen nicht, weil eine uferlose wirtschaftlich untragbare Ausweitung der Schadenersatzhaftung abgelehnt werden müsse (RIS‑Justiz RS0022638). "Mittelbar" werde ein Schaden genannt, wenn er nicht in der Richtung des Angriffs, sondern infolge einer Seitenwirkung in einer Interessensphäre eintrete, die nicht durch das Verbot des Angriffs geschützt sei (SZ 61/279; RIS‑Justiz RS0022584). Die ältere Judikatur habe in diesem Sinne Nachteile im Zusammenhang mit psychischer Beeinträchtigung bei Tötung eines nahen Angehörigen als nicht ersatzfähige Drittschäden beurteilt und Schadenersatzansprüche abgelehnt (EvBl 1957/108; ZVR 1963/147; SZ 44/39), weil die Aufzählung der aus der Tötung eines Menschen zustehenden Ansprüche in § 1327 ABGB erschöpfend sei. Hinsichtlich von Schmerzengeldansprüchen sei dies auch damit begründet worden, dass Schmerzengeld für seelische Schmerzen nur dann zu bezahlen sei, wenn diese auf einer Verletzung des eigenen Körpers beruhten. Diese Rechtsprechung sei von der Lehre kritisiert worden (Karner, Rechtsprechungswende bei Schock‑ und Fernwirkungsschäden Dritter? ZVR 1998, 182 ff; Reischauer in Rummel ABGB2, Rz 5 zu § 1325; Apathy, EKHG Rz 1 zu § 13). Unter einer Körperverletzung im Sinn des § 1325 ABGB sei jede Beeinträchtigung der leiblichen und geistigen Gesundheit bzw Unversehrtheit zu verstehen (RIS‑Justiz RS0030792). Es sei nicht erforderlich, dass eine äußerlich sichtbare Verletzung am Körper eingetreten sei, schon das bloße Verursachen von Schmerzen sei Körperverletzung, möge der Körper auch keine nachteiligen Veränderungen erleiden (RIS‑Justiz RS0030792). Auch innere Verletzungen oder Nervenschäden fielen unter den Begriff der Körperverletzung. Störungen von Gehirn‑ und Nervenfunktionen, wie zB Schlaflosigkeit oder Aufregungs‑ und Erregungszustände aller Art, seien als Körperverletzung qualifiziert worden (zuletzt 1 Ob 91/99k ua). Lediglich eine psychische Beeinträchtigung, die bloß in Unbehagen oder in Unlustgefühlen bestehe, reiche nach der Judikatur für sich allein nicht aus, um als Verletzung am Körper angesehen oder einer Verletzung gleichgestellt zu werden. Massive Einwirkungen auf die psychische Sphäre stellten aber jedenfalls dann eine körperliche Verletzung dar, wenn sie mit körperlichen Symptomen einhergingen, die als Krankheit anzusehen seien (ZVR 1995/46; 1 Ob 99/99k). Eine derartige massive psychische Beeinträchtigung werde angenommen, wenn aus ärztlicher Sicht die Behandlung der psychischen Störung geboten sei. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn nicht damit gerechnet werden könne, dass die Folgen von selbst abklängen oder wenn zu befürchten sei, dass ohne ärztliche Behandlung eine dauernde gesundheitliche Störung zurückbleibe. In der jüngeren Judikatur sei der OGH bei Schockschäden der Lehre gefolgt. In den Entscheidungen 2 Ob 45/93 (= ZVR 1995/46) und 2 Ob 99/95 (= ZVR 1997/75) sei die allgemeine Auffassung vertreten worden, dass zwar für seelische Schmerzen, die nicht auf der Verletzung des eigenen Körpers beruhten, kein Schmerzengeld zustehe, wohl aber für eine dadurch hervorgerufene Krankheit. Bei einem Nervenschaden sei der Dritte in einem absolut geschützten Rechtsgut auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und könne als unmittelbar Geschädigter angesehen werden.

Für die Beurteilung der Ersatzfähigkeit von sogenannten Schockschäden infolge Todes naher Angehöriger komme es nicht darauf an, ob diese durch das unmittelbare Miterleben des Unfallgeschehens sowie des Unfalltodes des nahen Angehörigen oder erst durch die Benachrichtigung hievon einträten. Unter Schockschäden verstehe man zwar im Allgemeinen jene psychischen Beeinträchtigungen, die ein Dritter durch das Miterleben eines Unfallgeschehens erleide (Harrer in Schwimann ABGB2 Rz 15 zu § 1295). Es entspreche aber der herrschenden Auffassung in der Lehre sowie der Rechtsprechung des BGH, dass nicht nur das unmittelbare Miterleben des Todes eines nahen Angehörigen, sondern auch die unfallskausale Trauer, die einen physiologischen, krankheitswertigen ‑ und damit medizinisch fassbaren - seelischen Schmerz im Sinn des § 1325 ABGB bzw § 847 BGB auszulösen vermocht habe, der über das normale Maß seelischer Erschütterungen bei solchen Ereignissen typischerweise hinausgehe, bei solcher Art betroffenen Personen einen eigenen direkten Schmerzengeldanspruch begründe (Danzl/Gutiérrez‑Lobos/Müller, Schmerzengeld7, Palandt BGB54 Rz 71 Vorbem v § 249). Karner (aaO, 187 ff) unterscheide bei Schockschäden im Hinblick auf die Eignung einer Handlung, einen "Fernwirkungsschaden" herbeizuführen, danach, ob der geschädigte Dritte den Unfall als direkter Zeuge selbst miterlebt habe oder von der Schädigung erst durch Mitteilung eines Dritten erfahren habe. Beruhe die psychische Beeinträchtigung bloß auf der Nachricht von der Tötung oder Verletzung eines Menschens, dann sei eine Verletzung einer Verkehrspflicht nur gegenüber den Angehörigen oder sonstigen dem Opfer nahestehenden Personen anzunehmen. Nur bei einer besonders engen persönlichen Verbundenheit, wie sie insbesondere zwischen Eltern und Kindern, Ehegatten oder Lebensgefährten bestehen könne, sei die Erstschädigung für den dritten Schockgeschädigten so gefährlich, dass von einer deliktischen Zufügung des Fernwirkungsschadens gesprochen werden könne, die den Schädiger zum Ersatz verpflichte. Von einer rechtswidrigen Schockzufügung könne auf Grund des Erfordernisses der Vermeidung einer ausufernden Haftung für solche Schäden lediglich ausgegangen werden, wenn die Verletzungshandlung in hohem Maße geeignet erscheine, einen solchen Nachteil herbeizuführen, wenn also ein hohes Maß an Adäquanz gegeben sei.

Die beklagte Partei als Haftpflichtversicherer des allein schuldtragenden Unfalllenkers hafte für die Folgen der unfallskausalen reaktiven Depression des Klägers, da diese - als psychische Erkrankung - medizinisch behandlungsbedürftig gewesen sei.

Über den Einwand der Verletzung der Schadenminderungspflicht werde im fortgesetzten Verfahren über die Höhe der eingeklagten Ansprüche zu entscheiden sein.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage fehle, ob einem Dritten auch dann Ersatz für den Schockschaden zustehe, wenn er den Tod oder die schwere Verletzung eines nahen Angehörigen nicht selbst miterlebt habe, sondern der Schock erst durch die Todesnachricht ausgelöst worden sei.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise werden auch Aufhebungsanträge gestellt.

Der Kläger beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

 

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

In der Revision wird die Auffassung vertreten, dass die jüngere Rechtsprechung zur Ersatzfähigkeit von Schockschäden Dritter nicht zutreffe, weil es wirtschaftlich nicht vertretbar sei, die Kausalität sich unbegrenzt auswirken zu lassen. In der jüngeren Judikatur seien Fälle behandelt worden, in denen sowohl eine "Sonderbeziehung" des Drittgeschädigten zum Erstgeschädigten vorgelegen sei, weil es sich um nahe Angehörige gehandelt und andererseits - im Hinblick auf das Miterleben des Unfallgeschehens durch den Drittgeschädigten - auch eine "räumliche Nahebeziehung" bestanden habe. Letztere fehle hier. Darüber hinaus habe zwischen dem Kläger und seinem verstorbenen Sohn keine intensive Gefühlsgemeinschaft bestanden. Es müsse aber neben dem nahen Angehörigenverhältnis auch eine besondere gefühlsmäßige Nahebeziehung bestehen. Dem ist Folgendes zu erwidern:

§ 1325 ABGB sieht bei Verletzungen am Körper die Zahlung von Schmerzengeld als Ersatz des ideellen Schadens, der im Zusammenhang mit der körperlichen Verletzung entsteht, vor. Körperverletzung ist jede Beeinträchtigung der leiblichen oder geistigen Gesundheit und Unversehrtheit. Eine äußerlich sichtbare Verletzung ist nicht Voraussetzung. Auch innere Verletzungen oder Nervenschäden fallen unter den Begriff der Körperverletzung, lediglich eine psychische Beeinträchtigung, die bloß in Unbehagen und Unlustgefühlen besteht, reicht für sich allein nicht aus, um als Verletzung am Körper angesehen oder einer Verletzung gleichgestellt zu werden (Danzl/Gutiérrez‑Lobos/Müller, Das Schmerzengeld7 137 mwN; weitergehend Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 11/11, der de lege lata auch die Abgeltung rein seelischer Schmerzen [von Angehörigen] für möglich hält). Doch ist unbestritten, dass massive Einwirkungen in die psychische Sphäre jedenfalls dann eine körperliche Verletzung im Sinn der angeführten Bestimmungen darstellen, wenn sie mit körperlichen Symptomen einhergehen, die als Krankheit anzusehen sind (ZVR 1977/54; ZVR 1995/46; Danzl/Gutiérrez‑Lobos/Müller aaO; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 5 zu § 1325; Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 8/47; Karner, Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung, 95).

Beim Kläger wurde eine reaktive Depression ausgelöst, die sowohl stationäre als auch ambulante Behandlungen erforderlich machte und sohin Krankheitswert erreichte. Es liegt hier daher eine tatsächliche Gesundheitsstörung vor, aus der sich auch der Anspruch auf angemessenes Schmerzengeld gemäß § 1325 ABGB ergibt.

Nach der älteren Rechtsprechung (ZVR 1958/144; ZVR 1963/147; SZ 44/39 = ZVR 1977/27) wurde der Ersatz solcher bei nahen Angehörigen eines Getöteten verursachten "Schockschäden" mit der Begründung abgelehnt, dass es sich um einen nicht ersatzfähigen Drittschaden handle.

Von dieser Rechtsprechung ist der erkennende Senat mit seiner Entscheidung ZVR 1995/46 unter Hinweis auf die Kritik in der Lehre (Koziol, Haftpflichtrecht I2 161, nunmehr I3 Rz 8/47; Apathy, EKHG, Rz 1 zu § 13; Reischauer aaO Rz 5 zu § 1325) abgegangen, weil der Dritte durch das Erleiden eines Nervenschadens in seinem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigter anzusehen ist (vgl dazu auch Danzl/Gutiérrez‑Lobos/Müller aaO 143 mwN; Karner, Rechtsprechungswende bei Schock und Fernschäden Dritter?, ZVR 1998, 182 [183]). Auch in der Entscheidung 2 Ob 99/95 (= ZVR 1997/75) hat der erkennende Senat diese Grundsätze aufrechterhalten. Danach ist jedenfalls der Ersatz von Schockschäden mit Krankheitswert, die Dritte erleiden, grundsätzlich anerkannt (jüngst Danzl, Schmerzengeldansprüche für Angehörige der Opfer des Unglücks von Kaprun? ZVR 2000, 398 ff mwN, 9 ObA 36/00k sowie Karner, Schmerzengeld für Angehörige, ecolex 2001, 37). Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung ergibt sich zwar nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die Erstverletzung verhindern sollte, aber aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung (Welser in Koziol/Welser II11 283 f). Der hohe Rang des vom Schockschaden betroffenen Rechtsgutes kann für eine Ersatzpflicht ins Treffen geführt werden, doch wiegt die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung doch so schwer, dass sich der Ausgleich des Fernwirkungsschadens nur bei Hinzutreten eines besonders starken Zurechnungsgrundes rechtfertigen lässt; ein solcher liegt dann vor, wenn das Verhalten gerade auch gegenüber dem Dritten besonders gefährlich ist, also die Verletzungshandlung in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen (Karner, Rechtsprechungswende bei Schock und Fernschäden Dritter?, aaO 186 ff; derselbe in Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung 102). Der Schock muss im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein (Heinrichs in Palandt60 Vorbem v § 249 dBGB Rn 71).

Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den bisher judizierten Fällen dadurch, dass der Kläger den Unfall, bei dem sein Sohn getötet wurde, nicht selbst miterlebt hat. Auslöser für die erlittene psychische Erkrankung war die Todesnachricht. Bei nahen Verwandten kann aber - neben dem Auslösungsfaktor des unmittelbaren Miterlebens - auch der durch die unfallkausale Trauer entstandene Schockschaden mit Krankheitswert deren direkten Schmerzengeldanspruch begründen (Danzl/Gutiérrez‑Lobos/Müller aaO 143 ebenso Danzl, ZVR 2000, 398 ff). Koziol (Haftpflichtrecht I3 Rz 8/47 und 11/11) gesteht dem, der durch den Tod eines Angehörigen und das dadurch ausgelöste Schockerlebnis eine eigene Körperverletzung erleidet, die Abgeltung der dadurch entstehenden Schmerzen nach § 1325 ABGB zu, ohne auf die Art der Kenntnisnahme vom Tod des Angehörigen abzustellen. Auch Karner (Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung 102 f) bejaht derartige Ansprüche naher Angehöriger bei bloß auf der Nachricht von der Tötung eines Menschen beruhender Verletzung, weil bei einer besonders engen persönlichen Verbundenheit, wie sie insbesondere zwischen Eltern und Kindern, Ehegatten oder Lebensgefährten typischerweise besteht, die Erstschädigung (Tötung) auch für den dritten Schockgeschädigten so gefährlich ist, dass von einer deliktischen Zufügung des Fernwirkungsschadens gesprochen werden kann. Wird demnach einem solchen nahen Angehörigen die Abgeltung des Schockschaden zuerkannt, dann ist auch nicht die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung gegeben.

Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage ist somit dahin zu beantworten, dass es im Fall von Schockschäden naher Angehöriger keinen Unterschied macht, ob sie durch das Unfallserlebnis oder die Unfallsnachricht bewirkt wurden. Soweit die Revision auf eine zwischen dem Kläger und seinem getöteten Sohn angeblich bestandene Konfliktsituation verweist, sind diese Ausführungen nicht geeignet, die festgestellte Auslösung der Erkrankung des Klägers durch die Unfallnachricht in Frage zu stellen. Konflikte zwischen dem Unfallopfer und dem vom Schockschaden betroffenen nahen Angehörigen beseitigen auch nicht die Gefahr, dass letztere durch die Todesnachricht in hohem Maß gefährdet sind, einen Schockschaden zu erleiden. Daher ist der Schockschaden der genannten nahen Angehörigen auch dann rechtswidrig, wenn die Gefühlsgemeinschaft zwischen ihnen und dem Unfallopfer vor dem Unfall gerade gestört war. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in diesen Fällen den nahen Angehörigen des Getöteten die Möglichkeit genommen wurde, das Naheverhältnis wiederherzustellen. Kommt es in derartigen kritischen Fällen von Nahebeziehungen bei engen Angehörigen zu den durch die Todesnachricht ausgelösten Schockschäden mit Krankheitswert, dann kann daher deren Schmerzengeldanspruch nicht mit dem Nachweis einer gestörten familienrechtlichen Nahebeziehung entkräftet werden.

Auf die Umschreibung des Begriffs "naher Angehöriger" muss hier nicht eingegangen werden, weil darunter jedenfalls die leiblichen Kinder zu zählen sind.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

 

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