OGH 3Ob71/12f

OGH3Ob71/12f15.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. K*****, 2. DDr. J*****, vertreten durch Mag. Nicole Neugebauer-Herl und Mag. Simone Maier-Hülle, Rechtsanwältinnen in Wien, wider die beklagte Partei DI C***** H*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Blaschitz, Rechtsanwalt in Wien, a. zu AZ 3 C 111/10v (führend) und b. zu AZ 3 C 5/11g je des Bezirksgerichts Josefstadt, je wegen (eingeschränkt) Zinsen und Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 31. Jänner 2012, GZ 39 R 298/11d-20, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 12. Juli 2011, GZ 3 C 111/10v-13, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Beklagten gelingt es aus folgenden, kurz darzulegenden Gründen (§ 510 Abs 3 ZPO) nicht, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, weshalb sich ihre außerordentliche Revision als nicht zulässig erweist:

1. zu 3 C 111/10v des Erstgerichts:

1.1. Nach ständiger Rechtsprechung können auch erst im Zuge des Prozesses aufgelaufene Rückstände ein auf § 1118 ABGB gestütztes Räumungsbegehren rechtfertigen (RIS-Justiz RS0020952). Da die Aufhebung des Bestandvertrags die erfolglose Mahnung voraussetzt, kann - wenn mangels außergerichtlicher Mahnung die Klage erst die Mahnung ersetzt - nicht die Klage selbst, sondern nur die Weiterführung des Verfahrens als konkludente Vertragsaufhebungserklärung angesehen werden (3 Ob 179/11m; RIS-Justiz RS0020978 [T5]). Das Räumungsbegehren ist nur dann berechtigt, wenn der qualifizierte Mietzinsrückstand zum Zeitpunkt der Abgabe der Auflösungserklärung oder der diese ersetzenden Fortführung des Räumungsprozesses noch bestand (3 Ob 25/11i = RIS-Justiz RS0020952 [T13] = RS0021072 [T7] = RS0020978 [T8]).

Die Fälligkeit der Oktobermiete war bereits am 1. Oktober 2010 eingetreten; ihre Einmahnung ist in der Klageausdehnung in der Tagsatzung vom 11. Oktober 2010 mit Nachfrist von 14 Tagen (= Leistungsfrist) zu sehen. Zum qualifizierten Verzug kam es daher durch Nichtzahlung innerhalb der Nachfrist und auch über den nächsten Zinstermin (1. November 2010) hinaus, der bis zur Tagsatzung vom 6. Dezember 2010 aufrecht blieb; er bestand auch noch, als die Kläger durch Aufrechterhaltung des Räumungsbegehrens in dieser Tagsatzung (schlüssig) die Aufhebung des Mietvertrags erklärten, die der anwesenden Beklagten auch zuging. Der den Titel für die Benützung des Bestandobjekts durch die Beklagte bildende Mietvertrag war somit jedenfalls mit Ende der Tagsatzung vom 6. Dezember 2010 aufgehoben. Die erst am nächsten Tag, mehr als drei Monate verspätete Zahlung der Septembermiete kann diese Rechtsfolge nicht mehr unmittelbar beseitigen.

1.2. Ob den Mieter an der nicht rechtzeitigen Zahlung des Mietzinses ein grobes Verschulden iSd § 33 Abs 2 MRG trifft, stellt eine Frage des Einzelfalls dar (RIS-Justiz RS0042773 [T1]). Im Allgemeinen kann nur eine Verspätung von wenigen Tagen oder wegen vorübergehender Zahlungsschwierigkeiten toleriert werden; häufige Rückstände trotz Mahnung können nur ausnahmsweise nach den Besonderheiten des Einzelfalls eine sonst naheliegende grobe Fahrlässigkeit ausschließen (RIS-Justiz RS0070310). Der Oberste Gerichtshof hat es schon mehrfach als zulässig angesehen, bei der Beurteilung des Verschuldens auch das Zahlungsverhalten des Mieters vor dem Räumungsprozess zu berücksichtigen (4 Ob 647/71 = RIS-Justiz RS0069316 [T2]; 7 Ob 248/97i; RIS-Justiz RS0069316 [T7]).

Nach den Feststellungen geriet die Beklagte unter Einschluss der gegenständlichen Verfahren über mehr als drei Jahre (September 2007 bis Jänner 2011) trotz der zahlreichen Klagen gegen sie regelmäßig mit ihren Mietzinszahlungen nicht unbeträchtlich in Verzug und bezahlte seit Zustellung der aktuellen Räumungsklagen keinen einzigen Mietzins rechtzeitig, sondern zum Teil mit mehrmonatiger Verspätung. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe unter diesen Umständen wegen nicht nur vorübergehender Zahlungsschwierigkeiten, die auch gar nicht zur Gänze durch die schlechte Zahlungsmoral ihres Vertragspartners verursacht werden konnten, grobe Fahrlässigkeit an dem zur Grundlage des ersten Räumungsbegehrens gemachten Mietzinsrückstands zu vertreten, hält sich im Rahmen der Richtlinien der Judikatur.

2. zu 3 C 5/11g des Erstgerichts:

Dem Erfolg der Kläger im verbundenen Verfahren hält die Beklagte nur die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu AZ 6 Ob 572/94 entgegen. Diese betrifft allerdings die Auflösung eines Pachtvertrags über ein Gasthaus, weshalb die Bestimmungen des MRG keine Anwendung finden (RIS-Justiz RS0020930), daher auch nicht § 33 Abs 2 MRG (RIS-Justiz RS0020961). Dort bestand also - anders als hier - gar keine Möglichkeit einer nachträglichen rückwirkenden Beseitigung der Aufhebungserklärung. Besteht aber diese Möglichkeit, kann allein aus der Abgabe einer (vorerst) wirksamen Auflösungserklärung vor rechtskräftiger Erledigung des ersten Räumungsbegehrens nicht darauf geschlossen werden, eine später ausgesprochene könne nicht wirksam werden. Mangels Einschlägigkeit der Vorentscheidung vermag die Beklagte daher keinen Widerspruch des Berufungsurteils zur Judikatur des Obersten Gerichtshofs aufzuzeigen. Schließlich wurde im zweiten Verfahren von der Beklagten auch gar nicht eingewendet, die Klage wäre abzuweisen, weil das Bestandverhältnis materiellrechtlich schon aufgelöst sei.

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