OGH 14Os134/11d

OGH14Os134/11d13.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Dezember 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Steinbichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Herwig S***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 9. Juni 2011, GZ 40 Hv 4/11p-52, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Herwig S***** jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (1) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (2) sowie mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (3) schuldig erkannt.

Danach hat er in Feldkirch und anderen Orten Österreichs

(1) mit seiner am 14. Dezember 1995 geborenen, mithin im Tatzeitraum unmündigen Stieftochter Chantal E***** im Zeitraum 2006 bis März 2007 den Beischlaf unternommen, indem er seinen nackten Penis an ihrer nackten Scheide rieb und dabei eine Penetration versuchte (US 3) und von Herbst 2004 bis März 2007 dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen unternommen, indem er mehrmals ihre nackte Scheide leckte und einen Finger in ihre Scheide einführte, wobei „die Taten“ eine schwere Körperverletzung, nämlich eine Dissoziation, verbunden mit einer 24 Tage übersteigenden Gesundheitsschädigung zur Folge hatten;

(2) von Herbst 2004 bis März 2007 an der genannten Unmündigen mehrfach außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er wiederholt mit dem Finger an ihrer nackten Scheide rieb und zwei Mal ihre Brüste streichelte;

(3) durch die zu 1 und 2 geschilderten Taten mit seiner minderjährigen Stieftochter Chantal E***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Entgegen dem Vorbringen der Verfahrensrüge (Z 4) bestand kein Anlass, das vom Verteidiger in der Hauptverhandlung erwähnte (ON 51 S 23) Privatgutachten des Sachverständigen Mag. Karl Heinz B***** zum Akt zu nehmen, weil die Beiziehung eines Privatgutachters dem Gesetz fremd ist und dessen Schlussfolgerungen kein Gegenstand des Strafverfahrens sind (RIS-Justiz RS0118421, RS0115646; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 40; Hinterhofer, WK-StPO § 125 Rz 18 ff, 25 ff).

Der Antrag auf „Einholung eines medizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass der Angeklagte zum inkriminierten Zeitpunkt in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand war“ (ON 51 S 22), verfiel ebenso zu Recht der Abweisung, weil er nicht erkennen ließ, welche tatsächlichen Umstände es einem Sachverständigen erlauben könnten, zu den für einen solchen rechtlichen Schluss erforderlichen Sachverhaltsannahmen zu gelangen (RIS-Justiz RS0097641, RS0119248). Der pauschale Hinweis auf die - im Wesentlichen geständige - Verantwortung des Beschwerdeführers reicht hiezu ebensowenig aus wie die Bezugnahme auf das - als Beweismittel nicht taugliche (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351; Hinterhofer, ÖJZ 2008, 401) - oben angesprochene Privatgutachten. Nachträgliches Vorbringen im Rechtsmittel ist zufolge des Neuerungsverbots unbeachtlich.

Eine in diesem Zusammenhang behauptete Verletzung des Fairnessgebots des Art 6 MRK liegt schon deshalb nicht vor, weil es dem Verteidiger freigestanden wäre, durch gezielte Fragestellung an den Angeklagten dessen Zurechnungsunfähigkeit indizierende Verfahrensergebnisse hervorzubringen oder die Vernehmung des „Privatgutachters“, welcher Herwig S***** angeblich „über Jahre therapierte und die Vorfälle mit diesem aufarbeitete“ (ON 51 S 22), zu den von ihm erhobenen Befundtatsachen - nicht aber zu dessen Schlussfolgerungen, welche alleine den staatsanwaltschaftlich oder gerichtlich bestellten Sachverständigen vorbehalten sind (vgl dazu erneut für alle Hinterhofer, WK-StPO § 125 Rz 18 ff) - zu beantragen.

Soweit sich die Verfahrensrüge im Folgenden auf einen - angeblich unerledigt gebliebenen - Ablehnungsantrag betreffend den dem Verfahren (zur Erstattung eines Gutachtens zu Art und Umfang der psychischen Folgen der inkriminierten Tathandlungen auf das Tatopfer) beigezogenen kinderpsychiatrischen Sachverständigen Dr. Wolfgang M***** sowie den unter einem gestellten Antrag auf Einholung eines „neuen Gutachtens“ (ON 51 S 21 f) bezieht, geht sie ebenfalls fehl.

Die zur Antragsbegründung ins Treffen geführten Unklarheiten in Bezug auf die Berechnungsgrundlage für die - im Übrigen keine entscheidende Tatsache betreffenden - „Schmerzperioden“ hat der Sachverständige in der Hauptverhandlung erläutert (ON 51 S 21), einen diesbezüglichen Schreibfehler in der schriftlichen Expertise korrigiert (ON 51 S 20) und ausführlich dargelegt, inwiefern sich die gutachterliche Einschätzung der Dauer der Gesundheitsschädigung bei Zugrundelegung des von der Anklage umfassten Tatzeitraums ändern würde (ON 51 S 10 f). Mit der auf eigenen beweiswürdigenden Schlüssen aus Ergebnissen eines Verfahrens bei der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch basierenden Behauptung, das Gutachten sei „subjektiv gefärbt“, weil es auf „unzulässigen Beweisergebnissen“, nämlich den „ungeprüft und unrichtig“ aufgenommenen Angaben der Kindesmutter, beruhe, „zumal objektiviert ist, dass diese Angaben zwingend falsch sind“, wird ein Mangel im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO oder ein erfolglos gebliebenes Verbesserungsverfahren ebenfalls nicht aufgezeigt, sondern unzulässig die freie Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts bekämpft (RIS-Justiz RS0097433).

Soweit auch der Ablehnungsantrag auf diese Argumentation gestützt wurde, verkennt der Beschwerdeführer, dass der Inhalt eines Gutachtens ausschließlich gemäß § 127 Abs 3 erster Satz StPO zu thematisieren ist und prinzipiell keinen Anknüpfungspunkt für Einwendungen gegen die Person eines Sachverständigen bietet (RIS-Justiz RS0098121 [T3]; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351).

Ebenso zu Recht unterblieb die zum Beweis dafür, dass „sämtliche Beteiligte die Folgen der inkriminierten Handlungen als minimal, jedenfalls geringfügiger als der Sachverständige einschätzen bzw schildern, die Mutter dahingehend Angaben macht, dass Chantal E***** unter dem Missbrauch nicht leide und nie gelitten habe“, begehrte Beischaffung des Aktes der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch, AZ V-261-0320/2008 (ON 51 S 20), weil zum Teil nicht einmal das Beweisthema („sämtliche Beteiligte“) hinreichend konkretisiert wurde und der Zeugenbeweis nur Wahrnehmungen von Tatsachen, nicht jedoch - hier der Sache nach angesprochene (arg: „einschätzen“) - Schlussfolgerungen oder Wertungen zum Gegenstand hat (RIS-Justiz RS0097540; Kirchbacher, WK-StPO § 154 Rz 8) und der Antrag schließlich in Betreff der Angaben der Kindesmutter jegliches Vorbringen dazu vermissen ließ, welche über den ohnehin im Akt erliegenden diesbezüglichen Bericht (ON 3 S 75) hinausgehende Erkenntnisse die begehrte Beweisaufnahme erwarten lasse.

Der Antrag auf Beischaffung „sämtlicher Schulzeugnisse“ zum Beweis dafür, dass es - entgegen den Annahmen des Sachverständigen - nicht zu einem schulischen Leistungsabfall der Chantal E***** kam (ON 51 S 21), ließ einen Bezug zu schuld- oder subsumtionsrelevanten Tatsachen nicht erkennen und ist deshalb aus Z 4 unbeachtlich (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 321). Konkreten Vorbringens hiezu hätte es im vorliegenden Fall umso mehr bedurft, als der Sachverständige ausdrücklich dargelegt hat, dass selbst der Wegfall dieser Prämisse nicht zu einer Änderung des Gutachtens führen würde (ON 51 S 16).

Aus welchem Grund die - in der Beschwerde sinnentstellt und verkürzt dargestellte - Aussagepassage des Experten, wonach Langzeitfolgen der Missbrauchshandlungen derzeit nicht abschätzbar seien (ON 51 S 16 f iVm ON 43 S 17), in erörterungsbedürftigem Widerspruch (Z 5 zweiter Fall) zu den - auf die insoweit ausdrücklich bejahenden, für schlüssig und nachvollziehbar erachteten gutachterlichen Ausführungen (vgl erneut ON 51 S 16 f; ON 43 S 17) gestützten (US 6) - Urteilsannahmen einer dadurch verursachten Gesundheitsschädigung von mehr als 24-tägiger Dauer stehen sollte, legt die Mängelrüge nicht dar.

Diese Konstatierung steht - entgegen dem weiteren Beschwerdevorbingen - keineswegs in einem aus Z 5 dritter Fall relevanten Widerspruch zu jener, wonach eine Dissoziation in einem Leugnen und Verdrängen der Erlebnisse bestünde, um sich gefühlsmäßig nicht damit auseinandersetzen zu müssen (US 3 f). Mit der Behauptung, die Fähigkeit, etwas auszublenden und nicht daran zu denken, verursache keine Schmerzen, wird vielmehr hier unzulässig die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung bekämpft (vgl dazu auch RIS-Justiz RS0092798, RS0119388).

Die prozessordnungskonforme Darstellung der Tatsachenrüge (Z 5a) verlangt, aus dem in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweismaterial (§ 258 Abs 1 StPO) unter konkreter Bezugnahme auf solches anhand einer Gesamtbetrachtung der tatrichterlichen Beweiswürdigung erhebliche Bedenken gegen die Urteilsfeststellungen zu entscheidenden Tatsachen abzuleiten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 481, 487). Diesen Kriterien wird die Beschwerde nicht gerecht, indem sie unter sinngemäßer Wiederholung des Vorbringens der Mängelrüge erneut den Eintritt einer qualifizierenden Tatfolge im Sinn des § 206 Abs 3 erster Fall StGB bestreitet, das Gutachten des Sachverständigen Dr. Wolfgang M***** unter Hinweis auf die Angaben der Kindesmutter, wonach Chantal E***** nicht unter dem Missbrauch gelitten habe, und den Umstand, dass Letztgenannte von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch machte, eigenen Beweiswerterwägungen unterzieht und daraus insgesamt für den Angeklagten günstige Schlüsse ableitet.

Auch die Berufung auf eine angebliche Verletzung des Zweifelsgrundsatzes ist aus Z 5a unbeachtlich (RIS-Justiz RS0102162).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass sich der Oberste Gerichtshof zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) der in der rechtlich verfehlten Annahme mehrerer nach Abs 3 erster Fall qualifizierter Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (vgl dazu Philipp in WK² § 206 Rz 31 iVm § 201 Rz 30 und RIS-Justiz RS0120828) gelegenen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) nicht veranlasst sieht, weil unrichtige Subsumtion den Angeklagten nicht ohne weiteres im Sinn des § 290 StPO konkret benachteiligt (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff), das Erstgericht bei der Strafbemessung nur das Zusammentreffen eines Vergehens mit zwei Verbrechen als erschwerend wertete (US 7) und das Oberlandesgericht diesen Umstand - aufgrund dieser Klarstellung - ohne Bindung an die verfehlte rechtliche Unterstellung bei der Entscheidung über die (auch) vom Angeklagten gegen den Sanktionsausspruch erhobene Berufung zu berücksichtigen hat (RIS-Justiz RS0118870).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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