OGH 6Ob163/04w

OGH6Ob163/04w21.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elfriede S*****, vertreten durch Dr. Ilse Grond, Rechtsanwältin in Herzogenburg, gegen die beklagte Partei Norbert S*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloß ua, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Unterhalts, über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten als Berufungsgericht vom 11. Februar 2004, GZ 37 R 396/03s-28, womit über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Neulengbach vom 3. Oktober 2003, GZ 1 C 831/02x-24, aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Die Anträge beider Parteien auf Zuspruch der Kosten ihrer Rekursbeantwortungen werden abgewiesen.

Text

Begründung

Die am 8. 1. 1972 geschlossene Ehe der Parteien wurde am 12. 9. 1986 im Einvernehmen gemäß § 55a EheG geschieden. Im Scheidungsvergleich verpflichtete sich der Mann, der Frau für die Zeit vom 1. 1. 1987 bis 31. 12. 1992 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 1.000 S zu bezahlen. Im Übrigen verzichteten die Antragsteller "und zwar die Erstantragstellerin ab 1. Jänner 1993, der Zweitantragsteller ab Rechtswirksamkeit dieser Vereinbarung auf jedweden Unterhalt, auch für den Fall geänderter Verhältnisse, geänderter Rechtslage, Krankheit oder unverschuldeter Not".

Mit ihrer am 27. 12. 2001 beim Erstgericht eingelangten Unterhaltsklage begehrte die Klägerin einen Unterhaltsrückstand von 26.162,22 EUR für die Zeit vom 1. 12. 1998 bis 31. 12. 2001 und einen laufenden Unterhalt von 726,72 EUR monatlich ab 1. 1. 2002. Letzteres Begehren dehnte die Klägerin auf 1.122 EUR monatlich ab 1. 1. 2003 aus. An der Zerrüttung der Ehe habe den Beklagten das alleinige Verschulden getroffen. Vor dem Vergleichsabschluss sei die Klägerin massiv unter Druck gesetzt und überrumpelt worden. Die Klägerin sei während der Ehe nicht berufstätig gewesen. Sie habe nach der Scheidung eine Berufsausbildung absolviert und bis 1992 gearbeitet. Sie sei lebensbedrohlich erkrankt und mehrfach operiert worden. Mit Bescheid vom 29. 10. 1998 sei ihr eine Berufsunfähigkeitspension zugesprochen worden, die ab 1. 1. 2002 8.356,08 S ausmache. Der Beklagte verdiene als Beamter monatlich 40.000 S netto, 14 x jährlich. Daraus errechne sich ein Unterhaltsanspruch der Klägerin in der begehrten Höhe. Die Klägerin könne krankheitsbedingt die Haushaltsarbeiten nicht selbst leisten. Mit ihren Einkünften könnten die Lebenskosten und der krankheitsbedingte Mehraufwand nicht bestritten werden. Das Beharren des Beklagten auf dem vereinbarten Unterhaltsverzicht sei wegen der krassen Einkommensunterschiede sittenwidrig.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens unter Hinweis auf den vereinbarten Unterhaltsverzicht und mit der weiteren wesentlichen Begründung, dass die Klägerin mit ihrem Einkommen ohnehin den notdürftigen Unterhalt, auf den allein sie Anspruch haben könnte, decken könnte. An der Zerrüttung der Ehe sei die Klägerin allein schuld gewesen. Zum Zeitpunkt der Scheidung habe die Klägerin mit einem anderen Mann in Lebensgemeinschaft gelebt. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte den Sachverhalt rechtlich im Wesentlichen dahin, dass keine Willensmängel der Klägerin bei Abschluss des Scheidungsvergleichs feststellbar gewesen seien. Die Klägerin sei zwar unverschuldet in Not geraten. Das Beharren des Beklagten auf dem vereinbarten Unterhaltsverzicht könne zwar sittenwidrig sein, wenn der der Existenzbedrohung ausgesetzte Partner bei hypothetischer Durchführung eines Scheidungsverfahrens nach § 49 EheG Unterhaltsansprüche gehabt hätte. An der Zerrüttung der Ehe treffe den Beklagten zwar das hypothetische Verschulden alleine. Auf den nach § 69 Abs 3 EheG in analoger Anwendung zu beurteilenden Unterhaltsanspruch sei jedoch die Rangordnung des § 71 EheG anzuwenden. Der Unterhaltsverpflichtung des Beklagten gingen die Unterhaltspflichten der Verwandten der Klägerin vor, hier also die Unterhaltspflicht der beiden Kinder der geschiedenen Ehegatten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und hob das erstinstanzliche Urteil zur Verfahrensergänzung auf. Es führte in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen folgendes aus: Nach der Entscheidung 3 Ob 229/98t könne das Beharren auf einem auch für den Fall der Not erklärten Unterhaltsverzicht sittenwidrig sein. Das zu erforschende hypothetische Scheidungsverschulden habe aber nicht die Bedeutung, dass es bei Feststellung eines solchen zu einem Unterhaltsanspruch wie bei einer Scheidung aus Verschulden komme. Grundlage des Unterhaltsanspruchs sei vielmehr die Bestimmung des § 69a Abs 2 EheG, die - im Gegensatz zu § 68a EheG - auch für Ehen gelte, die vor dem Inkrafttreten des EheRÄG 1999 geschieden worden seien. Die Regelung des § 69a Abs 2 EheG sei jener des § 69 Abs 3 EheG nachgebildet. Der Unterhaltsanspruch sei demnach sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach von Billigkeitsüberlegungen abhängig. In der Entscheidung 3 Ob 74/02g habe der Oberste Gerichtshof bei Vorliegen eines Eigeneinkommens der Klägerin von umgerechnet 806,11 EUR das Vorliegen einer Notlage und damit der Sittenwidrigkeit der Berufung auf den vereinbarten Unterhaltsverzicht verneint. Es liege auf der Hand, dass der Unterhaltsanspruch nur so hoch sein könne, dass die Notlage beseitigt werde. Es sei auf den Ausgleichszulagenrichtsatz abzustellen. Nach den Feststellungen habe die Klägerin ein Einkommen erzielt, das bei oder knapp über dem Ausgleichszulagenrichtsatz gelegen sei. Das Erstgericht habe allerdings für die Zeit vom 1. 7. 2000 bis 17. 12. 2000 keine Feststellungen über das Einkommen der Klägerin getroffen. Hier könne aufgrund der als Eigeneinkommen anzusehenden Ausgleichszulage bei der Klägerin eine Notlage noch nicht verneint werden, weil zu ihrer Prozessbehauptung über einen krankheitsbedingten Mehraufwand vom Erstgericht keinerlei Feststellungen getroffen worden seien. Dabei sei auch die Wohnsituation der Klägerin, das Mitwohnen des Sohnes, die Haushaltsführung (ua) festzustellen. Der geschiedene Ehegatte habe aber nur den Differenzbetrag als Unterhalt zu leisten, der notwendig sei, um eine tatsächliche Notlage abzuwenden. Eine Anlehnung an die bei Scheidung aus Verschulden anzuwendende Prozentsatzmethode komme nicht in Betracht. In der Entscheidung 6 Ob 131/01k habe der Oberste Gerichtshof die Subsidiarität der Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehegatten nach § 69a Abs 2 EheG im Verhältnis zu den Unterhaltsverpflichtungen der Kinder (§ 71 EheG) ausführlich begründet und ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers verneint. Das Erstgericht habe daher Feststellungen über die Höhe des Einkommens der beiden Söhne der Parteien zu treffen und den Parteien Gelegenheit zu entsprechendem Tatsachenvorbringen zu geben.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Die Entscheidungen 3 Ob 229/98t und 6 Ob 131/01k seien bislang vereinzelt geblieben.

Mit ihrem Rekurs beantragt die Klägerin die Abänderung dahin, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Mit seinem Rekurs beantragt der Beklagte die Abänderung dahin, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt werde. Die Klägerin beantragt mit ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs des Beklagten nicht Folge zu geben.

Der Beklagte beantragt, den Rekurs der Klägerin als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben. Die Rekurse sind entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Auftrag des Berufungsgerichts zur Ergänzung der Tatsachenfeststellungen beruht nicht auf einer rechtlichen Fehlbeurteilung. In allen entscheidungswesentlichen Punkten sind die von den Rekurswerbern bekämpften Rechtsansichten des Berufungsgerichtes durch oberstgerichtliche Rechtsprechung gedeckt:

Dass ein Unterhaltsverzicht auch für einen Fall der Not (also ein Verzicht auf die Umstandsklausel) deshalb unwirksam sein kann, weil das Beharren auf dem Unterhaltsverzicht aus besonderen Gründen als sittenwidrig zu erachten ist, wurde vom Obersten Gerichtshof schon mehrfach ausgesprochen (RIS-Justiz RS0016554). Gleiches gilt für die vom Berufungsgericht richtig dargestellten Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit, die nur bejaht werden kann, wenn der Unterhaltsberechtigte in existenzbedrohende Not gerät, bei einem hypothetisch nachzuvollziehenden Scheidungsverfahren zumindest ein gleichteiliges (oder überwiegendes oder Allein-)Verschulden des anderen Ehegatten festgestellt worden wäre und wenn krasse Einkommensunterschiede bestehen (3 Ob 229/98t). Wenn eine Unterhaltsvereinbarung nach § 55a EheG (hier wegen Sittenwidrigkeit) unwirksam ist, steht entgegen der Rechtsmeinung der Klägerin nur der Billigkeitsunterhalt nach dem hier anzuwendenden § 69a Abs 2 EheG idF des EheRÄG 1999 zu, der identisch ist mit demjenigen nach § 69 Abs 3 EheG, wie dies in Lehre und Rechtsprechung auch schon zur alten Rechtslage vor dem Inkrafttreten des § 69a Abs 2 EheG vertreten wurde (SZ 58/192; Stabentheiner in Rummel ABGB3 II/4 Rz 3 zu § 69a EheG). Dann gilt für die Höhe des Unterhaltsanspruchs aber die in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung vertretene Begrenzung auf den notwendigen Unterhalt, für den der Ausgleichszulagenrichtsatz als Maßstab dienen kann (RIS-Justiz RS0109823). Zutreffend ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Notlage des einen Unterhaltsbeitrag ansprechenden Ehegatten nicht nur für die Bejahung der Sittenwidrigkeit des Beharrens auf einem vereinbarten Unterhaltsverzicht sondern auch für die Höhe des allfälligen Unterhaltsanspruchs entscheidend ist. Mit der Bezahlung des notwendigen Unterhalts wird die Notlage beseitigt. Zu mehr kann der Unterhaltspflichtige nicht verhalten werden, weil darüber hinausgehenden Unterhaltsbegehren der berechtigte Einwand der Vereinbarung eines Unterhaltsverzichts entgegensteht, der in diesem Bereich nicht mehr als sittenwidrig angesehen werden kann. Schließlich stehen die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts zur Subsidiarität der nach § 69 Abs 3 EheG zu beurteilenden Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehegatten nach der Rangordnung des § 71 EheG im Einklang mit der Entscheidung 6 Ob 131/01k (ecolex 2002, 659/247 [Wilhelm]). Wegen der dort gegebenen ausführlichen Begründung, an der festzuhalten ist, kann die Zulässigkeit des Rekurses (der Klägerin) wegen Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht darauf gestützt werden, dass zum Thema der Subsidiarität bislang nur eine oberstgerichtliche Entscheidung vorliegt (Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 3 zu § 502; RIS-Justiz RS0103384). Schließlich stellt auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Grundsatz der Subsidiarität der Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehegatten ebenfalls unter dem Vorbehalt der Billigkeit stehe, im Einklang mit der oberstgerichtlichen Judikatur (6 Ob 9/01v). Insoweit die Klägerin gegen die Rechtsausführungen zur Subsidiarität mit dem unabhängig von einem Verschulden an der Ehezerrüttung zustehenden Unterhalt nach § 68a EheG idgF argumentiert, ist ihr entgegenzuhalten, dass der verschuldensunabhängige Ehegattenunterhalt nach den Übergangsbestimmungen des EheRÄG 1999 auf den hier vorliegenden Fall nicht angewendet werden kann (einvernehmliche Scheidung am 12. 9. 1986), sodass durch den neugeschaffenen Unterhaltstatbestand bei der hier gebotenen Beurteilung nach § 69a Abs 2 EheG für den Standpunkt der Klägerin nichts zu gewinnen ist.

Die Ergänzungsaufträge des Berufungsgerichtes beruhen insgesamt und entgegen den Rekursausführungen beider Rechtsmittelwerber auf zutreffenden rechtlichen Erwägungen.

Kosten für die Rekursbeantwortungen waren nicht zuzusprechen, weil die Parteien jeweils nicht auf das Nichtvorliegen erheblicher Rechtsfragen hingewiesen haben.

Stichworte