European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2009:E91572
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Am 2. 3. 2006 ereignete sich im Gemeindegebiet von W* an der im Freiland gelegenen, ungeregelten Kreuzung der Landesstraße 601 mit der bei Straßenkilometer 12,620 einmündenden Gemeindestraße ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker eines Motorfahrrads und der Erstbeklagte als Lenker eines vom Zweitbeklagten gehaltenen Sattelzugs beteiligt waren. Die Fahrbahn der Landesstraße ist im Unfallbereich mit einer 5,9 m breiten Asphaltdecke versehen; zwischen den Randlinien ist die Fahrbahn 5,4 bis 5,5 m breit. In der Fahrbahnmitte ist eine Leitlinie markiert.
Der Erstbeklagte befuhr die Landesstraße mit dem 2,5 m breiten Sattelzug in nördlicher Richtung. Dabei folgte er zunächst einem ebenfalls 2,5 m breiten Lkw („Müllwagen"), der eine Geschwindigkeit von 65 km/h einhielt. In Annäherung an die Kreuzung mit der - aus Sicht des Erstbeklagten - von links in einem Winkel von ca 60º einmündenden Gemeindestraße, entschloss er sich, den Müllwagen zu überholen. Er lenkte den Sattelzug auf den linken Fahrstreifen und beschleunigte bis auf eine Geschwindigkeit von 95 km/h. Während des Überholvorgangs gerieten die linken Räder des Sattelzugs über eine Strecke von rund 50 m auf das neben der Fahrbahn befindliche Bankett. Auf diese Weise erreichte der Erstbeklagte einen Seitenabstand zum überholten Fahrzeug von rund 50 bis 70 cm.
Unterdessen fuhr der Kläger in der Gemeindestraße mit ca 20 km/h Geschwindigkeit auf die Kreuzung zu. Er beabsichtigte, nach rechts in die Landesstraße einzubiegen, wobei er das im Mündungstrichter angebrachte Vorschriftszeichen „Vorrang geben" zu beachten hatte. Während der letzten 5,5 Sekunden vor der Kollision blickte der Kläger nicht mehr in die Richtung der - aus seiner Sicht - von rechts herannahenden Fahrzeuge. Der Sattelzug befand sich während dieser gesamten Zeitspanne bereits im linken Fahrstreifen in Überholposition. Dies wäre für den Kläger bei entsprechender Beobachtung zumindest zwei Sekunden vor der Kollision auch erkennbar gewesen. Zu diesem Zeitpunkt war das Motorfahrrad noch 11 m von der Unfallstelle entfernt, sodass der Kläger bei einer Reaktionszeit von 1 Sekunde problemlos anhalten hätte können.
Stattdessen fuhr der Kläger in die Kreuzung ein. Das Motorfahrrad stieß gegen das linke Hinterrad des Zugfahrzeugs des Sattelzugs. Davor hatte der Erstbeklagte seine Fahrlinie leicht nach rechts verlagert, sodass die Kollisionsstelle 0,5 m innerhalb der Asphaltfahrbahn der Landesstraße lag. Im Zuge des Unfallgeschehens kam es auch zwischen dem Sattelzug und dem Müllwagen zu einem seitlichen Kontakt. Der Kläger erlitt bei dem Unfall schwere Verletzungen mit Dauerfolgen; Spätfolgen sind zu erwarten.
Der Kläger begehrte unter Einräumung eines Mitverschuldens von 50 % Zahlung von zuletzt 15.000 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten im Ausmaß der Hälfte seiner künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 2. 3. 2006. Er brachte vor, der Erstbeklagte habe die höchstzulässige Bauartgeschwindigkeit von 70 km/h deutlich überschritten und besonders rücksichtslos überholt. Das Überholmanöver sei unzulässig gewesen, weil der Seitenabstand zum überholten Lkw nicht ausgereicht habe, ein kurzer Überholweg nicht möglich gewesen sei und eine latente Gefährdung des Gegenverkehrs bestanden habe. Auch habe der Erstbeklagte in unzulässiger Weise das Bankett benützt. Die Verletzungen des Klägers rechtfertigten ein Schmerzengeld von 30.000 EUR.
Die Beklagten wandten ein, der Kläger habe den Vorrang des Erstbeklagten verletzt. Die geltend gemachten Überholverbote dienten nicht dem Schutz des Querverkehrs. Der Erstbeklagte hätte die Kollision auch bei Einhaltung einer geringeren Geschwindigkeit nicht abwenden können. Die Beklagten wandten ferner den dem Halter des Müllwagens ersetzten Schaden aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein.
Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung mit 12.500 EUR als zu Recht, die Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die Beklagten zur ungeteilten Hand, dem Kläger 12.500 EUR sA zu bezahlen. Das auf 2.500 EUR sA lautende Zahlungsmehrbegehren wurde abgewiesen. Dem Feststellungsbegehren gab das Erstgericht zur Gänze statt.
Das Erstgericht stützte sich auf den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt und erörterte rechtlich, der Vorrangverletzung durch den Kläger stehe eine beachtliche Geschwindigkeitsüberschreitung seitens des Erstbeklagten gegenüber. Die höchstzulässige Geschwindigkeit hätte gemäß § 58 KDV 70 km/h betragen. Es liege daher ein Verstoß gegen § 20 StVO vor. Des weiteren habe der Erstbeklagte die Überholverbote des § 16 Abs 1 lit a bis c StVO verletzt, sodass letztlich von gleichteiligem Verschulden der beteiligten Fahrzeuglenker auszugehen sei. Aufgrund der vom Kläger erlittenen Verletzungen sei ein (Teil‑)Schmerzengeld von 25.000 EUR angemessen. Die Beklagten seien zur Geltendmachung der eingewendeten Gegenforderung nicht legitimiert.
Das nur von den Beklagten angerufene Berufungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil in seinen klagsstattgebenden Aussprüchen auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zulässig sei.
Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht, dass der Erstbeklagte in mehrfacher Hinsicht gegen verkehrsrechtliche Normen verstoßen habe. So habe er die höchstzulässige Bauartgeschwindigkeit um rund 35 % überschritten, unzulässigerweise das Bankett benützt, zum überholten Fahrzeug einen zu geringen Seitenabstand eingehalten und dadurch gegen die Überholverbote des § 16 Abs 1 lit a (zweiter Tatbestand) und des § 16 Abs 1 lit b StVO verstoßen. Entgegen der Ansicht des Klägers liege aber kein Verstoß gegen den ersten Tatbestand des § 16 Abs 1 lit a StVO vor. Könne einem Fahrzeuglenker im Hinblick auf eine bestimmte Straßen- und Verkehrssituation die Möglichkeit einer Behinderung oder Gefährdung anderer Straßenbenützer für ein gefahrloses Überholmanöver vorerst gar nicht bewusst sein und werde er etwa erst in der Schlussphase des Überholvorgangs durch einen nicht rechtzeitig erkennbaren Gegenverkehr zu einem knappen Einordnen auf seiner Fahrbahnseite gezwungen, so erfülle er den Tatbestand nicht.
Die Kausalität des rechtswidrigen Verhaltens reiche zur Haftungsbegründung nicht aus, es müsse auch der Rechtswidrigkeitszusammenhang gegeben sein. Überholverbote dienten in der Regel dem Schutz des Gegenverkehrs und des überholten Verkehrs. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs diene weder das Überholverbot gemäß § 16 Abs 2 lit c StVO noch jenes nach § 16 Abs 1 lit b StVO dem Schutz des von links kommenden Querverkehrs. Wie in dem zu 2 Ob 17/03v behandelten Fall sei es auch hier für das Verhalten des im Querverkehr befindlichen Klägers, der den für die gesamte Fahrbahn geltenden Vorrang des Erstbeklagten missachtet habe, bedeutungslos gewesen, ob zwischen dem auf der linken Fahrbahnhälfte überholenden Beklagtenfahrzeug und dem überholten Fahrzeug eine für ein zügiges Überholmanöver ausreichende Geschwindigkeit bestand. Auf sein Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen, weil er die auf dem bevorrangten Straßenzug herannahenden Fahrzeuge in den letzten 5,5 Sekunden vor der Kollision nicht mehr beobachtet habe. Aus dem selben Grund versage der Hinweis auf das Verbot, das Bankett zu befahren. Mit Ausnahme der Wahl einer überhöhten Geschwindigkeit fehle es dem aufgezeigten Fehlverhalten des Erstbeklagten somit am Rechtswidrigkeitszusammenhang.
Hinsichtlich der Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit hätten sich die Beklagten auf rechtmäßiges Alternativverhalten berufen. Ihnen obliege daher der Beweis, dass bei rechtmäßigem Verhalten der Schaden ebenfalls bzw jedenfalls im selben Ausmaß eingetreten wäre. Insoweit bedürfe es noch ergänzender Feststellungen, die im fortgesetzten Verfahren nachzuholen seien.
Zur Begründung seines Ausspruchs über die Zulässigkeit des Rekurses führte das Berufungsgericht aus, dass auch eine von seiner Ansicht abweichende Beurteilung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs denkbar sei.
Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.
Die Beklagten beantragen in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht zu der Frage geäußert hat, ob das Überholverbot des § 16 Abs 1 lit a StVO auch den Schutz des von links kommenden (benachrangten) Querverkehrs bezweckt.
Der Kläger macht geltend, dass die Auslegung des Berufungsgerichts mit dem Wortlaut der zitierten Bestimmung unvereinbar sei. Sie laufe darauf hinaus, dass faktisch nur entgegenkommende, nicht aber auch andere Straßenbenützer geschützt seien. Das Wort „insbesondere" solle lediglich als Hinweis auf die besondere Gefahr des Zusammenstoßes mit einem entgegenkommenden Fahrzeug beim Überholen dienen. Hätte der Gesetzgeber aber nur diese Fahrzeuglenker schützen wollen, wäre die Verwendung des Worts „insbesondere" unterblieben.
Hiezu wurde erwogen:
1. § 16 Abs 1 lit a StVO verbietet einem Fahrzeuglenker das Überholen, wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist. Dieser Tatbestand ist bereits dann erfüllt, wenn die bloße Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung eines anderen Verkehrsteilnehmers besteht (2 Ob 194/06b mwN; RIS‑Justiz RS0074013; Dittrich/Stolzlechner, StVO³ § 16 Rz 11).
Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs handelt es sich beim Überholverbot nach § 16 Abs 1 lit a (ebenso wie bei jenen nach Abs 1 lit b und c sowie Abs 2 lit b) StVO um eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB, deren Schutzzweck darin besteht, den Gegenverkehr gefahrlos zu ermöglichen und all jene Schäden zu verhindern, die beim Überholvorgang während des Vorbeibewegens an dem überholten Fahrzeug und beim Wiedereinordnen nach dem Überholen entstehen können (2 Ob 194/06b mwN; RIS‑Justiz RS0027630).
2. Im vorliegenden Fall ereignete sich der Unfall, als sich das Beklagtenfahrzeug an einem anderen Lkw vorbeibewegte. In den Schutzbereich der zitierten Norm fielen in dieser Phase des Überholvorgangs zweifellos die Lenker entgegenkommender und überholter Fahrzeuge, allenfalls auch Verkehrsteilnehmer, die sich - wie zB (hier aber nicht vorhandene) Fußgänger - am und knapp außerhalb des Fahrbahnrands bewegten (vgl RIS‑Justiz RS0074075). Bei der Prüfung, ob in diesen Schutzbereich auch der von links kommende (benachrangte) Querverkehr einzubeziehen ist, ist von nachstehenden Grundsätzen auszugehen:
Der Schutzzweck der Norm ergibt sich aus ihrem Inhalt. Das Gericht hat das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten soll (RIS‑Justiz RS0008775 [T1]). Wie weit der Normzweck reicht, ist Ergebnis der Auslegung im Einzelfall (RIS‑Justiz RS0082346, zuletzt 2 Ob 219/08g). Entscheidend ist nur der Inhalt der Norm. Es genügt, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist; die Norm muss aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen zumindest intendiert haben (2 Ob 278/06f = ZVR 2008/60 [Ch. Huber]; RIS‑Justiz RS0008775 [T2 und T4]).
3. Bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Überholmanövers ist stets auf dessen Beginn abzustellen (ZVR 1980/3). Der erste Tatbestand des § 16 Abs 1 lit a StVO bezieht sich daher auch nicht auf eine am Ende des Überholvorgangs eintretende Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer, sondern auf ein dem überholenden Fahrzeuglenker beim Beginn des Überholvorgangs erkennbares Gefährden- oder Behindernkönnen. Es genügt abstrakte Gefährdung oder Behinderung, also die bloße Möglichkeit einer solchen. Daraus ergibt sich, dass ein Lenker grundsätzlich nur dann überholen darf, wenn er in der Lage ist, die Überholstrecke zu überblicken, um sich von der Möglichkeit eines gefahrlosen Überholens zu überzeugen (vgl 2 Ob 194/06b; Dittrich/Stolzlechner aaO). Er hat den Versuch eines Überholmanövers abzubrechen und sich wieder hinter das vor ihm fahrende Fahrzeug einzureihen, sobald er auf der Überholstrecke ein Hindernis oder sonst die Möglichkeit einer Gefährdung erkennt (RIS‑Justiz RS0074083).
Der Erstbeklagte hat das Überholmanöver begonnen, als für ihn noch nicht absehbar war, dass der Kläger in die Kreuzung einfahren werde. Da der Vorrang selbst durch die Übertretung von Verkehrsvorschriften nicht verloren geht (RIS‑Justiz RS0074976), musste er mangels gegenteiliger Hinweise nicht damit rechnen, dass benachrangte Fahrzeuglenker ihrer Wartepflicht nicht entsprechen würden. Die auch nur abstrakte Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung solcher Lenker lag am Beginn des Überholmanövers nicht vor. Daraus folgt zunächst, dass der Kläger nicht zu dem durch den ersten Tatbestand des Überholverbots nach § 16 Abs 1 lit a StVO geschützten Personenkreis zählt und sich, selbst wenn entgegenkommende Fahrzeuglenker gefährdet gewesen wären, nicht mit Erfolg auf die Verletzung dieses Tatbestands berufen kann. Dass der Erstbeklagte auf die unerwartete Vorrangverletzung rechtzeitig reagieren und den Überholvorgang abbrechen hätte können, geht aus den Feststellungen nicht hervor.
4. Der Oberste Gerichtshof hat in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 2 Ob 17/03v, der ein vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde lag, nach den dargelegten Kriterien bereits geprüft, ob das - hier ebenfalls verletzte - Überholverbot gemäß § 16 Abs 1 lit b StVO auch dem Schutz des Querverkehrs dienen könne. Er verneinte dies mit der Begründung, dass die Vorschrift kurze und zügige Überholmanöver bezwecke. Diese Forderung liege im Interesse der überholten und der entgegenkommenden Fahrzeuge. Hingegen sei es für das Verhalten eines im Querverkehr befindlichen Fahrzeuglenkers, der den für die gesamte Fahrbahn geltenden Vorrang missachtet habe, ohne Bedeutung, ob zwischen dem auf der linken Fahrbahnhälfte überholenden und dem überholten Fahrzeug eine für ein zügiges Überholmanöver ausreichende Geschwindigkeitsdifferenz bestanden habe.
Der Verstoß des Erstbeklagten gegen das Überholverbot nach § 16 Abs 1 lit a StVO lag darin, dass er das Überholmanöver begann, obwohl angesichts der geringen Fahrbahnbreite und der Summenbreite der Fahrzeuge nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden war. Aus den obigen Überlegungen ist für einen solchen Fall abzuleiten, dass das Überholverbot nach § 16 Abs 1 lit a StVO den Schutz der überholten Fahrzeuge, allenfalls auch sonstiger sich im Bereich der „Engstelle" aufhaltender Verkehrsteilnehmer, nicht aber auch den Schutz des benachrangten Querverkehrs bezweckt. Für das Verhalten dieser Fahrzeuglenker ist es bedeutungslos, ob zwischen dem überholenden und dem überholten Fahrzeug ein ausreichender seitlicher Sicherheitsabstand besteht.
Dieses Ergebnis wird dadurch erhärtet, dass selbst das - vom Erstbeklagten objektiv hier ebenfalls verletzte - Verbot, ein mehrspuriges Fahrzeug auf einer ungeregelten Kreuzung zu überholen (§ 16 Abs 2 lit c StVO), nach ständiger Rechtsprechung nicht der Sicherung eines von links kommenden wartepflichtigen Verkehrsteilnehmers gilt (2 Ob 110/01t; RIS‑Justiz RS0074174 [T2 und T6]).
5. Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten: Der von links kommende und unter Verletzung der Wartepflicht in die Kreuzung einfahrende Querverkehr ist vom Schutzzweck des Überholverbots nach § 16 Abs 1 lit a StVO nicht umfasst. Es fehlt am Rechtswidrigkeitszusammenhang des in der Verletzung dieses Überholverbots gelegenen Fehlverhaltens mit dem Schaden des benachrangten Verkehrsteilnehmers.
Das Berufungsgericht hat somit richtig erkannt, dass die Verletzung des Überholverbots nach § 16 Abs 1 lit a StVO als taugliche Haftungsgrundlage für den Schadenersatzanspruch des Klägers nicht in Frage kommen kann. Dass dies ebenso für die Verletzung des Überholverbots nach § 16 Abs 1 lit b StVO gilt, ergibt sich bereits aus der referierten Entscheidung 2 Ob 17/03v und wird im Rechtsmittel des Klägers nicht mehr substantiiert in Zweifel gezogen.
6. Der gegen den Erstbeklagten gerichtete Schuldvorwurf könnte aber, wie das Berufungsgericht ebenfalls richtig erkannte, wegen der Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit berechtigt sein. Die nach den Umständen zulässige Höchstgeschwindigkeit darf auch beim Überholen nicht überschritten werden (vgl RIS‑Justiz RS0074062, RS0074573). Es entspricht ferner der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass der Zweck der Normen über die Bauartgeschwindigkeit darin liegt, Gefahren im Straßenverkehr zu verhindern, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt (2 Ob 270/08g mwN; RIS‑Justiz RS0027474; vgl auch RS0065754, RS0065757 und RS0075478).
Für Sattelkraftfahrzeuge (§ 2 Abs 1 Z 10 KFG) mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3.500 kg - das Vorliegen dieser Voraussetzung ist in dritter Instanz nicht strittig - darf gemäß § 58 Abs 1 Z 1 lit a KDV die Geschwindigkeit von 70 km/h (auf Autobahnen und Autostraßen: 80 km/h) nicht überschritten werden. Der Erstbeklagte hat das Beklagtenfahrzeug im Zuge seines Überholmanövers bis zur Kollision auf eine Geschwindigkeit von 95 km/h beschleunigt und damit die erwähnte Schutznorm verletzt. Das Fehlverhalten steht mit dem Schaden des Klägers im Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil die Bestimmung ganz allgemein die Hintanhaltung der Gefahren aus der erhöhten Geschwindigkeit zumindest mitbezweckt (vgl 2 Ob 270/08g).
7. Demjenigen, der eine Schutznorm übertreten hat, obliegt der Beweis, dass der Schaden auch im Falle vorschriftsmäßigen Verhaltens, das heißt ohne Verletzung der Schutznorm eingetreten wäre (2 Ob 204/05x; 2 Ob 165/05m; je mwN; RIS‑Justiz RS0111707). Der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens führt zu einer Haftungsfreistellung des rechtswidrig handelnden Täters, wenn er denselben Nachteil auch durch ein rechtmäßiges Verhalten herbeigeführt hätte. Abzustellen ist darauf, dass derselbe rechnerische Schaden entstanden wäre; Unterschiede beim realen Schaden sind bedeutungslos (2 Ob 204/05x; RIS‑Justiz RS0111706).
Das Berufungsgericht hat den Einwand der Beklagten, die Vermeidung der Kollision wäre dem Erstbeklagten auch bei Einhaltung einer geringeren Geschwindigkeit nicht möglich gewesen, im Sinne des Einwands des rechtmäßigen Alternativverhaltens interpretiert. Dies ist nicht zu beanstanden, zumal auch der Kläger dieser Auslegung in seinem Rechtsmittel nicht entgegentritt. Wenn aber das Berufungsgericht, ausgehend von einer richtigen Rechtsansicht, der Auffassung ist, dass es zur Beurteilung dieses Einwands ergänzender Feststellungen bedarf, dann kann dem der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (RIS‑Justiz RS0042179).
8. Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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