Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 26. 9. 2009 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 5. 5. 2009 auf Weitergewährung der vom 1. 8. 2006 bis 31. 7. 2009 befristet gewährten Invaliditätspension ab.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger die Weitergewährung der Invaliditätspension über den 31. 7. 2009 hinaus.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende - für das Revisionsverfahren noch wesentliche - Feststellungen:
„Der am 2. 1. 1962 geborene Kläger erwarb im Zeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (dem 1. 8. 2006) 84 Beitragsmonate nach dem ASVG. Davon entfallen 47 Beitragsmonate auf verschiedenste Tätigkeiten und 37 Beitragsmonate auf die Tätigkeit eines LKW-Lenkers. Ab Juni 2001 war der Kläger als selbstständiger LKW-Fahrer im internationalen Transport Deutschland-Italien tätig und erwarb als solcher bis Dezember 2005 noch 55 Beitragsmonate nach dem GSVG. Er hat keine Lehre als Berufskraftfahrer absolviert.
Trotz seiner gesundheitlichen - näher festgestellten Einschränkungen - ist er in der Lage am allgemeinen Arbeitsmarkt die Verweisungstätigkeiten eines Portiers, eines Parkgaragenwächters sowie industrielle Tischarbeiten zu verrichten.“
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass der Kläger schon deshalb keinen Berufsschutz als angelernter Berufskraftfahrer gemäß § 255 Abs 1 und 2 ASVG idF vor dem BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, in Anspruch nehmen könne, weil er im relevanten Beobachtungszeitraum vor dem Stichtag 1. 8. 2006 die Tätigkeit als unselbstständiger LKW-Fahrer nicht in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG ausgeübt hat. Von den 37 Monaten der Ausübung der unselbstständigen LKW-Fahrertätigkeit sei außerdem noch die Anlernzeit in Abzug zu bringen. Die nach dem GSVG erworbenen Beitragsmonate als selbstständiger LKW-Fahrer hätten bei der Beurteilung eines Pensionsanspruchs nach dem ASVG außer Betracht zu bleiben. Auch gemäß dem am 1. 1. 2011 in Kraft getretenen § 255 Abs 2 2. Fall ASVG idF des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, habe der Kläger die zeitlichen Voraussetzungen für den Erwerb des Berufsschutzes als Berufskraftfahrer nicht erfüllt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Rechtlich ging es davon aus, dass in Fragen des Berufsschutzes ausschließlich auf die durch unselbstständige Erwerbstätigkeit erworbenen Versicherungszeiten Bedacht zu nehmen sei. Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach dem GSVG seien - auch nach der ab 1. 1. 2011 geltenden Rechtslage - hingegen nicht als Zeiten einer Berufsausübung iSd § 255 Abs 2 ASVG anzusehen. Der Kläger erfülle auch nach § 255 Abs 2 zweiter und dritter Satz ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Invaliditätspension. Eine „Härtefallpension“ nach § 255 Abs 3a und 3b ASVG komme für den knapp unter 50-jährigen Kläger nicht in Betracht. Mit § 251a ASVG sei lediglich eine Regelung für die Leistungszugehörigkeit des Versicherten geschaffen worden. Die Gleichstellung der in den einzelnen Versicherungszweigen erworbenen Beitragsmonate gelte zwar für die Wartezeit und die Leistungsbemessung, nicht aber für die Frage des Berufsschutzes iSd § 255 ASVG.
In der Revision macht der Revisionswerber als erhebliche Rechtsfrage geltend, dass auch die nach dem GSVG erworbenen Versicherungszeiten in die Berechnung bei Erlangung des Berufsschutzes einzubeziehen seien. Bei Auslegung des § 255 Abs 4 ASVG sei bereits darauf hingewiesen worden, dass sich die Arbeitswelt in den letzten Jahren in vielfacher Hinsicht gewandelt habe und die klare rechtliche Grenze zwischen unselbstständiger und selbstständiger Tätigkeit zunehmend diffuser geworden sei. Es träten in zunehmendem Maße Berufsverläufe auf, in denen eine ursprünglich unselbstständig ausgeübte Tätigkeit in Form eines „Ein-Mann-Betriebs“ selbstständig ausgeführt werde. Diese Grundsätze hätten auch auf den Berufsschutz Anwendung zu finden. Dass Zeiten der selbstständigen Pflichtversicherung ausgeklammert blieben, sei sozial ungerecht, unausgewogen und weder mit § 255 Abs 2 letzter Satz ASVG (idF vor der Änderung durch das BGBl I 2010/111), noch mit der neuen Rechtslage seit 1. 1. 2011 in Einklang zu bringen. In § 255 Abs 2 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 werde nur mehr darauf abgestellt, dass „für zumindest 90 Pflichtversicherungsmonate eine Erwerbstätigkeit nach Abs 1 oder als Angestellter ausgeübt wurde“. Eine solche Erwerbstätigkeit nach Abs 1 habe der Kläger aber auch als selbstständiger Transportunternehmer ausgeübt. Zudem stehe die Nichtberücksichtigung von Beitragsmonaten nach dem GSVG in Widerspruch zu § 251a Abs 8 Z 1 ASVG.
Rechtliche Beurteilung
Dazu ist auszuführen:
1.1. Der vom Kläger nach § 255 Abs 2 ASVG idF vor der Änderung durch das BGBl I 2010/111 geltend gemachte Berufsschutz würde erfordern, dass er überwiegend in einem erlernten oder angelernten Beruf tätig war. Als „überwiegend“ nach § 255 Abs 2 ASVG in der vorgenannten Fassung gelten erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt wurden.
1.2. Nach § 223 Abs 2 ASVG hat die Feststellung, ob ein Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit eingetreten ist, ausschließlich zu dem durch die Antragstellung ausgelösten Stichtag zu erfolgen (RIS-Justiz RS0111054). Im Fall der Weitergewährung einer befristeten Invaliditätspension ist der für die befristete Leistung maßgebliche (ursprüngliche) Stichtag heranzuziehen, zu dem festzustellen ist, ob Invalidität noch, erstmals oder wieder gegeben ist. Zu prüfen ist, ob zu diesem (ursprünglichen) Stichtag die in § 255 ASVG genannten Voraussetzungen gegeben sind, also auch ob Berufsschutz vorliegt (RIS-Justiz RS0105152).
1.3. Im vorliegenden Fall ist demnach der (ursprüngliche) Stichtag 1. 8. 2006 maßgeblich. Unter der Voraussetzung, dass die Tätigkeit als LKW-Fahrer als angelernte Tätigkeit zu qualifizieren ist, kommt es darauf an, ob der Kläger diese Tätigkeit in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag, also im Zeitraum vom 1. 8. 1991 bis zum 31. 7. 2006 ausgeübt hat.
2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass in Fragen des Berufsschutzes Zeiten einer selbstständigen Tätigkeit nach dem GSVG nicht als Zeiten einer überwiegenden Berufsausübung iSd § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG (idF vor dem BudgetbegleitG 2011) angesehen werden können, weil in dieser Gesetzesstelle - anders als in § 255 Abs 4 ASVG (in der vorgenannten Fassung) ausdrücklich nur auf erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten abgestellt wird, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz (also dem ASVG) ausgeübt wurden (10 ObS 17/11i; 10 ObS 156/07z, SSV-NF 21/90 jeweils mwN). Die Tätigkeit des Klägers als selbstständiger LKW-Fahrer kann daher bei der Prüfung der Frage des Berufsschutzes nach § 255 Abs 2 ASVG (in der vorgenannten Fassung) nicht Berücksichtigung finden. Nach der eindeutigen Gesetzeslage zählen nur Beitragsmonate, die nach dem ASVG erworben wurden, mag dies auch der Revisionswerber im Hinblick auf die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitswelt als unbillig erachten. Nur für den - im vorliegenden Fall nicht gegebenen - Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG ist es ohne Bedeutung, in welchem Versicherungszweig dadurch im Rahmenzeitraum Versicherungszeiten begründet wurden und ist es nicht erforderlich, dass die Tätigkeit ausschließlich als unselbstständig Beschäftigter ausgeübt wurde (10 ObS 4/05v, SSV-NF 19/22).
3. Die Argumentation des Revisionswerbers, aus dem Gesetzestext des § 255 Abs 2 und 2a ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 sei die Richtigkeit seines (gegenteiligen) Rechtsstandpunkts ableitbar, kommt nicht zum Tragen, weil die neue Rechtslage auf das vorliegende Verfahren über die Weitergewährung der Invaliditätspension nicht zur Anwendung gelangt:
3.1. Die Rechtsprechung lässt eine „Stichtagsverschiebung“ auf einen vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz gelegenen Zeitpunkt zwar grundsätzlich zu, sofern - etwa durch eine Rechtsänderung zum Vorteil des Versicherten - dann die Anspruchsvoraussetzungen auf eine Versicherungsleistung gegeben sind (RIS-Justiz RS0085973). Es ist in diesem Fall nach Zeiträumen zwischen der bisher geltenden und der neuen Rechtslage (ab dem neuen Stichtag) zu differenzieren.
3.2. Zu einer Rechtsänderung kam es im vorliegenden Fall durch das BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, mit welchem die Anspruchsvoraussetzungen (die Voraussetzungen für die Erlangung des Berufsschutzes) in § 255 Abs 2 und Abs 2a ASVG jedoch nicht erleichtert, sondern - im Gegenteil - erschwert wurden. Während nach der bis 31. 12. 2010 geltenden Rechtslage auch sehr wenige Monate der Beschäftigung zur Erlangung des Berufsschutzes ausreichten, wenn in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag generell sehr wenige Beitragsmonate (zum Beispiel bei lang andauernder Arbeitslosigkeit) vorlagen, ist künftig nur eine längere tatsächliche Ausübung des erlernten (angelernten) Berufes geschützt und zur Erlangung des Berufsschutzes erforderlich. Nötig ist nunmehr grundsätzlich die Ausübung von mindestens 7,5 Jahren einer qualifizierten Tätigkeit innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 205). Liegen zwischen dem Ende der Ausbildung und dem Stichtag weniger als 15 Jahre, so muss zumindest in der Hälfte der Kalendermonate, jedenfalls aber für 12 Pflichtversicherungsmonate, eine Erwerbstätigkeit nach Abs 1 oder als Angestellter vorliegen.
Gemäß § 658 Abs 1 Z 1 ASVG tritt § 255 Abs 2 bis 4 ASVG mit 1. 1. 2011 in Kraft.
3.3 Das Gericht hat grundsätzlich auf eine Änderung der Rechtslage in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern eine neue Bestimmung ihrem Inhalt nach auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden ist. Ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahren zu beachten ist, ist nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen (RIS-Justiz RS0031419). Da eine Übergangsbestimmung zu § 255 Abs 2 bis 4 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 fehlt, kommen die neuen Bestimmungen erst für Stichtage ab 1. 1. 2011 in Betracht (siehe 10 ObS 1/11m zu § 133 Abs 2a und 2b GSVG).
3.4. Im vorliegenden Fall führt die Gesetzesänderung jedoch schon deshalb zu keiner „Stichtagsverschiebung“ auf den 1. 1. 2011, weil die neue Rechtslage im Hinblick auf die Besonderheiten des Weitergewährungsverfahrens keine Berücksichtigung zu finden hat:
Bei einem Verfahren über die Weitergewährung einer befristet zuerkannten Invaliditätspension handelt es sich um einen letztlich einheitlichen Versicherungsfall, dessen Voraussetzungen durch den für die befristete Leistung maßgeblichen Stichtag bestimmt werden. Wie bereits oben zu Pkt 1.2. ausgeführt, ist ausschließlich zu diesem (ursprünglichen) Stichtag festzustellen, ob Invalidität noch, erstmals oder wieder gegeben ist. Bezogen auf diesen (ursprünglichen) Stichtag ist zu beurteilen, ob Invalidität unter allen in § 255 ASVG genannten Voraussetzungen eingetreten ist (RIS-Justiz RS0105152). Andere Anspruchsvoraussetzungen wie beispielsweise die Erfüllung der Wartezeit sind nicht mehr zu prüfen (10 ObS 2055/96w). Die zum Stichtag geltende Rechtslage ist der Prüfung aller Anspruchsvoraussetzungen zugrunde zu legen (RIS-Justiz RS0115809).
3.5. Zum Zeitpunkt des im vorliegenden Fall maßgeblichen (ursprünglichen) Stichtags 1. 8. 2006 stand § 255 Abs 2 bis 4 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, noch nicht in Geltung. Es kann somit dahin gestellt bleiben, ob die neue Regelung dem Kläger (doch) insofern zum Vorteil gereichen könnte, als sich aus ihrer Textierung - wie der Kläger behauptet - Anhaltspunkte dafür ableiten lassen, auch nach dem GSVG erworbene Versicherungsmonate seien nunmehr für die Erfüllung des Berufsschutzes zu berücksichtigen.
Wollte der Kläger einen neuen - nach dem 1. 1. 2011 liegenden - Stichtag auslösen und damit einen neuen Versicherungsfall herbeiführen, auf den § 255 Abs 2 und 2a ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 bereits anwendbar ist, könnte er nur einen Antrag auf Neugewährung stellen (siehe 10 ObS 82/06s; 10 ObS 2055/96w, SSV-NF 10/46).
4. Ist ein Versicherter der Pensionsversicherung nach dem ASVG zugehörig, so hat der leistungszuständige Versicherungsträger die Bestimmungen des ASVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass Beitragsmonate nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz und nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz als Beitragsmonate nach dem ASVG gelten (§ 251a Abs 8 Z 1 ASVG). Das Wesen dieser Regelung liegt darin, dass alle erworbenen Versicherungszeiten vom zuständigen Träger so behandelt werden, als ob sie bei ihm erworben worden wären (RIS-Justiz RS0085037). Diese Regelung gilt jedoch nicht für die Frage des Berufsschutzes (§ 255 ASVG), sondern nur für die Wartezeit und die Bemessung von Leistungen (RIS-Justiz RS0085042).
Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht im Ergebnis mit diesen Grundsätzen der Rechtsprechung in Einklang. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zeigt der Revisionswerber mit seinen Ausführungen nicht auf.
Die außerordentliche Revision war somit zurückzuweisen.
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