Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger war ab 19. 11. 2007 bei der Beklagten als Fahrkartenkontrollor beschäftigt. Am 16. 6. 2008 ging ihm die Kündigung zum 30. 6. 2008 zu, nachdem der Betriebsrat zuvor am 6. 6. 2008 von der beabsichtigten Kündigung der Beklagten informiert worden war und dagegen Widerspruch erhoben hatte.
Der Kläger ficht die Kündigung der Beklagten gemäß § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG gerichtlich an. Die Kündigung sei aus einem verpönten Motiv, nämlich wegen der Geltendmachung von Rechten durch den Kläger (Übernahme in das Angestelltenverhältnis; nur ausnahmsweise Einteilung zu Sonn- und Feiertagsdiensten; Einsatz im Team; Gewährung von Bekleidungsgeld), erfolgt.
Die Beklagte bestritt das Klagevorbringen, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, dass der Kläger nicht wegen der Geltendmachung von Rechten, sondern wegen Unzufriedenheit der Beklagten mit seiner Arbeitsleistung und wegen mangelnder Flexibilität des Klägers beim Arbeitseinsatz gekündigt worden sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Für die Kündigung sei die nicht zufriedenstellende Arbeitsleistung des Klägers in Verbindung mit seinen häufigen Krankenständen und mit seinem dienstlichen Verhalten ausschlaggebend gewesen.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Die vom Erstgericht geschaffene Sachverhaltsgrundlage reiche nicht aus, um eine Abwägung auf tatsächlicher Ebene vornehmen zu können und den Fall abschließend zu beurteilen. Der ordentliche Rekurs wurde mit der Begründung zugelassen, dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur inhaltlichen Determinierung des „anderen Kündigungsmotivs“ in § 105 Abs 5 ArbVG fehle. Konkret gehe es um zwei Fragen, 1. ob als erlaubte Motive alle Motive in Frage kommen, die nicht verpönt iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG seien und keinen anderen Gesetzesverstoß begründen, oder ob die erlaubten Motive - wie das Berufungsgericht annehme - subjektiv bzw objektiv betriebsbedingt iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a bzw lit b ArbVG sein müssen, und 2. ob bereits die gutgläubige Annahme eines erlaubten Motivs ausreiche oder ob - wie das Berufungsgericht annehme - das tatsächliche Vorliegen des dem erlaubten Motiv zugrundeliegenden Sachverhalts vom Anfechtungsgegner nachgewiesen werden müsse.
Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss des Berufungsgerichts ersatzlos aufzuheben.
Der Kläger beantragt, den Rekurs der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Beklagten ist zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.
Die Kündigung kann bei Gericht angefochten werden, wenn sie wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis durch den Arbeitnehmer erfolgt ist (§ 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG). Insoweit sich der Kläger im Zuge des Verfahrens auf einen Anfechtungsgrund iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG beruft, hat er diesen glaubhaft zu machen. Die Anfechtungsklage ist abzuweisen, wenn bei Abwägung aller Umstände eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein anderes vom Arbeitgeber glaubhaft gemachtes Motiv für die Kündigung ausschlaggebend war (§ 105 Abs 5 ArbVG).
Beim Kündigungsanfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geht es darum, dass der Arbeitgeber nach Meinung des Arbeitnehmers bestehende Ansprüche nicht erfüllt, dass der Arbeitnehmer diese nicht erfüllten Ansprüche dem Arbeitgeber gegenüber geltend macht und dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen dieser Geltendmachung kündigt. Vom Schutzzweck sind nicht nur schon entstandene Ansprüche, sondern zusätzlich Ansprüche auf Wahrung der Rechtsposition aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis gegen einseitige Eingriffe erfasst. Weder dem Wortlaut des Gesetzes noch dem Zweck der Bestimmung, die arbeitsrechtliche Stellung des Arbeitnehmers zu schützen (RIS-Justiz RS0104686 ua), lässt sich entnehmen, dass davon nur Ansprüche des Arbeitnehmers auf (Geld-)Leistungen des Arbeitgebers umfasst seien. Dass sich der Anspruch letztlich als unberechtigt erweist, schließt die Berechtigung der Anfechtung ebenfalls nicht aus. Für den Schutz des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG reicht es aus, dass die Geltendmachung des Anspruchs „offenbar nicht unberechtigt“ war. Unklarheiten oder unterschiedliche Auffassungen über den Bestand von Ansprüchen schließen daher den Anfechtungsgrund nicht aus (RIS-Justiz RS0051666 ua). Für die Anfechtung von Kündigungen genügt es, dass das verpönte Motiv für die Kündigung wesentlich war; es ist nicht notwendig, dass das Motiv ausschließlicher Beweggrund war (RIS-Justiz RS0051661 ua).
Macht der Arbeitnehmer glaubhaft, dass die Benachteiligung auf das verpönte Motiv zurückzuführen ist, dann ist eine unzulässige Benachteiligung anzunehmen, sofern nicht der Arbeitgeber seinerseits glaubhaft macht, dass ein anderes Motiv mit höherer Wahrscheinlichkeit ausschlaggebend war. Ob das vom Arbeitgeber geltend gemachte Motiv geeignet ist, iSd § 105 Abs 5 ArbVG das vom Anfechtungskläger ebenfalls glaubhaft gemachte verpönte Motiv des Arbeitgebers zur Kündigung in den Hintergrund zu drängen, ist eine Folge der Abwägung aller festgestellten Umstände bei der objektiven Ermittlung der erhöhten Wahrscheinlichkeit des einen oder des anderen Motivs. Meistens wird es unmöglich sein, Motive lückenlos zu beweisen. Es kommt stets auf das Gesamtbild an, das für die betriebliche Situation vor der Kündigung maßgeblich gewesen ist. Es ist darauf Bedacht zu nehmen, dass es sich bei den Normen über die Anfechtung wegen eines unzulässigen Motivs um Schutzbestimmungen zugunsten des Arbeitnehmers handelt. Der Schutz ist schon dann gerechtfertigt, wenn die Erfüllung der entsprechenden Tatbestände nach den konkreten Umständen des Einzelfalls glaubwürdig ist. Ein strenger Nachweis der Rechtsverletzung in einer jeden Zweifel ausschließenden Form ist vom Gesetz nicht gefordert. Die Frage, welches Motiv als bescheinigt angenommen werden kann, ist eine Frage der unüberprüfbaren Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0052037 ua).
Im Rekursverfahren ist nun strittig, welches „andere Motiv“ iSd § 105 Abs 5 ArbVG als für die Kündigung ausschlaggebend vom Arbeitgeber eingewendet werden darf. Der Gesetzeswortlaut schränkt die in Frage kommenden anderen Motive nicht näher ein. Die einzige Vorgabe lautet dahin, dass es sich um ein „anderes“ Motiv als jenes verpönte Motiv handeln muss, das der Arbeitnehmer seiner Kündigungsanfechtung zugrundelegt. Lehre und Rechtsprechung stimmen aber darin überein, dass das andere Motiv des Arbeitgebers zumindest „erlaubt“ (vgl Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, ArbVG Bd 34 § 105 Erl 68; Schrank, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht 496; ders, in Tomandl, ArbVG, § 105 Rz 128; 9 ObA 9/02t, DRdA 2003/12 [Trost] ua) bzw „zulässig“ (vgl Tinhofer in Mazal/Risak, Arbeitsrecht, Kap XVIII Rz 33 ua) sein muss und „nicht missbilligt“ (vgl Floretta in Floretta/Strasser, ArbVG-Handkommentar 692) oder „nicht verpönt“ (vgl Schrammel, Arbeitsrecht II6 258; 9 ObA 40/01z ua) sein darf. Eine besondere Begründung wird dafür - soweit überblickbar - nicht gegeben. Die Beschränkung auf „erlaubte“ Motive ist aber so selbstverständlich, dass ihre dogmatische Rechtfertigung nur in einer teleologischen Reduktion des weiten Wortlauts des § 105 Abs 5 Satz 2 ArbVG gesehen werden kann. Die Zulassung „nicht erlaubter“ Motive zur Widerlegung einer Anfechtungsklage wegen eines (anderen) verpönten Motivs liefe dem Gesetzeszweck diametral zuwider (siehe allgemein zur teleologischen Reduktion P. Bydlinski in KBB² § 7 ABGB Rz 5 mwN ua). Ausgeschlossen sind damit auch alle anderen verpönten Motive aus dem Katalog des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG. Der Senat hält an der einhelligen Auffassung von Lehre und Rechtsprechung fest. Zusammenfassend scheiden also gesetzwidrige und sittenwidrige Motive als „andere Motive“ des Arbeitgebers iSd § 105 Abs 5 ArbVG aus (vgl zur ähnlichen Problematik bei § 12 Abs 12 GlBG Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 12 Rz 134 ua).
Eine weitere Einschränkung der „anderen Motive“, als dass sie im vorstehenden Sinn „erlaubt“ sein müssen, kann dem ArbVG nicht entnommen werden. Insbesondere gibt es keine zwingenden Anhaltspunkte für die Auffassung des Berufungsgerichts, dass sich der Arbeitgeber wie bei der Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG) nur darauf stützen könne, dass die Kündigung durch Umstände, die in der Person des Arbeitnehmers gelegen sind und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren, oder durch betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, begründet sei. Gegen diese Auslegung sprechen schon gesetzessystematische Erwägungen, weil die vom Berufungsgericht genannten Gründe nur bei § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG, nicht aber bei § 105 Abs 3 Z 1 bzw § 105 Abs 5 ArbVG angeführt sind. Die praktische Bedeutung dieser Frage ist aber ohnehin gering, weil (im Rahmen des Erlaubten) andere als personen- oder betriebsbezogene Kündigungsmotive üblicherweise keine Rolle spielen. Für eine weitere teleologische Einschränkung des § 105 Abs 5 ArbVG über die bloße Erlaubtheit des Motivs hinaus besteht keine Veranlassung.
Worauf das Berufungsgericht aber offenbar hinaus will, wird an seiner zweiten Frage ersichtlich, wegen der der Rekurs an den Obersten Gerichtshof ebenfalls zugelassen wurde. Dabei geht es darum, ob bereits die gutgläubige Annahme eines erlaubten Motivs ausreiche oder ob - wie das Berufungsgericht annimmt - das tatsächliche Vorliegen des dem erlaubten Motiv zugrundeliegenden Sachverhalts vom Anfechtungsgegner nachgewiesen werden müsse. Der Fragestellung liegt offenbar ein Missverständnis des Berufungsgerichts zugrunde. Zur Verdeutlichung sei nochmals der Wortlaut des § 105 Abs 5 ArbVG vorangestellt: „Insoweit sich der Kläger im Zuge des Verfahrens auf einen Anfechtungsgrund im Sinne des Abs. 3 Z 1 beruft, hat er diesen glaubhaft zu machen. Die Anfechtungsklage ist abzuweisen, wenn bei Abwägung aller Umstände eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß ein anderes vom Arbeitgeber glaubhaft gemachtes Motiv für die Kündigung ausschlaggebend war.“
Vorauszuschicken ist auch, dass § 105 Abs 3 Z 1, Abs 5 ArbVG nicht auf Kündigungsgründe, sondern auf (verpönte oder erlaubte) Motive abstellt, die der Kündigung zugrundeliegen. Die Bestimmung ressortiert zum „allgemeinen Kündigungsschutz“. Danach kann eine Kündigung, die keines Grundes bedarf, unter bestimmten Voraussetzungen angefochten werden. Gelingt es dem Arbeitnehmer, einen Anfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG glaubhaft zu machen (§ 105 Abs 5 Satz 1 ArbVG), dann ist seiner Anfechtungsklage stattzugeben, es sei denn, der Arbeitgeber kann seinerseits das Gericht durch Glaubhaftmachung überzeugen, dass bei Abwägung aller Umstände eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein anderes vom Arbeitgeber geltend gemachtes Motiv für die Kündigung ausschlaggebend war (§ 105 Abs 5 Satz 2 ArbVG). Abgewogen wird somit, welches Kündigungsmotiv mit höherer Wahrscheinlichkeit der Kündigung zugrundelag. Nach § 105 Abs 5 ArbVG muss der Arbeitgeber nicht den Nachweis bezüglich eines bestimmten Sachverhalts führen; er muss nur das wahrscheinlichere Kündigungsmotiv dartun. Dabei wird der Arbeitgeber mit seiner Version gegen ein vom Arbeitnehmer glaubhaft gemachtes Motiv nur dann reüssieren, wenn seine Version überzeugender ausfällt als jene des Arbeitnehmers. Je glaubwürdiger der Arbeitnehmer im Einzelfall ist, umso höher sind die Anforderungen an die Überzeugungskraft des Arbeitgebers. Dennoch sei aber nochmals betont, dass § 105 Abs 5 ArbVG weder vom Arbeitnehmer noch vom Arbeitgeber den Nachweis eines bestimmten Sachverhalts verlangt. Es genügt grundsätzlich auf beiden Seiten die Glaubhaftmachung eines bestimmten Motivs.
Das Berufungsgericht ging nun - abgesehen von den vorstehenden Fragen zu § 105 Abs 5 ArbVG, die zur Zulassung des ordentlichen Rekurses führten - davon aus, dass der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt nicht ausreiche, um eine Abwägung auf tatsächlicher Ebene vornehmen zu können und den Fall abschließend zu beurteilen. Wenn aber das Berufungsgericht der Ansicht ist, dass der Sachverhalt noch nicht genügend geklärt ist, dann kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179 ua), zumal die vom Berufungsgericht dem Erstgericht aufgetragene Sachverhaltsergänzung schon ganz allgemein Voraussetzung für eine verlässliche Abwägung der jeweiligen Wahrscheinlichkeit der gegenständlichen Motive der Parteien ist.
Soweit die Rekurswerberin in ihrem Rekurs auf die ergänzenden Aufträge des Berufungsgerichts bezüglich der Sachverhaltsermittlung eingeht, genügt der Hinweis, dass vom Obersten Gerichtshof auf Beweisfragen, welche Version der Parteien schon jetzt überzeugender sei, nicht einzugehen ist (RIS-Justiz RS0052037 ua). Die Frage, ob die Glaubhaftmachung gelungen ist oder nicht, ist das Ergebnis richterlicher Beweiswürdigung und keine rechtliche Beurteilung. Der Oberste Gerichtshof ist nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz (9 ObA 285/98x; 9 ObA 44/04t; 9 ObA 107/06k; 9 ObA 177/07f, ZAS 2009/29 [Klicka] = DRdA 2010/11 [Eichinger] ua).
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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