Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 1.970,46 EUR (darin 328,41 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Erstgerichts vom 20. 12. 2004 geschieden, wobei der Ausspruch der Scheidung am 2. 2. 2005 und jener über das gleichteilige Verschulden der Streitteile an der Zerrüttung der Ehe am 8. 3. 2007 rechtskräftig wurden.
Das gegenständliche Unterhaltsverfahren behängt seit 24. 11. 2003 und betrifft Unterhaltsansprüche der klagenden Frau sowohl für die Zeit der (damals noch) aufrechten Ehe als auch für die Zeit nach rechtskräftiger Scheidung. Revisionsgegenständlich ist aber nur mehr der Zeitraum ab 1. 3. 2005, für welchen die Frau Unterhalt nach § 68 EheG begehrt.
Der Mann verfügte in den Jahren 2005 bis 2009 über äußerst schwankendes Einkommen (15.031 EUR, 16.483 EUR, 5.818 EUR, 5.705 EUR bzw 4.692 EUR monatlich), seit 1. 3. 2010 über ein solches von monatlich 2.400 EUR. Die Frau ist seit ihrer Rückkehr in ihr Heimatland Italien im Dezember 2003 arbeitslos, sie bekommt keine Arbeitslosenunterstützung oder Notstandshilfe, ebenso wenig eine Mindestunterstützung oder sonstige Förderungen und Zuschüsse von staatlicher Seite. Die Frau versucht in Italien, Arbeit als Lehrerin zu finden.
Das Berufungsgericht ging - in teilweiser Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung - von einem Unterhaltsrückstand des Mannes von 21.648,39 EUR im Zeitraum 1. 8. 2003 bis 31. 12. 2009 aus und verpflichtete den Mann unter Berücksichtigung von Unterhaltsüberzahlungen zur Leistung von 7.372,40 EUR. Darüber hinaus sprach es der Frau ab 1. 1. 2010 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 230 EUR zu. Ein Mehrbegehren von 117.310,50 EUR wies das Berufungsgericht hingegen ab. Es erklärte außerdem die ordentliche Revision für zulässig; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob in Anwendung des § 68 EheG bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen eines Ehegatten von weniger als 10 bis 15 % dessen Nettoeinkommens auszugehen ist, um eine Überalimentierung des unterhaltsberechtigten Ehegatten zu vermeiden.
In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht, soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, die Auffassung, für die Frau sei es bislang ohne ihr Verschulden nicht möglich gewesen, in Italien eine Beschäftigung zu finden; sie habe daher im Hinblick auf den Ausspruch gleichteiligen Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe Anspruch auf Billigkeitsunterhalt nach § 68 EheG ab dem Zeitpunkt der Scheidung der Ehe der Streitteile. § 68 EheG gewähre jedoch bloß einen Beitrag zum Unterhalt, weshalb bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen der von der Rechtsprechung ansonsten angenommene Richtwert von 10 bis 15 % der Unterhaltsbemessungsgrundlage „zu hoch gegriffen“ erscheine. Orientierungshilfe in einem solchen Fall sei vielmehr der Ausgleichszulagenrichtsatz nach dem ASVG.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Frau ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt. Die Frau strebt - zumindest erkennbar - einen weiteren Unterhaltszuspruch von insgesamt 39.608,38 EUR für den Zeitraum 1. 3. 2005 bis 31. 12. 2009 an.
1. Die Frau macht zunächst unter Hinweis auf erzielbare Vermögenserträgnisse des Mannes geltend, dass auch ein nach § 68 EheG unterhaltspflichtiger Ehegatte den Grundsätzen der Anspannungstheorie unterliege. Sie unterlässt es jedoch darzutun, wie sich dies konkret auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage des Mannes und ihren Unterhaltsanspruch auswirken würde.
2. Zur Höhe des ihr zustehenden Unterhalts führt die Frau (lediglich) aus, „angesichts [der] hervorragenden finanziellen Verhältnisse auf Seiten des [Mannes sei] es mit dem Wortlaut und der ratio legis unvereinbar, dass sich der Unterhaltsanspruch der in jeder Beziehung äußerst bedürftigen [Frau] nach dem Ausgleichszulagenrichtsatz zu orientieren hat; die Ausgleichszulage soll[e] lediglich ein Mindesteinkommen sichern [und] orientier[e] sich nach dem Existenzminimum. Unter dem Begriff Existenzminimum (auch Notbedarf) versteh[e] man jene Mittel, welche zur Befriedigung der materiellen Bedürfnisse notwendig sind, um überhaupt physisch überleben zu können; das [seien] also die Minimalerfordernisse für Nahrung, Kleidung, Wohnung und eine allenfalls erforderliche medizinische Notfallversorgung“. Der von der Frau im Revisionsbegehren begehrte Unterhaltsmehrbetrag für den Zeitraum 1. 3. 2005 bis 31. 12. 2009 errechnet sich ganz offensichtlich mit 15 % der jeweiligen Unterhaltsbemessungsgrundlage des Mannes abzüglich der vom Berufungsgericht bereits zugesprochenen Beträge.
2.1. Die Rechtsprechung zweitinstanzlicher Gerichte geht in Anwendung des § 68 EheG von einem Anspruch des bedürftigen Ehegatten in Höhe von 10 bis 15 % (etwa LGZ Wien EFSlg 75.590, 104.921) beziehungsweise von 15 % (vgl auch LGZ Wien EFSlg 31.766, 57.274) der Bemessungsgrundlage des unterhaltspflichtigen (geschiedenen) Ehegatten aus. Dies entspricht auch der Auffassung eines Teils der Literatur (etwa Hopf/Kathrein, EheG² [2005] § 68 Anm 4; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht5 [2010] 216; Cl. Hirsch, Zur Höhe des nachehelichen Unterhalts in §§ 68, 69 Abs 3 und § 69a Abs 2 EheG, EF-Z 2009/134; Koch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB³ [2010] § 68 EheG Rz 2). Jedenfalls soll der Billigkeitsunterhalt nur einen relativ bescheidenen Teil des vollen Unterhalts ausmachen (8 Ob 570/93; LGZ Wien EFSlg 41.330, 54.511, 104.920, 108.303; Schwimann/Kolmasch aaO; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EheG [2008] § 68 Rz 4); letzteres ergibt sich zwingend aus § 68 Abs 1 EheG, der ausdrücklich nur von einem „Beitrag zum Unterhalt“ und nicht - wie etwa § 66 EheG - vom „Unterhalt“ spricht.
2.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs besteht keine gesetzliche Grundlage für die Anwendung eines bestimmten Berechnungssystems; deshalb kann der Oberste Gerichtshof auch nicht Regeln der Unterhaltsbemessung derart in ein System verdichten, dass sich eine Tabelle für jeden möglichen Anspruchsfall ergibt; er kann vielmehr in Fragen der Unterhaltsbemessung nur aussprechen, auf welche Umstände es ankommt. Demgemäß kann der Oberste Gerichtshof auch keine Prozentsätze festlegen; derartige Werte können nur bei der konkreten Berechnung eines Unterhaltsanspruchs im Interesse der gleichen Behandlung gleichgelagerter Fälle herangezogen, nicht aber generell als Maßstab für die Unterhaltsbemessung festgelegt werden (RIS-Justiz RS0047419). Diese Grundsätze gelten auch für Unterhaltsansprüche nach § 68 EheG.
Auch von (anderen) Teilen der Literatur werden konkrete Prozentsätze bei Anwendung des § 68 EheG abgelehnt (etwa Zankl in Schwimann, ABGB³ [2005] § 68 EheG Rz 8; Hinteregger, Familienrecht4 [2009] 111; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EheG [2008] § 68 Rz 7).
2.3. Folgerichtig besteht - soweit ersichtlich - auch keine konkrete Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, nach der einem gemäß § 68 EheG Unterhaltsberechtigten generell ein bestimmter Prozentsatz der Unterhaltsbemessungsgrundlage des anderen (vormaligen) Ehegatten zuzuerkennen wäre. Soweit sich in mehreren Entscheidungen ein Hinweis auf einen Anspruch von 15 % finden ließe (4 Ob 278/02i SZ 2003/1; 7 Ob 61/03a; RIS-Justiz RS0117322), so sind all diese Entscheidungen nicht zu § 68 EheG, sondern tatsächlich zu § 68a EheG ergangen und haben dort (für die Belastungskontrollrechnung; vgl dazu ausführlich 6 Ob 108/08p EF-Z 2008/139) eine Untergrenze von 15 % festgelegt.
Damit ist die Argumentation der Revision, die ohne nähere Begründung davon ausgeht, dass einem nach § 68 EheG unterhaltsberechtigten (vormaligen) Ehegatten ganz grundsätzlich 15 % der Unterhaltsbemessungsgrundlage des Unterhaltspflichtigen zustünden, bereits aus diesem Grund verfehlt.
2.4. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 8 Ob 570/93 (vgl in diesem Sinn auch LGZ Wien EFSlg 31.766, 100.935) ausgeführt, aus § 68 EheG ergebe sich hinsichtlich der Höhe des dem nicht selbsterhaltungsfähigen Gatten zuzubilligenden Beitrags nur, dass es sich eben um einen Beitrag handelt und er sich somit deutlich von einer Unterhaltsleistung, wie sie nach § 66 EheG zu leisten wäre, unterscheiden muss; es dürfe sich nur um einen „relativ bescheidenen Beitrag“ handeln, der den Gegebenheiten des Falls anzupassen ist; er könne - wie in vielen entschiedenen Fällen, in denen der geschiedene Ehegatte selbst über ein relativ geringes Einkommen verfügte - auch unter dem Existenzminimum liegen; er könne aber auch - weil es eben ein Billigkeitsunterhalt ist - über diesem liegen und somit auch die Höhe des Richtsatzes der Ausgleichszulage überschreiten, wenn dies nach den Gegebenenheiten des Falls, nämlich des exorbitant hohen Einkommens des geschiedenen Ehegatten, der Billigkeit entspricht, weil es sich bei diesem Beitrag immer noch um einen „relativ bescheidenen Teil“ des dem geschiedenen Gatten nach § 66 EheG zuzusprechenden Unterhalts handeln würde; § 68 EheG sei nur aus der der Ehe nachwirkenden gegenseitigen Sorge- und Beistandspflicht zu erklären; ihr entspreche es nicht, der aus gleichteiligem Verschulden geschiedenen, vermögenslosen und nicht selbsterhaltungsfähigen Ehegattin bei einem ganz besonderen Wohlstand des geschiedenen Ehegatten nur den allernotwendigsten Lebensunterhalt (existenzsichernden Sockelbetrag) zuzubilligen; diese Ansicht vertretenden Entscheidungen von unterinstanzlichen Gerichten könne nicht gefolgt werden.
Der erkennende Senat vermag sich angesichts der zwischenzeitig fortentwickelten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den verschiedenen Konstellationen von Billigkeitsunterhaltsansprüchen zwischen geschiedenen Ehegatten und deren Zusammenspiel der Entscheidung 8 Ob 570/93 nicht anzuschließen:
2.5. Der Oberste Gerichtshof hat nämlich in jüngerer Zeit mehrfach klargestellt, dass in den Anwendungsfällen der § 69 Abs 3, § 69a Abs 2 EheG identischer Billigkeitsunterhalt zustehe; dieser sei mit dem Ausgleichszulagenrichtsatz zu begrenzen (6 Ob 163/04w EFSlg 108.322; 6 Ob 212/08g EFSlg 123.843; jüngst auch 4 Ob 203/10x; dieser Rechtsprechung zustimmend Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EheG [2008] § 69 Rz 15; zweifelnd Cl. Hirsch, EF-Z 2009/134; ablehnend Schwimann in Schwimann, TaKomm [2010] § 69 EheG Rz 7; vgl auch Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht5 [2010] 218).
Nach herrschender Auffassung muss der Anspruch nach § 68 EheG (zumindest tendenziell) geringer sein als die Ansprüche nach § 69 Abs 3, § 69a Abs 2 EheG, spricht diese Bestimmung doch nicht nur von einem Beitrag zum Unterhalt und trifft außerdem den Unterhaltsberechtigten im Fall des § 68 EheG ein gleichteiliges Verschulden (vgl dazu etwa Stabentheiner in Rummel, ABGB³ ErgBd [2002] § 69 EheG Rz 8; Cl. Hirsch aaO; Gitschthaler aaO [jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung]), während ein solches in den Anspruchsfällen nach § 69 Abs 3, § 69a Abs 2 EheG gerade nicht feststeht und - jedenfalls im Fall des § 69 Abs 3 EheG - der Unterhaltspflichtige aus der Ehe drängt (Gitschthaler aaO; vgl auch Cl. Hirsch aaO).
In der Literatur wird deshalb auch - insoweit folgerichtig - vertreten, dass dem nach § 68 EheG unterhaltsberechtigten (vormaligen) Ehegatten lediglich ein Anspruch höchstens in Höhe des (niedrigsten) Unterhaltsexistenzminimums nach § 292a EO zustehen könne (Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EheG [2008] § 68 Rz 9).
2.6. Das Berufungsgericht hat der Frau Unterhalt in Höhe des jeweiligen Ausgleichszulagenrichtsatzes zuerkannt. Angesichts der dargestellten jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann sie sich dadurch nicht beschwert erachten (ebenso jüngst 4 Ob 203/10x); die Revision vermag dieser jüngeren Rechtsprechung auch inhaltlich nichts entgegen zu setzen.
3. Damit war der Revision ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)